Читать книгу Die Verwandlung - Claudia Rack - Страница 4

2. Kapitel

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„Wo ist sie?“ Gabriel richtete sich an einen Leibwächter, der neben ihm stand, und sah ihn entrüstet an. Dieser sah betreten zu Boden. Er schüttelte stumm den Kopf und konnte Gabriel nicht direkt ansehen. Ein missbilligender Laut erklang in dem weitläufigen Saal. Gabriel richtete sich auf und zügelte seinen Zorn. Zumindest versuchte er es. Seitdem sein Sohn Arabas in seinem Reich sein Unwesen getrieben hatte, entglitt ihm alles. Wenn er nicht bald Ergebnisse lieferte, stand für ihn alles auf dem Spiel. Sein weißes Gewand bauschte sich auf, sobald er unruhig auf und ab lief. „Wollt ihr mir weismachen, dass ihr keine Spur von Ophelia finden konntet? Sie kann nicht verschollen sein. Wie soll ich das erklären, hm? Ich bin es, der sich rechtfertigen muss, obwohl ihr versagt“, brüllte er die Untertanen an. Dass die Verlobte seines geliebten Sohnes Ramael spurlos verschwunden war, beunruhigte ihn. Was hatte sie vor? Mittlerweile wusste er, dass sie an dem Plan beteiligt gewesen war und eine entscheidende Rolle darin gespielt hatte. Sie sollte verhört werden. Wie hatte er das nicht kommen sehen? Wie hatte sie es geschafft, ihre wahren Gedanken vor ihm zu verbergen? Dieses Rätsel ließ Gabriel nicht los. Sie musste über weitaus fähigere Kräfte verfügen, als sie bisher dachten. Offenkundig war Ramael ihren Verführungskünsten erlegen und hatte dieses Unheil über sie gebracht. Für Gabriel gab es keine andere Erklärung. Desto länger er darüber nachdachte, was geschehen war, war das die einzige Erklärung. Sie hatte die wahren Gedanken von Ramael abgeschirmt. Andernfalls hätte er gewusst, welche üblen Gedanken in seinem Sohn vorhanden schlummerten. Möglicherweise hätte er es verhindern können, was auf sie zugekommen war? Was hatte Ophelia noch getan? Hatte sie ihn manipuliert und er hatte es nicht bemerkt? Die Zeit rann ihm davon. Sie hatten ihm nur noch heute gegeben, bis er Ophelia ausliefern musste. Sobald Gabriel nach draußen sah, pochte sein Herz direkt schneller. Die Sonne ging unter. In seinem Inneren wusste er es. Er hatte versagt. Er hatte keine Zeit mehr. In dem Augenblick, als er sich einen Fluchtplan zurechtlegen wollte, erklang ein Grollen und die Erde bebte unter seinen Füßen. Ein Riss entblößte sich direkt vor ihm, als der Marmorboden einen Spalt aufriss. Entsetzt sah Gabriel auf. Die Türen zum Thronsaal gingen auf und drei Gestalten näherten sich. Angeführt wurden sie von einem Engel, den er glaubte, unter keinen Umständen wiederzusehen. „Rafael“, wisperte er verängstigt. Gabriel hatte sich gefragt, wen sie schicken würden, sobald die Zeit um war. Mit Rafael hatte er nicht gerechnet. Ehrfürchtig betrachtete er den Engel. Mit seinen ein Meter und fünfundachtzig war er kräftig gebaut und breitschultrig. Um sein Auftreten noch imposanter zu gestalten, fuhr er die Flügel aus. Gabriel wusste, dass er das absichtlich tat. Die Flügel von Rafael waren schwarz, durchzogen mit indigoblauen Federn. Der Engel trug schwarze Hosen, die seine kräftigen Beine zierten. Das schwarze Gewand reichte ihm bis zu den Füßen und wies vereinzelte blaue Schattierungen auf, abgestimmt auf die beeindruckenden Flügel. Der Blick auf seinen muskulösen Oberkörper war frei und an dem Waffengürtel trug er einen Dolch zu seiner Rechten und ein Schwert zu seiner Linken. Schwarze Augen ließen ihn nicht los, sobald er Gabriel erblickte. Das schwarze Haar trug er jetzt kürzer, es reichte ihm bis zu den Schultern. Bei ihrer letzten Begegnung hatte er es noch zu einem Zopf nach hinten gebunden. Nachdem er sich vom ersten Schock erholte, glitt Gabriels Blick zum Gefolge, welches Rafael begleitete. Seine Unruhe wuchs, sobald er erkannte, wer da genau auf ihn zukam. An Rafaels rechter Seite schritt Sariel, unter anderem als der Vollstrecker unter den Engeln bekannt. Er war noch größer als Rafael, gute ein Meter und neunzig, schätzte Gabriel. Die dunkelblonden Haare waren kurz geschoren. Die grünen Augen wiesen einzelne braune Sprenkel auf. Es kam einem vor, als ob Sariel bis in die Seele blicken konnte, sobald er jemanden direkt ansah. Er trug dunkelgrüne enganliegende Hosen, ein silbernes Gewand mit roten Verzierungen und die Flügel waren schneeweiß bis auf einzelne olivgrüne Federn. Er war breitschultrig und die Muskeln zeugten von der Kampfkunst, die er ausstrahlte. An Rafaels linker Seite erkannte Gabriel den Engel Calliel. Im Grunde zählte sie zur weiblichen Form der Engel, obwohl manche glaubten, sie gehöre zur Gattung der Cherub. Das bewiesen ihre Flügel. Sie hatte nicht zwei, sondern vier Flügel. Sie waren wunderschön in Pechschwarz und durchzogen mit purpurnen Federn. Ihre schwarzen langen Haare glänzten im Licht. Sie trug enganliegende weiße Hosen und passend zu ihren Flügeln ein schwarzes Gewand mit purpurnen Verzierungen. Darunter trug sie ein dunkles Bustier, sodass der Blick auf ihren durchtrainierten Bauch frei blieb. Sie war einen Meter achtundsechzig groß, aber das tat ihrer imposanten Erscheinung neben Rafael und Sariel keinen Abbruch. Er wusste, dass man Calliel nicht unterschätzen durfte. Es heißt, dass sie Beziehungen zur Unterwelt pflegte. Am erstaunlichsten waren ihre Augen. Sie hatte ein hellblaues und ein braunes Auge. Der scharfe Blick aus Rafaels dunklen Augen entging Gabriel nicht. Sobald er direkt vor ihm stand, blieb er stehen und sah sich um. Sariel wechselte kurz mit Calliel einen wissenden Blick, bevor sie sich neben Rafael postierten und ihn schützten. Gabriel zitterte leicht, versuchte es mit Fassung zu tragen und hob mit geschwellter Brust den Kopf an, um Rafael die Stirn zu bieten.

„Die Zeit ist um, Gabriel. Wo ist sie?“, erklang Rafaels bedrohliche Stimme. Die Leibwächter von Gabriel beobachteten genau das Geschehen. Er wusste, dass sie nicht eingreifen würden, das wäre ihr Tod. Sie wussten, dass Rafael ihm gegenüber in der Rangfolge weitaus höher stand. Gabriel versuchte ein klägliches Lächeln und versagte.

„Wir haben sie bedauerlicherweise noch nicht gefunden. Meine Leute sind unterwegs, um sie aufzuspüren. Es dauert nicht mehr lange, bis wir sie haben.“ Seine Erklärung war dürftig und das wusste er. Gabriel wusste nicht, was übler war. Rafael zu erzürnen oder den Vollstrecker Sariel? Es war bekannt, dass Sariel die Engel zur Rechenschaft zog, die in Ungnade gefallen waren. Und man erzählte sich, dass er das nicht halbherzig tat. Rafael lächelte milde, dieses Lächeln erreichte nicht seine schwarzen Augen. In seinem Blick erkannte Gabriel eher Zorn. Seine rechte Hand legte sich auf den Griff des Dolches, als ob er demonstrieren wollte, was geschehen würde, wenn er verärgert war. Das es ein gesegneter Dolch war, erkannte Gabriel sofort. Sollte Rafael ihn damit niederstrecken, war es um ihn geschehen. Rafael wechselte einen Blick mit Sariel, bevor er sich erneut an Gabriel wandte.

„Es wird Zeit, dass wir übernehmen, Gabriel. Ab sofort untersteht dein Reich mir und meinem Gefolge. Dir wird eine andere Aufgabe zuteil, sobald du bei ihnen vorsprichst. Ich denke, ich muss dir nicht erklären, wie enttäuscht sie von dir sind.“ Gabriel wusste genau, von wem Rafael sprach. Die Himmelsgarde rief ihn und wollte ihn woanders einsetzen. Er stellte sich vor, dass es ein Ort war, der ihm nicht gefiel. Oder eine Aufgabe, die ihm zuwider war. Das war die Strafe für seine Vergehen. „Am besten gehst du sofort. Für dich gibt es hier nichts mehr zu tun“, ergänzte Rafael noch. Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, gab er Sariel ein Zeichen. Dieser trat vor und ergriff Gabriels Oberarm, um ihn aus dem Saal zu begleiten. Rafael sah sich um und entdeckte erst jetzt die Leibwächter, die stumm da standen und ihn ängstlich ansahen. „Ihr könnt gehen oder bleiben, das ist eure Entscheidung. Solltet ihr bleiben wollen, untersteht ihr ab sofort mir.“ Die Leibwächter sahen sich an und brauchten nur Sekunden, um sich zu entscheiden. Stumm nahmen sie ihre Beine in die Hand und flohen aus dem Saal. Rafael blickte ihnen belustigt hinterher. „Tja, zumindest sind sie treu ergeben“, meinte er salopp zu Calliel. Diese grinste leicht und wusste, was Rafael damit zum Ausdruck bringen wollte. Es gab Leibwächter oder Untertanen, die ihren Herrn verraten würden, sobald sein Posten durch einen mächtigeren Engel bedroht wurde. Diese Leibwächter taten das nicht, was er mit seinem Respekt zollte. Gemächlich schritt Rafael vor und inspizierte sein brandneues Zuhause. Mit Sicherheit würde er für eine lange Zeit hier sein. Dieses Reich war lichtdurchflutet, das war außergewöhnlich für ihn. Er mochte es eher dunkler und maskuliner. Möglicherweise würde er einiges verändern. Sobald er den Thron erblickte, zog er eine Augenbraue nach oben und sah Calliel fragend an. Sie lächelte und zuckte mit den Schultern, um ihn zu signalisieren, dass es nicht schaden konnte. Rafael ging auf den Thron zu und ließ sich grinsend darauf nieder. Seine Hände strichen behutsam über die Armlehnen. Inzwischen hatten sie ihre Flügel eingefahren und Sariel kam wieder zu ihnen. Er nickte Rafael zu, zum Zeichen, dass er die Aufgabe erledigt hatte. Gabriel war aus dem Reich verbannt worden. Ab sofort gehörte es zu ihren Aufgaben, Ophelia zu finden, um sie zu verhören. Sariel spielte mit dem gesegneten Dolch in den Händen und drückte die Spitze gegen eine Fingerkuppe. Selbst als Blut hervortrat, hörte er nicht damit auf. Die Klinge blitzte im Licht auf, sobald er den Dolch drehte.

„Wie weit sind wir?“, fragte er. Calliel beobachtete das gefährliche Spiel mit dem gesegneten Dolch. Sariel ließ das kalt und er sah unbeteiligt drein, wartete auf die Antwort zu der Frage. Rafael kannte Sariel gut genug, um zu wissen, dass er sich nicht ernsthaft verletzen würde. Somit ließ er ihn gewähren.

„Sucht sie! Ich will sie haben, wenn es geht, bevor sie noch mehr Schaden auf der Erde anrichtet“, sagte Rafael bedrohlich. Sariel wollte sich bereits in Bewegung setzen, als Rafael ihn aufhielt. „Du nicht Sariel“, rief er ihm zu. Der Engel drehte sich erstaunt um und sah Rafael fragend an. Rafael wandte sich an Calliel. „Du gehst und suchst Ophelia, Calliel. Bring sie mir!“ Calliel nickte und verließ den Saal, nicht ohne Sariel grinsend anzusehen. Dieser war beleidigt, da sie diese Aufgabe erledigen sollte. Rafael wusste, wie gern Sariel auf der Erde war und Vergeltung übte an Engeln, die einen Fehler begingen. Sein Kopf fuhr zu Rafael herum. Er wollte ansetzen, bis Rafael die Hand hob, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Ich habe eine andere Aufgabe für dich, Sariel. Du kümmerst dich um die Auserwählte. Sie schnüffelt zu viel herum und macht ständig Ärger.“ Sariel war nicht glücklich über diese Aufgabe. Seine Gesichtszüge verzogen sich mürrisch.

„Ich soll mich um einen Menschen kümmern? Das ist nicht dein Ernst, Rafael!“ Entrüstet schnaubte er. Rafael lächelte unbeteiligt über den Ausbruch und sah ihn beschwichtigend an.

„Sie ist kein normaler Mensch, Sariel. Ich bin überzeugt davon, dass dich das erfreuen wird. Es ist von großer Bedeutung, dass sie über den freien Fall nichts erfährt, hörst du? Egal, wer ihr hilft, niemand von ihnen darf mehr darüber erfahren.“ Sariel verstand noch nicht und schüttelte den Kopf.

„Was ist erlaubt?“, fragte er nach. Rafael dachte kurz darüber nach.

„Berichte mir und ich entscheide zu jener Zeit, ob wir einschreiten müssen oder nicht. Keine Alleingänge hörst du? Wir können es uns nicht erlauben, jemanden voreilig auszuschalten.“ Sariel verstand, was Rafael meinte und nickte. Er machte sich auf den Weg, um den Befehl auszuführen. Rafael rief ihm noch nach: „Um Jazar kümmere ich mich, Sariel. Du rührst ihn nicht an, verstanden? Bring ihn zu mir, sobald du ihn gefunden hast!“ Sariel blieb kurz stehen. Ein kurzes Kopfnicken von ihm war seine Antwort, bevor er aus Rafaels Blickfeld verschwand. Sariel zischte vor Wut, sobald Rafael ihn nicht mehr sehen konnte. Ein Geräusch zu seiner Linken ließ ihn abrupt innehalten. Sobald er in die Richtung sah, hätte er schwören können, dass eine dunkle Gestalt dort stand. Er kniff die Augen zusammen und suchte gezielt die Stelle ab. Sobald er sicher war, dass er sich getäuscht hatte, setzte er den Weg fort. Nemir schüttelte sich und nahm seine Engelsgestalt an, sobald Sariel verschwunden war. Um nicht entdeckt zu werden, hatte er die Form der weißen Säule angenommen, die neben ihm stand. Eine Weile sah er dem Vollstrecker noch nach. Das war nicht gut. Er hatte die Unterhaltung zwischen Rafael und Gabriel mitbekommen. Auch das Gespräch zwischen Sariel, Calliel und Rafael war ihm nicht entgangen. Er musste zu Arabas. Sie schwebten in Gefahr und hatten keine Ahnung davon. Eilig sah er sich kurz um und rannte los. Hoffentlich kam er rechtzeitig.

Die Verwandlung

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