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ADRENALINSTOß:

DIE GROßEREIGNISSE

DOCUMENTA, BIENNALE VENEDIG, MANIFESTA ETC.

Manchmal hat man schon den Eindruck, der Kunstbetrieb sei ein einziger großer Wanderzirkus. Aber das Ziehen von Ort zu Ort und von einem Großereignis zum nächsten scheint das Adrenalin zu sein, das die Kunstszene braucht, um auf dem Laufenden und high zu bleiben. Wer versuchen würde, allen rund um den Globus veranstalteten Biennalen zwischen Venedig, Berlin, Lyon, Istanbul, Shanghai, Sydney, Santa Fe, Havanna, Sharja oder Gwangju hinterherzujetten, könnte locker Kunstmeilen-Weltmeister werden.

Wer sich das leisten kann, hat es gut. Um den Überblick zu behalten, ist das aber nicht nötig – globales Dorf hin oder her. Immer noch bieten einige Großereignisse in erreichbarer Nähe die Gelegenheit zu Begegnung und Auseinandersetzung mit neuen oder neu inszenierten künstlerischen Positionen.

Dazu gehört ohne Frage die alle fünf Jahre im Sommer in der nordhessischen Provinz stattfindende »documenta« in Kassel. Auf ihre Geburtsstätte ist das Geschehen längst nicht mehr ausschließlich konzentriert. Der aus Nigeria stammende künstlerische Leiter der 11. Ausgabe der Weltkunst-Schau, Okwui Enwezor, schaltete ihr im Jahr 2002 sogenannte Plattformen intellektueller Diskurse in Afrika, der Südsee, in Wien, Berlin und Indien vor. Der Leiter der 12. Ausgabe im Jahr 2007, der in Berlin gebürtige Wahlwiener Roger M. Buergel, bezog 90 Kunstzeitschriften aus der ganzen Welt zur Erstellung dreier »documenta«-Textsammlungen mit ein. Darin wurde unter anderem die Kernfrage »Ist die Moderne unsere Antike?« aus dem Blickwinkel von Shanghai bis Santiago de Chile, St. Petersburg bis Haifa, Paris, New York und Caracas abgeklopft. Wie weltumspannend in der Chefetage auch gedacht, für die Künstlerauswahl und Vorträge inzwischen auch gereist wird, für 100 Tage ist und bleibt der zentrale Ort des Geschehens als Treffpunkt der internationalen Kunstwelt Kassel.

Diese 1955 von dem Kasseler Kunstprofessor Arnold Bode erfundene und periodisch etablierte, auf inzwischen rund 15.000 Quadratmeter und verschiedene Gebäude und den öffentlichen Raum ausgebreitete Schau zeitgenössischer Kunst aus aller Welt ist Pulsmesser, Anschauungsfeld und bietet Diskussionsstoff ohne Ende. Hier entzünden sich die Debatten im Vorfeld und im Nachhinein über das Woher und Wohin der Kunst, werden Kurskorrekturen vorgenommen und außerdem ein sommerliches 100-Tage-Fest gefeiert. (www.documenta.de)

Nicht ganz so lange muss man auf die Wiederkehr der »Biennale« in Venedig warten. Die älteste, alle zwei Jahre stattfindende und bereits 1895 gegründete Kunstschau lebt vor allem von dem Ambiente der Lagunenstadt. Und weil alle so gerne dorthin fahren, durfte über die vermittelten innovativen Qualitäten von Kunst und Inszenierung gelegentlich hinweggesehen werden.

Wie immer ambitioniert und versiert übernahm der Schweizer Ausstellungsmacher und künstlerische Leiter der inzwischen fast als legendär verklärten »documenta 5« (1972), Harald Szeemann, 1999 und 2001 die Regie in den Giardini. Er überraschte mit Kunst aus China, und das hatte Folgen zugunsten der Akzeptanz der dortigen jungen Künstler. Erstmals im Jahr 2005 zeichneten zwei Frauen verantwortlich, die Spanierinnen María de Corral und Rosa Martínez mit einer eher retrospektiven Schau als Basis für die Zukunft. 2007 war dann zum ersten Mal ein Amerikaner an der Reihe; Robert Storr erfand einen poetischen Titel: »Denken mit den Sinnen – Fühlen mit dem Verstand« und legte auch einen Schwerpunkt auf afrikanische Kunst. Rund um das zentrale, meistens um ein Motto kreisende Ausstellungsgebäude gruppieren sich in der weitläufigen Parkanlage um die 30 »Pavillons« der einzelnen Länder mit jeweils eigenen Kuratoren. Außerdem etablieren sich zunehmend neue Länder – auch ohne festes Dach – in Kirchen, Schulen und Palazzi in der Stadt und auf den Inseln. (www.labiennale.org)

Diese beiden Erfolgs-Säulen im Ausstellungsbetrieb, mit Überraschungen und Enttäuschungen gleichermaßen, fanden und finden immer mehr Nachahmer in Sachen »Biennale«. Sie kommen und gehen, gedeihen und verblühen, und wahrnehmen kann sie in Gänze schon niemand mehr.

Wechselnde Orte zeichnen seit 1996 die »Manifesta«, die europäische Biennale zeitgenössischer Kunst, aus. Im Jahr 2000 war Luxemburg ihr Startplatz, zwei Jahre später bot Frankfurt die Kulisse. Nach San Sebastián im Jahre 2004 ging die Reise 2006 erst einmal nirgendwo hin – im Streit schieden die Gastgeber auf Zypern mit den Kuratoren und das Ereignis fiel aus. Für 2008 ist nicht nur die Stadt Bozen, sondern die ganze Region Trient Austragungsort für die 7. Ausgabe der Manifesta. (www.manifesta.org)

Einen zunächst äußerst vielversprechenden Start legte die »Biennale d’art contemporain« in Lyon hin. In der imposanten Industriehalle Tony Garnier und anderen Orten der Stadt gestalten wechselnde Intendanten zu eher willkürlich wiederkehrenden Terminen (www.biennale-de-lyon.org). Wer dorthin fahren will, sollte unbedingt das Flugzeug nehmen: Der von dem spanischen Architekten Santiago Calatrava erbaute Flughafen, der die Eleganz eines Jets in die fast abhebende Architektur des Gebäudes übersetzt hat, ist Start oder Landung in Lyon unbedingt wert. (www.calatrava.com)

In der Hauptstadt Berlin darf eine Biennale zeitgenössischer Kunst nicht fehlen. Das ehemalige Postfuhramt und die Kunst-Werke in der neuen alten Mitte der Metropole sind dafür die richtige Kulisse. Wechselnde internationale Ausstellungsmacher sorgen jedes Mal wieder für neue Sichtweisen. Die »Berlin Biennale« im Jahr 2006 mit dem Titel »Von Mäusen und Menschen« lud als einen der drei Kuratoren den international gefeierten Künstler Maurizio Cattelan ein. Die Ausstellungsorte beschränkten sich fast nur auf eine einzige Straßenzeile, die, ohne ein Stück Berliner Geschichte erzählen zu wollen, aufgeladen waren mit deutscher Geschichte in der Konfrontation mit internationaler künstlerischer Intervention. (www.berlinbiennale.de)

Auch in Fernost und im mittleren Osten ist man auf den Biennalezug aufgesprungen. Seit 1993 schon hat sich die »Sharja Biennale« in den Vereinigten Arabischen Emiraten bemerkenswert profiliert. Die Teilnahme von international aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern wie Dan Peterman oder Michael Sailstorfer und im Westen erst noch zu entdeckenden arabischen Künstlern melangierte im Jahr 2007 zu einem anregenden Austausch der verschiedenen Welten. Mit dem Flugzeug geht es über Dubai dann mit dem Auto in das strengste der Emirate, nach Sharjah. (www.sharjahhart.org)

Über den Sinn und Unsinn der Inflation der alle zwei Jahre wiederkehrenden Kunstmanifestationen ist viel gestritten worden. Nichtsdestrotrotz sprießen sie weiter hervor, teils durchaus politisch gewünscht und finanziell gefördert. 2006 startete die »Singapur Biennale« (www.singaporebiennale.org), im gleichen Jahr trat die »Gwangju Biennale« in Korea schon zum sechsten Mal auf (www.gwangju-biennale.org).

Sich einen Gesamtüberblick über die ständig mehr werdenden Großereignisse zu verschaffen ist eher aussichtslos. Am besten informiert man sich über die Tages- und Monatspresse und die vielen beigelegten Jahresvorschauen von art und The Art News Paper und die zahlreichen Internet-Informationsdienste zu Kunst und Kunstmarkt (siehe Abschnitt »Lesen, blättern, schauen«).

Fit für den Kunstmarkt

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