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Morgenstund´ ist ungesund
ОглавлениеDass ich kein ausgewiesener Morgenmensch bin, ist mir schon seit Schulzeiten bekannt. Ich hasse frühes Aufstehen. „Morgenstund´ hat Gold im Mund“ ist ein ausgesprochen dämliches Sprichwort.
Ich kenne einen Schreiner, der kreuzt schon morgens vor sieben Uhr bei seinen Kunden auf. Das Perfide daran: Der Mann sprüht dann auch noch so vor guter Laune.
Neulich rief mich mein Vermieter an und verkündete, er habe neue Türen für meine Wohnung bestellt. „Aber den Termin mit Herrn Dübel machen Sie bitte selbst!“ Ich rief den Schreiner an. „Am besten, wir erledigen das nächste Woche. Montagmorgen?“
„Kein Problem. Ich nehme mir frei. Wann möchten Sie kommen?“ Die Anfahrt des Handwerkers betrug fünfunddreißig Kilometer, dazu kam der morgendliche Berufsverkehr. Ich rechnete im Stillen mit halb neun, daher traf mich fast der Schlag, als er sagte: „So gegen halb sieben!“
„Ist Ihnen das nicht zu früh? Ich meine, Sie können auch gerne später …“ Aber er fiel mir ins Wort: „Haha, das ist kein Problem. Wir fahren um sechs Uhr los. Stellen Sie uns mal nur ´ne Kanne Kaffee hin, damit wir wach bleiben!“
Na wunderbar. Wenn der gute Mann um diese Zeit bei mir seine Handwerkskiste aufschlagen wollte, dann musste ich um halb sechs aufstehen, duschen, frühstücken, Haare föhnen, Zähne putzen und mich schminken.
Vier Tage später habe ich meinen Wecker drei Mal hintereinander ausgeschaltet, aber jetzt bin ich fällig. Ich steige langsam aus dem Bett und freue mich, dass sich mein Blutdruck ebenfalls mit mir erhebt. Das ist nicht immer der Fall.
Ich habe nur vier Stunden geschlafen. Das lag daran, dass mir gestern Abend eine Geschichte einfiel, die ich noch unbedingt meinem Computer anvertrauen musste. Gegen halb elf rief dann mein Vetter Louis bei mir an und klagte mir sein Leid.
„Da stehe ich abends um sechs in der Bäckerei und möchte ein paar warme Brötchen haben. Stell´ dir vor, da sagt dieses Bäckerei-Mädel doch unverfroren: Wir schließen gleich. Kommen Sie doch bitte morgen wieder! Unverschämtheit, oder?“
Wir diskutierten den Fall eine halbe Stunde lang. Louis beendete das Gespräch schließlich mit der Aufforderung, dass ihn alle „am A… lecken können“. Diese Erkenntnis kommt ihm bei nahezu jedem Telefonat. Meine Antwort lautet dann standardmäßig: „Vergiss es. Das macht keiner, es sei denn, du zahlst dafür, und zwar kräftig!“
Nachdem wir dieses Problem der Weltgeschichte erkannt, analysiert und gelöst hatten, fiel mir ein, dass ich noch etwas nachlesen wollte und beendete das Gespräch. Gegen halb eins klingelte das Telefon erneut. Es war mein Vetter. Er hatte einen Brief an den Geschäftsführer der Bäckereikette geschrieben und wollte ihn mir vorlesen.
„Hast du mal geschaut, wie spät es ist? Morgen früh klingelt bei mir der Wecker um halb sechs“, protestierte ich. „Nee, schon klar, geht ja auch ganz schnell.“ Dann rasselte er die drei Seiten Text herunter. Als er fertig war, stellte ich ihm eine Frage: „Weißt du, was der Geschäftsführer denkt, wenn er diesen Brief gelesen hat?“ Doch die Antwort kannte ich bereits, bevor er sie ausgesprochen hatte. „Ach, der kann mich doch am A… lecken! Gute Nacht, Mahlzeit und Shalom!“
Ich bettete meinen leider gar nicht müden Körper zur Ruhe. Louis hat es gut, dachte ich. Er macht bis in die frühen Morgenstunden die Nacht zum Tage und kann ausschlafen. Nein, keine Party. Er hat einen Job, bei dem er zuhause arbeiten kann, wann immer er möchte.
Das würde ich auch gerne, aber ich habe ein Geschäft, das ich um neun Uhr dreißig öffne. Eigentlich ist das eine zivile Zeit. Andere Berufstätige trifft es weitaus härter, denn sie müssen deutlich früher an ihrem Arbeitsplatz auftauchen als ich, oder sogar Schichtarbeit leisten.
Doch mein Biorhythmus ist kontraproduktiv. In der Regel laufe ich erst abends zur Hochform auf. Kundentermine nach Geschäftsschluss oder hausfrauliche Tätigkeiten nach zweiundzwanzig Uhr sind kein Problem für mich, ganz im Gegenteil.
Während ich mir so meine Gedanken über die Ungerechtigkeiten des Lebens mache – der eine darf ausschlafen, der andere muss früh aus den Federn – packt mich die Müdigkeit und ich dämmere weg.
Im Halbschlaf schleiche ich zum Wasserkocher. Erst mal drei Tassen Tee, dann bin ich vielleicht halbwegs zu gebrauchen. Ich schalte meinen Fernseher ein und schaue mir das Morgenmagazin ein, um mein Informationsbedürfnis zu befriedigen. Den Ton stelle ich leise. Morgendliches Gequassel von womöglich noch gut gelaunten Moderatoren ist mir zu diesem Zeitpunkt zuwider.
Gegen sechs Uhr verschwinde ich im Bad. Mein Gesicht ist verquollen. Ich habe gerade mein rechtes Auge geschminkt, als es klingelt. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Es ist gerade zwanzig nach sechs!
Aber ich habe noch ein paar Minuten Zeit, um mich fertigzumachen. Herr Dübel und seine Leute müssen schließlich mit ihrem ganzen Gedöns in den zweiten Stock steigen. Ich drücke auf den Knopf der Sprechanlage und erschrecke, als es klopft. Ich öffne die Tür. „Guten Morgen! Die Haustür stand offen. Wahrscheinlich wollen Sie es den Einbrechern leicht machen, was? Hahaha!!“ Ich ringe mir ein Lächeln ab und begrüße Herrn Dübel und seinen Gesellen. Der Meister schüttelt mir fröhlich die Hand und blickt mich forschend an. „Was haben Sie denn mit Ihrem linken Auge gemacht? Das sieht ja seltsam aus. So komisch geschwollen. Wohl bis in die Puppen gefeiert letzte Nacht, was? Hahaha!!“
Ich schaffe es gerade noch, meine Schminkutensilien aus dem Bad zu raffen, als Herr Dübel sich bereits an der Tür zu schaffen macht. Hastig komplettiere ich den Lidstrich vor der Spiegeltür meines Kleiderschranks und koche erst mal Kaffee für die Herren.
Die legen derweil richtig los. Die alten Rahmen werden herausgebrochen und die neuen Rahmen eingepasst. Nachdem ich gefrühstückt habe, kommt mein Kreislauf so langsam auf Touren und ich beschließe, meine Küchenschränke zu säubern.
Darüber vergeht die Zeit. So gegen halb zwölf frage ich die beiden Herren, ob sie noch einen Kaffee haben möchten. Herr Dübel und sein Geselle, die in der Frühe noch lebhaft über die gestrigen Spiele der Fußball-Bundesliga diskutiert hatten, wurden im Laufe des Morgens immer schweigsamer. Mittlerweile beschränken sich die Gespräche auf: „Gib mir mal die Zwinge!“ und „Wo ist der Leim?“
Doch bei dem Wort „Kaffee“ horchen sie auf. „Gerne!“, antworten sie unisono. Das stark koffeinhaltige Getränk scheint die Herren kurzzeitig zu beflügeln. Sie nehmen ihre Unterhaltung wieder auf und schwingen mit Elan den Hobel und die Säge. Doch die Wirkung ist nicht von langer Dauer. Eine halbe Stunde später sehe ich Herrn Dübel verstohlen gähnen und kann mir eine Bemerkung nicht verkneifen: „Wohl bis in die Puppen gefeiert, letzte Nacht, was?“
Der Handwerksmeister grinst müde. „Mein Blutzucker ist im Keller.“ Ich verstehe den Wink mit dem Zaunpfahl. „Was halten Sie von Mettbrötchen?“ Die beiden Herren nicken begeistert.
„Gut, dann fahre ich mal eben kurz einkaufen.“ Damit raffe ich meinen Hausschlüssel und flitze los.
Es ist voll im Supermarkt und ich ratsche noch kurz mit einer Freundin, die ich dort treffe. Als ich eine halbe Stunde später wieder die Haustür aufschließe, tönen seltsame Geräusche durch das Treppenhaus.
Das kann doch wohl nicht wahr sein. Oder etwa doch? Ich nehme immer zwei Stufen auf einmal. Die Wohnungstür ist mittlerweile eingebaut und geöffnet. Die Geräuschkulisse wird lauter, weshalb ich auf Zehenspitzen meine Wohnung betrete.
Auch die Badezimmertür ist fertig und sieht Klasse aus. Ich bin begeistert.
Allerdings kann ich meiner Freude nicht laut Ausdruck verleihen, denn auf meinen Sofas liegen Herr Dübel und sein Geselle. Beide schnarchen, was das Zeug hält.
Leise verziehe ich mich in die Küche und schmiere die Brötchen.