Читать книгу Faustdick hinter den Flügeln - Claudia Gürtler - Страница 4

Erster Dezember

Оглавление

Maria hörte im Halbschlaf, wie Mama Frühstück machte. Es war Dienstag, der einzige Tag in der Woche, an dem die Eltern beide so früh zur Arbeit mussten, dass Maria alleine frühstückte. Gleich würde Mama im Mantel zur Türe hereinkommen und sagen: „Es steht alles für dich bereit. Steh nicht zu spät auf. Vergiss dein Pausenbrot nicht. Und schließe die Haustür zu.“

Warum sagen Mütter eigentlich immer dasselbe?

Erst nachdem die Eltern weg waren, fiel ihr Hans Engel wieder ein. Maria war mit einem Schlag hellwach. Sie sprang aus dem Bett und schlüpfte eilig in Jeans und Pullover.

„Wahrscheinlich habe ich das alles nur geträumt“, sagte sie halblaut vor sich hin. Um noch etwas Zeit zu gewinnen, fuhr sie sich mit dem feuchten Waschlappen zweimal übers Gesicht. Dann schlich sie auf Zehenspitzen durch den Flur und horchte an Philipps Tür. Es war nicht das Geringste zu hören. Vorsichtig öffnete Maria die Tür. Philipps Bett war unberührt, und es war niemand zu sehen.

„Huh!“ machte Hans Engel und sprang hinter der Tür hervor.

Maria fuhr zusammen. „Blödmann!“ sagte sie wütend. „Du hast mich zu Tode erschreckt.“

„Entschuldige“, sagte Hans Engel zerknirscht. „Ich mache immer alles falsch. Daran wirst du dich gewöhnen müssen.“

„Ich denke nicht daran“, zischte Maria, „bessere dich gefälligst.“

„Ja gut!“ versprach Hans Engel. Er sah wieder aus wie ein trauriger Bernhardiner, und Maria musste lachen, ob sie wollte oder nicht. Hans Engel nutzte dies gleich aus und fragte: „Kann ich den einen Adventskalender haben?“

„Ich wollte dir sowieso einen schenken“, sagte Maria. „Was soll ich schließlich mit zwei gleichen Kalendern?“

Sie holte die Kalender aus ihrem Zimmer und streckte Hans beide entgegen.

„Welchen willst du?“ fragte sie.

„Den anderen“, sagte er.

„Was genau meinst du mit dem anderen?“ fragte Maria verdutzt.

„Na ja“, meinte Hans Engel, „der eine, den dir deine Mama gebracht hat, hat dir doch so gut gefallen. Also nehme ich den anderen.“

„Der hat aber mehr Glimmer drauf“, beschwerte sich Maria.

„Eben“, bemerkte Hans Engel mit breitem Grinsen und zog sachte an Papas Adventskalender-Geschenk. Ein bisschen Glimmer blieb dabei an seinem Daumen hängen.

„Du schaffst es wohl immer, einen Vorteil für dich herauszuschinden“, seufzte Maria und überließ Hans den Kalender.

„Ich habe es doch nur gut gemeint“, jammerte Hans. „Aber wie man’s auch macht ist es falsch...“

Maria schüttelte den Kopf und versuchte verächtliche Schnalzgeräusche von sich zu geben. Sie konnte es noch nicht so gut wie Frau Brandmeier, ihre Lehrerin.

„Ich hole jetzt die Klebestreifen“, sagte Maria, „dann kannst du deinen Adventskalender aufhängen.“

„Kann ich auch gleich ein Fensterchen öffnen?“ fragte Hans Engel und zappelte ungeduldig herum.

„Kannst du“, beruhigte ihn Maria, „heute ist doch der erste Dezember.“

„Willst du sehen, was drin ist?“ fragte Hans.

„Nein“, lachte Maria, „ich seh mir mein eigenes Fensterchen an.“

Sie ging in ihr Zimmer zurück, klebte den Kalender an die Fensterscheibe und öffnete das erste Fensterchen.

„Oh, wie niedlich“, rief sie aus, „ein kleiner Igel auf dem Weg zur Krippe!“

„Bei mir sind es zwei niedliche kleine Igel auf dem Weg zur Krippe“, behauptete Hans Engel. Maria rannte in Philipps Zimmer hinüber, das nun das Zimmer von Hans war, und überzeugte sich davon, dass er Recht hatte.

„Hast du das im Voraus gewusst?“ fragte sie empört.

Hans Engel wand sich nach allen Seiten. „Gewusst nicht“, meinte er verlegen, „aber gehofft hatte ich es schon.“

„Weißt du was“, schnappte Maria wütend, „du machst wirklich einiges falsch! Aber heute Abend werde ich Mama und Papa sagen, dass du hier bist. Du wirst sehen, ehrlich währt am längsten.“

Hans Engel schien von der Aussicht auf so viel Ehrlichkeit nicht überzeugt zu sein. Er bibberte, als fürchte er sich oder als habe er schreckliches Lampenfieber. Aber Maria ließ ihm keine Zeit für Einwände. Sie schnappte sich ihr Pausenbrot und ihren Ranzen, zog Jacke und Mütze an und polterte die Treppe hinunter. Weiter vorne in der Strasse sah sie Lorenzo und Johanna. Sie atmete erleichtert auf. Wenigstens kam sie nicht zu spät. Leider aber hatte Frau Brandmeier einen ihrer strengen Tage, und so kam Maria auch während der Schulstunden nicht zum Nachdenken.

***

Faustdick hinter den Flügeln

Подняться наверх