Читать книгу Die Verwandlung - Claudia Rack - Страница 7
5. Kapitel
ОглавлениеSie spürte es sofort. Ariana konzentrierte sich, suchte nach der Ursache für ihre innere Unruhe. Arabas sprach zu ihr, sie hörte ihn schon nicht mehr. Sie blendete alles um sich herum aus, bis auf dieses irritierende Gefühl, welches ihr eine Gänsehaut verursachte. Abrupt stand sie auf, sodass Arabas sie verwundert ansah. Er brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Was ist los, Auserwählte?“, fragte er beunruhigt. Ihr Kopf fuhr zur Wohnungstür herum. Die Augen zusammengekniffen, starrte sie die Tür an. Sie zitterte und überlegte, wo ihre Waffen waren.
„Er ist hier“, flüsterte sie. Arabas folgte ihrem Blick und glaubte ihr. Sie war in der Lage Gefahr zu erkennen, bevor man sie sah. „Der Schutzzauber?“, fragte sie hoffnungsvoll. Arabas schüttelte den Kopf.
„Nützt nichts, nicht bei einem Erzengel. Spürst du nur ihn?“
„Ja.“
„Ich übernehme das, Auserwählte.“ Ariana wirbelte zu ihm herum und sah ihn wütend an.
„Das wirst du nicht tun, Arabas. Vielleicht geht er wieder und kommt nicht herein.“ Er betrachtete sie skeptisch. Sie musste zugeben, dass das Selbst für sie absurd klang. Sein gesegneter Dolch lag in seiner Hand, als er sich kampfbereit aufstellte, direkt vor ihr. Er würde sie beschützen, wusste sie. Bevor er irgendetwas darauf erwidern konnte, ging die Wohnungstür auf. Beide warteten gespannt, ob der Eindringling sich zeigen würde. Zuerst erschien sein silbernes Gewand, überzogen mit roten Streifen. Seine kräftigen Beine steckten in dunkelgrünen hautengen Hosen. Erst beim Anblick seiner schneeweißen Flügel, durchzogen mit olivgrünen Federn, konnte Ariana ihren Blick nicht mehr von Sariel abwenden. Seine grünen Augen stachen in ihre, ließen sie nicht mehr los, desto näher er auf sie zukam. Er hatte die Flügel nicht vollständig ausgefahren, nur soweit, dass sie zu erkennen waren. Seine Erscheinung war atemberaubend. Anders, als in der Trainingshalle, bemerkte Ariana. Seine durchdringenden Augen würde sie schon nicht vergessen. Jetzt, wo er in seiner Engelsmontur auf sie zukam, war sie sprachlos. Sein lebhaftes Grinsen erreichte die Augen nicht, die wachsam auf Arabas achteten. Ariana umklammerte Arabas Oberarm und zog ihn zurück. Widerwillig ließ er sie gewähren und nahm Abstand von Sariel. Dieser stellte sich breitbeinig vor ihnen auf, die Daumen im Waffengürtel verhakt, sah er sie provozierend an. Sein Blick fiel auf den gesegneten Dolch, den Arabas in der Hand hielt. Das Grinsen wurde breiter und er schüttelte belustigt den Kopf.
„Arabas“, erklang seine gefährliche Stimme, „ich hatte angenommen, du bist intelligenter. Willst du dich ernsthaft mit mir anlegen?“ Ariana spürte es in jeder Faser ihres Körpers. Dieser Erzengel war extrem gefährlich. Sie glaubte nicht, dass Arabas oder sie eine Chance haben würden, sollte es zum Kampf mit Sariel kommen. Allerdings glaubte Ariana nicht, dass er aus diesem Grund hierher gekommen war. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, sie niederzumetzeln, wenn er das wollte.
„Was willst du?“, fragte sie ihn mutig. Sariel unterbrach den stummen Wortaustausch mit Arabas, um sie direkt anzusehen. Sariel zog seinen Dolch aus dem Waffengürtel. Er ließ Arabas nicht aus den Augen, sobald er mit seinem Dolch in der Hand spielte. Arabas wollte sich auf ihn stürzen, der scharfe Blick von Sariel ließ ihn umdenken.
„Tu das nicht, Gefallener“, meinte er gelassen, „es wäre mir eine Freude, über dich richten zu können, wie es sich gehört. Ich bin nicht deinetwegen hier, noch nicht“, betonte er. Arabas wusste genau, worauf der Erzengel damit anspielte. Als Vollstrecker gehörte es zu seinen Aufgaben, die Gefallenen zu bestrafen. Es lag in seiner Natur. Offenbar kostete es Sariel einiges an Willenskraft, sich nicht direkt um Arabas zu kümmern. Neugier war es, die Arabas zurückhielt. Er wollte wissen, weshalb Sariel zu Ariana kam. „Ich bitte dich ein einziges Mal, Ariana.“ Sie horchte auf und begegnete seinem eindringlichen Blick. Ein Erzengel wollte sie um etwas bitten? Das war äußerst seltsam. Ihre Körperhaltung war angespannt. Die Hand krallte sich in Arabas Oberarm, sodass dieser kurz vor Schmerz stöhnte und sie ärgerlich ansah. Sie nahm davon keine Notiz, sie konnte ihren Blick nicht von Sariel abwenden. Da war irgendetwas an diesem Erzengel, was sie regelrecht lähmte. Sie konnte es sich nicht erklären, sie empfand Respekt vor ihm. Sie kannte ihn nicht. Sie wusste nichts über diesen Erzengel, bis auf die Tatsache, dass er der Vollstrecker genannt wurde und gefährlich war. Dennoch fühlte sie, wie kräftig er war und das ängstigte sie zu Tode. Zum ersten Mal seit einer geraumen Zeit verspürte sie Angstgefühle. Das letzte Mal hatte sie solche Gefühle gespürt, als die Gefallenen ihr Elternhaus überfallen hatten und ihre Adoptiveltern töteten. Er wusste es. Sie konnte es in seinem Blick erkennen. Sariel wusste, wie sie sich fühlte. „Ich will dir nichts tun, Ariana. Du gehörst zu den Guten, du bist eine Auserwählte. Es liegt nicht in meiner Natur über dich richten zu müssen, aber wenn ich es tun muss, werde ich es tun. Hör auf meinen Rat und vergiss alles, was mit dem freien Fall zu tun hat. Vergiss Jazar oder das, was ihr hattet. Er ist verloren. Er ist nicht für dich bestimmt. Sein Schicksal ist ein anderes.“ Sariel verstummte, verstaute den Dolch in der Halterung und sah sie abwartend an. Ariana hörte ihm zu. Alles, was der Erzengel ihr sagte, riss ihr das Herz aus der Brust. Sie konnten es nicht erkennen. Ihn aufgeben? Ihn vergessen? Nicht für sie bestimmt? Ihre Hand löste sich von Arabas Arm. Der Gefallene beobachtete sie aufmerksam. Da stimmte irgendetwas nicht mit ihr. Arabas wechselte kurz einen Blick mit dem Erzengel, der genauso verwirrt zu sein schien. Ariana schloss ihre Augen, ballte die Hände zu Fäusten und atmete ein. Zuerst war es nicht zu spüren. Sekunden darauf hörten sie das Poltern. Die Wände wackelten bedrohlich. Ein Erdbeben? Arabas wirbelte zu Ariana herum und umfasste ihre Oberarme.
„Ariana“, brüllte er sie an, „beruhige dich Ariana.“ Sie öffnete die Augen. Arabas wich entsetzt zurück und schüttelte sprachlos den Kopf. Ihre Augen waren glühend weiß. Wie war das möglich? Wieso hatte er das niemals zuvor bei ihr bemerkt? Noch bevor er irgendetwas sagen konnte, richtete ihre Wut sich gegen Sariel. Ihr gellender Schrei fegte durch die Wohnung. Sariel flog in hohem Bogen durch die Luft und krachte ungebremst gegen die Wand im Flur. Ein Riss entstand an der Wand. Scheppernd landete Sariel auf dem Boden. Es waren Sekunden, aber sie änderten alles. Sariel stöhnte vor Schmerz auf. Er hob den Kopf und seine wütenden grünen Augen schossen direkt zu Ariana. Arabas nahm an, dass der Erzengel sich auf sie stürzen würde. Seine rasende Wut und seine Überraschung über das, was geschehen war, zeichneten sich in den Gesichtsausdruck ab. Er stellte sich demonstrativ vor Ariana, obwohl er wusste, dass das nicht nötig war. Sie hatte bewiesen, dass sie sich selbst schützen konnte. Schnaubend richtete Sariel sich auf. Die Hand auf den Oberkörper gelegt, nickte er der Auserwählten anerkennend zu. Allem Anschein nach hatte er sich ein paar Rippen gebrochen, als er gegen die Wand geknallt war. Das war unfassbar.
„Ich habe verstanden, Auserwählte“, sprach er bedrohlich. Sariel sah zu Arabas, mordlüstern und alles andere als nachsichtig. „Sie hat gewählt, Gefallener. Solltest du weiterhin an ihrer Seite stehen, wird es beim nächsten Mal nicht beim Reden bleiben.“ Noch bevor Arabas irgendetwas darauf erwidern konnte, verschwand Sariel vor ihren Augen. Fassungslos spielte Arabas das Geschehene nochmal in seinen Erinnerungen ab. Was war geschehen? Er wirbelte zu Ariana herum und schaute sie ärgerlich an.
„Was ist in dich gefahren?“, schrie er sie an. „Bist du irre?“ Ariana brauchte einen Moment, um ihren Puls auf eine normale Frequenz zu bekommen. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Hatte sie das wahrhaftig getan? Hatte sie Sariel durch die Luft gewirbelt und gegen die Wand geschmettert? Mit ihrem Wutausbruch? Wow! Sie wusste nicht, ob sie stolz sein sollte oder eher beängstigt. Wenn es nach dem Gefallenen ging, war beängstigt korrekt. Aber so wollte Ariana sich nicht fühlen. Sie hatte genug davon, Angst zu haben. Sie hatte genug davon, dass Engel ihr permanent vorschreiben wollten, mit wem sie zu tun hatte und wen sie sehen durfte. Es reichte. Das, was Sariel ihr gesagt hatte, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie war ausgerastet, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie ahnte bis jetzt nicht, welche verborgenen Kräfte noch in ihr schlummerten. Konnte sie das nochmal tun? Konnte sie das kontrollieren? Die Fragen, die auf sie einstürzten, benebelten sie. Sobald ihre Augen sich auf Arabas richteten, wich er zurück und hielt abwehrend die Hände nach oben. Was sollte das? Wieso sah er sie so an? „Ich wäre dir verbunden, wenn du dich jetzt beruhigen würdest, Ariana“, meinte er beunruhigt. Sie war die Ruhe selbst. Oder nicht? Sie wusste nicht, worauf Arabas anspielte und runzelte verwirrt die Stirn. „Deine Augen, Ariana“, ergänzte er. Was war damit? Sie fühlte sich berauscht, erstaunlich gut. Hatte er Angst vor ihr? Sie würde ihm nicht schaden. Erst als ihr Blick sich auf den Spiegel richtete, der in der Diele an der Wand hing, schnappte sie empört nach Luft. Ihre Augen waren schneeweiß, sie glühten regelrecht. Sie versuchte es. Sie versuchte ernsthaft, normal zu atmen und zur Ruhe zu kommen, damit ihre Augen sich normalisierten. Vergebens. Arabas starrte sie fassungslos an und wusste sich keinen Rat mehr. Im nächsten Moment drehte sich alles um sie herum. Ariana schwankte bedrohlich. Sie spürte noch, wie er sie auffing, sobald alles um sie herum schwarz wurde. Er sah auf sie herunter und hielt sie. Bewegungslos lag sie in seinen Armen. Was zum Teufel geschah mit ihr? Arabas hob sie auf seine Arme und sah keinen anderen Ausweg. Er teleportierte sich in seine Höhle und nahm die Auserwählte mit sich. In dem Appartement war sie nicht mehr sicher. Solange er nicht wusste, was mit ihr geschah, war es besser, wenn er sie in der Nähe wusste. Sobald er angekommen war, schritt er zielstrebig in seine Gemächer. Behutsam bettete er sie auf sein Bett. Sein Leibwächter sah ihn verwundert an, sagte aber kein Wort. Selbst Nemir konnte nichts sagen, als sein Boss mit der Auserwählten auf den Armen eingetreten war. Besorgt sah er auf sie herunter, bevor er Arabas ansah.
„Sie verletzt, Boss? Schlimm um sie, schlimm um sie?“, fragte er beunruhigt. Arabas schüttelte den Kopf und ließ Ariana nicht aus den Augen.
„Nein, es geht ihr gut. Sie schläft ein wenig“, meinte er unsicher. Er hatte keine Ahnung, was mit ihr los war. Ob es sich um einen Schlaf handelte, wagte er zu bezweifeln. Das behielt er vorerst für sich. Er musste herausfinden, was mit ihr geschah. Arabas schickte alle heraus und lief in dem Zimmer auf und ab. Er ließ die letzten Monate Revue passieren und erinnerte sich an jeden einzelnen Moment, den er bei Ariana gewesen war. Sie hatte sich verändert. Das hatte er bemerkt. Er hatte vermutet, dass es aufgrund der Ereignisse mit Jazar war. Was war, wenn er damit falsch lag? Was, wenn die Auserwählte sich aus einem anderen Grund so verhielt? Seine Unruhe wuchs, desto mehr er darüber nachdachte. Wie viel wussten sie über Ariana? Wie viel hatte Jazar über sie gewusst und das, was sie war? Wusste das jemand? Arabas wurde wütender. Das war typisch. Die Engel behielten ständig irgendetwas für sich, nicht wahr? Besonders, wenn es um Auserwählte oder Propheten ging. Was würde er darum geben, wenn er Jazar fragen könnte oder seinen Vater? Ophelia wusste eventuell mehr, als er. Das gefiel ihm nicht. Übel gelaunt legte er den Waffengürtel ab und warf ihn achtlos auf einen der Sessel, die in der Mitte standen. Es half alles nichts. Er musste Kontakt aufnehmen. Sie hatte ihn angewiesen, sie nur aufzusuchen, wenn es um ihn ging. Arabas blieb stehen und betrachtete Ariana skeptisch. Sollte er die Spielregeln brechen, für sie? Hatte er das nicht schon getan? Innerlich lachte er über sich. Die Auserwählte hatte ihn gut im Griff. Sie wusste es nicht, sie hatte ihn für sich gewonnen. Ohne zu überlegen, beschloss er aufs Ganze zu gehen. Er würde sie aufsuchen. Sie war die einzige Person, die Antworten hatte. Ob sie ihm diese liefern würde, stand auf einem anderen Blatt. Er musste es versuchen, für Ariana. Er rief nach seinem Leibwächter, der prompt in der Tür erschien. „Niemand darf zu ihr, hörst du? Du und Nemir, sonst niemand,“ befahl er ihm. Der Leibwächter nickte und sah ihn fragend an.
„Wohin wollt ihr?“, fragte er besorgt. Arabas legte sich den Waffengürtel um die Hüften und sah ihn direkt an.
„Zum Orakel“, meinte er trocken. Der Leibwächter riss die Augen auf und sah ihn entsetzt an. Arabas schmunzelte über die Reaktion und konnte es ihm nicht verübeln. Das Orakel suchte man nicht uneingeladen auf. Besonders nicht, wenn sie im Vorfeld klar zum Ausdruck gebracht hatte, dass er zu ihr gehen sollte, wenn es um seine Person ging. Er sah nochmal zu Ariana zurück, die friedlich auf dem Bett schlief, bevor er seine Hand auf die Schulter des Leibwächters legte. Eindringlich sah er ihn an. „Achte auf sie, beschütze sie mit deinem Leben, wenn es sein muss“, meinte er noch, bevor er verschwand. Der Leibwächter starrte ihm noch nach und schüttelte den Kopf. Nemir trat an seine Seite und sah dem Boss niedergeschlagen hinterher.
„Er gehen? Ohne mich, ohne mich?“, fragte er ihn. Der Leibwächter sah zu ihm herunter und lächelte milde.
„Er kommt zurück, Nemir. Er kommt zurück“, meinte er wehmütig.