Читать книгу Absolvo te! - Clara Viebig - Страница 3

I

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„Die Ratten, hu, die Ratten!“ schrie die schöne Frau Tiralla, als sie mit der Magd im Keller war. Sie wollten von dem eingemachten Kraut aus dem Fass in der Ecke zum Kochen heraufholen, die Magd hielt das Lämpchen, Frau Tiralla trug die irdene Schüssel. Aber nun liess sie diese mit einem gellenden Aufkreischen fallen und hob ihre Röcke so hoch, dass man ihre ganzen zierlichen Beine sah, die Füsse in den blanken Lederpantöffelchen, die buntgeringelten Strümpfe und die weissen Hosen mit der um die Kniee fallenden breiten Stickerei.

„Wo ist Ratte?!“ Die Magd lachte, dass man alle ihre breiten weissen Zähne sah. „Seh ich nicht Ratte. Hat sich nicht Ratte hier, Pani!“ Und dumm-verschmitzt blinzelte sie ihre Herrin von der Seite an. „Hat Pani wohl geträumt, is sich nichts Lebendiges in Keller, nur Pani und die Marianna. Kss, kss! Horch!“ Sie neigte für einen Augenblick lauschend den schwarzhaarigen Kopf, schüttelte ihn dann und lachte wieder. „Würden Ratten sonst trappeln — hört man nichts!“

Das Lämpchen hebend, leuchtete sie rundum. Huschende Schatten fielen auf die schwarzen, von Feuchtigkeit glitzernden Wände, zeigten die Sprünge und abgebröckelten Stellen im rohgefügten Mauerwerk und die tiefen Winkel, in denen dicke Spinnwebnester klebten. Es war der alte Keller eines alten Hauses, in dem die beiden Frauen standen, und ein ziemlich verwahrloster dazu. Er war nicht aufgeräumt. Wo das Sauerkrautfass stand, lagerten auch Torf und Kohlen, unordentlich durcheinander geworfen; zwischen den am Boden liegenden, noch vollen Weinflaschen trieben sich ebenso viele leere umher. Die Lattenregale, die einst bis zur halben Kellerhöhe an den Wänden hinauf gereicht hatten, waren zusammengebrochen zu einem Haufen faulenden Holzes; allerlei Gerümpel sielte sich zwischen den Kartoffeln, und zerbrochene Hacken, Besenstiele, Topfscherben ragten aus dem Sand hervor, in den man, um es so zu überwintern, hier und da nachlässig ein Bündel Suppengrün eingesteckt hatte. Ein fauliger Geruch erfüllte den nie gelüfteten Raum, der kein Fenster nach oben hatte, nur eine winzige, immer verschlossene Luke. Das Lämpchen brannte trübe, wie erstickt in der Moderluft; die beiden Gestalten, die derbe der Magd, die zierlichere der Herrin, waren von einem Flimmer dunstigen Nebels umzittert.

„Sind doch Ratten hier — siehst du — hörst du — hu!“ Wiederum laut aufkreischend und die funkelnden Augen in dem bleichen Gesicht weit aufreissend wie vor Entsetzen, packte Frau Tiralla den Arm ihrer Magd. „Da lief eine! Hu! Abscheuliches Tier!“ Sie schüttelte sich und sprang in die Höhe, als huschte ihr schon so ein langgeschwänztes Ungetüm unter die Röcke an ihren warmen Leib.

„Heilige Mutter!“ Die Magd, wie vom übertriebenen Entsetzen ihrer Herrin angesteckt, kreischte jetzt auch auf und liess das Lämpchen fallen, wie die andere vorher die Schüssel. Es klirrte in Scherben und erlosch; sie standen beide im Stockfinstern.

Die Herrin schrie nervös auf: „Frauenzimmer, dummes!“ und hob die Hand wie zum Schlage.

Die Magd, als sähe sie trotz der Dunkelheit die erhobene Hand, duckte sich und witschte zur Seite; bald hörte man ihr unterdrücktes Kichern in einem entfernten Winkel des Kellers. „Wenn Pani mich schlagen will — hihi — ich bleibe hier, hihi!“

„Dummheit — schlagen! Denk ich nicht daran,“ versicherte die Frau und versuchte einzulenken. „Komm nur her! Gib deine Hand!“

„O weh, Pani wird mich doch schlagen, nein, nein!“

„So gib deine Hand doch — sofort! Ich tue dir ja nichts, dummes Ding! He, Marianna, wo bist du?“

Die schöne Frau Tiralla schien jetzt von einer wirklichen Angst erfasst zu sein, von einer weit aufrichtigeren als vorhin. Ihre Stimme zitterte bang, ihre Brust hob und senkte sich rasch, sie wurde ganz kalt, und dann fühlte sie selber, wie ihr Kopf wieder brannte. Hu, war das dunkel hier — wie in der Grabesnacht! Es rieselte ihr eisig über den Rücken. Ah, war das schrecklich hier im Schwarzen, so ganz allein zu sein mit den Gedanken!

„Marianna,“ schrie sie hell auf, dass es von der Kellerwölbung widerhallte, „he, Marianna, wo bist du denn?!“

Keine Antwort.

„Marianna, ich werde dir auch meine seidene Schürze schenken, die dir so gefällt. Marianna, wo bist du nur?“

„Bin ich ja hier, bin ich ja nur zwei Schritt zur Seite getreten. Hier, Pani, hier!“ Die warme Hand der Magd umfasste die feuchtkalten, ganz geschwitzten Finger der Herrin. „Dass die Pani nicht anstosse,“ flüsterte sie geschmeidig.

So tappten sie beide Hand in Hand im Stockdunklen zur Kellertreppe.

„Gelobt sei Jesus Christus und seine Heilige Mutter Maria!“ lispelte Frau Tiralla, als sie die erste Stufe der schlüpfrigen Steintreppe unter ihren Füssen fühlte. Noch fünfzehn Stufen steil hinan, Gott sei Dank, dann war man oben! Dann hatte man wieder Licht. Und unten im Finstern blieben die finsteren Gedanken zurück! Jetzt, da sie bald oben war, fühlte sie kein Grauen mehr, kaum konnte sie sich eines Lächelns erwehren: da hatte sie aber der Marianna einmal ordentlich bange gemacht, nun glaubte die fest an Ratten. Darum wollte sie auch wegen der zerschlagenen Lampe nicht mit der Marianna zürnen. Jetzt hiess es, nur noch recht, recht viel von den Ratten reden und über sie klagen, damit bald alle sagten: ‚in Starydwór, in Anton Tirallas Haus, sind so viele Ratten, dass sie ihm über Bänke und Tische tanzen, dass sie ihm auf der Tenne den Weizen unterm Dreschflegel wegfressen, dass sie der Frau ihr schönes Kleid, das seidene, blaue, mit dem Spitzenbesatz, angefressen haben im Kleiderschrank.‘ Das würde gut sein — o ja, sehr gut!

Mit einem tiefen, erleichterten Aufseufzen presste Frau Tiralla die Hand des Mädchens: „Siehst du nun, du Ungläubige, dass da Ratten sind — oh, so viele!“

„Wenn Pani sagt: sind Ratten da, so sind Ratten da,“ sprach die Magd unterwürfig.

Frau Tiralla sah nicht das Lächeln, das dabei den breiten Mund unter dem Stumpfnäschen noch breiter zog, sah auch nicht den heimlichen, schlauen Strahl in den schmalen, tiefliegenden Augen aufblitzen.

Aha — die Magd lachte in sich hinein — hielt die Pani sie denn für so dumm?! Es sollten durchaus Ratten hier sein. Die Pani wünschte es, dass Ratten hier waren, die Pani wollte es glauben machen, dass Ratten hier waren — mochten Dümmere das glauben, sie, die Marianna Śroka, war viel zu schlau, ihr machte man nichts vor! Dabei hatte die Herrin wohl einen Grund, denn Ratten waren nicht da!

Aber der Herrin zum Munde redend und wie heimlich schaudernd, sprach sie, als sie oben ans Tageslicht traten: „Pani ist blass vor Schrecken. Psia krew, die abscheulichen Tiere! Sie werden uns noch fressen die Haare von Kopf!“

Frau Tiralla nickte. Und dann sagte sie: „Du kannst nachher zu mir in die Stube kommen, dass ich dir die Schürze gebe, die ich dir versprochen habe!“

„Und die Spitze,“ begehrte die Magd, „die Spitze, die mir die Pani neulich gezeigt hat. Ich werde sie an meine Schürze setzen!“

„Meine Spitze — an deine Schürze?!“ Frau Tirallas bleiches Gesicht wurde zornrot. „Bist du verrückt?“

„Ah, nur ein Endchen, ist sich ja nur kurzes Endchen! Was will die Frau mit kurzes Endchen anfangen, ist sich nicht Mühe wert aufzuheben!“ Und dann lachte die Magd ganz dreist laut heraus: „Werd ich dann sagen, hat mir Pani geschenkt, weil Ratten sonst doch auffressen. Ratten sind so viele — Ratten fressen alles hier!“

Es durchzuckte Frau Tiralla: die war ja so frech! Was ahnte die — was wusste die?!

Für ein paar Augenblicke sahen sich beide Frauen starr an, ohne ein Wort; es war, als wollten sie beide sich stumm bis auf den Grund der Seele erforschen. Dann lächelten sie beide zu gleicher Zeit, wie um sich gegenseitig zu beruhigen.

‚Die Pani kann sich ganz auf mich verlassen,‘ sagte das Lächeln der Magd. ‚Ich kann dumm sein, ich höre nichts, sehe nichts, weiss nichts, ganz wie die Pani will.‘

Und das Lächeln der Herrin sagte: ‚Die ist ja so dumm — nur keine Angst! Die merk nichts, die glaubt, was man ihr sagt; und merkt sie auch ’was, mit einer Schürze, mit einem Endchen Band, mit einem Schnippelchen Spitze, mit einem halben Gulden, wenn’s hoch kommt, ist die zu erkaufen!‘

„Marianna,“ sprach Frau Tiralla, „nun haben wir die Schüssel zerschlagen und kein Kraut zu Mittag!“

„Braucht Pani nicht sorgen!“ Die schwarzhaarige Dirne lachte, dass ihre schmalen, blitzenden Augen ganz hinter den starken Backenknochen verschwanden. „Werde ich noch einmal in Keller steigen mit andere Schüssel und Kapusta holen, ganz alleine, Pani braucht nicht Ratten fürchten. Und wenn er“ — sie winkte mit einem kurzen Kopfnicken hinüber zu der nächstliegenden Stubentür — „wenn er spricht: ‚warum Schüssel zerschlagen und Lämpchen zerschlagen?‘ werde ich sprechen: ‚ei, sprang Ratte über unsere Hand — gottverdammte Ratte — biss Pani in die Hand und mich in die Nase. Sind soviel Ratten in Keller hier, dass man nicht mehr hinabsteigen kann ohne Schaden!‘“

„Recht hast du!“ Frau Tiralla lächelte befriedigt. „Es ist ganz grässlich mit dem Ungeziefer in diesem alten Haus. Und Schwaben haben wir auch in der Küche und —“

„Sie bedecken abends die Wände,“ fiel die Magd eifrig ein. „Soll der Gospodarz nur kommen und sehen in meiner Küche nach, abends, wenn Licht ausgeblasen ist, wird er selber dann sprechen: ‚Hu!‘ An den Kopf fliegen sie einem, mitten ins Gesicht, gegen Nase, Augen, Ohren. Krabbeln sie hier, krabbeln sie da — hu!“ Mit einem gellenden Aufkreischen warf sie sich die Schürze über den Kopf.

„Psia krew, was für ein Lärmen! Frauenzimmer, verdammtes, kannst du nicht dein Maul fünf Augenblicke halten, nicht die paar Minuten, die ich schlafen will?!“

Die Stubentür war aufgerissen worden, mit zorniger Stimme schalt der Besitzer Tiralla auf seine Dienerin ein. Aber als er hinter der Magd seine Frau erblickte, wurde sein Ton milder, fast besorgt: „Was ist denn, was ist denn?“ Frau Tiralla hatte mit aufgeschrieen, wie in jähem Entsetzen. „Warum schreit ihr denn so? Mein Seelchen, warum schreist du, was ist denn geschehen, du bist ja ganz blass? Sage, Zoschchen, was ist dir geschehen?“

Man merkte dem grossen Mann mit dem starken Gliederbau und dem braunroten Gesicht die Besorgnis um seine Frau an. Mit einem heftigen Griff die heruntergerutschte Hose heraufziehend, denn Zoschchen mochte es gar nicht leiden, wenn er sich’s ein wenig bequem gemacht und die Hosenträger abgetan hatte — ‚Pfui, wie ein Bauer!‘ sagte sie dann — trat er ihr rasch näher. „Was ist denn geschehen, so sage doch!“

Die schwarzen Augen der Frau starrten ihn aus dem bleichen Gesicht an. „Heilige Mutter, wieder die Ratten,“ stammelte sie und griff um sich, als suche sie einen Halt.

Da lachte Herr Tiralla. „Ratten?! Aber, Frauchen! Ratten gibt’s überall, wo Schweine sind; warum nicht hier auf dem Hofe? Wenn’s weiter nichts ist!“ Er lachte gutmütig. „Ich dachte, ihr hättet die Kurze Pluckaa) gesehen oder unten im Keller den Babok, den schwarzen Mann. Warum sprachest du denn nicht: ‚Alle guten Geister loben Gott‘ — auch die Ratten wären davon entwichen!“

„Lästere nicht,“ sagte sie eisig. „Dass Gott dich strafe!“ Und als er sie schäkernd umfassen wollte, mit seiner riesigen behaarten Hand ihr unterm Kinn herfahren, wich sie zurück und brach in Tränen aus. Da sie, sich die Rechte vor die Augen haltend, mit der Linken an ihrem Kleid herumtastend, nicht gleich das Taschentuch fand, hielt sie nun ihr Schürzchen vor. Sie schluchzte heftig.

Vergebens suchte er ihr die Schürze vom Gesicht wegzuziehen; sie hielt sie fest vorgepresst. Ihre schlanken, für eine Landfrau merkwürdig wenig verarbeiteten Finger hatten eine eiserne Widerstandskraft.

Er war ganz bestürzt. „Seelchen, Täubchen! Aber Zoschchen, was hast du denn?“ Vergebens suchte er einen Blick in ihr Gesicht zu erhaschen. „Verdammtes Frauenzimmer, was grinsest du?“ brüllte er plötzlich die Magd an, die noch immer auf demselben Fleck stand und breit lachte. „Dass der Teufel dich hole, du, nur du allein hast die Herrin geärgert!“

„Nein, nein, Panje, ich nicht! Sind es die Ratten gewesen, kann ich beschwören. Mag der Gospodarz nur selber in Keller steigen, wird er sehen, wie sie laufen an Boden, wie sie springen an Wänden. Und in meiner Küche mag er die Schwaben sehen, hunderttausend, hunderttausend Millionen — werden sie noch fallen in Essen von Pan Tiralla. Wird der Herr ja sehen!“

„Untersteh dich!“ Tiralla hob die schwere Hand gegen die Magd, aber sie wich ihm so geschickt aus wie vorhin der Herrin. Es war so drollig, wie sie sich hinter die Herrin duckte, diese wie ein Bollwerk benutzend, dass der ungefüge Mann in ein dröhnendes Lachen ausbrach. „Brauchst nicht Furcht zu haben, dummes Ding,“ sagte er gutmütig, „ich schlage nicht. Weiss ich zwar, dass du ein Satansbraten bist, aber du wirst mir doch keinen Unrat in den Teller schöpfen!“

„Nein, nein,“ versicherte sie treuherzig, „werde ich nicht tun,“ und kam hinter der Herrin vor.

Er kniff sie mit seiner behaarten Hand in die feste Wange. Es tat weh, seine derben Finger hinterliessen erst eine weisse, dann eine brennendrote Druckstelle, aber sie liess es sich ruhig gefallen: nein, der Gospodarz war nicht böse! Eigentlich war er viel besser als seine Frau! Marianna dachte auf einmal, dass es doch schade um ihren Herrn sei. Und sie drängelte sich ein wenig an ihn heran und warf ihm unter halbgesenkten Lidern einen verheissungsvollen Blick zu — wenn der Alte nur wollte, sie würde schon wollen!

Aber Tiralla hatte nur Augen für seine Frau. Er bettelte weiter um einen Blick von ihr. Es hatte etwas Lächerliches, wie dieser starke und schon ergraute Mann um die zarte, zierliche Frau sich mühte. „Aber, Zosia, Zochna, Zosieczka, was hast du denn? Sieh mich an, meine Taube, weine doch nicht!“

Nun war es ihm gelungen, ihr die Schürze vom Gesicht zu ziehen, liebkosend wollte er seinen Mund ihrer Wange nähern, da fauchte sie ihn an, mit sprühenden Augen, wie eine gereizte Katze: „Du hast mir weh getan, au! Pfui, wie du riechst, nach Mist, nach Tabak, und nach Schnaps dazu! Du stinkst, du Bauer!“ Sie spie aus.

„Zoschchen,“ sagte er ganz traurig, „wie du sprichst! Nur einen kleinen, wirklich nur einen einzigen, ganz kleinen Schnaps habe ich heute getrunken, ich schwöre es dir bei der Heiligen Mutter und ihrem Sohne!“

„Beflecke die Heilige Mutter nicht, wenn du sie anrufst,“ sagte sie schneidend. „Lästere sie lieber, dass sie dich eher zur Hölle fahren lasse, wohin du gehörst. Ich werde dir keine Träne nachweinen. Das schwöre ich dir!“

„Was — was — habe ich dir getan?“ stammelte der Mann, ganz erschrocken. „Ich tat dir doch nichts. Ich habe dir Kleider gekauft, so viele du wolltest; ich habe dich zum Balle gefahren, so oft du wolltest; ich habe dich tanzen lassen, mit wem du wolltest; ich habe nie ‚nein‘ gesagt, wenn du sagtest ‚ja‘ — und nun sprichst du so hässlich zu mir?! Du bist krank, meine Liebe, ich werde zum Doktor schicken!“

„Ja, krank!“ Sie schluchzte heftig auf. „Du hast mich krank gemacht! Du, du, du!“ Sie ging auf ihn los, als wollte sie ihm mit ihren Nägeln ins Gesicht fahren. „Ich mag dich nicht — ich verabscheue dich — ich, ich hasse dich!“ Gellend schrie sie das, in den höchsten Tönen; ihre Augen brannten, die Fäuste ballte sie und stiess sie sich vor die eigene Brust, und dann griff sie sich mit allen zehn Fingern in ihre schön-geglätteten Haare und zerraufte sie. Ihre zierliche Gestalt zitterte und schwankte; und nun erbleichte sie so tief, als würde sie gleich in Ohnmacht sinken.

Die Magd riss die Augen auf: was fiel der ein?! War die dumm, war die dumm! Warum es denn dem Herrn ins Gesicht schreien, wenn der’s nicht so merkte?! Ei, nun gab sie es ihm aber deutlich: ‚Ich hasse dich‘ — und er, der Arme, den Gott trösten möge, was tat er? War’s zum Lachen oder zum Weinen?! Marianna Śroka wusste selber nicht, sollte sie denken: ‚o du grunddummer Esel‘, oder sollte sie wünschen: ‚hätte ich ihn doch zum Manne, oder wenigstens zum Liebsten‘! Denn gut war der Gospodarz, wirklich von Herzen gut; der würde sie nicht knapp halten, sie und ihre zwei Kinderchen. Die Frau war doch zu garstig, die Frau war, bei Gott, den guten Mann gar nicht wert!

Und in einem plötzlichen Umschwung ihrer Gefühle, die sie vordem mehr zur Herrin hingezogen hatten, neigte sich die Magd nun ihrem Herrn zu. Eine Schande war’s, wie die Frau ihn behandelte! Die musste ihn geradezu behext haben, dass er sich so ’was gefallen liess! Seinen grossen Lederpantoffel mit dem Holzabsatz sollte er lieber vom Fusse nehmen und ihr den auf den Kopf schlagen, dass ihr Hören und Sehen verging, als dass er so bettelte und barmte. Ja ja, natürlich, da war kein Zweifel daran, der Herr war verrufen; den grossen, dicken Mann hatte die kleine Frau behext — diese magere Ziege! Die war eine Mora, die sich verwandeln kann in eine Katze, oder eine, die auf dem Besenstiel durch den Schornstein fährt. Das müsste der Herr Propst wissen, der würde ihr schon das Handwerk legen! Oder nein, — noch besser — sie, die Marianna, nahm selber die Sache in die Hand. Dann hatte sie den Dank von Pan Tiralla ganz für sich allein. Sie würde den Zipfel ihres Hemdes nehmen und dem Behexten dreimal damit über die Stirn wischen, dann wich der Zauber von ihm. Und wer weiss, was dann geschah, ob er dann nicht doch die Frau aus dem Hause jagte, die immer so garstig zu ihm war, die sich in einem besonderen Zimmer bettete und ihm die Türe vor der Nase zuschlug?! Ei, sie, die Marianna, würde die Türe nicht zuschlagen. Hatte er denn nicht Knochen wie ein Ochse, war er denn nicht noch ein ganz ansehnlicher Mann? Wenn er auch strubblige, schon ergraute Haare hatte und ein wenig wässrige Augen, er konnte noch immer seinen Mann stellen. Und Geld hatte er, ei, so viel Geld! Der Magd klopfte das Herz vor Begehrlichkeit. Alle Läden in Gradewitz konnte man dafür auskaufen, die in Gnesen auch, und wer weiss, ob nicht sogar die in Posen. Es war ein Jammer, dass diese Frau, diese Hexe einmal all das Geld kriegen würde, wenn er tot war! Einen schielenden Seitenblick, der ihr hübsches, derbes Gesicht hässlich machte, warf die Magd auf ihre Herrin.

Frau Sophia Tiralla stand noch immer und weinte. Als lägen alle Leiden der Welt auf ihr, so schlaff liess sie die Schultern nach vorn hängen, so tief neigte sie den Kopf. Ihr Mann hatte seine vergeblichen Annäherungsversuche aufgegeben, er stand da wie begossen und liess in einem verwunderten, ratlosen Staunen seine fahlblauen, verschlafenen Augen von der Frau zu der Magd wandern und wieder von der Magd zur Frau.

„Wenn ich nur wüsste, Zoschchen,“ sagte er endlich kleinlaut — „bei Gott, ich habe dir doch nichts in den Weg gelegt! Was ist dir wohl für eine Laus über die Leber gelaufen?!“

Die Magd prustete laut heraus. Das kam ihr so unendlich komisch vor, sie konnte sich gar nicht fassen vor Vergnügen: eine Laus, haha, eine Laus! Sie stopfte sich die Faust in den Mund und biss darauf, um ihr Lachen zu unterdrücken.

Ein zorniger Blick der Herrin traf sie. „Was unterstehst du dich? An die Arbeit! Dalej, dalej!“

Die Magd erschrak. Ei, guckte die Herrin böse, wie kalter Stahl trat der Blick! „Auf den Hund den bösen Blick!“ murmelte Marianna heimlich und schützte ihr Gesicht mit dem Ärmel. Und dann dachte sie: au weh, nun gibt sie mir die Schürze nicht, die seidene Schürze! Es war am Ende doch besser, sich mit der Herrin zu verhalten, die war doch diejenige, die allein alles hier zu sagen hatte. Und so lispelte sie denn entschuldigend: „Muss Pani verzeihen, war so drollig, dass Gospodarz, grosser, dicker Gospodarz, sich vergleicht mit klein-winziger Laus! Konnt ich nicht helfen, musst ich lachen!“ Und sie lachte ein spitzbübisches Lachen, in das diesmal Frau Zosia mit einstimmte. Es war etwas Erbarmungsloses in dem Lachen der beiden Frauen.

Herr Tiralla hörte das nicht heraus; er war froh, dass seine Zosia wieder besserer Laune war. Als sei nichts vorgefallen, nahm er sie jetzt bei der Hand und zog sie in die Stube.

Und sie liess sich ziehen. Wenn er denn nicht merkte, dass sie ihn nicht mochte, trotz allem und allem nicht, es sogar nicht merkte, wenn sie es ihm ins Gesicht schrie, so sollte er’s denn fühlen. Er wollte es ja nicht anders! Ein grausames Lächeln hob für einen Moment ihre kurze Oberlippe, und doch schossen ihr gleich wieder die Tränen in die Augen. Ha, wie sie ihn hasste!

Als sie nun drinnen in der Stube bei ihm sass — er hatte sie auf seine Kniee ziehen wollen, aber sie war ihm geschickt entwichen und sass nun eingeklemmt zwischen Tisch und Wand, dass er nicht so bequem an sie konnte — jagten Gedanken mit fürchterlicher Schnelligkeit durch ihren Kopf. Gedanken, die sie schon oft ausgedacht hatte, und die doch immer von neuem ihr Herz erzittern machten. Ganz stumm sass sie da.

Er verlangte auch weiter keine Unterhaltung. Wenn sie nur da war, wenn er nur das Gefühl hatte: so, nun brauchte er nur den Arm auszustrecken, sie mit seiner starken Hand zu erfassen, zu sich heranzuziehen, sie zu tätscheln, wenn sie auch nicht wollte — am Ende war er doch stärker. Herr Tiralla hatte sich auf die Ofenbank geworfen, der Länge nach; kaum brachte er seine massigen Glieder auf der Bank unter. Sie ragten in Länge und Breite ein Stück über. Er seufzte: da war er nun schon heute morgen über seine Äcker gestampft und hatte gesehen, dass die Wintersaat gut stand, hatte auch gehört, dass die Dreschflegel in der Scheune fleissig im Takt klappten, hatte eine ganze Weile im Stall den wiederkäuenden Kühen zugeschaut und den zwei stattlichen Rossen einen liebkosenden Klaps mit der flachen Hand gegeben — ei, das war fürwahr ein Tagewerk gewesen! Nun hatte er auch die volle Berechtigung, sich ein wenig auszuruhen. Zudem war Schnee in der Luft, eine grosse, dicke, graue Stille draussen, da lag sich’s in der warmen Stube so behaglich, bis der Barschtsch und das Kraut und die Wurst kamen, und nach dem Mittagessen lag sich’s behaglich weiter, bis es wieder ’was zu essen gab oder bis es an der Zeit war, in das Dorf hinein in den Krug zu gehen. Dort traf er dann die Honoratioren, zuweilen sogar den Herrn Propst; der verschmähte es auch nicht, ab und zu mit ihnen ein Glas zu leeren und die Neuigkeiten zu besprechen, wenn er es auch nicht haben mochte, dass man nachher von seiner Anwesenheit erzählte. Ein ganz umgänglicher Mann, der Propst, und lange nicht so streng wie die Zosia! Herr Tiralla fühlte sich gut Freund mit ihm. Der würde ihm nicht Gottlosigkeit vorwerfen! Ei, die Zosia übertrieb es wirklich! Ging er denn nicht jeden Sonntag ins Hochamt und jeden Feiertag auch? Die Frühmesse konnte man wirklich nicht noch von ihm verlangen; musste er denn nicht ohnehin Winter und Sommer allzufrüh aus dem Bette? Und hatte er nicht seinen Heiligen in der Stube hängen, und war er nicht allzeit willfährig, zu geben, was die Kirche verlangte? Man braucht darum doch kein Duckmäuser zu sein; und wenn man eine hübsche Frau besitzt, will man doch auch etwas von ihr haben. Deswegen würde es ihr schwer werden, ihn beim Propst anzuschwärzen; der wusste doch auch recht gut, was einem gesunden Manne zukommt!

Herr Tiralla dehnte sich mächtig, und dann streckte er die Arme aus: „Komm ’mal her, mein Seelchen!“

„Was willst du?“

Sein Unternehmungsmut schwand sogleich, als er diesen eisigen Ton hörte. „Warum sprichst du nicht freundlicher zu mir?“ sagte er kleinlaut. „Ich will ja nichts von dir. Ich — ich möchte dich nur fragen, ob du dir ein neues Kleid wünschest zum Stefanstag? Oder wie wäre es mit einem Paar Ohrringe? Oder hättest du Lust auf einen neuen Pelz, wenn wir werden nach Posen fahren zum Gesindemarkt?“

„Ich brauche nichts,“ antwortete sie in gleich kaltem Ton.

„Denk nur darüber, es wird dir schon noch etwas einfallen,“ ermunterte er. „Sage nur! Für dich wird mir nichts zu teuer sein. Komm, kleines Frauchen, komm doch her!“ Wieder streckte er die Arme aus.

Aber sie rührte sich nicht.

„Willst du kein neues Kleid? Ich sah wunderschöne Stoffe in Gnesen. Rosenthal hat ausgestellt in seinem Schaufenster — ei wei, eine Pracht! Kirschrotes Tuch und schwarze Borten zum Besatz. Die Landrätin trägt so eines zum Sonntag. Zoschchen, möchtest du nicht das gleiche haben?“

Ihre Augen begannen zu funkeln. Neue Kleider, ein Kleid wie eine vornehme Dame! Eine Lust darauf kam sie an, aber nur für Momente; der Glanz in ihren Augen erlosch jäh: was sollte ihr das Kleid neben so einem Manne?! Energisch schüttelte sie den Kopf: „Ich will keins!“

So kam er nicht zum Ziel! Herr Tiralla, der sich so ungern erheben wollte, sah wohl ein, er würde aufstehen müssen und sich neben sie hinter den Tisch zwängen oder sie hervorziehen müssen mit Gewalt. Wenn sie dann schrie, das holde Täubchen: ‚Geh doch, lass mich, du Swintuch‘, dann musste er ihr den Mund mit einem Kusse verstopfen. Mit Gewalt!

Fluchend setzte Herr Tiralla den einen schweren Fuss zur Erde. Er war ärgerlich, dass er so aus seiner Ruhe gestört wurde; aber er konnte nicht widerstehen, sie war zu reizend. Stöhnend erhob er sich vollends

Sie sah es mit Schrecken. O, nun würde er wieder seine Arme um sie schlingen, diese Arme, weiss und fett, mit dem haarigen Flaum darauf, diese Arme, denen ihre Mutter sie ausgeliefert hatte, als sie noch jung und harmlos war und nur an die lieben Heiligen gedacht hatte und an den Herrn Jesus und keine Lust gefühlt hatte zu einem anderen Manne! Nun war sie nicht mehr jung und harmlos und — ein plötzlicher Einfall durchzuckte sie — ha, wenn sie ihn dafür herumkriegen würde, Gift zu kaufen?! Rattengift! Sie hatte schon oft davon angefangen, aber er hatte immer nicht gewollt; er glaubte nicht an die Ratten. Und wenn sie ihm auch über die Nase springen würden, er schaffte kein Gift ins Haus, es widerstrebte ihm. Sie aber bekam Gift für das Ungeziefer auf dem Hofe nur gegen einen Schein, unterzeichnet von des Besitzers Hand.

Es überlief sie. Sie schüttelte sich wie in Grausen: „O, die Ratten!“ Und dann stand sie zögernd auf. Noch einmal setzte sie sich wie unschlüssig nieder, fast schwer fiel sie zurück auf ihren Platz, aber dann gab sie sich einen Ruck. Sie stand rasch wieder auf, ging hin zu ihrem Mann und setzte sich auf seine Kniee.

Er war schier verdutzt über diese Wandlung. Aber dann war er glückselig: so nett war sie lange nicht gewesen! Sie kraute ihm den Kopf, und er lehnte seine Stirn gegen ihre weiche Brust und fühlte deren Wogen.

„Dein Herzchen klopft sehr!“

Sie sagte kurz: „Das glaube ich!“ Und dann küsste sie ihn auf den strubbligen Schädel und schmeichelte ihm: „Mein Alter, mein Lieber! Du willst mir ein Kleid kaufen, also wirklich ein neues Kleid?!“

Er nickte heftig; zu wohlig war’s ihm, um zu reden.

„Ich möchte wohl,“ fuhr sie fort und drückte seinen Kopf immer fester an ihre Brust, „ich möchte wohl so ein Kleid tragen, kirschrot mit schwarzen Borten, wie unsre Landrätin eines trägt. Wenn sie mich darin sehen würden zu Gradewitz, oder deine Bekannte in der Stadt, würden sie da nicht sprechen: ‚Wie gut die Tiralla das Rot kleidet?! Welch hübsche Frau hat doch der Anton Tiralla‘!“

Er schmunzelte.

„Aber weisst du, was nutzt es mir,“ fuhr sie fort — ihre Stimme sank und wurde ganz tonlos — „die Ratten würden es ja doch fressen!“

„Zum Teufel mit den Ratten! Lass sie!“ Ärgerlich fuhr er auf trotz seiner Zärtlichkeit; sie hatte ihn schon allzu oft und allzu sehr mit ihren Ratten gequält. „Die Teufel mögen dich holen, dich und deine ewigen Ratten!“ Gift kam ihm nun einmal nicht ins Haus; lieber tausend Ratten als ein Giftkorn! Wie leicht konnte da ein Unglück geschehen! Bei Gift hat der Böse die Hand im Spiele!

Aber mit Kraft drückte sie seinen Kopf wieder an ihre Brust zurück. Er musste da liegen bleiben; es war, als ob ihre Finger, die auf seinem Schädel hin und her spielten, ihn bannten.

Er lallte wie ein Kind: „Lass die Ratten — gib mir einen Kuss — da — da!“ Wies hinter sein rechtes Ohr, hinter sein linkes Ohr, dahin, dorthin, und sie kniff die Augen zu und drückte ihren Mund in seine Haare, durch die schon da und dort die wenig saubere Kopfhaut durchschimmerte.

Sie holte tief und zitternd Atem, als ringe sie nach Luft. Die zusammengekniffenen Augen riss sie weit auf und stierte auf einen Punkt, immer auf einen Punkt — es musste sein! Und dann sagte sie, indem ihr Gesicht, das er nicht sah, sich vor Widerwillen verzerrte, mit einer Stimme, die doch wie lauter Schmeicheln klang: „Lieber, möchtest du schlafen? So — lehne dich in meinen Arm! Mag die Marianna draussen alleine schaffen, ich bleibe bei dir. Ach, mein Lieber, ich fürchte mich so!“

Und sie schmiegte sich dichter an ihn, so dicht, dass ihr warmer Körper ihn förmlich umschlängelte. „Die Ratten — ach!“ Sie stiess einen zitternden Seufzer aus. „Die abscheulichen Ratten! Lieber, nicht wahr, wir werden Gift legen — Rattengift — aber bald — sonst sterbe ich vor Angst!“

Absolvo te!

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