Читать книгу SeelenTattoo - Claudia Feltkamp - Страница 8

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, dachte ich zuerst an meine Oma. Ich legte mich wieder hin und schaute an die Decke. Im Sommer hatte sie schon geäußert, dass sie nichts dagegen hätte, bald bei ihrem verstorbenen Mann zu sein. Verstehen konnte ich sie natürlich schon, traurig war es für mich dennoch. Ich stellte mir vor, wie meine Großeltern nun zusammen an einem glücklichen, friedlichen Ort waren. Für immer und ewig!

Ich stand auf und ging als erstes ins Bad. Es war noch alles so still an diesem sonnigen Morgen. Die Sonnenstrahlen fielen durch die großen Fenster des Flures und wirbelte einige Staubflocken auf, die nun fröhlich im Sonnenlicht tanzten. Ich machte mich fertig und ging in die Küche, wo ich den Wasserkocher mit Wasser befüllte und anstellte. Ich bereitete mir mein Frühstück zu, goss mir heißes Wasser in meine Teetasse und begann zu frühstücken.

Dann hörte ich Mika aus seinem Zimmer kommen. Wie jeden Morgen tapste er barfuß und in Shorts über den Flur, machte Musik an und ging weiter ins Bad. Heute gab es keinen Guten Morgen Gruß von ihm. Dann hatte er wohl nicht so gut geschlafen, folgerte ich und überlegte mir beiläufig, wie ich mich am besten ihm gegenüber verhalten sollte, um ihn nicht zu verärgern. Als Mika aus dem Bad zurückkam, sah er kurz in die Küche und ich sagte: »Guten Morgen.«

» Morgen«, brummte er zurück, »wie geht es dir?«

»Es geht.«

Er nickte.

»Bist du nicht gut drauf heute Morgen?«, wollte ich vorsichtig wissen.

»Ich bin sogar sehr gut drauf«, schnaubte er vor sich hin und öffnete den Kühlschrank, um ihn dann kurz darauf wieder zu schließen.

»Hast du einen Beweis für deine Behauptung?«, fragte ich nach und schob mir einen Löffel Müsli in den Mund.

Er sah mich verwundert an.

»Ist doch jeder Morgen gleich. Immer dasselbe. Wir unternehmen nie etwas Schönes.«

»Das stimmt zwar nicht, aber was möchtest du denn gerne heute machen?«

»Ans Meer fahren.«

»Gut, dann lass uns ans Meer fahren.«

»Echt?«

»Ja, warum denn nicht? Ich muss heute nicht im Naturkostladen arbeiten.«

»Letztens habe ich dich gefragt, ob wir an den Strand fahren und da wolltest du nicht.«

»Heute aber schon.«

»Aus dir werde ich echt nicht schlau, aber gut, dann fahren wir ans Meer.«

Mika eilte in sein Zimmer, huschte mit ein paar Kleidungsstücken zurück ins Bad und war wenig später fertig.

Ich hatte die Zeit genutzt, um die Küche sauber zu machen und schon einmal Handtücher und Wasserflaschen in den Rucksack zu packen. Dann ging auch ich noch einmal ins Bad.

»Bist du immer noch nicht fertig?«, drängelte Mika vor der Badezimmertür.

»Gleich.«

»Oh Mira, am Strand sieht dich doch eh keiner.«

»Sag das nicht. Man kann nie wissen.«

Ich trat aus dem Bad heraus.

»Können wir losfahren?«, fragte ich gut gelaunt.

»Also ich bin schon seit 10 Minuten fertig.«

»Na, dann ist es ja gut.«

Wir zogen uns die Schuhe an, schlossen die Tür ab und gingen zu meinem Auto.

»Ich bin für Playa Nueva«, verkündete ich.

»Von mir aus. Hauptsache ans Meer.«

Während der Fahrt entdeckten wir einige Häuser, die neu zum Mieten angeboten wurden und plauderten darüber, ob es ein schönes Haus ist, der Standort gut sei und so weiter.

Ich empfand die Autofahrt sehr angenehm, da Mika immer bessere Laune bekam, was gewiss daran lag, dass er gerne an den Strand wollte. Er freute sich und seine Freude übertrug sich auch auf mich.

Als wir an der Playa Nueva angekommen waren, schlenderten wir den Pfad entlang, bis an den Steinstrand und balancierten über die Steine zum Wasser. Die Wellen rauschten und schäumten, bis sie brachen und langsam am Strand ausrollten. Es klang nicht nur herrlich, sondern war wie immer ein interessantes Naturschauspiel. Die Luft roch und schmeckte nach Salz. Die Sonne schien warm vom wolkenlosen Himmel herab. Ich atmete die salzige Meeresluft tief ein und fühlte mich gut.

»Lass uns dort hinten an den kleinen Sandstrand gehen«, schlug Mika vor.

»Okay.«

Wir balancierten abermals über die Steine, bis wir wieder zu dem Pfad kamen und gingen darauf entlang zu einer kleinen Bucht, wo es einen feinen, schwarzen Sandstrand gab. Diese Bucht war abgelegen vom eigentlichen Strand und hierher kam kaum jemand, so dass wir ganz alleine waren.

»Ich will unbedingt baden«, verkündete er freudestrahlend.

»Dann tu das doch.«

»Du kommst mal wieder nicht mit?«

»Ins Meer? Wo die hohen Wellen sind?«, stellte ich schmunzelnd fest.

»Gut, dann gehe ich eben wie immer alleine.«

Mika zog seine Sachen aus und legte sie auf einen nahen Felsen. Ich schielte zu ihm rüber und sah, wie er sich die Badeshorts anzog. Er war wirklich ein attraktiver Mann. Doch was nutzte ein gutes Aussehen, wenn der Charakter scheiße war? Schnell schaute ich wieder weg, als er sich umdrehte und in Richtung Meer ging.

Er sprang förmlich in die Fluten und ließ sich mit den Wellen mitziehen. Dann schwamm und johlte er vor Freude, so dass ich lächeln musste. Ich spazierte am Ufer entlang und die anrollenden Wellen umspülten meine nackten Füße. Ich beobachtete Mika und freute mich für ihn. Er kam auf mich zu geschwommen, ließ sich mit einer kräftigen Welle an den Strand tragen und rannte auf mich zu.

»Hey, du machst mich nass«, quietschte ich und sprang zurück.

»Oh, wie schlimm«, grölte er und machte mich nun erst recht nass.

Ich rannte so schnell ich konnte davon und Mika hinter mir her. Ich lief bis zu den nahen Felsen, nahm sein T-Shirt in meine Hände und hielt es schützend vor mich.

»Okay, okay ich höre schon auf.«

Wir lachten beide, holten unsere Handtücher aus dem Rucksack und legten sie in den Sand.

»Toll, jetzt ist meine Hose total nass und sandig«, stellte ich fest.

»Dann zieh sie doch aus und leg sie zum Trocknen auf einen Stein. Diese schlabberigen Hosen, die du immer trägst, trocknen doch super schnell.«

»Ich habe gar keinen Bikini mit.«

»Du gehst ohne Bikini an den Strand?«

»Ich wollte ja nicht baden und sonnen will ich mich auch nicht unbedingt.«

»Aus dir soll mal einer schlau werden. Dann leg dich eben in Unterhose hin.«

»Ich kann doch nicht …«

»Warum nicht? Ist doch eh keiner hier und ich habe deine Unterhosen doch eh schon alle gesehen.«

»Wann das denn?«

»Na, beim Wäscheaufhängen.« Er griente belustigt vor sich hin.

»Ach so.«

Ich sah mich um.

»Trau dich!«, ermutigte Mika mich auffordernd, »du brauchst dich doch eh nicht zu verstecken. Hast doch eine tolle Figur.«

Sein Kompliment erfreute mich und verlieh mir Mut Es war niemand zu sehen und somit zog ich schnell die Hose aus und legte sie auf den Felsen.

Mika grinste: »Siehst du, ist doch gar nicht schlimm. Von mir aus kannst du dein Top auch gerne ausziehen.«

Er zwinkerte mit einem Auge.

»Vielleicht beim nächsten Mal«, lehnte ich dankend ab.

»Wie du meinst.«

Ich legte mich auf mein Handtuch und schloss die Augen. Es war ein wunderschöner Tag und wir hatten wirklich viel Spaß hier. Warum konnte es nicht auch immer zu Hause so entspannt und harmonisch ablaufen?

Wir blieben noch eine Weile am Strand liegen, bis es uns zu heiß wurde. Mika ging noch einmal im Meer schwimmen und ich zog meine getrocknete Hose wieder an und packte mein Handtuch ein. Als er aus dem Wasser kam, reichte ich ihm sein Handtuch. Er nahm es, trocknete sich ab und zog sich seine Hose und das T-Shirt wieder an. Bevor wir den Strand verließen, schaute ich noch einmal auf das endlos scheinende Meer hinaus. Ich atmete tief ein und schloss die Augen. So behielt ich alles in Erinnerung, denn es war ein schöner Vormittag mit ihm gewesen.

Wir fuhren wieder zurück in Richtung El Paso und merkten, dass die Luft schon kühler wurde, als eben noch unten am Strand.

»Können wir kurz am Supermarkt anhalten?«, fragte Mika.

»Warum, was fehlt denn?«

»Nur eine Kleinigkeit für die Soße.«

»Du meinst aber keinen Wein, oder?«

»Was soll denn das schon wieder bedeuten?«, schimpfte er sofort los.

»Ich kenne dich mittlerweile.«

»Das denkst aber auch nur du.«

Eine kurze Stille erfüllte das Auto und ich ahnte schon, dass seine Stimmung umgeschlagen war.

»Fahren wir jetzt zum Supermarkt?«, drängelte er.

»Wenn du mir versprichst, dass du keinen Wein kaufst.«

»Was soll der Scheiß?«, brüllte er los, »warum fängst du immer wieder an mich für etwas zu beschuldigen, das ich gar nicht tue? Du bringst einen erst zum Trinken, weißt du das? Denn sonst hält man dich gar nicht lange aus. Du weißt doch gar nicht, ob ich vielleicht einfach nur Sahne für die Soße kaufen will. Wenn du nicht hinfährst, dann gehe ich eben zu Fuß.«

Ich schluckte kurz, denn ich war mir nicht sicher, ob es ein Fehler von mir war. Vielleicht hatte er gar nicht vorgehabt Wein zu kaufen, sondern wirklich nur Sahne und ich hatte ihn nun durch meinen Vorwurf so wütend gemacht. Außerdem ging es mich ja auch eigentlich gar nichts an.

»Okay, wir halten beim Supermarkt an. Sag doch einfach vorher, dass du noch Sahne kaufen willst, dann weiß ich gleich Bescheid und alles ist gut.«

»Als wenn das einen Unterschied machen würde.«

»Natürlich macht es einen Unterschied.«

Wir waren am Supermarkt angekommen und ich hielt auf dem Parkplatz an. Ohne ein Wort zu sagen, stieg er aus und schlug die Tür zu. Als er zurückkam, trug er eine Flasche Weißwein in der Hand.

Ich stöhnte leise.

»Ich dachte, du wolltest Sahne kaufen.«

»Wenn du so blöde daher redest und mir solche Anschuldigungen an den Kopf wirfst, kaufe ich doch keine Sahne mehr.«

Ich fragte mich, ob er überhaupt vorgehabt hatte Sahne zu kaufen?

Wir fuhren schweigend nach Hause, wo ich die nassen Sachen auf hängte, während er als erstes in die Küche ging, den Korkenzieher holte und die Flasche Weißwein öffnete. Er nahm sich ein Glas und füllte es halbvoll. Als ich in die Küche kam sah ich, wie er genussvoll einen großen Schluck Wein trank.

»Oh, tut das gut«, stellte er fest, »für nur 2,99 Euro schmeckt der ganz gut.«

Mika nahm einen weiteren Schluck und lächelte mich an. Mir war nicht zum Lächeln zumute.

»Hey, schau doch jetzt nicht auch noch so dumm drein«, fing er an, »es ist doch alles wieder gut.«

»Kochen wir jetzt?«, lenkte ich ab.

»Du bist jetzt aber nicht für den Rest des Tages beleidigt und sprichst nur noch so knapp mit mir, oder?«

»Ich bin gar nicht beleidigt.«

»Und schon verteidigst du dich wieder. Ist doch immer dasselbe mit dir.«

»Können wir jetzt bitte anfangen zu kochen. Ich habe nämlich Hunger.«

»Ja, das können wir, wenn du vernünftig mit mir sprichst. Dein Ton gefällt mir nämlich gar nicht.«

Er schenkte sich erneut Wein ein und trank davon. Ich hatte keine Lust auf so ein Theater und lächelte ihn tapfer an.

»Okay«, sagte ich so freundlich wie ich gerade nur konnte, »können wir bitte anfangen zu kochen.«

»Aber natürlich. Im Kühlschrank haben wir noch Mangold, Brokkoli und Reis von gestern. Das machen wir alles in der Pfanne heiß und ich mache dann eine köstliche Soße dazu. Das wird herrlich schmecken.«

»Kann ich mir vorstellen.«

»Was soll die spitze Bemerkung?«

»Du kochst doch immer gut.«

»Ich kann es eben.«

Ich nahm das Gemüse und den Reis aus dem Kühlschrank und holte die Pfanne. Als nächstes stellte ich das Gas an, setzte die Pfanne darauf und tat das Gemüse mit dem Reis hinein.

»Du wartest ja schon wieder nicht ab bis die Pfanne heiß ist. Kannst du dir das denn nicht einmal merken. Das ist doch nicht so schwer zu verstehen, oder?«

Seine Worte rissen mich aus meinen Gedanken. Mika drängte mich beiseite. Irgendwie hatte ich gerade überlegt, wie ich mich jetzt ihm gegenüber verhalten sollte, damit er wieder bessere Laune bekam und hatte deshalb nicht an das Kochen gedacht.

»Lass mich das mal machen. Du kannst ja den Tisch decken. Das kannst du wenigstens.«

Ich machte ihm Platz und drehte mich um. Aus dem Schrank nahm ich die Teller heraus und legte sie auf den Tisch. Ich war unsicher, was ich jetzt tun oder sagen sollte? Ich setzte mich einfach an den Tisch und beobachtete ihn beim Kochen. Er rührte, tat Gewürze in das Essen, schmeckte ab und trank zwischendurch immer wieder einen Schluck Weißwein.

»Erzähl doch mal etwas«, forderte er mich auf.

»Ich weiß nichts. Erzähl du doch was.«

»Ich merke doch, dass du immer noch beleidigt bist, obwohl du überhaupt keinen Grund dazu hast.«

»Kannst du bitte aufhören damit Mika.«

»Warum bist du nur immer gleich beleidigt Mira und hast dann diesen gereizten Tonfall an dir? Das ist schrecklich!«

»Ich dachte, wir wollen jetzt nicht mehr darüber reden?«

»Kannst du nicht zu dir stehen und mal darüber reden wie unmöglich du dich manchmal verhältst?«

»Oh Mika, ich weiß doch, dass du gerne und sehr gut diskutieren kannst, doch ich kann es eben nicht und mag auch nicht diskutieren«, entgegnete ich leicht verzweifelt. Warum provozierte er mich denn schon wieder so?

Ich mochte keine Diskussionen über scheinbar belanglose Kleinigkeiten. Schon mein Ex-Freund diskutierte oft mit mir, was abschließend auch ein Grund meiner Trennung von ihm war. In der Tat ging es bei ihm jedoch hauptsächlich um Geld und materielle Dinge, die ich mehr besaß als mein Ex-Freund, wie zum Beispiel mein Auto. Wie oft hatte er mich gefragt, ob ich ihm abends mein Auto leihen kann, damit er zu irgendeiner Party wer weiß wo fahren könnte. Ich hingegen wollte ihm nie mein Auto dafür zur Verfügung stellen, auch weil er sich nie an den Reparaturkosten, der Versicherung oder Steuer meines Wagens beteiligte, was er überhaupt nicht verstehen konnte und immer wieder fragte, warum willst du mir dein Auto denn nicht geben? Du brauchst es doch heute Abend gar nicht mehr. Ich verstehe nicht, was dein Problem ist. Gibst du mir nun wirklich nicht dein Auto? Ich blieb standhaft und sagte nein, um zu einer Party zu fahren, wo nur gesoffen und Drogen konsumiert werden, gebe ich es dir nicht. Danach organisierte er sich eine andere Mitfahrgelegenheit und zischte wütend ab. Nein, ich mochte wirklich keine Diskussionen!

Wieso dürfen Männer eigentlich alles tun und sagen was sie wollen, aber die Frauen dürfen das nicht? Wenn ein Mann etwas nicht will, aus welchem Grund auch immer, ist das eben so und es gibt keine Diskussion. Frauen hingegen sagen, dass sie etwas nicht wollen und schon fängt ein Mann zu diskutieren an und fragt, warum denn nicht? Erkläre mir das einmal und so weiter. Das empfand ich als sehr ungerecht und total nervig!

Mika gab einen kleinen Schluck Weißwein in das Essen, stellte den Herd aus und füllte Essen auf unsere Teller.

»Du solltest dein Verhalten öfter Mal reflektieren«, begann er das Gespräch wieder.

Ich sah ihn argwöhnisch an und schwieg einfach.

Mika schenkte sich abermals Wein in sein Glas ein. Ich sah, dass die Flasche schon fast geleert war.

»Dich kann man einfach nicht ernst nehmen, Mira«, stichelte er weiter.

»Ich werde jetzt nicht mit dir diskutieren«, erklärte ich genervt.

»Du bist echt beschränkt!«

»Was?« ich sah ihn entgeistert an.

»Du hast mich genau verstanden.«

»Ich bin also beschränkt?, prustete ich wütend los und stand auf.

»Wie kannst du nur so etwas sagen?«

Ich fühlte, wie sich mein Herz kurz wie zugeschnürt anfühlte und musste tief Luft holen. Danach pochte mein Herz in wilder Aufruhr.

Mika nahm einen Schluck Wein, lehnte sich zurück und griente mich an. Er schien diese Art von Machtspielchen irgendwie zu genießen.

»Ich hoffe, es kommt irgendwann einmal jemand und hält dir einen Spiegel vor dein Gesicht.«

»Was meinst du denn damit schon wieder?«, wollte ich erregt wissen und sah ihn direkt an.

»Damit du einmal siehst, wie du wirklich bist.«

»Tust du das nicht schon?«

»Nein, ich meine so richtig.«

»Was?«

»Ach, vergiss es. Das verstehst du sowieso nicht.«

Er hatte Recht, denn ich verstand es wirklich nicht. Was meinte er damit, dass mir jemand einen Spiegel vorhält, damit ich sehe, wie ich wirklich bin?

Während er sich Wein einschenkte, verließ ich die Küche und ging in mein Zimmer. Ich musste weg. Ich brauchte jetzt Abstand von ihm und musste alleine sein.

Ich bin also beschränkt? Wie kam er nur dazu, mir so etwas zu sagen? Was war eigentlich eben geschehen? Ging es immer noch darum, dass ich gedacht hatte, er würde Wein kaufen, obwohl er eigentlich nur Sahne holen wollte?

Ich hörte seine Schritte und hoffte nur, dass er jetzt nicht durch das Fenster meiner Tür blickte.

»Übrigens hatte ich nie vor Sahne für die Soße zu kaufen«, hörte ich ihn taktlos sagen und im Badezimmer verschwinden.

Ich war geschockt. Sagte er das nur, um mich zu ärgern oder hatte er wirklich nie vorgehabt Sahne zu kaufen?

Eigentlich war es sowieso egal, denn es brachte jetzt nichts, weiter darüber nachzudenken. Ich nahm mir ein Buch und fing an zu lesen. Mika trat aus dem Bad und rief, dass er sich jetzt ein wenig zum Schlafen hinlegen würde. Ich antwortete ihm nicht.

»Anscheinend versuchst du mich jetzt zu ignorieren. Wie anmaßend von dir. Echt peinlich!«

Was sollte ich denn schon auf so eine brüskierende Andeutung sagen?

Wie spät? Erst 7:10 Uhr, super! Noch genug Zeit für einen Kaffee und eine Zigarette. Ab in die Küche. Wasser eingefüllt. Kaffeepulver hinzugefügt. Ah, wie gut der Kaffee riecht. Eine Tasse ist schnell gemacht. Jetzt erst einmal pinkeln. Auch erledigt. Kurz das Wohnzimmerfenster aufmachen. Ja, Frischluft. Hinsetzen. Wo ist mein Tabak? Rechnungen, Mahnungen, kein Tabak. Auf dem Sofa? Na toll, ich habe drauf geschlafen. Egal. Erst mal eine Zigarette drehen. Den Kaffee holen und genießen. Oh ja, so muss ein Morgen anfangen. Nur keinen Stress. Warum geht das nicht jeden Morgen? Zigarette und Kaffee. Was brauche ich mehr? Den Gedanken freien Lauf lassen. Einfach einen Moment nur dasitzen. Alles andere ist unwichtig. Wie schön!

Oh, Scheiße schon so spät? Ich muss los, wenn ich gemütlich gehen will. Schnell noch ins Bad. Ach Mist, rasieren. Vergessen. Egal, sieht fast aus wie gestern. Heute ist eh kein Termin. Also, wer sieht mich schon im Büro? Außer der Chef vielleicht. Und Jan. Egal. Neue Klamotten vielleicht? Okay, ein Sweatshirt muss her. Wie jetzt? Kein sauberes Sweatshirt mehr? Da drüben liegt eines über dem Stuhl im Schlafzimmer. Ist das sauber oder zum Waschen? Riecht noch ganz gut. Also wird es angezogen. Neue Jeans? Keine da. Jeans kann man auch ein paar Tage länger tragen. Also, die von gestern muss her. So, etwas Deo und schon fühlt man sich wie neu. Schuhe, wo sind meine Schuhe? Okay, hab sie. Jacke an, Tasche und fertig. Blick in den Spiegel. Siehst super aus Timo!

Noch genug Zeit für eine Zigarette. Die S-Bahn kommt erst in 8 Minuten. Passt doch. Die Leute haben es alle eilig. Rennen hier herum, als wenn sie gejagt werden. Und dann die Gesichter dazu. Ist doch nicht schön so was. Alle mit mies gelaunten Fratzen. Müssen alle pünktlich bei der Arbeit sein. Ja, fleißig arbeiten. Und dann Klamotten kaufen, Flachbildfernseher, das neueste Handy, Miete bezahlen, Rechnungen. Wird doch eh alles teurer. Ja, dann eben mehr arbeiten und noch mehr durch den Tag hetzen. Oh, Scheiße.

S-Bahn fährt gleich ein. Schnell mit der Masse mit. Die Treppen hinunter und hinten anstellen. Will ja nicht drängeln. Kommen ja alle in die Bahn rein. Hey, jetzt drängelt der hinter mir doch. Schlimm ist das. Passen doch alle rein. Geht doch immer irgendwie. Vielleicht mal einige Wagons mehr dran hängen? Nein, geht nicht. Der Bahnsteig ist nicht lang genug. Tja, nicht gut genug geplant. So, los geht die Fahrt.

Guten Morgen Mr. Coca Cola Light. Na, alles klar? Weißt du eigentlich, dass Cola Light auch nicht besonders gesünder ist als Cola? Ja? Ach, das macht dir nichts aus. Na dann.

Wer weiß denn schon, was in unseren Lebensmitteln wirklich drin ist? Ja, im Ernst. Ich meine, da steht viel drauf. Kleine Etiketten mit noch kleiner gedruckten Informationen. Die Hälfte versteht eh keiner. Ist das aber auch tatsächlich alles da drin? Nein, mal im Ernst. Die Produktionsfirmen können doch alles Mögliche drauf drucken. Oder nicht? Und ist das dann noch gesund? Oder alles behandelt und mit Giften gespritzt worden?

Letztens kam ein Bericht bei Stern TV über aufgespritztes Fleisch. Ja, die spritzen da Wasser hinein, nennen es dann z. B. Gewürzflüssigkeit. Dadurch wiegt das Fleisch mehr und kann teurer verkauft werden. Alles nur Betrug. Muss gerade über die Leute schmunzeln. Denken, sie kaufen tolles Fleisch und wundern sich, wenn es beim Braten zusammenschrumpft und nicht schmeckt. Hauptsache es sieht gut aus, he? Billig war es bestimmt.

Natürlich. Deutschland das Schnäppchenland. Na ja, ist woanders wahrscheinlich auch so. Jeder will alles haben, aber günstig soll es sein. Qualität? Egal. Hauptsache günstig. Ist eh so produziert, dass es bald kaputt geht und man etwas Neues kaufen muss. Oder zu alt wird. In ein paar Monaten gibt es das Modell sowieso noch besser und schneller. Der Nachbar hat es wohl auch schon längst. Man muss nachziehen. Mithalten. Geht doch nicht, dass andere etwas Besseres und Neueres haben. Nachher glaubt man noch, dass sie mehr verdienen als man selbst. Sich mehr leisten können. Wäre ja peinlich.

Hallo Mr. Apple. Ja, heute bekommst du einen Sitzplatz. Oh, heute mal wieder einen grünen Apfel. Abwechslung ist gut. Absolut. Ist der biologisch angepflanzt worden? Da wird bestimmt noch genauer drauf geachtet, was für die Produkte verwendet wird. Die Gesetze und Kontrollen sind strenger. Biozertifikate. Ja, so muss das sein. Mehr Überwachung. Jawohl! Brauchen wir noch mehr Kontrolle und Überwachung?

Schöneberg und guten Morgen schöne Mrs. Lipstick. Besonders wellige Haare heute. Hübsch. Neues Röckchen? Und passende High-Heels dazu. Bisschen wackelig, was? Na, das üben wir noch mal. Spiegel in die Hand. Lippenstift gezückt und die roten Lippen noch roter gemalt. Meinst du wirklich, dass das etwas bringt? Wusstest du, dass die rote Farbe wahrscheinlich von Läusen stammt? Ja, wirklich wahr. Spezielle Läuse geben die rote Farbe. Und immer so stark geschminkte Augen? Wozu das ganze Make-up? Siehst aus wie ein Clown, mit den rot geschminkten Lippen. Irgendwie so aufgesetzt und unecht. Warum nur? Bist doch eine hübsche, junge Frau. Vielleicht äußerlich bunt und fröhlich und innerlich traurig und grau, he? Hast du ein trauriges Herz? Oh, ich muss gleich aussteigen. Schnell noch eine Zigarette drehen. S-Bahn hält. Hey, erst einmal aussteigen lassen. Kommt doch jeder rein. Puh, geschafft. Nur raus aus diesem S-Bahnhof Bundesplatz. Viel zu voll hier. Ah, frische Luft. Licht. Wo ist mein Feuerzeug? Hab es.

»Hey, pass doch auf.«

Was? Den Mittelfinger zeigst du mir? Diese jungen Leute. Rasen mit ihren Bikes auf dem Fußweg entlang und fahren einen fast um. Kein Respekt mehr vorhanden. Was für eine Jugend. Das war zu meiner Zeit noch etwas anders. Da haben wir uns nicht alles erlaubt. Wie lange ist das her? Wie alt bin ich doch gleich? 32 Jahre. So lange ist es her. Wie die Zeit doch vergeht.

»Hast mal einen Euro?«

»Nein, leider nicht.«

»Etwas Tabak vielleicht Timo?«

»Ja, Michael. Den kann ich dir geben.«

Öffnest mir deine Hand. Ich lege Tabak hinein. Wie oft tat ich das schon?

»Papier auch?«

»Wenn du hast.«

»Nimm.«

»Danke.«

»Schon okay.«

Wir sehen uns fast jeden Tag. Du sitzt mit den anderen Obdachlosen jeden Morgen da auf der Parkbank. Ihr trinkt euer Bier und bettelt. Für das Geld kauft ihr euch wieder billiges Bier. Kostet schließlich kaum etwas. Sinniert wahrscheinlich über die Gesellschaft. Wer weiß, wo ihr herkommt? Was ihr erlebt habt? Warum ihr auf der Straße lebt? Vielleicht ausgestiegen? Schnell die Zigarette ausgetreten. Heute geht die Eingangstür viel leichter auf. Komisch. Der Fahrstuhl ist auch gleich unten. Das ist ein guter Morgen. Sofern man von allem anderen mal absieht. Zumindest muss ich nicht Treppen steigen und bin pünktlich.

Nun möglichst unauffällig an meinen Platz. Oh nein, er hat mich gesehen. Er kommt zu mir.

»Heute Morgen, mal pünktlich Timo.«

»Wie du siehst Jan.«

»Ist ja gestern nicht so angenehm gelaufen was?«

»Wovon sprichst du?«

»Von eurem Termin?«

»War alles soweit in Ordnung.«

»Das sieht der Chef aber anders. Ich war noch im Büro als er zurückkam.«

»Du warst noch hier?«

»Ja, so viel zu tun. Kennst du gar nicht oder?«

Was grinst du jetzt so blöd? Du Superheld! Wieso provozierst du mich immer? Ich erledige dieselbe Arbeit wie du. Nur eben etwas langsamer. Ich nicke nur. Arschloch!

»Dann bis später Timo.«

»Ja.«

Hoffentlich nicht.

»Übrigens Timo.«

»Ja.«

»Du hast einen Fleck auf deinem Shirt.«

»Wo das denn?«

»Hinten.«

Jetzt griene nicht wieder so gemein.

Scheiße, er hat Recht. Wieso habe ich das nicht gesehen? War wohl doch zum Waschen gedacht. Morgen ist Samstag. Da wird gewaschen.

»Kann ja mal passieren Timo. Also, zumindest dir. Na gut. Ich muss los.«

Ja, geh nur. Kann mir ja mal passieren. Natürlich! Ihm passiert nie so etwas. Bleib du mal ruhig auf deiner Etage. Da oben. Nur eine Etage höher, aber das sagt schon viel aus. Oben ist die Chefetage. Wenn man dort sein Büro hat, dann hat man es geschafft. Na ja, hier unten ist es viel netter. Jetzt brauche ich erst mal einen Kaffee. Nerven beruhigen. Geht das mit Kaffee überhaupt? Egal. Erst mal Kaffee. Dann an die Aufgaben machen.

Oh, der Kaffee tut gut. Notebook an und warten. Ach du meine Güte. So viele neue Mails? Die muss ich erst einmal lesen. Unwichtig, gelöscht. Wichtig, beantworte ich später. Megawichtig, muss ich gleich antworten. Unwichtig, ebenfalls unwichtig. Aha, interessant. Wird aufgehoben. Gelöscht, gelöscht und die muss ich gleich beantworten. Diese auch und die nächste auch. Da muss die Aufgabe von gestern erst einmal warten. Mails beantworten geht vor. Jetzt klingelt das Telefon auch noch. Der Chef, super.

»Guten Morgen.«

Fasse dich kurz, ich habe zu tun.

»Ja, ich verstehe. Mache ich sofort.«

Also, was wollte ich jetzt zuerst tun? Eigentlich Mails beantworten. Doch nun soll ich einen Termin vereinbaren. Wo ist denn nur die Handynummer? Die muss doch hier sein. Habe sie.

»Guten Morgen Till. Es geht um das Treffen, das du haben wolltest.«

Ich mag den Typ. Der ist echt cool. Ein genialer Schlagzeuger und Gitarrist. Ich liebe Musik!

»Ja, das geht. Dann halten wir fest. Nächsten Donnerstag um 18:00 Uhr.«

Warum denn immer erst so spät? Wahrscheinlich muss ich da auch hin. Das wird dann wieder so ein langer Tag. Teilzeit? Von wegen. Nicht bezahlte Überstunden werden erwartet. Und man macht sie auch. Will ja Eindruck erwecken. Hofft auf einen Vollzeitvertrag. Aufzusteigen. Weiterzukommen. Erfolgreich sein. Mehr Geld bekommen. Ist das nicht so?

»Ja, danke. Dir auch einen schönen Tag. Auf Wiedersehen.«

So, erledigt. Nun die beiden wichtigsten Mails zuerst beantworten. Früher hat man Briefe geschrieben. Auf Schreibmaschinen getippt. Wie witzig. Lach! Heute wollen die Menschen sofort eine Antwort haben. Es muss ja alles schnell gehen. Selbst Mails schreiben beansprucht viel Zeit. So, jetzt diese noch. Danach diese.

Fertig und jetzt brauche ich eine Zigarette. Nichts wie nach draußen. Tabak und Feuerzeug. Okay, los geht’s. Oh nein, der Fahrstuhl fährt gerade nach unten. Warten? Treppen? Treppen runter geht ja noch. Aber vier Stockwerke? Na gut. Dann habe ich mich heute wenigstens sportlich betätigt. Bin ich gut. So, nur noch ein Stockwerk und schon geschafft. Super! Ah, ein wenig Sonne tanken. Bei einer Zigarette kann man doch wirklich gut entspannen.

»Was machst du denn hier Timo?«

»Rauchen, siehst du doch Jan.«

»Der Chef sucht nach dir.«

»Ich bin gleich wieder oben.«

»Sofort.«

Der kann vielleicht stressig sein. Schnell noch einen Zug genommen und weg mit der Kippe.

»Ich gehe wieder nach oben.«

»Tu das Jan.«

Wenigstens wartet er jetzt nicht auf mich. Brauche schließlich keinen Begleiter, der mich nach oben bringt. Ah, der Fahrstuhl kommt gerade rechtzeitig. Ich mag Fahrstühle. Eine tolle Erfindung. Nur manchmal etwas eng. Wenn man so gedrängt steht. Das mag ich weniger.

So, da bin ich. In der Chefetage. Wo ist er denn?

»Timo, er ist jetzt nach unten, um dich zu suchen.«

»Danke Iris.«

Wieder nach unten. Toll, der Fahrstuhl ist schon weg. Also, wieder Treppen hinunter steigen. So viel Sport heute. Kann ich kaum glauben. Ich bin wirklich total sportlich.

Ich mag Iris. Eine sehr sympathische Sekretärin. Immer freundlich, gut aussehend und nicht viel Make-up. Meistens flache Schuhe oder Pumps und knielange Röcke oder schicke Hosen. Eine tolle Frau.

»Ah, Timo. Da bist du ja endlich.«

»Ich war oben bei dir.«

»Tja, da haben wir uns wohl verpasst. Ich nehme ja nie den Fahrstuhl.«

»Ich weiß. Was gibt es denn?«

»Wir haben den Termin von morgen schon auf heute Nachmittag vorverlegt und ich möchte, dass du alles vorbereitest und mich begleitest.«

»Um wen handelt es sich noch einmal?«

»Um Paul, du erinnerst dich doch?«

»Natürlich. Ich bereite alles vor.«

»Super, dann treffen wir uns um 15:00 Uhr unten.«

»Abgemacht.«

Jetzt muss ich mich aber beeilen. Habe schließlich noch einige Mails zu beantworten. Konzentration Timo, du schaffst das schon alles. Kein Problem für dich. Ja, das denke ich auch. Mensch jetzt spreche ich mir selbst schon Mut zu. Verrückt. Also, an die Arbeit.

Die Zeit vergeht aber auch schnell. Ich brauche jetzt erst einmal einen Kaffee. Oh nein, kein Kaffee mehr da. Jetzt muss ich auch noch welchen aufsetzen. Eigentlich ist die Abmachung, dass der Letzte wieder frischen Kaffee aufsetzt. Die nächsten wollen doch schließlich auch welchen trinken.

»Ach, super Timo. Du machst frischen Kaffee.«

»Ja, irgendwer hat ihn ausgetrunken.«

»Ja, das war ich. Doch dann klingelte mein Handy und es war wichtig.«

»Du hättest ja nach dem Gespräch welchen aufsetzen können Jan.«

»Ich habe wirklich Wichtigeres zu tun als hier meine Zeit mit Kaffeekochen zu vergeuden. Du hast anscheinend mehr Zeit dafür übrig.«

»Ich nehme sie mir. Und du hast gleich frischen Kaffee. Dank mir.«

»Nein danke. Ich hatte gerade einen Energiedrink. Wollte nur kurz an den Kühlschrank.«

Der ist echt ein arroganter Kerl. Als wenn der Energiedrinks zu sich nimmt. Wetten, dass er in 10 Minuten wieder hier ist und sich Kaffee holt? Hab ich es doch gewusst. Er nimmt sich nichts aus dem Kühlschrank.

»Hat wohl jemand anderes gegessen. Ich muss mir angewöhnen meinen Namen auf meine Powerriegel zu schreiben. Bis dann Timo.«

»Bis dann.«

Ha, dass ich nicht lache. Aufgegessen? Als wenn das jemand hier tut. Energieriegel? Energiedrinks? Der spinnt doch total. So, Kaffee ist fertig. Die erste Tasse ist für mich. Oh, wie das duftet. Zurück an den Schreibtisch. So, wo war ich denn? Ah, hier. Dann will ich mal weitermachen. Aha, wer schleicht sich denn da in die Küche? Der Jan. Mal sehen, ob er mit einer Tasse wieder rausgeht. Ja, Volltreffer. Ich wusste es.

Jetzt aber weiter schreiben. Oh, nein. Schon kurz vor 15:00 Uhr. Die Zeit rennt aber auch. Jetzt nichts wie nach unten. Der Chef wartet bestimmt schon. Schnell die Tasse in die Spülmaschine stellen. Wer hat denn da wieder seine Tasse auf statt in die Maschine gestellt? War doch klar. Jan. Na ja, bin ich mal nicht so. Die auch noch schnell hinein. Zuklappen und los.

»Da bist du ja Timo. Los, komm endlich.«

»Ja, bin schon unterwegs.«

Was für ein Stress!

Gegen 16:00 Uhr verließ ich mein Zimmer um mir einen Kaffee zu machen. Ich hatte leichte Kopfschmerzen und brauchte jetzt ein wenig Koffein mit süßer, ungesunder Kondensmilch. Da Mika noch zu schlafen schien, setzte ich mich in die Küche und genoss meinen süßen Kaffee. Ich nahm mir eine Zeitschrift und blätterte darin herum, bis ich zu einem Kreuzworträtsel kam. Ich las mir den Begriff im ersten Kästchen durch und wusste sofort die Antwort. Daraufhin suchte ich mir einen Kugelschreiber und schrieb das Wort in die Kästchen. Ich las weiter, doch die nächste Lösung wusste ich nicht.

»Oh, Kreuzworträtsel haben wir ja lange schon nicht mehr gemacht. Lies vor«, hörte ich Mika vergnügt sagen, der gerade in die Küche eingetreten war.

Ich las laut vor: »Erdalkalimetall?«

Seine Antwort kam sogleich. »Barium.«

»Wow! Die Antwort kam aber schnell und es passt auch noch.«

»Natürlich«, lächelte Mika, »lies das nächste vor.«

Ich tat es und sofort gab er die passende Antwort.

»Du weißt sehr viele Dinge.«

»Ja, ich bin eben ein gebildeter Mann.«

Und auf einmal war es wieder so, als wäre vorher nie etwas negatives gewesen. Wir lösten gemeinsam das Rätsel und Mika brachte mich sogar zum Lachen, da er gerade sehr entspannt und gut gelaunt war.

»Hör auf, ich bekomme noch Muskelkater«, lachte ich.

»Du wiegst 50 Kilo! Du hast gar keine Muskeln«, entgegnete er mir belustigt.

»Sehr witzig.«

»Genau, das ist es«, scherzte er, »komm, lass uns in den Garten gehen und nach unserem Gemüse sehen.«

»Okay.«

Wir gingen zusammen in unser gemeinsam angelegtes Gemüsebeet. Hier und da zupften wir etwas Wildkraut heraus und warfen es auf den Kompost. Wir nahmen Salat für den Abend mit ins Haus und während ich den Salat und die Paprika wusch und klein schnitt, bereitete Mika die Salatsoße zu. Ich beobachtete ihn dabei, weil ich es noch besser von ihm lernen wollte. Er hatte mir schon so einiges beigebracht, vorüber ich mich sehr freute.

»Sagst du mir jetzt endlich, was heute Mittag wieder mit dir los war?«, fragte Mika mich ganz unverhofft.

»Was meinst du?«, wollte ich wissen und gab das Gemüse in die Schüssel.

»Da hatten wir einen so netten Vormittag am Meer zusammen und dann beschuldigst du mich, dass ich wieder Wein kaufen will, obwohl ich nichts davon sagte.«

»Du hast doch vorhin selbst zugegeben, dass du gar nicht vor hattest Sahne zu kaufen.«

»Da war ich wütend. Und rechtfertigt das deine Vorwürfe mir gegenüber?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Siehst du.«

Ich schwieg. Vielleicht war es ja doch alles meine Schuld gewesen und ich hatte seine Wut selbst hervorgerufen? Warum tat ich das nur immer wieder?

»Ich hatte erwartet, dass wir uns nach so einem schönen Morgen am Strand ein leckeres Mittagessen machen und einen tollen Nachmittag zusammen gestalten. Und dann kommst du und machst alles mit deinen Andeutungen und Beschuldigungen wieder kaputt.«

»Man sollte keine Erwartungen an den anderen haben«, bemerkte ich leise und lehnte mich an die Küchenablage.

»Warum das denn nicht?«

»Weil man dann schnell enttäuscht wird. Außerdem kann man nichts von anderen erwarten, das man nicht auch selbst tun will. Man sollte somit Erwartungen an sich selbst stellen.«

Mika dachte einen Moment darüber nach.

»Vielleicht hast du Recht. Ich hätte nicht erwarten sollen, dass unser schöner Tagesanfang sich auch den ganzen Tag über hält und du so gut gelaunt und entspannt bleibst, wie du es am Meer noch warst.«

»Ich wäre vielleicht entspannt geblieben, wenn du nicht gleich wieder so wütend geworden und mich beschimpft hättest.«

»Erstens bin ich nicht wütend geworden und habe dich nicht beschimpft und zweitens beschuldigst du mich jetzt schon wieder, dass ich deine schlechte Laune provoziert hätte, was ich nicht habe.«

»Ich reagiere auf das, was du mir sagst oder wie du dich mir gegenüber verhältst«, erklärte ich ihm möglichst ruhig.

»Ja, und ich reagiere auf dein unangebrachtes Verhalten genauso. Und jetzt?«

Mika sah mich mit vorgestrecktem Kinn an und ich überlegte kurz.

»Wir sollten beide aufhören, etwas von dem anderen zu erwarten. Wenn wir nichts erwarten, werden wir nicht enttäuscht und wütend auf den anderen.«

»Gut, das können wir so machen. Die Salatsoße ist auch fertig und wir können jetzt essen, wenn du magst.«

»Okay, ich hole die Schälchen.«

Wir setzten uns hin und begannen zu essen. Zum Abendessen trank Mika den restlichen Wein und war bestens gelaunt. Er erzählte amüsiert über einige WG-Feiern, die er zu früheren Zeiten in Berlin erlebt hatte. Ich hörte ihm interessiert zu, denn nur wenn Mika getrunken hatte, begann er offen über sich und sein Leben zu erzählen.

»Habt ihr alle immer so viel getrunken?«, wollte ich von ihm wissen.

»Na klar, das ist doch ganz normal.«

»Ich finde, dass man ab und zu auf einer Feier etwas trinken kann, aber jeden Abend ist schon bedenklich.«

»Was soll denn daran bedenklich sein? Wir konnten genauso gut wochenlang auch gar nichts trinken. War kein Problem für uns.«

»Kannst du auch ganz aufhören?«

»Natürlich, wenn ich es will.«

»Warum willst du es denn nicht?«

»Es gefällt mir eben.«

»Es gefällt dir?«, stellte ich verdutzt fest.

»Ja, es gefällt mir. Musst du immer alles wiederholen?«

»Ich weiß auch nicht, warum ich bei dir immer alles wiederhole.«

»Denk mal drüber nach. Auf jeden Fall bin ich eben ein Suchtmensch, der immer irgendeine Droge braucht. Das ist nun einmal so.«

»Ja, ist das wirklich so? Glaubst du ernsthaft, dass es Suchtmenschen gibt, die immer Drogen brauchen und nie davon loskommen können?«

Irgendwie konnte ich das nicht wirklich glauben.

»Natürlich, das ist so.«

Er zog genussvoll an seiner Zigarette und blies den Rauch in meine Richtung, was ich absolut hasste. Ich hüstelte leicht in dem Qualm. Obwohl Marihuana im getrockneten Zustand ja ganz gut riecht, wollte ich es dennoch nicht ausprobieren. Mika lächelte amüsiert.

»Du gefällst mir besser, wenn du nichts trinkst.«

Als ich das sagte, wurde meine Stimme ganz sanft und leise.

»Ach ja? Manchmal frage ich mich, ob du mir überhaupt zuhörst.«

Mika stöhnte. »Ich bin ein Suchtmensch!«

»Ja, sagtest du schon.«

»Du kannst doch auch ausziehen, wenn es dich stört, dass ich ab und zu ein wenig Alkohol trinke. Verpiss dich doch einfach.«

Er machte eine ausschweifende Handbewegung.

»Ja, wenn ich das könnte, dann wäre ich schon längst ausgezogen«, verkündete ich ihm etwas starrsinnig.

Er sah mich erstaunt an.

»So ist das also?«, stellte er leicht gereizt fest.

»Ja, aber das würde nichts daran ändern, dass ich dich sehr gerne mag und mir wünschte, du würdest gar nichts mehr trinken.« Meine Stimme wurde wieder ruhig und weicher, da ich ihn nicht noch mehr verärgern wollte.

»Du magst mich also?«

»Erstaunlicherweise. Und oft spüre ich diese ganz besondere Liebe für dich«, erklärte ich ihm ehrlich und hoffte, dass meine Worte ihn berühren würden.

Mika schwieg und sah in sein Weinglas. Er nahm den letzten Zug seiner Zigarette und drückte sie im Aschenbecher aus. Mit Genuss blies er den Rauch in Richtung Zimmerdecke.

»Die Ratten scheinen endlich alle tot zu sein«, stellte er fest und sah mich an.

»Das ist doch gut.«

Kurz nachdem wir in dieses Haus gezogen waren, stellten wir fest, dass auf dem Dachboden über der Küche und seinem Zimmer jeden Abend Geräusche und trappeln zu hören waren. Wie sich herausstellte, waren es Ratten gewesen. Wir hatten daraufhin Fallen gekauft, die er auf dem Dachboden verteilt hatte. Wie es schien mit großem Erfolg.

»Welchen Film schauen wir uns denn heute an?«, wollte er plötzlich von mir wissen und blickte mich dabei fragend an.

»Such du einen netten Film aus.«

»Du immer mit deinen »netten« Filmen.«

»Ja, einen netten Film bitte.«

»Ich habe nicht viele nette Filme«, sagte er und betonte das »nett« dabei ganz besonders stark.

Ich stand auf und begann die Schälchen und Salatschüssel abzuwaschen. Mika holte sein Notebook und suchte nach einem netten Film.

»Okay, ich habe einen netten Film gefunden.«

»Super, welchen denn?«

»Sag ich dir nicht.«

»Gut. Ich gehe nur noch kurz ins Bad.«

»Und ich mache noch den Ofen an.«

»Oh, ja.«

Ich ging ins Bad und als ich zurückkam, war der Raum schon in eine wohlige Wärme eingehüllt. Wir setzten uns mit unseren Bettdecken auf die Matratze und schauten uns den Film »Himmel auf Erden« an. Ein Film der mich sehr berührte. Mika trank seinen Weißwein aus und war weniger angetan von dem Film als ich.

»Ein sehr guter Film«, freute ich mich.

»Echt? Warum findest du denn diesen Film so gut?«, wollte er von mir wissen.

»Ist doch eine tolle Story, wie aus dem wahren Leben.«

Ich war begeistert.

»Na ja, es geht.«

»Ein Film, der die Seele und das Herz berührt. Eben ein netter Film«, strahlte ich.

»Du musst nicht immer gleich übertreiben. Da gibt es nun wirklich bessere Filme und überhaupt sollen Filme ja nicht das Herz und die Seele berühren.«

»Warum denn nicht?«

»Sie sollen einfach nur unterhalten. Zumindest diese Art von Film.«

Mika stand auf, raffte seine Sachen zusammen und ging in sein Zimmer.

»Gute Nacht«, sagte er.

»Gute Nacht«, entgegnete ich und nahm auch meine Decke mit in mein Zimmer zurück.

An diesem Abend schliefen wir beide ganz gut. Ich schlief gut, weil der Film mich innerlich berührt hatte und Mika, weil er Wein getrunken hatte, der ihn gut einschlafen ließ, wie er immer behauptete.

Nettes Treffen mit Paul. Ein interessanter Typ. Hat viel zu erzählen. Man erlebt eben so Einiges im Musikgeschäft. Sollen Hompage und Flyer gestalten. Jetzt aber nichts wie nach Hause. Heute ist schließlich Freitag. Wir haben kurz nach 17:00 Uhr. Ich muss noch etwas einkaufen. Zum Glück sind die Bahnen um diese Zeit nicht mehr ganz so voll. Zeit zum Rauchen bleibt auch noch. Und es gibt mehr lächelnde Gesichter. Ist ja schließlich Freitagnachmittag. Die meisten freuen sich auf das freie Wochenende. Ihr habt es euch auch alle verdient. Ich gönne es euch allen. So, Zigarette aus und nach unten. Die S-Bahn kommt in 3 Minuten. Super, es gibt wieder freie Sitzplatzwahl. Ich mag es, wenn die Bahnen nicht so voller Menschen sind. Ich setze mich vor die beiden Jungs da drüben hin. Spannende Gespräche von Teenies belauschen. Oh, da setzt sich noch ein Teenie dazu. Super.

» Hey Alter, was geht?«

»Läuft. Und selbst?«

»Geht voll. Warst gestern Fußballtraining?«

»Ne, immer noch Knie.«

»Oh, scheiße man. Kommst nachher rum?«

»Ne, hab Mathe morgen.«

»Ätzend. Und du Alter?«

»Auch Mathe.«

»Scheiß doch auf Schule. Leben muss man.«

»Geht nicht. Letzte Klausur ne 5.«

»Bei mir eine 4. Ich will nicht nochmal wiederholen. Kein Bock mehr.«

»Okay, muss raus hier. Sieht sich.«

»Auf jeden.«

»Ich brauch gleich erstmal nen Energie.«

»Hab gestern 6 Monster gekauft. Waren voll krass billig.«

»Sind die besten. Ich trinke mindestens zwei am Tag.«

»Die bring’s echt.«

»Meine Mutter motzt immer. Zu viel Zucker und Cofien.«

»Coffein.Du Spinner. Das heißt Coffein.«

»Was auch immer. Dummes Gelaber. Machen abhängig und so.«

»He, abhängig? So’n dummes Zeug.«

»Find ich auch. Trinke trotzdem heimlich zu hause.«

»Besser so. Meine Alten interessiert das null.«

»Hast Glück. Hab schon genug Stress. Schlechte Noten und so.«

»Ja, da nerven mich meine Alten auch ab. Komm müssen raus.«

Da gehen sie dahin. Die Jugend hat es auch nicht leicht. Da fängt der Leistungsdruck schon an. Ist doch schrecklich. Lernen und Hausaufgaben. Keine Freizeit und Ärger mit den Eltern. Kenne ich auch alles. Meine Eltern waren schlimm. Timo, du musst dieses tun. Timo du musst jenes machen. Sei besser als die anderen. Lerne mehr. Streng dich gefälligst an. Konzentriere dich. Schrecklich. Doch mit der Abhängigkeit von Energiedrinks hat die Mutter recht. Viel zu viel Zucker und Coffein in diesen Getränken machen dick und abhängig. Oh, meine Haltestelle. Ich muss aussteigen.

So, was koche ich mir denn Leckeres? Habe schon lange kein Fleisch mehr gegessen. Vielleicht ein Steak mit Pommes?

Mist, ist das voll an den Kassen. Natürlich. Freitagabend. Da kaufen alle noch schnell etwas ein. Ich ja genauso. Nun gut, dann muss ich eben warten. Ich mag keine vollen Kassen. Was die Leute auch alles kaufen. Und überall reduzierte Sachen. Schnäppchenangebote. Damit noch mehr gekauft wird. Und es funktioniert. Sieht man ja.

Was ist denn das? Super! Ein Steak mit dem Haltbarkeitsdatum von heute. Eingeschweißt und reduziert, schon gekauft. Ob da auch eine Gewürzflüssigkeit im Steak ist? Egal, dann schrumpft es eben etwas. Auf jeden Fall kann ich es mir leisten.

Jetzt noch Pommes aus der Tüte und ein Bierchen. Ist ja Freitagabend. Alles auf das Fließband. Fertig. Warum geht es denn nicht weiter? Was macht die Frau denn da vorne? Sucht jeden Cent einzeln zusammen. Muss das denn sein? Hier warten doch noch andere. An der Kasse da drüben geht es schneller. Typisch. Ich nehme immer die langsamere Kassenschlange. Endlich.

»Das macht dann 5,85 bitte.«

»Hier bitte.«

»Danke. Hier das Wechselgeld. Schönes Wochenende.«

»Danke, ihnen auch.«

Die ist immer so freundlich. Anscheinend gefällt ihr der Job richtig gut. Jetzt aber flink nach Hause. Gut, dass ich nur 5 Minuten entfernt wohne. Schlüssel? Wo ist der Schlüssel? Da ist er ja. Was ist das denn? Zwei Briefe, die nichts Gutes erahnen lassen. Erst einmal ein Bierchen und was Leckeres kochen. Pfanne auf den Herd. Öl hinein und Pommes in den Ofen. Bier in den Kühlschrank. Öl ist heiß. Perfekt. So, alles brät und backt vor sich hin. Soll ich die Briefe öffnen? Habe eigentlich gar keine Lust dazu. Aber muss ja irgendwann nachsehen, was es ist. Na gut. Kommt her Briefe. Aha, wusste ich es doch. Zwei Mahnungen. Ich dachte, das hätte ich schon längst bezahlt. Aber wovon denn eigentlich? Habe nur einen Teilzeitjob. Muss noch einmal zum Jobcenter. Brauche Unterstützung. Wie nervig. Wieder lange warten. Viele Anträge ausfüllen. Warten und hoffen. Da muss ich durch. Geht ja nicht anders. Na ja, muss ich mich Montag drum kümmern. Kommen einfach auf den Tisch zu den Rechnungen. Jetzt erst einmal meine Wohlfühlhose anziehen. Raus aus den Jeans. Morgen wird gewaschen. Ach, wie bequem. Jetzt eine Zigarette drehen. Fertig. Schnell das Fleisch wenden. Wie gut das riecht. Ist allerdings tatsächlich kleiner geworden. Lach!

Vor dem Essen sollst du rauchen. Oder hinterher? Besser vorher und hinterher. So, alles fertig. Jetzt aufs Sofa setzen. Endlich essen und chillen. Einfach abhängen und nichts mehr machen müssen. Niemand will etwas von mir. Keinen Leistungsdruck mehr spüren. Endlich!Bierchen auf und Prost!

SeelenTattoo

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