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Als Sandra die Schlafzimmertür öffnete, stieg ihr Kaffeeduft in die Nase. Wiewohl sie Teetrinkerin war, mochte sie diesen Geruch. Sie schaltete das Deckenlicht im Wohnzimmer aus, das noch brannte, obwohl die Sonne inzwischen aufgegangen war.

»Guten Morgen, Liebling!«, begrüßte sie der Chefin­spektor gut gelaunt.

Ein anlassiger Bergmann auf nüchternen Magen hatte ihr gerade noch gefehlt. Verschlafen rieb sie sich die Augen. Während der notorische Frühaufsteher geschnäuzt und gekampelt mit einem Kaffeehäferl in der Hand an der Küchenzeile im Wohnzimmer lehnte, schlich sie barfuß im langen T-Shirt an ihm vorbei, um ins Badezimmer zu gelangen. »Morgen«, knurrte sie, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Dass er ihr hinterherstarrte, spürte sie auch so auf ihrem Rücken respektive in dessen Verlängerung.

»Möchtest du ein weiches Ei oder Ham and Eggs zum Frühstück?«, fragte er.

Erstaunt hielt Sandra an der Badezimmertür inne und wandte sich um. »Sag bloß, du warst einkaufen. Am Sonntag?«

Bergmann verneinte. »Jemand hat alles fürs Frühstück in einem Korb vor der Wohnungstür abgestellt. Mitsamt der Sonntagszeitung. Kaffee hab’ ich im Küchenschrank gefunden.«

»Woher hast du denn gewusst, dass ein Korb vor der Tür steht?«

»Mit Körben kenne ich mich aus«, meinte Bergmann süffisant.

Sandra war klar, worauf er anspielte. Nach ihrem ersten gemeinsamen Fall hatte er bei ihr zu landen versucht und war kläglich gescheitert. Lange Zeit hatte sie ihn für einen Hallodri gehalten, der er im Grunde gar nicht war. Sie wollte sich abwenden, um ins Bad zu gehen, als er fortfuhr.

»Jemand hat in der Früh ein Grußkärtchen mit einem Hinweis auf den Frühstückskorb unter der Tür durchgeschoben.«

Sandra gähnte. »Ach so. Kannst du mir bitte Teewasser aufstellen, während ich im Bad bin?«

»Ist das alles?«

Sandra lehnte sich am Türrahmen an, überkreuzte die nackten Beine und Arme. »Gibt’s auch Müsli und Joghurt?«

»Joghurt war im Frühstückskorb. Aber kein Müsli. Vielleicht finde ich welches im Küchenkasten.« Bergmann öffnete einen der Oberschränke.

»Ja, schau bitte nach. Eine Eierspeise hätte ich auch gern. Von zwei Eiern. Schön fluffig, nicht matschig, wenn’s geht. Ohne Schinken.«

Schmunzelnd schloss Sandra die Badezimmertür hinter sich. Bergmann als Frühstückskoch. Wer hätte das gedacht? Verkühlt war er jedenfalls nicht. Die Sauna hatte ihm gutgetan, überlegte sie unter der Dusche, die wie die übrige Ausstattung der Ferienwohnung nicht gerade dem modernsten Standard entsprach. Aber immerhin war alles blitzsauber. Und es prasselte warmes Wasser aus dem Duschkopf.

Während sie sich die Zähne putzte und Bergmann das Frühstück machte, kam ihr erneut der Vergleich mit einem alten Ehepaar in den Sinn. Kein Wunder, dass es anfangs im LKA Gerüchte gegeben hatte, die ihr und dem Chefinspektor ein Verhältnis unterstellten. Im Gegensatz zu früher regte sie solches Gerede heute kaum mehr auf. Im Laufe der Jahre war sie um einiges gelassener geworden. Sollten die Leute doch glauben, was sie wollten.

Zurück in ihrem Zimmer zog Sandra die Vorhänge auf. Der Blick aus dem Fenster ließ ihr Herz höher schlagen. Kaum eine Wolke stand am azurblauen Himmel. Die schneebedeckten Berge des Toten Gebirges säumten den Grundlsee. Da und dort blitzten dunkelblaue Stellen durch die dünne Schneedecke auf der Eisfläche. Einige Blesshühner watschelten in der Nähe des Bootshauses am Seeufer entlang. Direkt vor dem Gästehaus glitzerte der Schnee in der Sonne. Vom Balkon, der über ihrem lag, tropfte Schmelzwasser.

Sie zog ihre Jeans und den Rollkragenpulli an, warf einen Blick auf ihr Handy. Keine verpassten Anrufe, dafür eine neue Nachricht mit der Liste heimischer Trachtenbetriebe, die ihr die Landpolizistin versprochen hatte. Die konnte sie sich später noch genauer ansehen. Jetzt wollte sie erst einmal frühstücken.

Bergmann saß am gedeckten Frühstückstisch, trank Kaffee und las die Kleine Zeitung. Mit dem Essen hatte er auf sie gewartet. So zuvorkommend wie heute hatte er sich in all den Jahren nicht gezeigt. Daran hätte sich Sandra bestimmt erinnern können.

Auf ihrem Platz wartete ein Häferl mit heißem Wasser, dazu mehrere Teebeutel zur Auswahl. Sandra entschied sich für Pfefferminztee. »Hey, du hast ja sogar Müsli gefunden«, freute sie sich über die Flocken, Körner und Nüsse im Rexglas.

Bergmann brummte zustimmend, weiterhin in die Zeitung vertieft.

Wenngleich Sandra ihn und seine provokanten Sprüche manchmal zum Teufel wünschte, hatte er durchaus auch seine netten Seiten. Für eine Überraschung war er sowieso immer gut. Diesmal sogar für eine positive. Während sie den Joghurtbecher öffnete, schlug er die Zeitung zu. Sandra leerte das Naturjoghurt über ihr Müsli.

»Dann mache ich uns jetzt die Eierspeise.« Bergmann erhob sich.

»Soll ich das übernehmen?«, bot sich Sandra an.

Bergmann winkte ab. »So weit reichen meine Kochkünste. Bleib sitzen und lies die Zeitung. Seite 18.«

»Geht es um den Brand?« Sandra leckte ihren Zeigefinger ab, der einen Klecks Joghurt abbekommen hatte.

Bergmann wandte sich wortlos ab.

Neugierig blätterte sie in der Zeitung bis zur genannten Seite.

Bergmann hantierte an der Küchenzeile.

»Da schau an!«, meinte sie überrascht. »Dein Herr Sohn ist ›Steirer des Tages‹! Wow!«, überschlug sie sich fast vor Begeisterung. Wie schön, dass David diese Ehre zuteilwurde, freute sie sich ehrlich für ihn. Endlich einmal stand der junge Musiker nicht im Schatten der steirischen Volkspop-Sängerin, in deren Band er die Lead-Gitarre spielte. Seit dem Tauschkonzert im Fernsehen waren Jessica Wind und ihre Hits auch in Deutschland bekannt. Jedoch nicht die Bandmitglieder, die stets im Hintergrund blieben. Nicht zuletzt, um möglichst austauschbar zu bleiben. Der Star war einzig und allein Jessica Wind.

»Was habt ihr eigentlich alle mit diesem ›Steirer des Tages‹?«, wunderte sich Bergmann, die Hand am Pfannengriff. »Als gäbe es nicht 365 oder sogar 366 Tage im Jahr.«

»Na und?« Sandra tauchte den Löffel in ihr Müsli, um es mit dem Joghurt zu vermengen. »›Steirer des Tages‹ zu sein, kommt beinahe einem Ritterschlag gleich. Wir sind eben stolz auf unsere Landsleute, die für ihre herausragenden Leistungen vor den Vorhang geholt werden.« Sie schleckte den Löffel ab.

»In Wien wären die Leute maximal neidisch«, meinte Bergmann, die Eier verquirlend.

»Mag sein. Und jetzt lass mich weiterlesen«, erwiderte sie. Im Bericht über David wurde erwähnt, dass er während der ersten Corona-Welle die Krankheit mit leichten Symptomen überstanden hatte. Sein Blut zu spenden, in dem Antikörper nachgewiesen worden waren, um dadurch abwehrgeschwächten Covid-19-Patienten lebensrettende Behandlungen zu ermöglichen, sei für ihn selbstverständlich gewesen. Davon hatte ihr Bergmann gar nichts erzählt. Doch die Gesundheit seines Sohnes war schließlich Privatsache.

Während Sandra weiterlas, brutzelte es in der Pfanne. Der Duft von gebratenem Schinken stieg ihr in die Nase. »Wie bitte? David hat die Band verlassen?« Auch davon hatte Bergmann kein Sterbenswörtchen erwähnt. »Ist er privat auch nicht mehr mit Jessica zusammen?«

»Privat haben sich die beiden bereits bei den Dreharbeiten in Südafrika getrennt, nachdem sich Jessica mit einem anderen prominenten Sänger vergnügt hat.« Bergmann verteilte die Eierspeise auf den Tellern.

»Ach ja?« Sandra überlegte, welcher der Musiker infrage kam. Einige Folgen der unterhaltsamen Sendung hatte sie sich damals wegen David angesehen.

Bergmann kam mit den Tellern an den Tisch zurück. Für sich selbst hatte er Schinken abgebraten. Auf die Beziehung seines Sohnes oder auf deren Ende ging er nicht näher ein.

Und Sandra wollte nicht nachfragen. Sie wusste auch so, dass der Chefinspektor heilfroh war, dass sich David von der egozentrischen Sängerin getrennt hatte. Vor einiger Zeit hatten sie in ihrem Umfeld ermittelt, nachdem der Bassist der Band in ihrem Haus über die Treppe in den Tod gestürzt war. Und David sich in Jessica verliebt hatte.

Sandra trank einen Schluck Tee und machte sich über die Eierspeise her. »Perfekt«, lobte sie den Chefinspektor. »Danke, Sascha!«

»Nichts zu danken. Nach unserer nächsten gemeinsamen Nacht bist du mit dem Frühstückmachen dran«, meinte er mit vollem Mund.

Sandra schnitt eine Grimasse »Sag bloß, du willst noch eine Nacht hierbleiben.«

»Habe ich nicht vor. Aber die nächste Übernachtung auswärts kommt bestimmt, Liebling!«

Sandra widmete sich wieder der Zeitung, anstatt ihn für den verhassten Kosenamen zu rügen, worauf er ohnehin nur wartete. Prompt blieb sie an einem Foto der nächtlichen Löscharbeiten am Grundlsee hängen. Wie die ORF-Nachrichten hielt sich auch dieser Artikel an die Fakten der Polizeimeldung. Allerdings konnte sich jeder, der die Umgebung gut kannte, anhand der Fotos ausmalen, dass eine der Lex-Schwestern in den Flammen ums Leben gekommen war. Vor Ort hatte sich bestimmt längst auch herumgesprochen, welche der beiden.

Steirertanz

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