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1. Körperliche Grundlagen des Musizierens1

1.1 Aufbau und Funktionsweise des Bewegungssystems

Knochen

Das Skelett gibt die Form des menschlichen Körpers vor. Mit über 200 Knochen ist es sein inneres Gerüst, verleiht ihm Stabilität, schützt die Organe und ist die Ansatzstelle für Sehnen und Muskeln. Je nach Funktion weisen die einzelnen Knochen deutliche Unterschiede in ihrer Form auf. Die Extremitäten bestehen beispielsweise aus langen Röhrenknochen, während in der Wirbelsäule und in den Fuß- und Handwurzeln kompakte, eher würfelförmige Knochen vorherrschen. Die Formen der Knochen korrespondieren mit der Belastung, welcher sie ausgesetzt sind. Druck- und Zugkräfte wirken durch Schwerkraft und Zug der Muskeln auf die Knochen ein, so dass diese an Stellen höherer Belastung vermehrt Substanz aufbauen. Röhrenknochen z. B. sind in der Mitte dünner und werden an den Enden dicker, da dort durch den Ansatz der Sehnen mehr Knochenmasse benötigt wird (Abb. I.1). Die Verteilung der Knochensubstanz ist ökonomisch gestaltet, um das Eigengewicht aller Knochen so gering wie möglich zu halten. Auf diese Weise spart der Organismus Energie, da kein unnötiges Gewicht getragen und zusätzliches Gewebe versorgt werden muss. Das gesamte Skelett macht so nur etwa 15–20% des Körpergewichts aus.

Die Leichtbauweise unserer Knochen ist jedoch nicht nur ökonomisch, sondern sie ermöglicht auch die besonderen Eigenschaften wie Druck-, Zug- und Bruchfestigkeit sowie Elastizität als Reaktion auf äußere Reize. Der Knochen besteht an seinen beiden Enden aus einem Gerüst feiner Knochenbälkchen, die sich entlang der Belastungslinien ausrichten. Sie bilden die sog. Spongiosa mit ihrem Trabekelsystem, das an eine stabile und gleichzeitig elastische Brückenkonstruktion erinnert. Zwischen den beiden Knochenenden – den Epiphysen – befindet sich der lange Schaft. Er besitzt einen röhrenförmigen Knochenmantel (sog. Kortikalis) aus dichtem Knochenmaterial. In ihrem Inneren – der Markhöhle – und in den Zwischenräumen der Spongiosa befindet sich das Knochenmark, in dem die Blutzellen gebildet werden. Von außen wird der Knochen von der Knochenhaut umkleidet, die mit ihren Blutgefäßen für seine Ernährung sorgt. Sie ist von einem sensiblen Nervengeflecht durchzogen, so dass eine Verletzung dieser Knochenhaut äußerst schmerzhaft ist.

Der Knochen ist ein lebendiges und dynamisches System. Etwa ein Zwanzigstel unserer Knochenmasse wird innerhalb einer Woche durch ständigen Auf- und Abbau erneuert. Der Knochen reagiert dabei darauf, wie wir ihn belasten. Anpassungsprozesse führen dazu, dass der Knochen sich je nach Funktion in seiner Form verändert.


Abb. I.1: Aufbau eines Röhrenknochens

Gelenke

Ein Gelenk (Abb. I.2) entsteht dort, wo sich zwei Knochenenden treffen. Durch die Gelenke werden die Bewegungen des Skeletts ermöglicht. Sie bestehen aus den Gelenkpartnern, häufig auch Gelenkpfanne und Gelenkkopf genannt, der Gelenkhöhle und der Gelenkkapsel. Gelenke weisen vielfältige Formen auf – es gibt Kugelgelenke (z. B. Schultergelenk), Scharniergelenke (z. B. Fingergelenke), Radgelenke (z. B. Verbindung zwischen Elle und Speiche im Ellenbogengelenk), Eigelenke (z. B. Kopfgelenk zwischen Atlas und Schädel), Sattelgelenke (z. B. Daumensattelgelenk) oder plane Gelenke (Wirbelgelenke der Wirbelsäule). Die Gelenkform richtet sich danach, welche Bewegungsfreiheit für das jeweilige Gelenk sinnvoll ist.

Die Knochenenden der Gelenkpartner, die Gelenkflächen, sind mit Knorpel überzogen, der für eine geschmeidige Beweglichkeit und für die Verringerung von Stoßkräften sorgt. Man unterscheidet drei Arten von Knorpel: den hyalinen Knorpel, den Faserknorpel und den elastischen Knorpel. Hyaliner Knorpel bedeckt die Gelenkflächen, Faserknorpel findet sich u. a. in den Bandscheiben der Wirbelsäule und den Menisken der Kniegelenke, elastischer Knorpel kommt beispielsweise im äußeren Gehörgang, im Kehldeckel, in der Nasenscheidewand oder in den Bronchien der Lunge vor. Die einzelnen Knorpelarten weisen unterschiedliche Faserzusammensetzungen auf. Ihre Gemeinsamkeiten liegen darin, dass sie hohe Druck-, Scher- und Zugkräfte aushalten können und die Fähigkeit zur Stoßdämpfung besitzen. Knorpelgewebe ist nicht mit eigenen Blutgefäßen versorgt, sondern wird durch Diffusion von Flüssigkeit aus der angrenzenden Knorpelhaut bzw. sonstigen umgebenden Geweben ernährt. Wie ein Schwamm saugt der Knorpel Flüssigkeit auf, die bei Belastung wieder ausgepresst wird. Dies erklärt, warum Bewegung und wechselnde Belastung zur Erhaltung der Elastizität des Knorpels wichtig sind und warum Knorpel bei Ruhigstellung von Gelenken oder mangelnder Bewegung seine Elastizität verliert.


Abb. I.2: Aufbau eines Gelenks

Die Gelenkkapsel umschließt das Gelenk und bildet die Gelenkhöhle mit dem Gelenkspalt. In der Gelenkhöhle befindet sich die Gelenkschmiere (Synovia, von griech. sýn, »zusammen«, und lat. ovum, »Ei«, von Paracelsus wegen der Ähnlichkeit zum Eiklar so benannt), welche zusätzlich die Reibung im Gelenk verringert und die Gleitfähigkeit verbessert. Sie wird von der inneren Schicht der Gelenkkapsel gebildet und enthält neben dem Hauptbestandteil Wasser (>90%) auch Proteine, Hyaluronsäure, Glukosaminoglykane, Fetttröpfchen und Mucine. Bei Kälte und wenig Bewegung bleibt die Gelenkschmiere zähflüssig und Bewegungen verlaufen mit einem höheren Widerstand im Gelenk. Dieser nimmt ab durch Bewegung und Wärme, beispielsweise durch das Aufwärmen vor dem Spielen (vgl. Kap. III.2).

Bänder sind faserartige Bindegewebsstränge, die Knochen miteinander verbinden und die Beweglichkeit von Gelenken führen oder funktionell begrenzen.

Entsprechend den verschiedenen Kapseltypen im Gelenk setzen die Bänder an unterschiedlichen Stellen an. Ist ein Gelenk auf Stabilität ausgerichtet, ist seine Kapsel eher fest und eng und die Bänder strahlen in die Kapsel hinein, um sie weiter zu verstärken. Wenn die Bänder Teil der äußeren, straffen Bindegewebsschicht der Gelenkkapsel sind, spricht man vom Kapsel-Band-Apparat. Bänder können auch vollständig innerhalb des Gelenks verlaufen. Bei einem auf große Beweglichkeit ausgerichteten Gelenk ist die Kapsel eher weit und schlaff und die Bänder ziehen außen über die Kapsel hinweg. Wie bei den Knochen richten sich auch bei den Bändern die Fasern der Zugrichtung nach aus.

Die Bänder erfüllen neben ihren mechanischen auch propriozeptive Aufgaben. Sie sind als Teil des Kapsel-Band-Apparats dicht mit Messfühlern (sog. Rezeptoren) besetzt, welche Informationen über die Stellung des Gelenks an das Gehirn leiten (vgl. S. 72 f.). Dies ermöglicht die Anpassung des Spannungszustands an die jeweilige Bewegung und dient auch dem Schutz des Gelenks.

Gelenkstrukturen und Beweglichkeit

Am Beispiel des Schultergelenks lassen sich die verschiedenen Strukturen, die an der Bildung eines Gelenks beteiligt sind, also Knochen, Bänder, Sehnen, Muskelansätze und Schleimbeutel, in ihrem komplexen Zusammenwirken veranschaulichen. In Abb. I.3 sind als Knochen die angeschnittenen Rippenbögen, das Schlüsselbein und der obere Teil des Oberarmknochens zu erkennen. Der Oberarmknochen wird mit dem Rabenschnabelfortsatz des Schulterblatts durch ein Band, das Ligamentum coracohumerale, verbunden. Sehnen und Ansätze verschiedener Muskeln sind mit Schlüsselbein, Oberarmknochen und Schulterblatt (im Hintergrund, hier nicht zu sehen) verwachsen. Die Sehne des langen Bizepsmuskelkopfes ist zum Schutz mit einer Sehnenscheide umgeben, in der sie gut gleiten kann. Zwei Schleimbeutel polstern den Rollhügel des Oberarmknochens gegen das Schulterdach ab, damit bei der Seithebung des Armes beide Knochen nicht aneinanderschlagen. Der Blick ins Schultergelenk verdeutlicht, wie komplex und differenziert die verschiedenen Strukturen angeordnet und aufeinander bezogen sind.


Abb. I.3: Blick ins Schultergelenk

Die Beweglichkeit eines Gelenks wird hauptsächlich durch die Gelenkform und darüber hinaus durch die Festigkeit und Art des Kapsel-Band-Apparates sowie die Dehnfähigkeit der Muskulatur bestimmt. Das Bewegungsausmaß von Gelenken ist größtenteils genetisch festgelegt. Durch Übungen kann eine Begrenzung im Gelenk nicht wesentlich verbessert werden. Dehnübungen vergrößern die Elastizität der Weichteile, nicht jedoch die Beweglichkeit des Gelenks selbst.

Allgemein unterscheidet man zwischen dem aktiven und passiven Bewegungsausmaß. Das aktive Bewegungsausmaß ist der Winkelgrad in einem Gelenk, den eine Person aus eigener Kraft erreichen kann. Wenn eine andere Person das Gelenk bewegt – beispielsweise bei einer ärztlichen Untersuchung oder einer physiotherapeutischen Behandlung –, so ergibt sich hieraus das passive Bewegungsausmaß. Es ist im Allgemeinen ca. 10° größer als das aktive.

Eine gute Beweglichkeit der Gelenke ist für Musiker positiv, eine Überbeweglichkeit (Hypermobilität) stellt jedoch einen Risikofaktor dar. Die fehlende Stabilität im Gelenk muss dann von der dynamisch arbeitenden Muskulatur ausgeglichen werden, wodurch das Risiko zur Entwicklung eines Überlastungssyndroms ansteigt.

Muskeln

Die Muskeln führen die Bewegungen des Körpers aus. Die Impulse zur Kontraktion erhalten sie aus dem Nervensystem. Nach Aufbau und Funktion werden drei Arten von Muskeln unterschieden: die glatte Muskulatur, die Skelettmuskulatur und die Herzmuskulatur. Im Folgenden wird näher auf die Skelettmuskulatur eingegangen, da sie für die willkürlichen Bewegungen beim Musizieren zuständig ist.

Im menschlichen Körper gibt es mehr als 400 Skelettmuskeln. Sie setzen über Sehnen an den Knochen an, ziehen über Gelenke hinweg und bewegen sie, indem sie sich zusammenziehen. Dieser grundlegende Vorgang ist am Beispiel des bekannten Bizepsmuskels am Oberarm gut nachvollziehbar (Abb. I.4). Zieht sich der Bizepsmuskel zusammen und wird kürzer, so wird der Unterarmknochen im Ellenbogengelenk näher zum Oberarmknochen bewegt und der Unterarm wird gebeugt. Jeder Muskel setzt an seinen beiden Enden an einem Knochen an. Definitionsgemäß wird derjenige Ansatzpunkt, der bei Muskelkontraktion in Ruhe bleibt, als Ursprung und der andere Punkt als Ansatz bezeichnet (Abb. I.4). Der Bizeps ist ein zweiköpfiger Muskel, dessen langer und kurzer Kopf an zwei verschiedenen Stellen des Schulterblatts entspringen. So ist der Bizepsmuskel in der Lage, unterschiedliche Bewegungen (Beugung und Innendrehung des Unterarms, Innendrehung, Anheben und Heranziehen des Oberarms) auszuführen. Auch andere Muskeln haben mehrere Köpfe (z. B. der dreiköpfige Trizepsmuskel am Oberarm oder der vierköpfige Quadrizepsmuskel am Oberschenkel).


Abb. I.4: Muskelursprung und -ansatz am Beispiel des Bizepsmuskels

Aufbau des Muskels

Skelettmuskeln bestehen aus Muskelfasern, die zu Muskelfaserbündeln zusammengefasst sind (Abb. I.5). Die Muskelfaserbündel wiederum bilden den Muskelbauch. An den Enden geht der Muskel in den Muskel-Sehnen-Übergang über und die Sehne setzt am Knochen an. Im Innern der Muskelfaser befinden sich kontraktile Elemente aus Eiweiß, sog. Myofibrillen, mit ihren Untereinheiten, den sog. Sarkomeren (Abb.I.6a). In einer Muskelfaser liegen mehrere Tausend solcher Sarkomere hintereinander geschaltet. Ein Sarkomer ist auf beiden Seiten durch die sog. Z-Scheiben begrenzt. Zwischen ihnen befinden sich Eiweißketten – die Myofilamente Aktin und Myosin. Bei Betrachtung der Myofibrillen unter dem Mikroskop erscheinen die Myofilamente unterschiedlich hell und dunkel, wodurch sich die typischen Querstreifen der Skelettmuskulatur ergeben, man nennt diese Muskulatur deswegen auch quergestreifte Muskulatur.


Abb. I.5: Aufbau eines Muskels

Abb. I.6a und b: a) Muskelfaser, Sarkomer, Aktin und Myosin, b) Ineinandergleiten von Aktin- und Myosinfilamenten

Bekommt der Muskel über die Nerven den Befehl zur Kontraktion, schieben sich die einzelnen Aktin- und Myosinfilamente in einem Sarkomer übereinander (Abb. I.6 b). Die Längenabnahme von Tausenden hintereinanderliegenden Sarkomeren ergibt eine Verkürzung des gesamten Muskels. Ein Muskel kann sich – bis die Aktin- und Myosinfilamente komplett ineinandergeschoben sind – etwa auf die Hälfte seiner Ruhelage verkürzen.

Die Steuerung der Bewegung durch Innervation des Muskels ist in Kap. I.1.6 beschrieben.

Muskelarbeit

Skelettmuskeln sind durch unterschiedliche Arten von Muskelfasern für verschiedene Bewegungsanforderungen ausgestattet. Typ-I-Fasern sind dünne Fasern, die sich langsam (»slow twitch« [ST], Kontraktionszeiten über 60 ms) verkürzen, eine niedrige Spannung aufweisen und nur langsam ermüden. Sie arbeiten hocheffizient, erlauben eine gute Kontrolle der Bewegung und verbessern die Feinmotorik. Zusätzlich ermöglichen sie durch ihre hohe Stoffwechselkapazität Ausdauerleistungen (»Marathontyp«). Typ-II-Fasern sind dicke Fasern, die schnell kontrahieren (»fast twitch« [FT], Kontraktionszeit 25–50 ms), mit hoher Kraft arbeiten und schnell ermüden. Sie sind weniger effizient und weniger gut in der feinen Koordination (»Sprintertyp«). Die Verteilung der Fasertypen pro Muskel spiegelt die Funktion des jeweiligen Muskels wider, je nachdem ob dieser eher Halte- und Ausdaueraufgaben zu leisten hat oder eher dazu dient, schnell zu reagieren. Die Verteilungsmuster prägen sich bereits in der frühkindlichen Entwicklung aus und sind weitgehend genetisch und geschlechtsunabhängig determiniert. Hauptsächlich im Sport sind gewisse Trainingseffekte als Transformation der schnellen Typ-II-Fasern in die langsamen Typ-I-Fasern durch Ausdauertraining zu beobachten. In Trainingspausen sind allerdings auch diese Effekte rasch rückläufig. Musiker, die Muskelkrafttraining in langsamem Tempo durchführen, trainieren damit vor allem die langsam kontrahierenden Muskelfasern. Wenn dagegen Schnelligkeit und Muskelkraft verbessert werden sollen, sollten die Bewegungen in ausreichender Schnelligkeit unter Anpassung und gegebenenfalls Reduzierung der Belastung durchgeführt werden.

Muskeln können sich grundsätzlich dynamisch oder statisch kontrahieren. Bei der dynamischen Kontraktion (sog. isotonische Kontraktion) verändert sich die Länge des Muskels, er wird länger (exzentrisch) oder kürzer (konzentrisch). Dies lässt sich wiederum am Beispiel des Bizepsmuskels veranschaulichen: Wie bereits oben beschrieben, nähert der Bizepsmuskel bei einer Beugung im Ellenbogengelenk seinen Ansatz dem Ursprung an (Abb. I.4), er verkürzt sich und führt damit eine konzentrische Kontraktion aus. Wird die Bewegung zurückgeführt und der Oberarm im Ellenbogengelenk gestreckt, verlängert sich der Bizepsmuskel wieder. Hierbei muss er gleichzeitig dafür sorgen, der Schwerkraft des Armgewichts entgegenzuwirken und die Bewegung abzubremsen. Dieser Vorgang wird als exzentrische Kontraktion bezeichnet.

Bei einer statischen Kontraktion (sog. isometrische Kontraktion) spannt sich der Muskel an, ohne seine Länge zu verändern. Ein Beispiel hierfür ist die Anspannung der Brustmuskulatur, wenn man beide Handflächen vor dem Körper gegeneinander drückt.

Muskelschlingen

Die geschilderten Vorgänge der Kontraktion finden bei einer Bewegung niemals in einem einzelnen Muskel allein statt. Vielmehr resultieren Bewegungen grundsätzlich aus einer funktionellen Verbindung mehrerer Muskeln. Diese Muskelgruppen werden auch als Muskelschlingen bezeichnet und umfassen den gesamten Körper (Abb. I.7). So übt ein Muskel nicht nur die Bewegungen aus, die sich aus Ursprung und Ansatz und den von ihm überzogenen Gelenken ableiten, sondern kann darüber hinaus in der jeweiligen Muskelgruppenverbindung weitere Funktionen übernehmen. Das Zusammenspiel verschiedener Muskelgruppen ist insbesondere für die Koordination von Bewegungen entscheidend. Eine gute Koordinationsfähigkeit ermöglicht eine zweckmäßige, ökonomische, präzise und schnelle Adaptation an wechselnde Situationen und Bedingungen, erhöht den Ausnutzungsgrad der Muskelenergie und garantiert die Ästhetik von Bewegungen. In diesem Sinne ist sie gerade für Musiker besonders wichtig.


Abb. I.7: Aktivierung von Muskelschlingen bei der Rumpfdrehung nach rechts

Die Zusammenarbeit verschiedener Muskeln erfolgt nach bestimmten Funktionsprinzipien. Eine Muskelgruppe übernimmt die Hauptaufgabe und führt die gewünschte Bewegung aus. Ihre Muskeln werden Agonisten (von griech. agón, »Wettkampf«) genannt. Die Muskeln, die sie darin unterstützen, sind die Synergisten. Als Gegenspieler der gewünschten Bewegung fungieren die Antagonisten. Sie wirken der eigentlichen Bewegung entgegen, bremsen sie ab und können sie hierdurch feinregulieren. Stabilisierende Muskelgruppen schließlich sorgen dafür, dass andere Körperteile – meist zentrale Körperteile wie der Rumpf – durch die Bewegung der Agonisten und Antagonisten nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Sie arbeiten isometrisch, d. h., die Muskelarbeit vollzieht sich ohne Längenveränderung. Die Verteilung der genannten Muskelfunktionen bei der Haltung der Trompete zeigt Abb. I.8.

Faszien

Faszien (von lat. fascia, »Binde«, »Band«; »Streifen«) sind bindegewebige Strukturen, die den gesamten Körper als Netz durchziehen. Sie umhüllen komplette Muskeln und Organe, geben ihnen ihre Form und unterteilen sie in gesonderte Bereiche (sog. Kompartimente). Faszien dienen als Gleitschicht zwischen einzelnen Muskeln, zwischen Muskeln und Organen und zwischen Muskeln und Knochen. Sie bestehen aus kollagenen Fasern verschiedener Typen, die sowohl eine hohe Elastizität als auch eine hohe Spannkraft aufweisen, so dass die Faszien sich je nach Belastung nahezu unbegrenzt in ihrer Funktion anpassen können. Faszien stützen den Körper, geben ihm Stabilität und halten ihn gleichermaßen beweglich und elastisch. Weiterhin besitzen sie ähnlich wie Muskeln kontraktile Elemente; sie sind also keineswegs nur passives Gewebe. Freie Nervenendigungen für das Schmerzempfinden, Blutgefäße und Rezeptoren für den Stellungssinn sind zahlreich in den Faszien zu finden. Dies macht sie zu einem wichtigen Gewebe für den Bewegungsapparat. Da Faszien als Ketten im Körper auch über weite Strecken miteinander verbunden sind, spielen sie für die Bewegungslehre und ihre funktionellen Verbindungen eine entscheidende Rolle.


Abb. I.8: Zusammenwirken von Agonist, Antagonist und Stabilisator am Beispiel der Spielposition mit der Trompete

Sehnen und Sehnenscheiden

Muskeln sind mit Sehnen an den Knochen befestigt (Abb. I.4, S. 17). Die Sehnen übertragen die Kraft der kontrahierenden Muskelfasern auf die Knochen. Sie bestehen aus festem Bindegewebe und sind außerordentlich belastbar. Bei Überlastung oder nach längerer Ruhigstellung sind die Ansatzstellen der Sehnen sowie der Muskel-Sehnen-Übergänge jedoch empfindlich und verletzungsanfällig.

Sehnenscheiden umhüllen die Sehnen zum Schutz, insbesondere bei gespanntem Verlauf über Gelenke. Sie besitzen eine äußere Bindegewebsschicht und eine innere Gleitschicht (sog. Synovialschicht). Zwischen den Sehnenscheiden und den Sehnen befindet sich ein Flüssigkeitsfilm (Synovia), welcher das Gleiten der Sehnen nochmals verbessert. Sehnenscheiden sind sehr ausgedehnt im Bereich der Hand vorhanden, da hier die Sehnen der Streck- und Beugemuskeln des Unterarms in ihrem langen Verlauf geschützt werden müssen. Sehnenscheiden finden sich am Übergang vom Unterarm zum Handrücken (sechs dorsale Sehnenscheiden), wie in Abb. I.9 zu erkennen, und in der Handinnenseite für die langen Sehnen der Fingerbeugemuskeln und des Daumenbeugemuskels. Daumen und kleiner Finger haben meist durchgehende Sehnenscheiden, während die Beugesehnen der Finger II–IV im Bereich der Hohlhand keine Sehnenscheiden besitzen. Im Handgelenksbereich kann es durch mechanische Überbelastung zur Entzündung der Sehnenscheiden kommen, man spricht dann von einer Sehnenscheidenentzündung oder Tendovaginitis.


Abb. I.9: Sehnenscheiden am rechten Handrücken

1.2 Funktionelle Bewegungseinheiten beim Musizieren

Wie bereits oben dargestellt, erfolgen Bewegungen im Zusammenwirken mehrerer Muskeln in Muskelketten und Muskelschlingen. Hierbei kommen verschiedene Funktionseinheiten vor, die sich aus dem anatomischen Aufbau des Bewegungsapparates ableiten. Diese Funktionseinheiten finden sich in einer Vielzahl von Bewegungen wieder – sei es beim Musizieren, bei Alltagsbewegungen oder sportlichen Aktivitäten.

Im Folgenden werden drei für die Musizierbewegungen besonders wichtige Funktionseinheiten beschrieben und ihre Relevanz für optimale und gesunde Bewegungsabläufe verdeutlicht. Den Ausgangspunkt bildet die Bewegungseinheit von Kopf, Wirbelsäule, Becken und unterer Extremität, da sie die Basis – Stehen und Sitzen – für jegliche Musizierbewegung darstellt. Hierauf aufbauend wird die Funktionseinheit Schultergürtel, Schultergelenk, Arm und Hand als zentrale Bewegungseinheit für das instrumentale Musizieren beschrieben. Als dritte Funktionseinheit werden die an der Ansatzbildung und Stimmproduktion beteiligten – für Bläser und Sänger besonders wichtigen – Strukturen und Organe Brustraum, Kehlkopf und Vokaltrakt vorgestellt.

Die hier beschriebenen Grundprinzipien funktioneller Haltung und Bewegung beim Musizieren werden in Kap. II.6 »Instrumenten- und gesangsspezifische Prävention« auf das Spiel der einzelnen Instrumente sowie das Singen und Dirigieren angewandt. Gerade die im Folgenden besprochenen Grundpositionen Stehen und Sitzen, die Schultergürtel-Arm-Kette sowie Ansatzbildung und Atmung sind in ihrer Funktionalität für Instrumentalisten von zentraler Bedeutung für die Gesundheit. Ungünstige Bewegungsmuster stellen bedeutsame Ursachen für das bei Musikern häufigste Beschwerdebild – das Überlastungssyndrom (synonym auch als »Overuse Syndrom« oder »Repetitive Strain Injury« (RSI) bezeichnet) – dar (Kap. II.5).

Systematische Beschreibung von Bewegung

Bewegungen zu erkennen und zu beschreiben ist nicht einfach. Dies trifft gerade auf Musizierbewegungen zu, die grundsätzlich komplexe Abläufe darstellen und sich zudem während des Spielens je nach musikalischer Aufgabe verändern. Die individuellen Eigenschaften des Spielers – sein Körperbau, seine Art sich zu bewegen – und die spezifischen Eigenschaften des jeweiligen Instruments spielen zusätzlich eine große Rolle. Für das Verständnis der eigenen Spielbewegungen als Musiker und für die Beobachtung von Schülern im Instrumentalunterricht bietet die Beschreibung von Bewegungen nach der Einteilung in Körperachsen und Körperebenen eine wichtige Orientierung.

Durch den Körper lassen sich in der Vorstellung drei Achsen legen, die zueinander senkrecht stehen (Abb. I.10): die Vertikalachse, die Horizontalachse und die Sagittalachse. Die Vertikalachse verläuft im Stehen von Kopf bis Fuß durch den Körper, d. h. senkrecht von oben nach unten. Die Horizontalachse geht von einem Ohr zum anderen, d. h. waagerecht von links nach rechts. Die Sagittalachse (lat. sagitta, »Pfeil«) bohrt sich wie ein Pfeil durch die Brust, d. h., sie verläuft von vorn nach hinten.

Aus diesen Körperachsen lassen sich nun drei zugehörige Ebenen bilden: die Frontalebene (synonym Koronarebene), die Horizontalebene (synonym Transversalebene) und die Sagittalebene. Auch die drei Ebenen stehen senkrecht zueinander (Abb. I.10). Die Frontalebene steht wie eine Wandfläche vor dem Körper, die Horizontalebene verläuft waagerecht wie eine Tischplatte, die Sagittalebene »schneidet« den Körper von vorn nach hinten senkrecht durch.


Abb. I.10: Bewegungsachsen und Ebenen des Körpers

Körperachsen und Körperebenen beziehen sich immer auf den Körper selbst, d. h., der Körper nimmt die Achsen und Ebenen mit, wenn er sich im Raum bewegt. Es gibt wenige Bewegungen mit dem Instrument, die nur in einer Ebene um ihre dazugehörige Achse stattfinden. Ein Beispiel hierfür ist die Drehung (Rotation) des Oberkörpers nach links bei Flötisten. Sie findet um die Vertikalachse in der Horizontalebene statt (Abb. I.11).


Abb. I.11: Beispiel für Drehung um die Vertikalachse bei einem Querflötisten

Die meisten Bewegungen sind jedoch kombinierte Bewegungen um mehrere Achsen in verschiedenen Ebenen. Ein Beispiel hierfür ist die Bewegung des Bogenarms beim Geigenspiel auf der E-Saite (Abb. I.12). Die Bewegung lässt sich hauptsächlich als ein Anheben des rechten Oberarms in der Frontalebene um die Sagittalachse beschreiben. Allerdings bewegt sich der Arm dabei auch nach vorn in der Sagittalebene und um die Horizontalachse. Spielt die Geigerin auf der G-Saite, kommt noch eine Drehkomponente in der Horizontalebene hinzu (Abb. I.13). Wie dieses Beispiel zeigt, kann eine Bewegung sehr komplex sein. Hier unterstützt die systematische Beschreibung anhand der Körperachsen und Körperebenen die Wahrnehmung und die Beobachtungsgenauigkeit (vgl. Tab. I.1, S. 28).

In der Unterrichtspraxis empfiehlt es sich, Spielbewegungen bei Schülern zunächst in jeder der drei Ebenen getrennt zu beobachten. Dies ermöglicht auch zu überprüfen, welche Folgen Bewegungsänderungen in einer Ebene auf die Bewegungsabläufe in den anderen Ebenen haben.


Abb. I.12: Position des Bogenarms beim Spiel auf der E-Saite

Wirbelsäule, Becken und untere Extremität – Stehen und Sitzen

Wirbelsäule

Die Wirbelsäule besteht aus 24 freien Wirbeln mit paarigen Wirbelgelenken (Abb. I.14) und ist mit ihrer doppelten s-förmigen Krümmung ein Meisterwerk an Bewegung, Federung und Stabilität. Bandscheiben zwischen den Wirbeln ermöglichen eine große Flexibilität, gleichen einwirkende Kräfte aus und wirken als Puffer gegen Stoßbelastungen (Abb. I.15).

Von unten nach oben besteht die Wirbelsäule aus den vier zusammengewachsenen Wirbeln des Steißbeins und den fünf verschmolzenen Wirbeln des Kreuzbeins. Die Lendenwirbelsäule mit fünf Wirbeln weist die für sie typische physiologische Krümmung (sog. Lordose) auf. Im Anschluss an die Lendenwirbelsäule folgen zwölf Wirbel der Brustwirbelsäule, welche eine entgegengesetzte (sog. kyphotische) Krümmung zeigen. Daran schließt sich die Halswirbelsäule an, welche aus den sieben Halswirbeln gebildet wird und wiederum eine lordotische Krümmung besitzt (Abb. I.14).

Betrachtet man die Wirbelsäule von hinten, so zeigt sie einen geraden Verlauf. Bei manchen Menschen besteht in einem oder mehreren Wirbelsäulenabschnitten jedoch eine seitliche Abweichung (Abb. I.16). Diese wird als Skoliose bezeichnet. Am häufigsten ist eine Skoliose im Bereich der Brustwirbelsäule nach rechts anzutreffen. Unterschiedlich hohe Schultern und das Abstehen eines Schulterblatts auf einer Seite können Hinweise sein auf eine funktionelle Skoliose. Diese Anzeichen sind auch für einen Instrumentalpädagogen beim Schüler leicht erkennbar. In einem solchen Fall sollte eine orthopädische Untersuchung erfolgen, um die Fehlhaltung richtig einzuordnen. Auf keinen Fall sollte der Schüler gezwungen werden, die hoch stehende Schulter nach unten zu drücken, da dies die Skoliose zusätzlich fixieren würde.


Abb. I.13: Position des Bogenarms beim Spiel auf der G-Saite


Abb. I.14: Aufbau der Wirbelsäule

Abb. I.15: Wirbelkörper mit Bandscheibe

Die verschiedenen Wirbelsäulenabschnitte besitzen aufgrund ihrer Krümmung und der Stellung ihrer Gelenke bevorzugte Bewegungsrichtungen. Für Musiker ist es von Vorteil, diese zu kennen, da hierdurch das Risiko herabgesetzt wird, Spielbewegungen entgegen der funktionellen Voraussetzungen der Wirbelsäule zu erzwingen. Auch mögliche ungünstige Ausweichbewegungen können so vermieden werden (vgl. auch unten S. 28 f.).

Die Lendenwirbelsäule verfügt über eine sehr gute Streckung, kann sich jedoch nur wenig – bis zur Geraden – beugen. Seitneigung und Drehung sind in der Lendenwirbelsäule nur sehr eingeschränkt möglich, eine gewisse Beweglichkeit besteht im Übergang zur Brustwirbelsäule.

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Abb.I.16a–c: Unterschiedliche Formen der Wirbelsäule von hinten:

a) gerade Wirbelsäule, b) Skoliose nach links durch Beckenschiefstand, c) Skoliose der Brustwirbelsäule nach rechts

Im Brustwirbelsäulenabschnitt liegt dagegen die Beweglichkeit hauptsächlich in der Drehung, während aufgrund des Brustkorbs und der Rippen die Seitneigung eingeschränkt ist. Die Beugung ist gegenüber der Streckung im Brustwirbelsäulenbereich bei vielen Menschen deutlich stärker ausgeprägt. Dies liegt an der im Alltag überwiegend nach vorn ausgerichteten sitzenden Haltung, welche die Beugung der Brustwirbelsäule stark begünstigt. Hinzu kommt die anatomische Struktur der dachziegelartigen Form der Dornfortsätze an den Brustwirbelkörpern, welche die Streckung im Brustwirbelsäulenabschnitt von vornherein funktionell begrenzt.

Am Übergang von der Brust- zur Halswirbelsäule treffen zwei Wirbelsäulenabschnitte mit unterschiedlicher Beweglichkeit aufeinander. Während der obere Abschnitt der Brustwirbelsäule durch die Verbindung zu den oberen Rippen in seiner Beweglichkeit eingeschränkt ist, stellt die Halswirbelsäule den beweglichsten Abschnitt der Wirbelsäule dar. Funktionell kann es zu einer mangelnden Mitbewegung der oberen Brustwirbel kommen, so dass der Hauptteil der Bewegung auf die Halswirbelsäule – insbesondere zwischen 5. und 6. sowie 6. und 7. Halswirbel – entfällt. Diese Situation kann zu Fehlpositionen der Halswirbelsäule führen und kann die Spielbewegungen mit dem Instrument deutlich beeinträchtigen.

Rücken- und Bauchmuskulatur

Die Rückenmuskulatur besteht aus großflächigen, oberflächlich liegenden und aus kleinen, tiefliegenden Muskeln, die als sog. autochthone (von griech. autos, »unmittelbar« und chthon, »Heimat«) Rückenmuskeln bezeichnet werden, da sie ursprünglich am Rücken entstanden sind. Die wichtigsten oberflächlichen Muskeln sind der große Trapezmuskel und der breite Rückenmuskel. Muskuläre Verspannungen treten häufig im oberen Anteil des Trapezmuskels, im Schulterblattheber und in den Rautenmuskeln zwischen Schulterblatt und Wirbelsäule auf (Abb. I.17).


Abb. I.17: Oberflächlich gelegene Rückenmuskulatur

Die tiefen Rückenmuskeln setzen sich aus einem Netzwerk kleiner Muskeln zusammen. Die tiefsten und kürzesten Muskeln verlaufen beidseits entlang der Wirbelsäule von den seitlichen Querfortsätzen zu den mittigen Dornfortsätzen der Wirbelkörper. Damit bilden sie ein schräges Muskelsystem (sog. tiefe Rotatoren), das die Wirbelsäule stabilisiert (Abb. I.18). Ziehen sich die Muskeln einer Seite zusammen, erfolgt eine Drehung des Rumpfes zur gegenüberliegenden Seite. Drehbewegungen des Rumpfes sind deshalb gut geeignet, die tiefliegenden Rückenmuskeln zu trainieren. Oberhalb dieser Muskeln ziehen lange Muskeln vom Becken bis zu den Rippen und Querfortsätzen der einzelnen Wirbel. Diese vertikalen autochthonen Rückenmuskeln richten die Wirbelsäule auf (Abb. I.18).

Die Bauchmuskulatur besteht aus großflächigen und breiten Muskelzügen, die ein vertikales und ein horizontales System sowie zwei Schrägsysteme bilden (Abb. I.19). Die Hauptaufgaben der Bauchmuskulatur sind die Beugung und Drehung des Rumpfes, die Aufrichtung des Beckens und die Beteiligung an der Atmung, insbesondere bei der Sänger- und Bläseratmung (vgl. Kap. I.1.3).


Abb. I.18: Die tiefliegenden Rückenmuskeln


Abb. I.19: Vertikales, horizontales und schräges System der Bauchmuskulatur von vorn

Becken

Das Becken verbindet Rumpf und Beine und beeinflusst durch seine Stellung sowohl den Aufbau der Wirbelsäule nach oben bis zum Hals-Kopf-Übergang als auch nach unten über die Hüftgelenke und Beine bis in die Füße. Damit besitzt das Becken eine zentrale Bedeutung für die gesamte Aufrichtung des Körpers und die Körperachse. Abb. I.21 zeigt unterschiedliche Stellungen des Beckens im Zusammenhang mit der Statik der Wirbelsäule.

Das knöcherne Becken besteht aus den drei Knochen Darmbein, Schambein und Sitzbein (Abb. I.20). Über das stabile und belastbare Kreuzdarmbeingelenk (Iliosakralgelenk) ist die Wirbelsäule mit dem Becken verbunden. Der muskuläre Beckenboden ist ein komplexes Funktionssystem, das dem Becken von unten Stabilität verleiht.

Im Stehen wird das Gewicht des Rumpfes über die Hüftgelenke auf beide Beine verteilt.

Die wichtigste muskuläre Verbindung des Beckens zur unteren Extremität bildet der tiefliegende Lendendarmbeinmuskel (M. iliopsoas) (Abb. I.22). Er entsteht aus der Verbindung des großen Lendenmuskels (M. psoas), der von der Vorderseite der gesamten Lendenwirbelsäule bis zum 12. Brustwirbel entspringt, und des Darmbeinmuskels (M. iliacus). Der Lendendarmbeinmuskel setzt über seine Sehne an der hinteren Innenseite des Oberschenkelkopfes an und verbindet anatomisch und funktionell Zwerchfell, Wirbelsäule, Becken und Hüftgelenke miteinander. Der Spannungszustand des Lendendarmbeinmuskels reguliert auch den Grad der Kippung im Becken und hat damit weitreichenden Einfluss auf die Bewegungen der gesamten Wirbelsäule.


Abb. I.20: Der knöcherne Aufbau des Beckens von vorn

Abb. I.21a–e: Position des Beckens und Aufrichtung der Wirbelsäule: a) ideale Aufrichtung, b) nach vorn gekipptes Becken und Hohlkreuz, c) nach hinten gekipptes Becken und Rundrücken, d) gerade eingestelltes Becken und Flachrücken, e) nach vorn geschobenes Becken und Überhang der Brustwirbelsäule nach hinten. Die Richtung, in die das Becken gekippt wird, orientiert sich am oberen Darmbeinstachel (vgl. Abb. I.20)


Abb. I.22: Der Lendendarmbeinmuskel (M. iliopsoas) mit zwei Muskelbäuchen

An der Aufrichtung und Stabilisation des Oberkörpers beim Stehen und Sitzen sind die tiefe Wirbelsäulenmuskulatur, die tiefe Bauchmuskulatur, der Beckenboden und das Zwerchfell maßgeblich beteiligt. Bei der Aufrichtung des Rumpfes arbeitet die Rückenmuskulatur mit der Bauchmuskulatur, vor allem mit dem tiefliegenden queren Bauchmuskel (M. transversus abdominis), zusammen. Weiterhin sorgt ein adäquater Tonus des Beckenbodens für eine optimale Aufrichtung des Kreuz- und Steißbeins.

Durch die enge Verbindung des Lendendarmbeinmuskels zum Zwerchfell bestehen auch wechselseitige Einflüsse mit der Atembewegung (Kap. I.1.3). Das Zwerchfell ist an den Rippen und der Vorderseite der Lendenwirbelsäule befestigt und unterstützt ebenfalls die Stabilisierung der Wirbelsäule. Gleichzeitig hält die Lendenwirbelsäulenmuskulatur dem Zug des Zwerchfells während der Atmung stand. Die Krafteinwirkungen des M. iliopsoas und des Zwerchfells (Zwerchfellschenkel) treffen im Bereich des dritten Lendenwirbels aufeinander.

Untere Extremität

Aus der Stellung der Hüfte und des Fußes ergeben sich die Beinachse und die Ausrichtung des Kniegelenks. Einseitiges Kippen auf die Außen- oder Innenseite des Fußes belastet das Kniegelenk. Die Knie sollten im Stehen nicht »durchgedrückt« sein. Dies gilt generell, jedoch insbesondere für Musiker, die im Stehen musizieren. Die Kniegelenke sind ausreichend locker, wenn das Knie auf einer gedachten Linie vom Hüftgelenk bis zur Mitte des Sprunggelenks liegt (Abb. I.23b). Ist das Knie hinter dieser Linie positioniert, ist es zu sehr gestreckt. Auf eine ausführliche Darstellung der Anatomie der unteren Extremität wird an dieser Stelle verzichtet.2

Blickrichtung auf den Musiker Ebene Bewegung Achse
von der Seite Sagittalebene beugen und strecken Horizontalachse
von vorn oder von hinten Frontalebene zur Seite vom Körper wegführen und heranziehen Sagittalachse
von oben Horizontalebene nach innen und nach außen drehen Vertikalachse

Tab. I.1: Blickrichtungen, Ebenen und Achsen zur Beobachtung von Spielposition und Spielbewegungen

Stehen und Sitzen

Eine optimale Aufrichtung im Stehen und Sitzen mit einer ausgewogenen Gewichtsverteilung zwischen beiden Füßen bzw. Sitzbeinhöckern stellt die entscheidende Ausgangsbasis für alle Bewegungsabläufe beim Musizieren dar.

Stehen und Sitzen sind die Grundpositionen, in denen musiziert wird. Hierbei ist zusätzlich von Bedeutung, ob das Instrument vom Spieler gehalten werden muss, welches Gewicht es hat und in welcher Orientierung und Entfernung es zum Körper gespielt wird. Wie bereits oben beschrieben (Abb. I.12 und I.13), sind Spielpositionen und Spielbewegungen in der Regel so komplex, dass sie in mehreren Achsen und Ebenen betrachtet werden müssen. Allerdings kann hierbei leicht der Überblick verloren gehen. Im Folgenden werden deshalb zur besseren Orientierung das Stehen und Sitzen nacheinander in der Sagittalebene, der Frontalebene und der Horizontalebene hinsichtlich wichtiger Prinzipien für das Instrumentalspiel beschrieben. Die Zuordnung der Blickrichtungen, Ebenen, Bewegungen und Achsen verdeutlicht Tab. I.1.


Abb. I.23a und b: a) Klarinettist in idealer Aufrichtung in der Sagittalebene, b) anatomische Darstellung

Sagittalebene

Die ideale Position im Stehen ist bei Betrachtung von der Seite an der Lotlinie abzulesen (Abb. I.23a und b). Die Lotlinie zieht vor dem Ohr vorbei durch die Mitte des Schultergelenks, die Mitte des Hüftgelenks, das Kniegelenk und die Mitte des Sprunggelenks. Das Körpergewicht ist in der Mitte des Fußes über dem Längsgewölbe spürbar. In dieser idealen Aufrichtung bleiben die natürlichen Krümmungswinkel der Wirbelsäule erhalten und die Knochen befinden sich so nah an der Mittelachse, wie es die Struktur erlaubt. Die Schwerkraft wirkt auf den Körper so ein, dass die größtmögliche Balance erreicht wird und keine unnötige muskuläre Arbeit geleistet werden muss. Diese Art der Aufrichtung im Stehen und im Sitzen schafft ideale Voraussetzungen für freie und kraftvolle Bewegungen der oberen Extremität, so wie sie beim Musizieren benötigt werden.


Abb. I.24a und b: a) Klarinettist mit gestreckten Knien, Hohlkreuz und angedeutetem Rundrücken in der Sagittalebene, b) anatomische Darstellung

Kurzfristige Abweichungen von der idealen Aufrichtung sind unter gesundheitlichen Gesichtspunkten unbedenklich, da es sich tatsächlich um ein Ideal handelt, das nicht in jedem Augenblick erreichbar ist. Hiervon abgesehen kann es jedoch auch zu permanenten abweichenden Haltungsmustern kommen, die ungünstige Ausgangsbedingungen für das Musizieren darstellen. Eines dieser Muster ist die Kombination einer starken Hohlkreuzbildung in der Lendenwirbelsäule mit einer starken kyphotischen Krümmung der Brustwirbelsäule (Abb. I.24a und b). In der Folge verschieben sich Halswirbelsäule und Kopf nach vorn und geraten außerhalb der Lotlinie. Diese Kopf-Hals-Verbindung ist ungünstig für Sänger und Bläser, da sie sich auf Ebene des Kehlkopfs und der Atmung störend auswirkt (s. u.). Ein häufiger Auslöser für diese Fehlstellung ist das Durchdrücken der Knie. Hierdurch kippt das Becken nach vorn und die Lendenwirbelsäulenlordose verstärkt sich. Ein dynamischer, flexibler Stand ist dann nicht mehr möglich, ökonomische Bewegungen werden weitgehend verhindert.


Abb. I.25a und b: a) Klarinettist mit stark gebeugten Knien, nach hinten gekipptem Becken und flachem Rücken in der Sagittalebene, b) anatomische Darstellung

Versucht nun ein Musiker diese Position zu korrigieren, so kann es zu einer Überkorrektur kommen. Hierbei werden die Knie im Stehen besonders stark gebeugt und das Becken nach hinten gekippt (Abb. I.25a und b).

Eine weitere verbreitete Haltungsvariante – insbesondere unter jugendlichen Instrumentalschülern – besteht außerdem im Vorschieben des Beckens und Rundmachen der Brustwirbelsäule, wobei hier die Lotlinie ganz aus der Körpermitte nach hinten verlagert ist.


Abb. I.26a und b: Halten des Instruments bei einem Trompeter (a) und einem Posaunisten (b)

Beim Instrumentalspiel im Stehen müssen im Zusammenhang mit der Aufrichtung auch die Hebelkräfte berücksichtigt werden, die bei manchen Instrumenten durch das Halten des Instrumentengewichts und durch die Spielbewegungen auf den Körper einwirken. Diese Kräfte werden umso größer, je weiter entfernt vom Körper der Instrumentalist agiert. Je nach Instrument kann dies sehr unterschiedlich sein, wie der Vergleich eines Trompeters und eines Posaunisten (Abb. I.26a und b) zeigt.

Wie bei einem Kran muss das Gegengewicht umso stärker sein, je länger der Hebel des Auslegers ist. Somit hat ein Posaunist grundsätzlich mehr muskuläre Arbeit zu leisten als ein Trompeter oder Klarinettist, deren Instrumente näher am Körper gehalten und gespielt werden. Je mehr muskuläre Arbeit zu leisten ist, desto wichtiger ist es, dass die Körperwahrnehmung und die Balance- und Stabilisationsfähigkeit der tiefen Rückenmuskeln (s. o.) ausreichend gut entwickelt sind. Ist dies nicht der Fall, kann es zu Ausweichbewegungen kommen. Die häufigste Art der Kompensation besteht darin, dem vorn wirkenden Hebel des Instruments hinten ein Gewicht entgegenzusetzen, indem das Becken in der Horizontalen nach vorn geschoben wird und gleichzeitig der obere Rücken nach hinten ausweicht (Abb. I.27). Die Auswirkungen dieser Spielposition bestehen in einer erhöhten Kompression der Facettengelenke und der Bandscheiben der Wirbelsäule. Weiterhin sind durch die Rücklage des Oberkörpers die Bauchmuskeln und der Lendendarmbeinmuskel (M. iliopsoas) in ständiger Anspannung, während die Rückenmuskulatur an Spannkraft verliert. Hierdurch sind die Atembewegungen behindert und es können sich zusätzlich längerfristig Rückenbeschwerden entwickeln. Dieses Beispiel zeigt anschaulich, zu welchen Druck- und Spannungszuständen in Gelenken, Bandscheiben und Muskeln eine vermeintlich geringfügige Kompensationshaltung führen kann.


Abb. I.27: Ausweichen nach hinten als Gegengewicht zum Posaunenzug

Auch beim Sitzen mit Instrument hängt die Aufrichtung der Wirbelsäule wesentlich von der Positionierung des Beckens mit den Sitzbeinhöckern ab. Die Wirbel der Wirbelsäule verlaufen aus der Beckenposition nach oben bis zum Kopf wie eine aufgereihte Perlenkette. Befindet sich das Becken in Neutralposition, d. h., sitzt der Spieler auf den Sitzbeinhöckern, so nehmen Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule ihre physiologischen Krümmungen ein. Dies stellt die ideale Sitzposition beim Spielen dar (Abb. I.28). Ist das Becken dagegen nach vorn gekippt, d. h., sitzt der Spieler vor den Sitzbeinhöckern, folgen hieraus eine verstärkte Lordose der Lenden- und Halswirbelsäule und eine verringerte Kyphose der Brustwirbelsäule (Abb. I.29). Ist das Becken nach hinten gekippt, sitzt der Spieler also hinter den Sitzbeinhöckern, ist die Lordose der Lendenwirbelsäule aufgehoben, die Kyphose der Brustwirbelsäule wird verstärkt und die Halswirbelsäule stärker gebeugt (Abb. I.30).


Abb. I.28: Geigerin in idealer Sitzposition


Abb. I.29: Geigerin in Sitzposition »vor den Sitzbeinhöckern«


Abb. I.30: Geigerin in Sitzposition »hinter den Sitzbeinhöckern«

Beim Spielen im Sitzen sollte das Becken so eingestellt sein, dass der Spieler auf den Sitzbeinhöckern sitzt. Aus dieser Position ist er für die unterschiedlichen Spielbewegungen in alle Richtungen flexibel. Hierfür ist eine Sitzgelegenheit mit einer neutralen, geraden Sitzfläche von Vorteil. Auch vorübergehend vor oder hinter den Sitzbeinhöckern zu sitzen schadet der Wirbelsäule dann nicht, wenn sich hieraus kein überdauerndes Haltungsmuster entwickelt.

Auch wenn die Prinzipien der Aufrichtung im Sitzen und Stehen funktionelle Gemeinsamkeiten aufweisen, die sich hauptsächlich auf die Stellung des Beckens und den daraus folgenden Aufbau der Wirbelsäule beziehen, so gibt es auch Hinweise auf Unterschiede beim Spiel desselben Instruments im Sitzen und Stehen. So war in Untersuchungen bei Geigern zu beobachten (Spahn et al. 2014; Wasmer und Eickhoff 2011), dass im Sitzen die Tendenz besteht, den Lendenwirbelsäulenbereich beim Spielen bewegungslos zu halten, während im Stehen eine durchlässige Bewegung entlang der gesamten Wirbelsäule zu sehen war. Auch die Position am Notenpult spielte eine Rolle. Links am Pult sitzend waren bei Geigern Brustkyphose und Halslordose weniger stark ausgeprägt als rechts am Pult sitzend. Insgesamt zeigte sich links am Pult ein freieres Spielverhalten mit größeren Bewegungen in Hals- und Brustwirbelsäule.

Der Verbindung Kopf-Halswirbelsäule-Brustwirbelsäule kommt für die Aufrichtung beim Instrumentalspiel sowohl im Stehen als auch im Sitzen eine besondere Bedeutung zu.

Die Einstellung der Lotlinie entlang der Brustwirbelsäule, Halswirbelsäule und des Kopfes ist für Musiker, insbesondere für Bläser, von entscheidender Bedeutung. Die Lotlinie zieht in der Verlängerung des Halses vor dem Ohr nach oben. Bläser sollten aus dieser Position heraus das Instrument zum Mund führen (Abb. I.31), nicht umgekehrt den Kopf nach vorn zum Instrument bewegen (Abb. I.32).

Auf die Funktionseinheit Kopf-Halswirbelsäule-Schultergürtel wirken beim Spielen Kräfte ein, die von den Gelenken und der Muskulatur der Halswirbelsäule aufgefangen werden müssen. Wie bereits oben erklärt, ist die Halswirbelsäule aufgrund ihrer hohen Beweglichkeit dem Risiko ausgesetzt, am Übergang zur weniger beweglichen Brustwirbelsäule nach vorn abzuknicken. Verstärkt wird eine solche ungünstige Position durch eine zu stark gebeugte Brustwirbelsäule – einen »Rundrücken« – sowie das Nach-vorn-Schieben des Kopfes – »Kinn vor« (Abb. I.32). Da in dieser Fehlhaltung die tiefe Muskulatur der Halswirbelsäule nicht optimal arbeiten kann, springen zur Stabilisierung die oberflächlichen Muskeln des Schultergürtels ein. Unter diesen ist hauptsächlich der absteigende Anteil des Trapezmuskels (Abb. I.33) betroffen. Eine erhöhte, länger andauernde Anspannung kann zu den bei Musikern häufigen Schulter-Nacken-Verspannungen und in der Folge zu Spannungskopfschmerzen führen.


Abb. I.31: Trompeter in physiologischer Kopf-Hals-Verbindung: »Instrument kommt zum Spieler«

Nicht nur Bläser, auch Tiefe Streicher können durch den großen Abstand zum Notenständer leicht mit dem Kopf zu weit nach vorn geraten. Bei ihnen ist neben der Wahrnehmung für die richtige Stellung des Kopfes in der Lotlinie ein gutes Sehen wichtig (vgl. Kap. I.5, Abb. I.34). Bei Tiefen Streichern verführen Lagenwechsel, bei denen die Greifhand eine große Distanz auf dem Griffbrett zu überwinden hat und der Spieler die Position auf dem Griffbrett optisch kontrollieren möchte, dazu, einen Rundrücken zu bilden oder die Schultern nach vorn zu ziehen (Abb. I.35a). Diese Haltung kurzfristig einzunehmen ist unproblematisch, allerdings sollte beim Wechsel in die tiefere Lage eine Rückkehr in die optimale Sitzhaltung erfolgen (Abb. I.35b). Das Risiko liegt auch hier darin, unnötigerweise in unphysiologischen Mustern zu verharren.


Abb. I.32: Trompeter in nach vorn abweichender Kopf-Hals-Verbindung: »Spieler kommt zum Instrument«

Abb. I.33: Der Trapezmuskel von hinten mit seinen drei Anteilen


Abb. I.34: Cellistin mit Abweichung der Kopfstellung aus der Lotlinie beim Lesen der Noten

Frontalebene

Für die Orientierung in der Frontalebene ist eine gute Körperwahrnehmung hinsichtlich der Einstellung des Beckens und Oberkörpers sowie der Gewichtsverteilung über den Fußsohlen und Hüftgelenken wichtig. Instrumentallehrer können bei ihren Schülern aus der Perspektive von vorn beobachten, ob die Belastung flexibel zwischen beiden Füßen liegt und ob eine Balance aus der Mitte heraus erfolgt.


Abb. I.35a und b: Sitzhaltung beim Lagenwechsel auf dem Cello: a) Rundrücken, b) physiologische Aufrichtung


Abb. I.36: Position der Sitzbeinhöcker und des Beckens von hinten im Sitzen


Abb. I.37: Hüftbreiter Stand als Ausgangsposition (Frontalebene)

Gewichtsverlagerungen zwischen rechts und links – auf den Füßen beim Spiel im Stehen und auf den Sitzbeinhöckern beim Spiel im Sitzen – sind wichtig, da sie eine ausreichende Flexibilität garantieren. Hierbei sollte die Mittelachse als Orientierung für den Spieler spürbar bleiben.

Bei einem hüftbreiten Stand – wie er Musikern wegen der optimalen Flexibilität in der Gewichtsverteilung unbedingt zu empfehlen ist – entspricht der Abstand zwischen den Füßen dem Abstand zwischen den beiden Punkten etwa in der Mitte der Leiste und ist damit enger, als meistens angenommen wird. Dies kann anhand der Abb. I.37 nachvollzogen werden. Hier ist zu sehen, dass die Hüftgelenke näher Richtung Körpermitte, d. h. in der Tiefe der Leiste, liegen und nicht zu verwechseln sind mit den großen Rollhügeln (Trochanter major) der Oberschenkelknochen, welche seitlich an den Beinen am Übergang zum Becken gut zu tasten sind. Im Sitzen wird das Gewicht des Oberkörpers über die beiden Sitzhöcker an die Sitzfläche des Stuhls abgegeben (Abb. I.36).

In Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe bei Violinisten (Spahn et al. 2014; Wasmer und Eickhoff 2011) zeigte sich, dass sich die Gewichtsverteilung beim Geigenspiel im Sitzen und Stehen systematisch unterscheidet. Während im Stehen das Körpergewicht auf dem rechten und linken Fuß gleichmäßig verteilt war, fand im Sitzen eine systematische und signifikant stärkere Verlagerung auf den linken Sitzbeinhöcker statt. Auch in Abhängigkeit von der Position zum Notenpult waren systematische Unterschiede in der Gewichtsverteilung festzustellen. Beim Sitzen rechts am Notenpult war das Gewicht stark auf den rechten Sitzbeinhöcker verlagert, während links am Notenpult eine wesentlich ausgeglichenere Gewichtsverteilung vorherrschte.

Beim Klavierspiel stellt die Gewichtsverlagerung nach rechts und links eine Anforderung dar, um alle Tasten im Diskant und Bass erreichen zu können. Da die Tastatur gerade ist, muss die »fehlende« Krümmung durch gleichzeitige Rotation in der Vertikalachse ausgeglichen werden (Abb. I.38a und b).

Horizontalebene

Instrumente mit asymmetrischer Grundposition wie Querflöte, Violine oder Bratsche erfordern eine Rotation in der Horizontalebene (Abb. I.11 und I.39). Beim Geigen- und Bratschenspiel ist die Einstellung der Verbindung von Kopf, Hals- und Brustwirbelsäule besonders wichtig. Das Ziel hierbei ist, Rotation und Beugung in der Halswirbelsäule möglichst gering zu halten (Abb. I.39). Hierfür müssen ergonomische Hilfsmittel wie Schulterstützen und Kinnhalter individuell optimal angepasst werden. Insbesondere sollte kein Druck auf den Kinnhalter ausgeübt werden, um das linke Kiefergelenk nicht zu belasten. Dies dient insbesondere der Vorbeugung einer Fehlfunktion im Kiefergelenk, der sog. craniomandibulären Dysfunktion (Steinmetz et al. 2009). Hinsichtlich der Position von Geigern am Notenpult fand sich rechts am Pult eine stärkere Kopfneigung als links am Pult (Spahn et al. 2014; Wasmer und Eickhoff 2011).


Abb. I.38a und b: Gleichgewichtsverlagerung am Klavier zum Erreichen von: a) Diskantlage nach rechts und b) Basslage nach links


Abb. I.39: Violinistin mit geringer Rotation und Beugung in der Halswirbelsäule

Schultergürtel, Schultergelenk, Arm und Hand – Spielbewegungen

Schultergürtel, Schultergelenk, Arm und Hand bilden eine weitere Funktionseinheit (Abb. I.40), die für Musiker von zentraler Bedeutung ist, da alle Instrumentalisten mit den Fingern direkten Kontakt mit ihrem Instrument haben und hier die Musizierbewegungen stattfinden. Im vorherigen Abschnitt wurde bereits deutlich, dass bei einer idealen Aufrichtung im Stehen und Sitzen die Stellung des Beckens und der verschiedenen Wirbelsäulenabschnitte eng ineinandergreifen. In vergleichbarer Weise findet dies auch in der Funktionseinheit Schultergürtel-Schulter-Arm-Hand statt (Abb. I.41).


Abb. I.40: Die knöchernen Bestandteile von Schultergürtel, Schultergelenk, Arm und Hand (rechte Seite in Supinationsstellung)

Schultergürtel

Zum Schultergürtel gehören das Brustbein (sternum), die beiden Schlüsselbeine (clavicula) auf der Vorderseite des Körpers (Abb. I.43) und die beiden Schulterblätter (scapula) auf der Rückseite (Abb. I.42). Der gesamte Schultergürtel ist lediglich zwischen Schlüsselbein und Brustbein im sog. Sternoclaviculargelenk mit dem Rumpfskelett verbunden. Die beiden Sternoclaviculargelenke lassen sich gut selbst ertasten. Sie befinden sich vorn rechts und links neben der Grube, dem sog. Jugulum (auch »Drosselgrube«), die von der Halsmuskulatur und den Enden der Schlüsselbeine gebildet wird. Legt man den linken Finger auf das rechte Gelenk und hebt den rechten Arm nach oben, so kann man die Bewegung im Sternoclaviculargelenk spüren.


Abb. I.41: Die Funktionskette Schultergürtel, Schultergelenk, Arm und Hand von oben; die linke Seite entspricht der Spielposition am Klavier


Abb. I.42: Brustwirbelsäule und Brustkorb, Schulterblätter und Schlüsselbeine, Ansicht von hinten

Der Schultergürtel hat – ähnlich wie das Becken für die untere Extremität – die Aufgabe, für eine ausreichende Stabilität zu sorgen, damit Arme und Hände frei agieren können. Im Gegensatz zum knöchernen Becken bezieht der Schultergürtel seine Stabilität jedoch hauptsächlich aus dem Zusammenwirken von Muskelschlingen. Diese Muskelschlingen bieten den Bewegungen der Hände und Arme ein stabiles Widerlager.

Das Schulterblatt bildet mit dem Ende seiner Schulterblattgräte, dem Acromion, das Schulterdach (Abb. I.44). Im Acromioclaviculargelenk ist das Acromion mit dem Schlüsselbein verbunden. Das Schulterblatt wird auf den Rippen ausschließlich von Muskeln gehalten. Es kann durch ein Schlaufensystem verschiedener Muskeln auf dem Brustkorb nach oben, unten und zur Seite gleiten und auf den Rippen gekippt und gedreht werden (Abb. I.45). Bei Bewegungen des Armes erfolgt eine differenzierte Koordination zwischen Schulterblatt und Schultergelenk, die auch als »scapulo-humeraler Rhythmus« bezeichnet wird. Wird der Arm beispielsweise seitlich gehoben, bewegt sich das Schulterblatt mit, indem es mit seinem unteren äußeren Rand nach oben eine gleitende Drehbewegung auf dem Brustkorb ausführt. Hierdurch wird die Gelenkpfanne des Schultergelenks angehoben und die Beweglichkeit im Schultergelenk stark erhöht. Für die Position der Schultergelenke ist außerdem entscheidend, wie flach das Schulterblatt auf dem Brustkorb aufliegt. Ist das Schulterblatt bei einer physiologisch geformten Brustwirbelsäule gut auf dem Brustkorb verankert, so sind die Gelenkpfannen der Schultergelenke seitlich ausgerichtet und es besteht eine hohe Beweglichkeit im Schultergelenk. Ist die Brustwirbelsäule jedoch zu stark kyphotisch gekrümmt – wie beim »Rundrücken« –, so steht das Schulterblatt am Rücken ab und die Schultern »fallen nach vorn«. In diesem Fall ist die Beweglichkeit im Schultergelenk deutlich geringer. Für das Musizieren ist dies ungünstig, da die Arbeit der Schultermuskulatur dadurch gestört wird.


Abb. I.43: Aufbau des Schultergürtels von vorn


Abb. I.44: Aufbau des Schulterblatts


Abb. I.45: Die Muskelschlaufensysteme des Schulterblatts: zwei Schrägsysteme und ein Horizontalsystem

Die Schlüsselbeine beeinflussen durch ihre Form ebenfalls die Stellung der Schulterblätter und Schultern. Da das Schlüsselbein mit dem Acromion, dem höchsten Punkt der Schulterblattgräte, ein Gelenk bildet (s. o.), ist das Schulterblatt am Rücken desto besser platziert, je gerader das Schlüsselbein ist.

Schultergelenk

Das Schultergelenk ist das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers. Es ist stärker auf Mobilität als auf Stabilität ausgerichtet, denn im Gegensatz zu anderen Gelenken fehlt ihm eine knöcherne Umfassung durch eine gewölbte Pfanne. Die Pfanne des Schultergelenks – ein Teil des Schulterblatts (s. o.) – ist nahezu plan und dies ermöglicht dem Oberarmkopf große Bewegungsfreiheit. Diese wird durch eine weite, schlaffe Kapsel unterstützt. Für die Stabilität des Gelenks ist – außer dem Kapsel-Band-Apparat (Abb. I.3) – hauptsächlich eine tiefliegende Muskelgruppe aus vier Muskeln, den sog. Rotatoren, zuständig. Sie liegen wie eine Manschette um den Oberarmkopf und werden deshalb als Rotatorenmanschette bezeichnet. Sie sind für die Innen- und Außendrehung des Armes sowie für die Zentrierung des Oberarmkopfs in der Pfanne zuständig. Von den vier Muskeln der Rotatorenmanschette überwiegen zahlen- und kräftemäßig die Innenrotatoren. Die Muskeln der Rotatorenmanschette sind in ihrer Funktionalität von der bereits oben beschriebenen flachen Stellung des Schulterblatts am Brustkorb abhängig. Ist diese nicht gegeben, besteht das Risiko, dass das Schultergelenk an Zentrierung und Stabilität einbüßt. Beim Musizieren bedeutet dies einen höheren Kraftaufwand für die gleiche Tätigkeit, eine schnellere Ermüdung der Arme sowie eine schlechtere Koordination der Hände und Finger.

Die Grundlage einer optimal koordinierten Schulter- und Armbewegung ist die Aufrichtung der Brustwirbelsäule mit einem flach am Rücken liegenden und beweglichen Schulterblatt. Erst auf dieser Basis kann das Schultergelenk sowohl die zentrierte Haltearbeit als auch die erforderliche Mobilität für die Spielbewegungen leisten.

Sowohl bei der eigenen Arbeit mit dem Instrument als auch im Unterricht mit Schülern ist es nicht einfach, die Schulterblätter in diese ideale Position zu bringen. Insbesondere dann, wenn der Versuch unternommen wird, die Schulterblätter hinten zusammenzuziehen, kann dies in eine ungünstige Haltung – nicht selten begleitet von einem Hochsteigen der Schultern – mit schmerzhaften Verspannungen der Schultergürtel- und Nackenmuskulatur münden. Zielführender ist die Aufrichtung der Brustwirbelsäule mit der Vorstellung »nach oben zu wachsen«.

Arm

Die Knochen des Armes umfassen den Oberarmknochen (humerus) und die beiden Unterarmknochen Elle (ulna) und Speiche (radius). Alle drei Knochen sind an der Bildung des Ellenbogengelenks beteiligt. Die Hauptbewegungen im Ellenbogengelenk sind das Beugen, Strecken und Drehen des Unterarms. Die Drehbewegung mit der Handinnenfläche nach oben nennt man Supination, diejenige mit der Handinnenfläche nach unten Pronation (Abb. I.41). Da man beide Begriffe leicht verwechseln kann, eignet sich als »Eselsbrücke« für die Bewegung der Supination die Position beim Halten eines Suppenlöffels. Die Pronation ergibt sich dann als gegenläufige Bewegung.

Am Unterarm sind für das Musizieren besonders die Beuge- und Streckmuskeln des Handgelenks und der Finger von Interesse. Sie entspringen am Ellenbogen, haben ihren Muskelbauch an der Ober- und Unterseite des Unterarms und laufen mit ihren langen Sehnen bis an die Endglieder der Finger.

Hand

Die Hand hat für jeden Musiker eine besondere Bedeutung, da sie neben den Lippen der Bläser und dem Kehlkopf der Sänger den direkten Kontakt zum Instrument herstellt. Die Hand spielt für die Evolution des Menschen darüber hinaus eine entscheidende Rolle, da durch die Befreiung der Hände in der Körperaufrichtung erst kulturelle Leistungen wie das Spielen eines Instruments möglich wurden.3

Knöchern besteht die Hand aus den acht Handwurzelknochen des Handgelenks, denen die Mittelhand mit fünf Mittelhandknochen und die Finger folgen (Abb. I.40). Die Finger besitzen Glieder, die sog. Phalangen. Der Daumen weist zwei Glieder auf. Zeige-, Mittel-, Ringfinger und kleiner Finger dagegen besitzen jeweils drei Phalangen und drei Gelenke: das Fingergrundgelenk (MCP: Metacarpophalangealgelenk), das Fingermittelgelenk (PIP: proximales Interphalangealgelenk) und das Fingerendgelenk (DIP: distales Interphalangealgelenk). An den Fingern selbst befinden sich keine Muskeln.


Abb. I.46: Kurze Handmuskeln, mittlerer Nerv und Karpaltunnel der rechten Hand

Die Muskeln der Hand sind in der Mittelhand angesiedelt und werden funktionell und nach ihrer Lage in drei Gruppen eingeteilt: in die Binnenmuskeln der Hohlhand – sog. intrinsische Muskeln, zu denen die Regenwurmmuskeln (Mm. lumbricales) und die Zwischenknochenmuskeln (Mm. interossei) zählen –, in die Muskeln des Daumenballens und die Muskeln des Kleinfingerballens. (Abb. I.46). Die intrinsischen Muskeln werden vom Ellennerv (Nervus ulnaris) und vom mittleren Nerv (Nervus medianus) versorgt. Sie sind für die Feinbewegungen von Zeige-, Mittel-, Ringfinger und kleinem Finger – Spreizen und Zusammenziehen, Strecken in den Mittel- und Endgelenken – zuständig. Die Muskeln des Daumen- und Kleinfingerballens ermöglichen die Überkreuzbewegung des Daumens sowie die Griffbildung der Hand.

Die Hand stellt im Zusammenwirken von Muskeln, Sehnen und Bändern die biomechanisch komplizierteste Struktur des Menschen dar.4

Die Sehnen müssen teilweise lange Strecken – von den Muskeln am Unterarm bis zu den Fingern – überwinden. Diese langen Sehnenverläufe in den Sehnenscheiden stellen anfällige Stellen für Überlastung dar. An der Oberseite des Handgelenks laufen die Strecksehnen durch die Sehnenfächer. Hier kann durch Überlastung eine Sehnenscheidenentzündung auftreten. An der Beugeseite befindet sich ein Kanal, der Karpaltunnel, dessen untere und seitliche Begrenzung von den Handwurzelknochen gebildet wird. Zur Beugeseite des Handgelenks hin spannt sich ein breites Band – das sog. Retinaculum flexorum – zwischen den Handwurzelknochen aus. Durch den Karpaltunnel verlaufen die Beugesehnen der Finger sowie der mittlere Nerv (Nervus medianus) und Gefäße (Abb.I.46). Wird er durch die umgebenden Strukturen gedrückt, kann es zum sog. Karpaltunnelsyndrom kommen. Bei den Beugesehnen v. a. des Ring- und Kleinfingers existieren anatomische Varianten, die für die Spieltechnik beachtet werden müssen (Kap. II.3.2, S. 138).

Spielbewegungen

Koordination innerhalb der Funktionskette

Prinzipiell ist jede Fingerbewegung beim Instrumentalspiel Teil der Funktionseinheit Schultergürtel, Schultergelenk, Arm und Hand und kann nie isoliert gesehen werden. Die differenzierte Koordination der einzelnen Teile innerhalb der Funktionseinheit stellt deshalb eine Grundvoraussetzung dar, um die hohen Präzisionsleistungen beim Musizieren erbringen zu können (Meinel und Schnabel 2015, S. 129).

Abb. I.47 zeigt die Funktionskette bei einer Pianistin seitlich von hinten. Aus dieser Perspektive kann der Instrumentallehrer den Schüler im Unterricht beim Spielen beobachten. Der vordere Teil des Schultergürtels, der ihm aus diesem Blickwinkel entgeht, sollte – wie in Abb.I.41 dargestellt – immer mitbeachtet werden.


Abb. I.47: Funktionskette Hand-Arm-Schulter-Schulterblatt


Abb. I.48a und b: Rechte Hand beim Klavierspiel: a) angespannt und b) entspannt

Betrachtet man die Gelenke entlang dieser Funktionskette, so gilt prinzipiell, dass eine Bewegung dann optimal ausgeführt wird, wenn alle Gelenke so bewegt werden, dass sie in ihrem optimalen Bewegungsumfang an der Gesamtbewegung beteiligt sind. Dies sorgt dafür, dass das Gelenk am Ende der Funktionskette nicht in eine belastende Gelenkendstellung gebracht wird. Kommt ein Gelenk nämlich an die Grenzen seiner Beweglichkeit, so können die Bewegungen in dieser Position nicht mehr schnell genug und nur unter höchster Belastung ausgeführt werden. Jedes Gelenk besitzt einen Bereich, in dem Bewegungen schnell und mit geringem Gelenkwiderstand möglich sind. Bei größeren Auslenkungen im Gelenk außerhalb dieses Bereichs beträgt der Gelenkwiderstand bis zu einem Vierfachen des ursprünglichen Widerstands. Beim Instrumentalspiel ergeben sich aus der Grundposition mit dem Instrument und aus spezifischen spieltechnischen Anforderungen nicht selten Situationen, in denen Gelenke in eine Endstellung geraten können.

Gelenke sollten beim Musizieren nur im mittleren Bereich ihrer Beweglichkeit genutzt werden, da hier der Gelenkwiderstand niedrig ist (Wagner 2005, S. 82).

Ein häufiges Beispiel hierfür sind die Hände von Pianisten beim Spiel entsprechender Literatur. Insbesondere Akkordgriffe mit weit und ungünstig auseinanderliegenden Tastenabständen führen zu einer Spannung in der gesamten Hand und stellen einen Risikofaktor für Überlastungsbeschwerden dar (Abb. I.48a und b). Bei der Auswahl der Spielliteratur sollte deshalb berücksichtigt werden, welchen Anforderungen die Hand des jeweiligen Pianisten genügen kann.

Abb. I.49 zeigt eine Violinistin mit Position der Greifhand beim Spiel in der hohen Lage auf der G-Saite. Diese Bewegung erfordert eine Beugung im Handgelenk und in den Fingergelenken, eine Supination, Beugung und Innenrotation im linken Unterarm sowie zusätzlich eine Innenrotation im Schultergelenk und entsprechende Mitbewegungen von Schulterblatt und Schlüsselbein. Wären beispielsweise Schultergürtel, Schulter- und Ellenbogengelenk an der Bewegung zu wenig beteiligt, würde das Handgelenk unter große Spannung und in eine ungünstige Gelenkendstellung geraten. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass bei spieltechnischen oder gesundheitlichen Fragen hinsichtlich der Finger und des Handgelenks die anderen Gelenkabschnitte miteinbezogen werden müssen.

Unter kinematischen Gesichtspunkten bilden Bewegungen beim Musizieren einen sog. closed loop, da ihr Endpunkt durch Berührung des Instruments fixiert und die Bewegungskette damit geschlossen ist. Probleme, die sich in einem Funktionsabschnitt der Bewegungskette äußern, können ihren Ursprung deshalb in der nicht optimalen Position und Mitgestaltung eines anderen Funktionsabschnitts haben.


Abb. I.49: Greifhand und -arm beim Spiel auf der G-Saite der Violine

Beim Musizieren – als einer geschlossenen Bewegungskette – hat die Bewegungsveränderung eines Funktionsabschnitts unweigerlich Folgen für jeden anderen Abschnitt der Bewegungskette.

Ein anschauliches Beispiel hierfür sind Handprobleme, die ihren Ursprung in einem ungünstig positionierten Schultergürtel oder einem nach vorn fallenden, dezentrierten Schultergelenk haben. Wenn die Finger am Instrument die Klappen, Tasten oder Saiten drücken, muss dieser Druck bis hinauf in den Schultergürtel aufgefangen werden. Ist dort nicht genügend Stabilität vorhanden, müssen andere Muskeln, die hierfür eigentlich nicht vorgesehen sind, diesen Mangel kompensieren. Oft sind dies die oberflächlichen Schultergürtelmuskeln wie der absteigende Teil des Trapezmuskels oder die langen Strecker und Beuger der Finger und des Handgelenks. Gerade bei Pianisten zeigen diese Muskeln oft zuerst Zeichen der Überlastung – nicht nur wegen der repetitiven Beuge- und Strecktätigkeit der Finger beim Spielen, sondern möglicherweise auch wegen der kompensatorischen Arbeit für einen schwachen und nicht optimal koordinierten Schultergürtel.

Flexibilität in der Bewegungsgestaltung

Ein zusätzliches und wichtiges Kriterium der Bewegungsgestaltung beim Musizieren ist die aufgaben- und situationsspezifische Flexibilität in der Koordination der verschiedenen Funktionsabschnitte. Zu starre Vorstellungen eines gleichförmigen Bewegungsablaufs beim Musizieren können ein Risiko für Fehlkoordination darstellen.

Spielbewegungen sind dynamische Vorgänge, die ständige Anpassungsprozesse erfordern. Die Qualität einer Bewegung hinsichtlich klanglicher und gesundheitlicher Kriterien ist dabei jedoch keineswegs beliebig, sondern sie folgt bewegungsökonomischen Prinzipien.

Die flexible Koordination der Anteile von Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk in Abhängigkeit von Tempo und Rhythmus soll am Beispiel der Spicca-to-Technik auf dem Cello veranschaulicht werden. Während des Spiels des vorgegebenen Notenbeispiels (Abb. I.50) wurde die Bewegung des Bogenarms in den drei Gelenken gemessen (Winold et al. 1994). Alle Gelenke sind während der gesamten Spielphase an der Bewegung des Bogenarms beteiligt (Abb. I.51). Es lässt sich jedoch deutlich erkennen, dass die größte Bewegungsauslenkung mit zunehmendem Tempo wechselt – vom Schulterzum Ellenbogen- und schließlich zum Handgelenk.


Abb. I.50: Notenbeispiel – auf der D–Saite des Violoncellos im angegebenen Tempo (Viertel = 80) zu spielen (Winold et al. 1994)


Abb. I.51: Winkelveränderungen in Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk während des Spiccato-Spiels nach dem Notenbeispiel in Abb. I.50 bei einem erfahrenen Cellisten (Winold et al. 1994)

Neben den musikalischen Anforderungen und der Konstitution des Spielers gestalten die Bau- und Spielweise des Instruments die Anforderungen an die Musizierbewegungen mit. Da sowohl Spieler als auch Instrument jeweils individuell betrachtet werden müssen, werden hier nur die Grundprinzipien angesprochen.

Der Spieler sollte alle Möglichkeiten, welche die Klangbildung des Instruments nicht beeinträchtigen, nutzen, um die Spielsituation so an seinen Körper anzupassen, dass die Spielbewegungen leicht und angenehm sind.

Als anschauliches Beispiel sei hier die Sitzhöhe am Klavier herausgegriffen. Abb. I.52a–c zeigen den Einfluss der Sitzhöhe auf die Winkel zwischen Handgelenk, Unterarm, Oberarm und Schulter bei einer Pianistin. Feste Ausgangsgrößen stellen hierbei aufseiten der Spielerin die Proportionen von Rumpf, oberer und unterer Extremität und aufseiten des Instruments die Höhe der Klaviertastatur dar. Grundsätzlich soll anhand der verschiedenen Sitzhöhen deutlich gemacht werden, welche unterschiedlichen Voraussetzungen für die Spielbewegungen durch die Positionierung – Sitzhöhe und Abstand zum Instrument – geschaffen werden. Eine normierte Angabe der »richtigen« Höheneinstellung der Klavierbank und des Abstands zum Instrument würde zu kurz greifen, da die individuellen Proportionen beim jeweiligen Spieler immer mit beachtet werden müssen (Kap. II.6, S. 198).

Ganz besonders bei Bratschisten stellt sich die Frage nach der Größe und Mensur des Instruments, da Bratschen diesbezüglich sehr variieren. Große Instrumente führen dazu, dass die Greifhand sehr weit vom Rumpf entfernt agiert und dass Spieler mit kürzeren Armen in ungünstige Gelenkstellungen geraten. Es ist deshalb sinnvoll, bei der Wahl des Instruments auch Fragen der Bewegungsökonomie zu berücksichtigen. Die Entscheidungen sind ebenfalls sehr individuell zu treffen. Bei Spielern mit langen Armen können größere Instrumente sogar günstigere Bewegungsvoraussetzungen liefern (Abb. I.53).


Abb. I.52a–c: Veränderung der Bewegungskette Schultergürtel-Schulter-Arm-Hand durch unterschiedliche Einstellung der Sitzhöhe am Klavier: a) Sitzhöhe hoch, b) Sitzhöhe tief, c) Sitzhöhe mittel

Instrumentalisten müssen mit der rechten und linken oberen Extremität unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Die Bewegungsanforderungen unterscheiden sich hierbei entweder stark – wie bei den Hohen Streichern – oder ähneln sich hinsichtlich der Bewegungsrichtungen – wie bei Pianisten. Bei einigen Instrumenten sind Halte- und Bewegungsarbeit gleichzeitig mit derselben Extremität zu leisten – wie mit der rechten Hand beim Spiel von Klarinette, Oboe, Querflöte und Blockflöte – oder sie sind auf beide Seiten verteilt. Bei der Trompete leistet die linke Hand Haltearbeit, während die rechte Hand die Ventile bedient (Abb. I.54).


Abb. I.53: Beispiel eines Bratschisten mit langen Armen und großer Bratsche


Abb. I.54: Haltearbeit links und Bewegung der Ventile rechts beim Trompetenspiel

Brustkorb, Kehlkopf und Vokaltrakt – Ansatz- und Stimmbildung

Sänger und Bläser arbeiten bei der Klangerzeugung mit den Organen des Atmungssystems, dem Kehlkopf, den Räumen des Vokaltrakts, den Artikulationswerkzeugen Lippen und Zunge sowie mit der Ansatzmuskulatur. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels soll deshalb auf einige anatomische Grundlagen der Funktionseinheit Atmung und Tonerzeugung bei Bläsern und Sängern eingegangen werden.5

Da die Atmung ein für alle Musiker – besonders jedoch für Bläser und Sänger – zentraler Gegenstand ist, findet sich darüber hinaus in Kap. I.1.3 eine ausführliche Darstellung der Atmungsvorgänge.

Brustkorb und Atmungsorgane

Der Brustkorb wird im Wesentlichen von den zwölf Rippenpaaren gebildet. Diese sind hinten an den einzelnen Brustwirbeln angeheftet. Vorn sind sie über Knorpelverbindungen, die sog. Sternocostalgelenke, mit dem Brustbein verbunden. Diese kleinen Gelenke sind kaum für Belastung ausgelegt, sondern garantieren durch ihre Beweglichkeit die freie Entfaltung der Rippen bei der Atmung.

Hierfür ist wiederum eine aufrechte Brustwirbelsäule wichtig, denn bei starker Krümmung der Brustwirbelsäule – beim Rundrücken – entsteht eine erhöhte Kompression im Bereich des Brustbeins.

Zwischen den Rippen befinden sich die inneren und äußeren Zwischenrippenmuskeln. Diese haben unterschiedliche Funktionen: Bei der Einatmung heben die äußeren Zwischenrippenmuskeln die Rippen an und vergrößern damit den Brustraum, bei der aktiven Ausatmung verkleinern die inneren Zwischenrippenmuskeln den Zwischenrippenraum und damit auch das Volumen des Brustkorbs. An der unteren Öffnung des Brustkorbs befindet sich das Zwerchfell, welches sich mit zwei »Kuppeln« nach oben wölbt (Abb. I.55). An der Außenseite des Brustkorbs setzen zahlreiche Muskeln an, welche als Atemhilfsmuskeln verwendet werden können. Abb. I.55 zeigt, dass das Zwerchfell mit seinen Zwerchfellschenkeln gemeinsam mit dem M. psoas, dem stärksten Hüftbeuger, an den Lendenwirbelkörpern angeheftet ist. Hierdurch besteht eine funktionelle Nähe zwischen Atmung sowie Aufrichtung, Beckenkippung und Hüftbeugung.

Im Brustkorb findet sich als wichtigstes Atemorgan die Lunge.


Abb. I.55: Lage des Zwerchfells im Brustkorb sowie anatomische und funktionelle Nähe der Zwerchfellschenkel und des M. psoas

Kehlkopf

Oberhalb der Atmungsorgane, dem Ende der Luftröhre aufsitzend, befindet sich der Kehlkopf (Abb. I.56). Er liegt genau an der Kreuzung von Luft- und Speisewegen. Der Kehlkopf hat einerseits die Aufgabe, bei der Einatmung genügend Luft in die Lungen zu lassen. Hierfür müssen im Inneren des Kehlkopfs bewegliche Elemente vorhanden sein, die sich öffnen können. Anderseits soll er die unteren Atemwege vor dem Eindringen von Flüssigkeit und Fremdkörpern schützen. Dafür benötigt er Elemente, welche die Öffnung verschließen können. Die hauptsächlichen »Öffner« und »Schließer« sind die Stimmlippen. Abb. I.57 zeigt einen Blick von oben in den Kehlkopf hinein: Die Stimmlippen sind zur Einatmung weit geöffnet. Der Raum zwischen den Stimmlippen – der von den Stimmlippen und der hinteren Kehlkopfinnenwand begrenzt wird – wird Glottis genannt. Der Begriff Glottis leitet sich vom altgriechischen Begriff glottís ab, der das Mundstück einer Flöte bezeichnet. Die Ebene der Stimmlippen wird auch als Glottisebene bezeichnet. Die Glottis kann zum Schutz vor dem Eindringen von Speise in die Luftröhre, aber auch zum Aufbau der Bauchpresse verschlossen werden. Der Schluss der Stimmlippen kann vollständig oder auch nur teilweise erfolgen. Als »Nebenprodukt« dieses Verschlussmechanismus kann beim Singen der primäre Kehlkopfklang erzeugt werden. Der Vorgang der Stimmerzeugung ist komplex und bedarf einer ausführlichen eigenen Darstellung.6


Abb. I.56: Kehlkopf mit Luftröhre


Abb. I.57: Blick von oben in den Kehlkopf

Teilweise Verschlüsse der Stimmlippen können auch regelhaft bei Bläsern während des Spielens beobachtet werden. Eine Beschreibung der bei den verschiedenen Blasinstrumenten im Kehlkopf ablaufenden Vorgänge findet sich in Kap. I.1.3, S. 49 ff.

Vokaltrakt

Als Vokaltrakt werden die Resonanzräume oberhalb der Glottisebene bezeichnet. Die Bezeichnung rührt daher, dass in diesen Räumen bei der Sprachproduktion akustisch die unterschiedlichen Vokale gebildet werden. Anatomisch ist der Vokaltrakt begrenzt durch die Rachenwände, das Gaumensegel, die Zunge und nach vorn hin durch die Zähne und Lippen. Die Zunge ist ein erstaunlich großes Gebilde, welches den Mundraum in seiner Ruhestellung nahezu vollständig ausfüllt (Abb. I.58a und b). Die Zunge und das Gaumensegel sind mit sehr beweglichen Muskeln ausgestattet, die vielfältige und große Bewegungen im Vokaltrakt ermöglichen. Dies ist für die Klangbildung und -formung beim Blasinstrumentenspiel und Singen wichtig. Da diese klanggestaltenden Vorgänge sehr dynamisch ablaufen, kann man sie am besten mit »bewegten« Bildern, also in Filmen, darstellen und verstehen. Solche Filme wurden von der Arbeitsgruppe des Freiburger Instituts für Musikermedizin erstellt und 2013 auf der DVD DAS BLASINSTRUMENTENSPIEL: PHYSIOLOGISCHE VORGÄNGE UND EINBLICKE INS KÖRPERINNERE im Helbling Verlag veröffentlicht; sie werden im Kap. I.1.3, S. 53 ff., näher beschrieben.


Abb. I.58a und b: Zunge und Resonanzräume des Vokaltrakts: a) anatomische Zeichnung, b) Darstellung in der Kernspintomografie

Bläser – Ansatzmuskulatur, Kiefer und Halswirbelsäule

Für Bläser findet die Tonbildung am Übergang vom Vokaltrakt zum Instrument statt. Bei Holz- und Blechbläsern unterscheiden sich die physiologischen Vorgänge, welche zur Tonbildung führen. Gemeinsam ist jedoch allen Bläsern, dass zwischen Instrument und Spieler ein »Ansatz« gebildet werden muss. Dieser ist wesentlich von der mimischen Muskulatur – besonders den Lippen – und der Muskulatur des Vokaltrakts abhängig. Die komplex aufgebaute mimische Muskulatur zeigt Abb. I.59. Die physiologischen Vorgänge in der oberflächlich unter der Haut gelegenen mimischen Muskulatur lassen sich mit Oberflächenelektroden elektrophysiologisch untersuchen. Diese Art der Muskelfunktionsprüfung kann auch bei einer gestörten Funktion zu Trainingszwecken verwendet werden.7


Abb. I.59: Mimische Muskulatur – Grundlage für die Ansatzbildung bei Bläsern

Abb. I.60: Verbindungen zwischen Unterkiefer, Kopfstellung und Halswirbelsäule

Auch die Stellung und Funktion des Unterkiefers und der Halswirbelsäule sind für den Ansatz von Wichtigkeit. Die Kiefergelenke bilden mit der Halswirbelsäule, dem Schädel und dem Schultergürtel eine Funktionseinheit. Im Gegensatz zum Oberkiefer ist der Unterkiefer kein Teil des Schädels, sondern frei beweglich und über Muskulatur mit dem Zungenbein – und damit auch mit der Zunge und dem Vokaltrakt – verbunden. Hierdurch wird der Unterkiefer bei möglichen Fehlhaltungen des Kopfes und der Halswirbelsäule direkt in Mitleidenschaft gezogen. Abb. I.60 illustriert, wie die Muskulatur unterhalb des Zungenbeins den Unterkiefer zurückhält, wenn der Kopf nach vorn bewegt wird. Dies führt zu einer erhöhten Kompression in den Kiefergelenken, welche wiederum Schmerzen und eine Beeinträchtigung des Spielgefühls nach sich ziehen kann (vgl. S. 37). Gerade Bläser sind jedoch auf ein freies und bewegliches Kiefergelenk für die Tonbildung angewiesen. Die Nähe der Kiefermuskulatur und die enge Verbindung der Halswirbelsäulenmuskulatur zum Ohr und seiner Blutversorgung können mögliche Erklärungen dafür liefern, warum bei einer starken Funktionsstörung des Kiefergelenks oder der Halswirbelsäule Ohrgeräusche auftreten können.

1.3 Atmung

Die Atmung ist die Grundlage allen Lebens. Beim Menschen dient sie dazu, den lebenswichtigen Gasaustausch in der Lunge zu gewährleisten. Hierbei wird vornehmlich »frischer« Sauerstoff aufgenommen und Kohlendioxid als »Abfallprodukt« abgegeben. Die Steuerung der Atmung ist im entwicklungsgeschichtlich ältesten Bereich des Gehirns, dem sog. Stammhirn, gelegen. Von diesem Teil des Gehirns, der nur etwa daumengroß ist, werden auch andere lebenswichtige Funktionen wie der Kreislauf und der Schlaf gesteuert. Die Atmung hat eine direkte Verbindung zu seelischen Prozessen. Dies findet etymologisch seinen Ausdruck darin, dass im Altgriechischen der Begriff psyché ursprünglich »Atem« und »Leben« bedeutete.

Physiologische Grundlagen

Der oben angesprochene Gasaustausch findet im Hauptatmungsorgan, der Lunge, statt, die sich im Brustkorb befindet (Abb. I.61).8

Der wichtigste Atemmuskel, der die Füllung und Leerung der Lunge mit Luft im Wesentlichen bewerkstelligt, ist das Zwerchfell (Abb. I.55). Die Einatmung ist ein aktiver Vorgang, bei dem durch Kontraktion der Einatemmuskulatur das Volumen des Brustraums erweitert wird und Luft durch Sog in die Lunge einströmt (Abb. I.62b). Die Ausatmung ist bei der sog. Ruheatmung, d. h. der Atmung ohne körperliche Anstrengung, ein passiver Vorgang. Während der Ausatmung erschlafft das Zwerchfell und die Schwerkraft sowie die Rückstellkräfte des Brustkorbs und der Lunge verkleinern den Brustraum (Abb. I.62a). Die Ausatmung kann jedoch auch als aktiver Vorgang ausgeführt werden, beispielsweise bei körperlicher Anstrengung, bei forcierter Atmung aus psychischen Gründen oder auch beim Spielen eines Blasinstruments und beim Singen. Bei der aktiven Form der Ausatmung ziehen sich Muskelgruppen zusammen, die das Volumen des Brustraums verkleinern können. Dies sind vor allem die inneren Zwischenrippenmuskeln und die Bauch- und Rumpfmuskeln.


Abb. I.61: Lunge, Bronchien und Luftröhre

Die maximale, in der Lunge befindliche Luftmenge bezeichnet man als Totalkapazität. Sie beträgt bei einem erwachsenen Mann ca. sieben Liter. Die Luftmenge, die an der Ein- und Ausatmung beteiligt ist, bezeichnet man als Vitalkapazität. Unter Residualkapazität versteht man die Luftmenge, die auch nach maximaler Ausatmung immer in der Lunge als Rest verbleibt. Von der maximalen Einatmung bis zur maximalen Ausatmung werden etwa vier bis fünf Liter Luft bewegt. Das normale Atemzugvolumen beträgt in der Ruheatmung nur ca. 0,5 Liter. Atemzüge erfolgen etwa zwölf Mal pro Minute, d. h. etwa alle fünf Sekunden. Der Impuls einzuatmen wird dann ausgelöst, wenn die Position des Brustkorbs erreicht ist, in der die Kräfte der Ein- und Ausatmung ausgewogen sind (sog. Atemruhelage). Dieser Punkt liegt normalerweise bei ca. 40% der Vitalkapazität. Der Einatemimpuls kann jedoch willkürlich recht lange unterdrückt werden, beispielsweise um eine lange musikalische Phrase zu spielen oder zu singen. So konnte bei Sängern in wissenschaftlichen Untersuchungen gezeigt werden, dass sie in der Lage sind, bis zu 95% der Vitalkapazität zur Tonproduktion zu nutzen (Isshiki et al. 1967).


Abb. I.62a und b: Stellung des Zwerchfells bei: a) Ausatmung, b) Einatmung; kernspintomografische Aufnahme

Alle Volumina zeigen eine Abhängigkeit von Geschlecht, Körpergröße und Alter. Durch körperliches Training kann man die Atemvolumina vergrößern.

Der Weg, den der Atem bei Bläsern und Sängern beim Ein- und Ausatemvorgang zurücklegt, passiert von der Lunge aus die Glottisebene des Kehlkopfs und den Vokaltrakt (Abb. I.63, S. 54).

Im Folgenden werden einige Spezifika der Atmung bei Musikern beschrieben.

Atmung beim Musizieren

Die Atmung beim Musizieren ist eng an die musikalische Phrasierung gekoppelt. Sie ist damit ein wichtiges musikalisches Gestaltungselement. Nicht nur bei Bläsern und Sängern, sondern auch bei Streichern, Pianisten und allen sonstigen Instrumentalisten kann und sollte sie im Dienste des musikalischen Ausdrucks eingesetzt werden. Im Idealfall fließt der Atem mit dem Strom der Musik. Das Singen einer musikalischen Phrase kann das Erlernen dieses natürlichen Atemflusses beim Üben und Proben erleichtern. Yehudi Menuhin formulierte in diesem Zusammenhang: »Das Singen ist zuerst der innere Tanz des Atems, der Seele […]« (Menuhin 1999). Jedoch kann nicht selten beobachtet werden, dass der Atem beim Musizieren nicht fließt, sondern »angehalten« wird oder angestrengt wirkt. Manchmal wird die Musik durch den Atem regelrecht unrhythmisch »zerhackt«. Dies führt neben negativen Auswirkungen auf den Klang des musizierten Werkes auch zu einer Übertragung dieser Spannungen auf das Publikum: Die Zuhörer verspannen sich gleichfalls, halten den Atem an und nehmen die Performance als »atemlos« wahr (vgl. S. 76).

Atemfunktion bei Bläsern und Sängern

Die Anforderung an die Atemfunktion bei Bläsern und Sängern geht über die oben beschriebene Mitwirkung am musikalischen Ausdruck und an der Phrasierung deutlich hinaus, da der Ausatemstrom bei Bläsern und Sängern an der Erzeugung des klingenden Tons ursächlich beteiligt ist. Die Tonproduktion erfolgt bei den verschiedenen Blasinstrumenten und der menschlichen Stimme auf unterschiedliche Weise: Entweder wird der Ausatemstrom durch – zumeist periodische – schnelle Öffnungs- und Schließbewegungen von anatomischen Strukturen wie den Lippen (Blechbläser) oder den Stimmlippen (Sänger) unterbrochen oder diese Unterbrechung erfolgt durch vibrierende Bauteile des Instruments (Rohrblattinstrumente). Bei anderen Instrumenten wie den Flöten erfolgt die Tonerzeugung durch eine Brechung und Verwirbelung des Luftstroms, bei der Blockflöte am Labium des Kopfstücks und bei der Querflöte am Mundstück des Instruments. Unabhängig davon, wie der primäre Schall erzeugt wurde, wird die Luftsäule im Instrument zu Schwingungen angeregt, die dann durch die Resonanzräume des Instruments (bzw. beim Singen die des Vokaltrakts) akustisch weiter geformt werden.

Atemdrucke und Atemvolumina

Für die Tonproduktion ist bei Bläsern und Sängern nicht nur das verwendete Luftvolumen entscheidend, sondern ebenso der Druck, der erforderlich ist, um die schwingenden Bauteile zum »Arbeiten« anzuregen. Das notwendige Luftvolumen ist bei manchen Instrumenten wesentlich größer als bei anderen, wie der holländische Arzt und Forscher Arend Bouhuys schon in den 1960er-Jahren herausgefunden hat (Bouhuys 1964). Der höchste von ihm gemessene Luftverbrauch bei der Basstuba lag mit mehr als 1,5 Liter pro Sekunde (1679 ml/sec) über zehn Mal höher als bei einer Oboe (Tab. I.2). Ähnlich große Unterschiede fanden sich auch bei den Werten für den Anblasdruck im Mund: Die höchsten Werte wurden mit 215 cmH2O bei einer Posaune mit Dämpfer gemessen, für eine Altblockflöte ergaben sich nur 16 cmH2O. Die Messwerte des Drucks zeigten eine klare Abhängigkeit von der Tonhöhe (und der Lautstärke): Bei tiefen (leiseren) Tönen waren die Druckwerte geringer als bei hohen (lauteren) Tönen.

Im Vergleich zu Bläsern haben Sänger sowohl für den Luftfluss als auch für den minimalen und maximalen Druck viel niedrigere Werte. Der Luftverbrauch liegt bei Sängern zwischen 2 und 5 ml/ sec für den Luftstrom, der im Kehlkopf fließt, und ist demnach noch deutlich geringer als bei Blockflötisten. Zur Tonerzeugung durch die Stimmlippen im Kehlkopf ist der sog. subglottische Druck erforderlich. Er wird so bezeichnet, da er sich unterhalb der zur Phonation geschlossenen Stimmlippen aufbaut. Der minimale subglottische Druck, der zur leisesten Phonation notwendig ist, beträgt ca. 2–3 cm H2O. Die maximalen subglottischen Drucke, die von Sängern erreicht werden, liegen bei ca. 60 cm H2O (Bouhuys et al. 1968).

Für jeden Ton – mit seinen musikalischen Parametern Tonhöhe, Tondauer und Tonstärke – ist bei Bläsern und Sängern gleichermaßen ein spezifischer Atemdruck zur adäquaten künstlerisch-musikalischen Realisierung erforderlich. Dieser muss von Ton zu Ton äußerst schnell angepasst werden, wie Untersuchungen bei Sängern exemplarisch zeigen (Sundberg 2015b, S. 69 f.; Richter 2014, S. 36 f.).

Atemregulation

Sowohl Sänger als auch Bläser müssen den Atemstrom möglichst präzise regulieren. Dieser Vorgang wird im Deutschen häufig mit den Begriffen »stützen« und »Stütze« bezeichnet. Der Begriff »Stütze« ist nicht glücklich gewählt, da er etwas Statisches impliziert, wohingegen die Atmung immer ein dynamischer Vorgang ist: Kurz nach der Einatmung steht am Anfang einer Phrase für die jeweilige Tonproduktion zu viel Luft zur Verfügung, so dass der Musiker dafür Sorge tragen muss, nicht zu viel Luft aus der Lunge entweichen zu lassen, um den Anblasdruck bzw. den subglottischen Druck – und damit auch die Tonhöhe und Lautstärke – nicht ungewollt zu erhöhen. Am Ende einer langen musikalischen Phrase ist genau das Gegenteil erforderlich. Hier muss nämlich nach Überschreiten der Atemruhelage zusätzlich Luft zur Verfügung gestellt werden, um den für die Tonproduktion erforderlichen Druck aufrechtzuerhalten. Diese gegensätzliche Anforderung an die Atemführung im Verlauf einer Melodielinie – am Beginn »Weghalten« zur Vermeidung eines Überangebots, am Ende »Zuführen« zur Bereitstellung der benötigten Luft – erschwert es außerordentlich, den Atemvorgang begrifflich in einem einzigen Fachterminus zu fassen. Um das »Momentum« des Dynamischen in diesem Vorgang zu unterstreichen, wäre es deshalb sinnvoll, anstelle von »Stütze« von »Atemstützfunktion« zu sprechen (Richter 2014, S. 41). Dies käme auch dem ursprünglich italienischen Begriff appoggio näher, der in der italienischen Alltagssprache eher der Bedeutung von appogiare, »sich an etwas anlehnen«, entspricht (Seidner und Wendler 2010, S. 64). Andere Sprachen wie das Englische und das Französische verwenden mit support und soutien ebenfalls Wörter, welche die Bedeutung »Unterstützung« enthalten (Richter 2014, S. 41). Diese Begriffe kommen dem Regulationsvorgang der Atmung näher und unterstreichen stärker die bedarfsabhängige Flexibilität.


Tab. I.2: Mittelwerte der Anblasdrucke im Mund sowie der Schalldruckpegel für tiefe und hohe Noten, die im Fortissimo (ff) auf verschiedenen Instrumenten gespielt wurden (nach Bouhyus 1964)

Atemsteuerung

Bläser und Sänger verwenden in der Beschreibung der Atmung eine Vielzahl von Begriffen, die nicht immer unmittelbar den physiologischen Vorgängen der Atmung entsprechen. So bezeichnen die Begriffe Bauch- oder Flankenatmung beispielsweise die sicht- und spürbaren körperlichen Auswirkungen der Atmung auf die Muskulatur und die Organe des Bauchraums, obwohl streng genommen die Atmung natürlich immer in den Lungen und damit im Brustraum stattfindet. Diese Form der Beschreibung und Wahrnehmung der äußerlich sichtbaren und innerlich spürbaren Vorgänge bei der Atmung ist vermutlich u. a. deswegen so verbreitet, da sich der Atemvorgang aus physiologischen Gründen der direkten Wahrnehmung und vollständigen willentlichen Steuerung entzieht. Wir verfügen – leider – weder über eine bewusste sensorische Information, in welcher Stellung bzw. Position sich die entscheidenden Atemmuskeln während des Atemvorgangs im Körper befinden, noch können wir diese Muskeln willentlich von einer Position in eine andere bewegen. Auch das Zwerchfell ist als der wichtigste Atemmuskel nicht willentlich steuerbar. Hierin unterscheidet er sich grundsätzlich von anderen Muskelgruppen wie beispielsweise jenen der Hand, deren feinmotorische Bewegungen, wie das millimetergenaue Aufsetzen der Finger auf dem Griffbrett beim Geigenspiel, vom Spieler willentlich gesteuert und beobachtet werden können. Allerdings können indirekt die Auswirkungen der Atembewegungen körperlich-sensorisch, optisch und akustisch wahrgenommen und beurteilt werden. Durch Aktivierung der steuerbaren Muskeln, wie beispielsweise der Bauchmuskeln, kann die eigentliche Atmungsmuskulatur im Rahmen der Atemstützfunktion in ihrer Funktion indirekt beeinflusst und kontrolliert werden.

Unterformen der Atmung bei Bläsern und Sängern

Da sich die Werte für Druck und Luftfluss je nach Instrument sehr stark unterscheiden, sind auch die Anforderungen an die Atmung beim Spiel der verschiedenen Blasinstrumente und beim Singen sehr unterschiedlich und lassen sich nicht verallgemeinernd darstellen. Die Betrachtungen müssen deswegen so instrumentenspezifisch wie möglich vorgenommen werden.

Die folgenden Beschreibungen der körperlichen Vorgänge bei der Atmung bei unterschiedlichen Blasinstrumenten stützen sich auf die mehrjährigen Beobachtungen der Arbeitsgruppe des Freiburger Instituts für Musikermedizin.9

Wie in Abb. I.63 dargestellt, konnten die Atmung (v. a. Bewegung des Zwerchfells) sowie die Bewegungen der Stimmlippen im Kehlkopf und die Veränderungen im Vokaltrakt (Zunge, Gaumensegel, Lippen) während des Spiels auf dem jeweiligen Blasinstrument sichtbar gemacht werden. Die Bewegungen des Zwerchfells sowie die Artikulationsbewegungen der Zunge und des Vokaltraktes wurden mit speziellen kernspintomografischen Techniken (sog. dynamischer Magnetresonanztomografie) filmisch dargestellt und die Bewegungen der Stimmlippen im Kehlkopf mit endoskopischen Verfahren aufgezeichnet.

Hierdurch ist es möglich, die unterschiedlichen Spieltechniken der Artikulation und Atemführung bei Blasinstrumentalisten zu verfolgen.

Im Folgenden werden aus der Fülle des Materials einige besonders auffällige Beobachtungen herausgegriffen. Die Vermittlung der Bewegungsabläufe ist in den Grenzen des Mediums Buch natürlich nur sehr eingeschränkt möglich. Der interessierte Leser sei deshalb nochmals auf die filmische Darstellung der dynamischen Vorgänge auf der DVD verwiesen.

»Druck- und flusskontrollierte«-Instrumente

Die Instrumente, die eine vergleichbar geringe Luftmenge benötigen sowie einen geringen Anblasdruck aufweisen, bezeichnet man als flusskontrollierte Systeme bzw. Ventilfunktionen (flow-controlled valve); hierzu können u. a. die Flöteninstrumente (Quer- und Blockflöten) gezählt werden (Tab. I.2, S. 52). Zu den Instrumenten, welche ebenfalls geringe Werte für den Luftfluss zeigen, die aber eine erheblich höhere Druckentwicklung am Mundstück aufweisen, gehören aus der Familie der Holzblasinstrumente die Oboe und das Englischhorn (und auch in abgeschwächter Form die Klarinette). Diese Instrumente bezeichnet man als druckkontrollierte Systeme bzw. Ventilfunktionen (pressure-controlled valve) (Fletscher und Rossing 1998); auch die Blechblasinstrumente (s. u.) gehören zu den druckkontrollierten Systemen.

In der dynamischen Magnetresonanztomografie sieht man beim Spielen von ausgehaltenen Tönen bei den Flöten und der Klarinette gleichförmige und langsame Bewegungen des Zwerchfells – ähnlich wie bei den Sängern. In den endoskopischen Aufnahmen des Kehlkopfs sind beim vibratolosen Spiel der Flötisten mittlere, den Atemspalt etwa auf die Hälfte verengende Mitbewegungen der Stimmlippen zu beobachten.


Abb. I.63: Schematische Darstellung der drei Ebenen des Blasvorgangs mit den dazugehörigen Möglichkeiten der Visualisierung

Beim Klarinettenspiel fällt in den endoskopischen Aufnahmen die Engstellung der Stimmlippen etwas ausgeprägter aus und beträgt für die verbleibende Öffnung der Glottisfläche etwa ein Drittel. Diese Mitbewegungen zeigen keine wesentliche Abhängigkeit von der Tonhöhe. Die Stimmlippen bewegen sich dagegen bei Ausformung des Vibratos deutlich mit. Der Atemstrom wird dabei nicht durch einen kompletten Schluss der Stimmlippen unterbrochen, sondern durch eine rhythmische – zur Vibratofrequenz synchrone – Annäherung der Stellknorpel modifiziert (vgl. Abb. I.57, S. 47).

Insbesondere bei der Oboe besteht die Besonderheit, dass der Luftverbrauch beim Spielen in der Regel so gering ist, dass am Ende einer musikalischen Phrase noch ein prozentualer Rest der Vitalkapazität als überschüssige Luft in der Lunge verbleibt. Diese muss vor einer erneuten Einatmung zunächst abgeatmet werden. Wegen dieses spezifischen Charakteristikums spricht man auch von »Oboistenatmung«. Diese ist in den kernspintomografischen Filmen an den Zwerchfellbewegungen eindrucksvoll abzulesen: Nach einer Erschlaffung des Zwerchfells während der Ausatembewegung kommt es vor der erneuten Einatmung zunächst zu einer weiteren Verkleinerung des Brustraumvolumens – also einer Aus- oder Abatmung von überschüssiger Luft –, bevor sich das Zwerchfell durch Kontraktion wieder nach unten senkt und Luft in die Lungen strömt. In den endoskopischen Aufnahmen des Kehlkopfs sind beim vibratolosen Spiel bei der Oboe deutlich verengende Mitbewegungen der Stimmlippen zu beobachten, die den Atemspalt etwa auf ein Viertel der verbleibenden Öffnung reduzieren. Diese Mitbewegungen zeigen keine wesentliche Abhängigkeit von der Tonhöhe. Die Stimmlippen bewegen sich bei Ausformung des Vibratos – ähnlich wie beim Spiel der Flöten und der Klarinette – sehr stark, wobei der Atemstrom ebenfalls durch eine rhythmische Annäherung der Stellknorpel, synchron zur Frequenz des Vibratos, modifiziert wird.

Blechbläser

Bei den Blechblasinstrumenten sind die Luftmenge und der Anblasdruck stark abhängig von der Größe und Bauweise des Instruments: Je größer und länger das Rohrsystem ist, desto größer sind die Werte für den Luftfluss. Bei den Tubisten sind die Anblasdrucke ebenfalls geringer als bei den übrigen Blechblasinstrumentalisten. Beim Spiel von Waldhorn und Trompete liegen die Werte für den Luftverbrauch in einem ähnlichen Bereich wie bei Querflöte und Klarinette. Beobachtungen in der dynamischen Magnetresonanztomografie und in endoskopischen Aufnahmen liegen für die Trompete und das Waldhorn vor. In den Aufnahmen der Magnetresonanztomografie ist deutlich zu sehen, dass – insbesondere bei hohen Tönen – neben der Bewegung des Zwerchfells auch die Bauchwandmuskulatur aktiviert wird, um die erforderlichen hohen Anblasdrucke zu erzeugen. In den endoskopischen Aufnahmen des Kehlkopfs sind beim Trompetenspiel ausgeprägte, den Atemspalt fast vollständig verengende Mitbewegungen der Stimmlippen zu beobachten, obschon es hierbei nicht zu einem vollständigen Stimmlippenschluss kommt.

Zirkularatmung

Eine Sonderform der Bläseratmung stellt die Zirkular- bzw. Permanentatmung dar. Sie kann besonders gut mit Instrumenten, die einen geringen Luftverbrauch erfordern – wie beispielsweise Oboe und Klarinette –, ausgeführt werden. Das Ziel der Zirkularatmung ist es, »unendlich« lange musikalische Phrasen ohne Unterbrechung durch Einatmungsvorgänge spielen zu können. Das Prinzip der Zirkularatmung besteht darin, einen ununterbrochenen Ausatemstrom zu erzeugen. Dies gelingt dadurch, dass das Gaumensegel und der Zungenrücken abwechselnd dazu genutzt werden, den Rachenraum zu öffnen und zu schließen. Bei der normalen Atmung erfolgen Öffnung und Schluss des Nasenrachenraums nur durch das Gaumensegel: Wird durch die Nase eingeatmet, ist es offen, wird durch den Mund ausgeatmet – wie es zur Erzeugung des Anblasdrucks bei Blasinstrumenten erforderlich ist –, ist es geschlossen. Bei der Zirkularatmung werden diese Bewegungen des Gaumensegels durch zwei Vorgänge ergänzt: Zum einen wird in den Backen bei der Ausatmung ein Luftreservoir angelegt (die Backen werden dabei äußerlich sichtbar aufgebläht), zum anderen wird der Zungenrücken an den Übergang von hartem zu weichem Gaumen in der Weise nach oben geführt, dass er den Mundraum vom Rachen trennt. Während die Zunge hinten oben zum Verschluss platziert ist, werden simultan zwei Atmungsbewegungen ausgeführt: Durch Öffnung des Gaumensegels wird über die Nase eingeatmet und die Vitalkapazität in der Lunge aufgefüllt und gleichzeitig der zur Tonerzeugung benötigte Atemstrom dadurch aufrechterhalten, dass die Luft aus den Backen durch Kontraktion der Backenmuskeln nach vorn in Richtung Mundstück transportiert wird. Nach Abschluss des Einatmungsvorgangs wird konsekutiv das Gaumensegel wieder verschlossen und der Zungenrücken in die Ausgangslage zurückgeführt. Hierdurch kann der Ausatemstrom aus der Lunge zum einen wieder ungehindert zur Tonerzeugung zum Mundstück gelangen und zum anderen dazu verwendet werden, das geleerte Backenreservoir erneut aufzufüllen. Dieser Vorgang wird mit fließenden – und damit so wenig wie möglich hörbaren – Übergängen »zirkular« oder »permanent« ausgeführt. Dies erklärt die Benennung dieser Atmungsform. Die Vorgänge können in den dynamischen kernspintomografischen Aufnahmen auf der DVD bei Oboe und Klarinette gut nachvollzogen werden.

Sänger

Die Atmung der Sänger ist am ehesten mit derjenigen der Blockflötisten zu vergleichen. Die Atmung während des Singens wurde intensiv erforscht: So weisen Sänger beispielsweise eine etwa 20 % höhere Vitalkapazität auf als Nichtsänger (Gould 1977), sie scheinen jedoch über keine größere Totalkapazität zu verfügen. Da die Atmung bei Sängern einige Spezifika aufweist, erscheint es gerechtfertigt, den Begriff »Sängeratmung« zu verwenden (Richter 2014, S. 34).10

1.4 Aufbau und Funktionsweise des Nervensystems

Das Nervensystem hat die Aufgabe, äußere Bewegungen und innere organische Vorgänge des menschlichen Körpers zu steuern. Im Nervensystem sind auch Gefühle und Erinnerungen – im Gedächtnis – gespeichert, welche Einfluss auf die Steuerung der Körpervorgänge nehmen (vgl. Kap. I.2.1). Grundsätzlich wissen wir heute, dass das Nervensystem in seiner Funktionsweise und Struktur nicht nur genetisch determiniert ist, sondern auch wesentlich unsere Erfahrungen verarbeitet und widerspiegelt. Diese Fähigkeit wird als neuronale Plastizität bezeichnet. Sie ist der Grund, warum Lernen während des gesamten Lebens möglich bleibt.

Neurone und Synapsen

Das Neuron – die Nervenzelle – stellt die Grundeinheit des Nervensystems dar (Abb. I.64). Jedes Neuron besteht aus einem Zellkörper, aus den Zellfortsätzen, den Dendriten – zur Informationsaufnahme Richtung Zellinneres – und aus den langen Fortsätzen der Nervenzellen, den Neuriten, welche Nervenimpulse an andere Neurone oder an Muskeln weiterleiten. Die Neuriten sind durch Bindegewebshüllen (sog. Nervenscheiden) zu Nervenfaserbündeln zusammengefasst und bilden den Nerv (griech. neúron, »Schnur«). Beim Menschen weisen die Nervenfasern sehr unterschiedliche Längen auf, sie sind zwischen Bruchteilen von Millimetern bis zu einem Meter lang. Die längsten Nervenfasern finden sich im Rückenmark und im Ischiasnerv. Um Informationen vom Gehirn zum ausführenden Organ oder umgekehrt von der Peripherie in das Gehirn zu leiten, geben Nerven elektrische Impulse weiter. Die Nerven, die eine Information vom Körper an des Gehirn weiterleiten, werden als afferent (von lat. afferre, »hinbringen«) bezeichnet, diejenigen, die Informationen vom Gehirn in die Peripherie des Körpers leiten, werden als efferent (von lat. efferre, »herausbringen«) bezeichnet.


Abb. I.64: Aufbau eines Neurons

Die Nervenleitung geschieht durch Änderungen der elektrischen Spannung entlang der Nervenzellmembran. Zwischen dem Inneren und der Oberfläche einer Nervenfaser besteht dadurch eine elektrische Potenzialdifferenz, dass Kalium- und Natrium-Ionen ungleich verteilt sind. Durch schnellen Ausgleich der Spannungsdifferenz entstehen an der Oberfläche der Nervenzelle elektrische Impulse, sog. Aktionspotenziale, die sich wie eine Welle ausbreiten.

Es gibt unterschiedlich schnell leitende Typen von Nervenfasern. Je dicker eine Nervenfaser und je dicker ihre Markscheide ist, desto schneller ist ihre Leitgeschwindigkeit. Am schnellsten sind die A-Alpha-Fasern, welche sowohl die Impulse für die Muskelanspannung vom Gehirn zu den Skelettmuskeln leiten als auch das Gehirn mit Informationen über die Spannung des Muskels versorgen. Sie besitzen eine Leitgeschwindigkeit von 70–120 m/s. Im Vergleich dazu, wie schnell manche Musizierbewegungen ausgeführt werden, ist die Übermittlung der Bewegungsimpulse jedoch vergleichsweise langsam und in Extremfällen nur etwa viermal schneller als der zeitliche Abstand zwischen zwei Tönen.

Die Verbindungen zwischen Neuronen bezeichnet man als Synapsen. An den Synapsen, von denen sich ca. eine Billiarde im menschlichen Körper befinden, findet die Erregungsübertragung von einem Neuron auf das nächste Neuron statt. Im sog. synaptischen Spalt modulieren Überträgerstoffe (Transmitter), ob ein Reiz verstärkt oder abgeschwächt weitergeleitet wird. Die dort ablaufenden Vorgänge sind hochkomplex und können deshalb hier nicht im Einzelnen dargestellt werden.11

Die Ausprägung von Synapsen unterliegt einer zeitlichen Dynamik im Laufe des Lebens und ist abhängig von den Erfahrungen der einzelnen Person und von den Anreizen, die auf das Nervensystem treffen. In den ersten beiden Lebensjahren entwickelt sich ein Netzwerk synaptischer Verbindungen – ablesbar an den enormen Entwicklungsprozessen im Kleinkindalter. Bestimmte Fähigkeiten müssen in dieser Phase erlernt werden, da sonst das Potenzial zur Ausbildung von Synapsen verkümmert. Unter dem Einfluss von Umwelterfahrungen werden die synaptischen Verbindungen später feiner reguliert und auf die wesentlichen Verbindungen beschränkt. Grundsätzlich können Vorgänge jedoch mit gewissen Einschränkungen bis ins hohe Alter auch neu erlernt werden.

Vergleichbar mit »Trampelpfaden«, die dadurch entstehen, dass ein Weg immer wieder gegangen wird, entstehen auch im Nervensystem durch Wiederholungen neue und stärker ausgeprägte synaptische Verbindungen. Hierbei ist zu unterscheiden, ob es sich um kurzfristige oder langfristige Verstärkungen der Signalübertragung zwischen Neuronen handelt. Von Kurzzeitplastizität spricht man, wenn die Änderung der Übertragungsstärke einige Millisekunden bis einige Minuten anhält (»short-term plasticity«, STP), von Langzeitplastizität, wenn sie Minuten bis Stunden oder lebenslang bestehen bleibt (»long-term plasticity«, LTP).

Die neu gebildeten synaptischen Verbindungen können sogar zu einer strukturellen Veränderung im Gehirn führen. So konnte bei Musikern, die vor dem Alter von sieben Jahren mit dem Instrumentalspiel begonnen hatten, gemessen werden, dass im Gehirn der sog. Balken – die Gehirnstruktur, welche die rechte und linke Gehirnhälfte verbindet – größer war als bei Nicht-Musikern (Schlaug et al. 1995).

Zentrales und peripheres Nervensystem

Aufgrund seiner Lage im Körper wird das Nervensystem in das zentrale Nervensystem und das periphere Nervensystem unterteilt. Das zentrale Nervensystem besteht aus Gehirn und Rückenmark, das periphere Nervensystem aus den Nerven, die das Gehirn und das Rückenmark mit den Muskeln und Organen im Körper verbinden.

Eine zweite Unterteilung des Nervensystems richtet sich nach seiner Funktion. Das somatische Nervensystem steuert in seinem motorischen Anteil willkürlich die Skelettmuskulatur, mit seinen sensiblen Fasern nimmt es Reize auf und leitet sie dem Gehirn zu. Das vegetative Nervensystem dient der unbewussten Steuerung der inneren Organe und lebenswichtiger Vorgänge wie der Atmung, des Herz-Kreislauf-Systems und der Verdauung. Es wird auch als autonomes Nervensystem bezeichnet.

Das zentrale Nervensystem

Gehirn

Das Gehirn ist das Zentrum unseres Denkens, Fühlens und Handelns sowie Sitz des Gedächtnisses. Es ist ein faszinierendes Organ, dessen komplexe Funktionsweise noch längst nicht in Gänze erforscht ist. Durch Untersuchungsmethoden wie das Elektroenzephalogramm (EEG) und insbesondere durch die funktionelle Kernspintomografie (fMRT) kann heute die Gehirnaktivität bei unterschiedlichen Aufgaben untersucht und so auf die Arbeitsweise des Gehirns rückgeschlossen werden. Diese Möglichkeiten haben in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem deutlichen Wissenszuwachs im Fachgebiet der Neurowissenschaften geführt.

Das Gehirn besteht aus dem Großhirn, dem Kleinhirn und dem Hirnstamm (Abb. I.65), der über das sog. verlängerte Mark (Medulla oblongata) in das Rückenmark übergeht.

Das Großhirn wird durch einen Spalt, der mehrere Zentimeter tief ist, in eine rechte und linke Hälfte – die Großhirnhemisphären – geteilt. Die Verbindung zwischen beiden wird in der Tiefe durch den sog. Balken gewährleistet, über dessen Nervenfasern Informationen zwischen beiden Seiten ausgetauscht werden können. An der Oberfläche des Großhirns liegt die Großhirnrinde, die wegen ihrer Farbe auch als »graue Substanz« bezeichnet wird und eine Vielzahl an Windungen und Furchen enthält (Abb. I.65). Ihr kommt für das menschliche Bewusstsein und Denken eine übergeordnete Bedeutung zu. Die Großhirnrinde wird in unterschiedliche Bereiche eingeteilt, welche verschiedene Aufgaben übernehmen – so befindet sich beispielsweise die primäre Hörrinde im Schläfenlappen und die primäre Sehrinde im Hinterhauptslappen. In der motorischen Rinde werden Befehle zur Steuerung von Bewegungen erteilt, in der danebenliegenden sensorischen Rinde werden Sinneswahrnehmungen empfangen (Abb. I.65). Die Basalganglien in der Tiefe der Großhirnhälften gehören zu dem Netzwerk an Gehirnzellen, welche die Planung und Ausführung von Bewegung mitgestalten.


Abb. I.65: Das Gehirn mit Übergang zum Rückenmark

In der Tiefe des Großhirns liegen zwei weitere wichtige Strukturen: das limbische System und – als Teil davon – der Hippocampus. Das limbische System ist an der Steuerung des Verhaltens und Denkens beteiligt und ist Sitz emotionaler Vorgänge, während der Hippocampus Ort der Wahrnehmung und Gedächtnisbildung – auch des musikalischen Gedächtnisses – ist.

Im Zwischenhirn, das von außen nicht zu sehen ist, da es sich in der Tiefe des Gehirns befindet, liegt der Thalamus. Er ist eine funktionell äußerst wichtige Struktur, da in ihm Informationen aus den Sinnesorganen – mit Ausnahme des Riechens – und Informationen zur Steuerung von Bewegung aus anderen Hirnbereichen zusammenkommen. Er enthält auch den Hypothalamus, der das vegetative Nervensystem (s. u.) steuert.

Das Kleinhirn – wegen seiner Lage gut zu erkennen (Abb. I.65) – ist insbesondere für die Feinabstimmung von Bewegungen zuständig und mit Großhirnrinde und Thalamus sehr eng vernetzt.

Der Hirnstamm bildet neben Großhirn, Zwischenhirn und Kleinhirn die anatomische Einheit des Gehirns im Übergang zum Rückenmark. Er umfasst Hinterhirn, Brücke und verlängertes Mark, in dem lebenswichtige Zentren zur Steuerung von Kreislauf

und Atmung liegen. Alle Bahnen zwischen den höhergelegenen Hirnzentren und dem Rückenmark verlaufen durch den Hirnstamm. Die Fasern der sog. Pyramidenbahn – so benannt nach der Form der Nervenzellen (Pyramidenzellen), aus denen sie hervorgehen – führen von der motorischen Hirnrinde zum Rückenmark und kreuzen mit ihrem größten Anteil die Körperseite auf Höhe des Hirnstamms.

Rückenmark

Das Rückenmark verläuft im Wirbelkanal der Wirbelsäule (Abb. I.15, S. 24) und leitet über auf- und absteigende Nervenbahnen Nervenimpulse vom Gehirn zu den Muskeln und Organen (efferente Fasern) und umgekehrt (afferente Fasern). Eine der wichtigsten Nervenbahnen ist die bereits erwähnte Pyramidenbahn, welche vornehmlich die Impulse für die willkürlichen Bewegungen leitet.

Das periphere Nervensystem

Das periphere Nervensystem besteht aus den Spinalnerven, welche die Wirbelsäule verlassen und aus dem Rückenmark austreten (Abb. I.15, S. 24) sowie aus den Hirnnerven, welche direkt aus Hirnnervenkernen im Gehirn entspringen. Die Nerven enthalten meist sowohl afferente als auch efferente Fasern. Sie leiten die Impulse aus dem Gehirn bis an das Erfolgsorgan, z. B. den Muskel. Periphere Nerven können durch Druck in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Ein Beispiel hierfür ist der Ellennerv (Nervus ulnaris), der in seinem oberflächlichen Verlauf am Ellenbogen leicht erreichbar ist. Gerät ein Nerv unter mechanischen Druck, so kommt es zu den typischen Kribbelempfindungen oder zu abgeschwächter Wahrnehmung in den von ihm versorgten Körperbereichen – im Fall des Ellennervs zu Kribbeln im Ringfinger und im kleinen Finger. Im Volksmund werden diese Stelle des Ellenbogens und die Reaktion durch Reizung des Nerven auch als »Musikantenknochen« bezeichnet. Eine Nervenschädigung muss erst bei länger anhaltendem Druck – dem sog. Nervenkompressionssyndrom – befürchtet werden (Altenmüller und Jabusch 2011, S. 188 f.).

Vegetatives Nervensystem

Das vegetative Nervensystem tritt mit dem Anteil des Sympathikus typischerweise bei Stress oder bei Lampenfieber in Erscheinung. Anzeichen wie schneller Herzschlag, schnelle Atmung, Schwitzen, kalte Hände, Zittern, Übelkeit u. a. sind Ausdruck des sympathischen Teils des vegetativen Nervensystems. Die körperlichen Reaktionen gehen auf ein entwicklungsgeschichtlich altes Programm zurück, mit dem in Angst auslösenden Situationen alle körperlichen Reserven aktiviert werden können, um durch Kampf oder Flucht zu überleben.

Die Steuerung erfolgt im Gehirn durch den Hypothalamus, welcher Impulse über Nervenwurzelzellen im Rückenmark und über weiterführende Nerven zu den Organen leitet. Die Katecholamine – »Stresshormone« – Adrenalin und Noradrenalin bewirken, dass gespeicherte Energie mobilisiert und Glucose aus dem Blut in die Zelle aufgenommen werden kann. Damit steht für die bei Kampf oder Flucht erforderliche Muskeltätigkeit ausreichend Energie zur Verfügung.

Neben dem Sympathikus des vegetativen Nervensystems, welcher auf Kampfbereitschaft und Außenorientierung eingestellt ist, gibt es den Gegenspieler, den Parasympathikus, der für Ruhezustände und Orientierung nach innen sorgt. Beide Anteile des vegetativen Nervensystems befinden sich situationsabhängig und im Tagesverlauf in unterschiedlicher Balance zueinander. Musiker brauchen auf der Bühne eine besondere Präsenz und Konzentration und können von einer optimierten Aktivierung des Sympathikus profitieren.

Ein Wechsel zwischen Spannung und Entspannung ist für die Gesunderhaltung wichtig. Menschen, die den Grad erhöhter Aktivierung nicht mehr reduzieren können, geraten in eine ungesunde Daueraktivierung in Form von Dystress. Chronischer Stress schwächt das Immunsystem und erhöht das Risiko für Infekte und andere Erkrankungen. Gerade für Musiker ist es wegen der regelmäßigen Sympathikusaktivierung in Präsentationssituationen wichtig, auf Ruhephasen zu achten. Der Abbau der Katecholamine nach einem Auftritt kann individuell sehr unterschiedlich verlaufen. Manche Künstler sind nach dem Auftritt noch mehrere Stunden hellwach, andere werden direkt nach dem Auftritt müde und wieder andere brauchen ein bis zwei Stunden, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Es ist hilfreich, die Verlaufskurve nach dem Auftritt individuell wahrnehmen und einordnen zu können. Wenn diesbezüglich Probleme erwachsen – beispielsweise durch ein chronisches Schlafdefizit bei regelmäßigen Konzerten am Abend und frühem Arbeitsbeginn am nächsten Morgen –, sollte ärztliche Beratung aufgesucht werden, um individuelle Lösungen zu finden. Bei lange anhaltender Aufregung nach dem Konzert können Bewegung und körperliche Aktivität eine einfache Hilfe sein, da hierdurch Adrenalin abgebaut wird.

Im Tagesverlauf wechseln sich normalerweise Phasen mit vorherrschender Aktivierung des Sympathikus und des Parasympathikus auf ganz natürliche Weise ab. Es empfiehlt sich, diese Biorhythmen zu respektieren. Üben und Proben in Phasen der Ruhebedürftigkeit und der Verdauung nach dem Essen sind nicht sehr gewinnbringend.

1.5 Sinneswahrnehmung

Reize aus der Umwelt in Form von Licht oder Wärme, Druck oder Schall, Geruch oder Geschmack werden durch Nervenimpulse dem Gehirn zugeleitet. Die physikalischen Reize werden von Rezeptoren in den Organen aufgenommen, in elektrische Signale umgewandelt und über afferente Nerven zum Gehirn transportiert.

Die »fünf Sinne« Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken sind sprichwörtlich, darüber hinaus gibt es jedoch noch einen sechsten Sinn, der Wahrnehmungen aus unserem Körper selbst aufnimmt. Es handelt sich um die sog. propriozeptive Wahrnehmung, die auch als kinästhetischer Sinn bezeichnet wird. Im Unterschied zu den anderen Sinnesmodalitäten entzieht sie sich größtenteils unserem Bewusstsein. Für Musiker spielt die kinästhetische Wahrnehmung bei der Ausführung der Musizierbewegungen eine ganz entscheidende Rolle.

Grundsätzlich sind beim Musizieren alle Sinne angesprochen, Riechen und Schmecken sind am Vorgang des Musizierens jedoch nicht unmittelbar beteiligt. Der Geruchssinn spielt allerdings für die emotionale Einstellung bei Auftritten eine nicht unerhebliche Rolle, da die zentrale Verarbeitung von Gerüchen mit situationsäquivalenten Emotionen eng verknüpft und im Langzeitgedächtnis gespeichert ist. So können Geruchswahrnehmungen Erinnerungen an positiv oder negativ erlebte Situationen auslösen und bestimmte Duftstoffe (Parfum, Make-up etc.) zur positiven Einstimmung für Auftritte genutzt werden.

Im Folgenden werden die für Musiker besonders wichtigen Sinne Hören, Tasten, Kinästhesie und Sehen näher beschrieben.

Hören

Zur Bedeutung des Hörens

Hören stellt für das Musizieren eine der primären Sinnesmodalitäten dar. Der Prozess des Hörens beginnt bereits im Mutterleib, da der Fötus schon in den letzten Wochen der Schwangerschaft, in denen das Hörsystem bereits ausgereift ist, akustische Informationen aus seinem Umfeld wahrnehmen kann.

Auch in der Evolution des Menschen ist der Hörsinn von größter Bedeutung, da das Gehör Tag und Nacht aktiv ist und vor Gefahren aus weiter Ferne und in der Dunkelheit warnen kann. Es erschließt akustisch den Raum hinter uns und hat in diesem Sinne die Funktion eines akustischen »Rückspiegels«.

Das Gehör ist darüber hinaus unentbehrlich für die menschliche Kommunikation. Der treffende Satz »Nicht sehen trennt von den Dingen. Nicht hören von den Menschen« wird dem Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) zugeschrieben. Das Ohr vermittelt über den sprachlichen Ausdruck, die sog. Prosodie, in der Kommunikation nicht nur den Inhalt, sondern auch den emotionalen Gehalt des Gesprochenen (vgl. Kap. I.2.2, S. 79 f.). Die prosodischen Elemente bestehen aus Tonhöhe und -dauer sowie aus Rhythmus und Lautstärke. Der Sprachmelodie kommt – als Teil der Prosodie – eine Schlüsselfunktion zu.

Im Zusammenhang mit der Musik denken wir beim Hören hauptsächlich an die Wahrnehmung von äußeren Klangereignissen. Daneben gibt es jedoch auch das »innere Hören«, also die Vorstellung von Musik, ohne dass sie äußerlich hörbar erklingen muss. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist Ludwig van Beethoven, der – auch nachdem er vollständig ertaubt war – weiter komponierte. In dieser Phase entstand sein heute wohl populärstes Werk, die neunte Sinfonie, deren Schlusschor seit 1972 die offizielle Europahymne ist. Er notierte diese Musik und konnte sie innerlich wahrnehmen, ohne sie bei der Aufführung wirklich hören zu können. Auch Musiker, deren Gehör nicht eingeschränkt ist, berichten davon – wie der Pianist Kit Armstrong jüngst in einem Rundfunkinterview –, dass sie beim reinen Lesen von Musik einen eigenen Genuss erleben. Dies ist auch der Fall, wenn man sich stumm ein musikalisches Werk in Erinnerung ruft oder beim Musizieren innerlich den Klang »voraushört«, bevor man ihn hörbar produziert. Das mentale Üben (vgl. S. 189) beruht ebenfalls auf der Fähigkeit, sich musikalische Klänge anhand eines schriftlichen Notentextes oder frei, vorstellen, d. h. innerlich hören zu können. Obwohl man deshalb sagen könnte, dass Musik in verschiedenen »Aggregatzuständen« existiert, ist sie doch keine »stumme« Kunst. So schrieb Richard Wagner im Jahr 1852 an Franz Liszt über die Partitur des LOHENGRIN: »… denn es ist eben nicht ein ›Buch‹, sondern die Skizze zu einem Werke, das erst dann wahrhaft vorhanden ist, wenn es (so) an Auge und Ohr zur sinnlichen Erscheinung gelangt …« (zit. nach Knust 2007, S. 27).

Anatomische und physiologische Grundlagen der Hörfähigkeit

Wenn Musik erklingt, dann wird sie über Schallwellen verbreitet. Das Organ, das diese Schallwellen aufnimmt und an das Gehirn zur Wahrnehmung des Gehörten weiterleitet, ist das Ohr. Aus den Schallwellen entstehen beim Hörvorgang sowohl »Hörempfindungen, Sprache und Musik, aber auch Krach und Lärm« (Hellbrück und Ellermeier 2004, S. 18). Das Ohr vermittelt wie kein anderes Sinnesorgan eine große Bandbreite ästhetischer und emotionaler Eindrücke und muss alle ihm dargebotenen Schallereignisse verarbeiten. Dass Musik in dieser Hinsicht auch als »Lärm« interpretiert werden kann, hat schon Wilhelm Busch in seinem berühmten Gedicht DER MAULWURF im Jahr 1874 festgestellt: »Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.« (Busch 1959, S. 724 ff.). Dieser Gedanke wird in Kap. II.4.1, S. 154 f., im Zusammenhang mit Lärmgefährdung und Gehörschutz bei Musikern nochmals aufgegriffen.


Abb. I.66: Anatomischer Aufbau des Ohres

Neben dem Hörsinn beheimatet das Ohr als Organ auch den Gleichgewichtssinn. Die folgende Darstellung konzentriert sich jedoch – unter Aussparung des Gleichgewichts – auf diejenigen anatomischen Grundlagen des Ohres und die physiologischen Aspekte des Hörens, die für das Verständnis des Hörvorgangs für Musiker wesentlich sind.12 Der Fokus liegt dabei auf den Vorgängen im peripheren Hörorgan.13

Anatomisch zeigt das Hörorgan einen dreiteiligen Aufbau (Abb. I.66). Man unterscheidet 1. das Außenohr mit Ohrmuschel und äußerem Gehörgang, 2. das Mittelohr mit dem Trommelfell, den Gehörknöchelchen und den Mittelohrmuskeln sowie 3. das Innenohr mit den eigentlichen Sinneszellen der Hörschnecke, den sog. Haarzellen (Abb. I.69). Die Hörschnecke ist im dichtesten menschlichen Knochen, dem Felsenbein, gelegen und damit gut geschützt. Die wesentliche Funktion des Ohres ist es, Schallwellen, d. h. mechanische Energie, in Nervenimpulse, d. h. elektrische Energie, umzuwandeln.

Die Schallwellen erreichen das Ohr auf zwei unterschiedlichen Wegen (Abb. I.67): zum einen über die sog. Luftleitung. Hier nimmt die Ohrmuschel den Schall auf, er wird im äußeren Gehörgang gebündelt und trifft dort auf das Trommelfell. Dieses wird durch den Schall in Schwingungen versetzt und überträgt diese Schwingungen über die Gehörknöchelchenkette von Hammer, Amboss und Steigbügel – die an ihrem einen Ende (Hammergriff) mit dem Trommelfell und an ihrem anderen Ende (Fußplatte des Steigbügels) mit dem Eingang zum Innenohr verbunden ist – auf die Innenohrflüssigkeit. Zum anderen kann der Schall auch direkt über das Körpergewebe und den Knochen zur Hörschnecke weitergeleitet werden. Diese per Vibration fortgeleiteten Schallereignisse bezeichnet man als Knochenleitungshören. Dieses Phänomen spielt eine besondere Rolle bei Sängern und Bläsern – aber auch Hohen Streichern –, die den Schall »innerlich« oder mit direktem »Vibrations-Kontakt« des Instruments zum Körper produzieren. Beim Testen der Hörfähigkeit wird sowohl eine Knochenleitungskurve (Vibrationsempfindungsfähigkeit hinter dem Ohr) als auch eine Luftleitungskurve im Audiogramm eingetragen (vgl. Abb. I.68).


Abb. I.67: Knochen- und Luftleitung


Abb. I.68: Tonaudiogramm bei normalem Hörvermögen; Darstellung der Knochenleitungskurve mit Häkchen, der Luftleitungskurve mit offenen Kreisen

Unabhängig davon, ob der Schall über die Luft- oder Knochenleitung ins Ohr gelangt, versetzt er eine Membran, die sog. Basilarmembran, in der Hörschnecke in Schwingungen. Die Basilarmembran ist wie die Stufen einer Wendeltreppe am Innenpfeiler verankert und zieht sich in zweieinhalb Schneckenwindungen nach oben. Auf ihr entstehen Wanderwellen, die entsprechend der Frequenz des eintreffenden Schalls ein Maximum an einer bestimmten Stelle der Basilarmembran aufweisen. Das Prinzip, wie diese Wellen entstehen, ist mit der Wellenbildung an einem Meeresstrand vergleichbar. Der »Wellenberg« bildet sich an einem bestimmten Ort in Abhängigkeit von der ankommenden Energie und der Beschaffenheit des Untergrunds – im Ohr in Abhängigkeit von den Schwingungseigenschaften der Basilarmembran. Die Wellenbildung führt dazu, dass die auf der Basilarmembran befindlichen Haarzellen aktiviert werden. Es gibt drei Reihen äußerer Haarzellen und eine Reihe mit ca. 3000 inneren Haarzellen (Abb. I.69). Diese sind die eigentlichen Hörzellen (Rezeptorzellen). Sie wandeln die ankommende mechanische Schallenergie in elektrische Energie um. Als Ergebnis dieser Umwandlung erzeugen sie Nervenimpulse, die zum Gehirn geleitet werden. Dort werden sie zu Höreindrücken verarbeitet und schließlich als solche wahrgenommen.

Verschiedene Tonhöhen werden an verschiedenen Orten in der Hörschnecke abgebildet – die hohen Töne bis ca. 20.000 Hertz (Hz) direkt unten in der ersten Windung der Schnecke, die tiefen Töne bis zu ca. 20 Hz an der Schneckenspitze. Das menschliche Ohr erfasst damit einen ziemlich großen Frequenzbereich. Dieser Frequenzbereich des Ohres wird bei der Produktion und Rezeption von Singen, Sprechen und instrumentalem Musizieren fast vollständig ausgeschöpft.


Abb. I.69: Schematische Darstellung der inneren und äußeren Haarzellen

Die Grundfrequenzen der menschlichen Stimme, insbesondere der Singstimme, bewegen sich im Normalfall im Bereich von etwa 50–1500 Hz. Man kann jedoch auch noch weit höher singen: Der australische Sänger Adam Lopez erhielt im Jahr 2007 im GUINNESSBUCH DER REKORDE einen Eintrag für die zirzensische Fähigkeit, Töne mit einer Grundfrequenz von über 4000 Hz zu phonieren.

Die Grundfrequenzen der Töne eines Klaviers liegen im Bereich von 27,5 bis 4186 Hz (Abb. I.70 und I.72). Einzelne Musikinstrumente wie z. B. Glockenspiele, Kirchenorgeln oder elektronische Synthesizer können sogar noch höhere Grundfrequenzen produzieren. Die Tatsache, dass der Grundton nur der tiefste Teilton des Obertonspektrums ist, führt dazu, dass beim Hören von Musik und insbesondere bei der vollständigen Klangwahrnehmung ein möglichst großer Frequenzbereich des Ohres vorhanden sein sollte. Grafisch wird dies in Abb. I.71 verdeutlicht. Zusätzlich zu den Angaben in Hz werden für die unterschiedlichen Tonhöhen auch die ersten acht Buchstaben des Alphabets verwendet; in englischer Notation werden diese, beginnend bei den tiefen Frequenzen, für die folgenden Oktaven durchnummeriert, in der deutschen Notation werden Groß- und Kleinschreibung sowie Striche verwendet (Abb.I.70).


Abb. I.70: Tonhöhen einer Klaviatur, in deutscher und englischer Bezeichnung


Abb. I.71: Spektrum eines Geigentons; der Grundton ist g’ (~ 400 Hz), die Obertöne sind ganzzahlige Vielfache des Grundtons


Abb. I.72: »Gerundete« Tonhöhen der Klaviatur auf den Ton g’ bezogen, g’ hat die Frequenz 392 Hz und wird hierauf 400 Hz gerundet

Manchmal fällt es schwer sich vorzustellen, welche musikalische Tonhöhe eine bestimmte Zahlenangabe bedeutet. Die Berechnung anhand des Kammertons a’ = 440 Hz ist umständlich. Zur Erleichterung, in welchem Tonhöhenbereich man eine Frequenz gedanklich einzuordnen hat, kann man sich ausgehend von g’ anhand der Oktavabstände nach oben und unten ein einfaches Raster bilden. Bei Oktavschritten nach unten halbieren sich jeweils die Frequenzen, nach oben verdoppeln sie sich. Unter Zuhilfenahme einer rechnerischen »Rundung« – mit einer hier vertretbaren Fehlerunschärfe – kann man annehmen, dass der Zahlenwert für g’ dem Wert 400 Hz (eig. 392 Hz) entspräche (Abb. I.72). Dann hätte die Oktave darunter, das kleine g, eine Frequenz von 200 Hz (eig. 196 Hz), eine weitere Oktave darunter, das große G, eine Frequenz von 100 Hz (eig. 98 Hz) etc. Die nächste Oktave oberhalb von g’ – bei g’’ – hätte 800 Hz (eig. 784 Hz), g’’’ 1600 Hz (eig. 1568 Hz) etc. Frequenzangaben einzelner Töne können mit diesem vereinfachten Schema den jeweiligen Oktavbereichen zugeordnet werden, woraus abgeleitet werden kann, in welchem Frequenz- und Tonbereich man sich mit seinem Instrument befindet.

Das Ohr hat einen erstaunlichen Dynamikumfang. Es kann sehr leise Töne an der Hörschwelle ebenso wahrnehmen wie laute Töne von 120 dB. Die Empfindlichkeit des Ohres ist jedoch nicht in allen Tonhöhen gleich: Sehr tiefe und sehr hohe Frequenzen werden erst bei höheren Schalldruckpegeln gleich laut gehört wie diejenigen im mittleren Frequenzbereich. Dies kann man auch an den Schwellen gleichen Lautstärkeempfindens (den sog. Isophonen) ablesen, die in Abb. I.73 als Linien eingezeichnet sind. Seine maximale Empfindlichkeit hat das Ohr im Bereich von 500–4000 Hz im leisen bis mittleren Dynamikbereich. In diesem Bereich sind auch die wesentlichen Informationen unserer Sprache enthalten: die Vokale bis ca. 2000 Hz, die Konsonanten zwischen 3000 und 4000 Hz. Man nennt diesen gesamten Bereich auch Hauptsprachbereich oder – wegen seiner Form – Sprachbanane.


Abb. I.73: Isophone mit Hauptsprachbereich (sog. Sprachbanane)

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass das Hörsystem in seiner Leistungsfähigkeit trainiert werden kann. So ist die Fähigkeit, Tonhöhen zu unterscheiden, abhängig von der Trainingsdauer, aber auch vom Instrument. Streicher erreichen im Vergleich zu Sängern eine bessere Tonhöhendiskrimination (Hofmann et al. 1997). Musikalische Frühförderung bei Kindern zeigt positive Effekte auf eine verbesserte Klangdifferenzierung und gleichzeitig auch auf den Spracherwerb (Magne et al. 2006). Nicht nur das Hören im Allgemeinen, sondern auch das musikalisch analytische Hören im Besonderen kann also trainiert werden.

Funktionseinschränkungen des Gehörs

In jedem der drei oben beschriebenen Abschnitte des Hörorgans können Veränderungen oder Funktionseinschränkungen auftreten, die eine Verminderung der Hörfähigkeit zur Folge haben. Wenn das Hörvermögen durch eine Blockade des Schalltransports im Außen- oder Mittelohr eingeschränkt ist, beispielsweise durch Ohrschmalz im äußeren Gehörgang oder durch eine Flüssigkeitsansammlung bei einer Mittelohrentzündung, dann spricht man von einer Schall-Leitungs-Schwerhörigkeit. Ist das Innenohr geschädigt, wird dies als Schall-Empfindungs-Schwerhörigkeit bezeichnet. Die für Musiker wichtigste Störung, welche die Musikausübung nachhaltig beeinträchtigen kann, ist eine Schädigung des Innenohrs mit einer Schall-Empfindungs-Schwerhörigkeit. Mögliche Ursachen für eine solche Schädigung sind akute oder chronische Überlastungen des Gehörs durch zu hohe Schalldruckpegel (vgl. Kap. II.4.1, S. 154 f.). Die Bauteile, die bei einer Innenohrschwerhörigkeit in Mitleidenschaft gezogen werden, sind die Haarzellen.

Bei kurzfristigen Überlastungen, die bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten – wie beispielsweise nach einem Diskobesuch –, können die Haarzellen nur »beleidigt« sein, d. h., ihre Funktion ist nur für wenige Stunden gestört und sie erholen sich wieder. In diesen Fällen spricht man von einem »temporary threshold shift« (TTS). Bei länger andauernden Überlastungen – und bei Überschreitung bestimmter Grenzwerte – gehen die Haarzellen zugrunde und ihre Funktion erholt sich nicht wieder. In diesen Fällen spricht man von einem »permanent threshold shift« (PTS). Aus einer normalen Hörfähigkeit über alle Frequenzen (Abb. I.68) entwickelt sich bei einem PTS eine Innenohrschwerhörigkeit, die zumeist im Bereich um 4 kHz beginnt (Abb. I.74). Man bezeichnet die dabei im Audiogramm sichtbare Senke auch als c5-Senke (vgl. die deutsche Notation in Abb. I.70). Die Haarzellen, die den Frequenzbereich der c5-Senke repräsentieren, liegen an der Biegung von der basalen zur mittleren Windung der Hörschnecke, an dem Ort, an welchem als erstes schallinduzierte Schädigungen auftreten. Man kann die Situation der Haarzellen im Innenohr mit dem Kopfhaar eines Mannes vergleichen: Härchen von gesunden Haarzellen sehen aus wie volles Haupthaar (Abb. I.75); geschädigte Haarzellen, deren Härchen abgeknickt oder vollständig zerstört sind, ergeben das Bild einer beginnenden bzw. fortschreitenden Glatze (Abb. I.76). Wenn die Haare kaputt sind und sich eine Glatze ausbildet, dann bleibt der Zustand dauerhaft so: Die Härchen des Kopfes und des Innenohrs können in gleicher Weise nicht mehr nachwachsen. Da Lärm eine der möglichen Ursachen für eine solche »Innenohrglatze« ist, sollte man sich als Musiker davor schützen, wie in Kap. II.4.1, S. 154 f. beschrieben.


Abb. I.74: Tonaudiogramm mit keilförmiger Senke bei 4 kHz (sog. c5-Senke)


Abb. I.75: Härchen von gesunden inneren Haarzellen

Was bedeutet nun eine c5-Senke für einen Musiker in der Praxis und wie hört sich eine solche Einschränkung an? Um Letzteres selbst zu erfahren, können die Auswirkungen einer derartigen Schwerhörigkeit auf die Klangwahrnehmung mit einem handelsüblichen Computer simuliert werden.14

Zum Vorgehen: Installieren Sie zunächst das Programm Madde. Es handelt sich um einen Stimmsynthesizer, der leicht zu bedienen ist und zur Veranschaulichung von Klangphänomenen auch für Instrumente herangezogen werden kann.

Neben dem Grundton erklingt bei jedem Klang – ob gesungen oder gespielt – musikalisch als zweiter Teilton die Oktave, als dritter die Quinte, als vierter die Oktave, als fünfter die Terz etc., wie in Abb. I.71, beim Geigenton veranschaulicht wird.


Abb. I.76: Geschädigte innere Haarzellen mit teilweisem Abknicken bzw. Untergang der Härchen

Dies kann mit Madde akustisch verdeutlicht werden. Rechts findet sich ein Fenster, welches mit »Source spectrum« überschrieben ist. Die einzelnen Linien dieses Fensters symbolisieren jeweils einen Teilton des Spektrums. Wenn man über den Play-Button den synthetischen Gesangston aktiviert, erklingt zunächst ein Gesamtklang. Man muss sich einige Sekunden lang an ihn gewöhnen, da er etwas »künstlich« klingt. Wählen Sie nun die Tonhöhe aus, indem Sie unten auf der Tastatur mit dem Cursor auf die gewünschte Taste klicken. Wir wählen den Ton g≈200 Hz – den Ton, der erklingt, wenn man die leere G-Saite einer Geige streicht. Schalten Sie bitte den Ton wieder aus, da dieser nach kurzer Zeit störend ist. Wenn Sie nun mit der Maus die einzelnen Teiltöne im Fenster »Source spectrum« in einem bestimmten Bereich nach unten schieben, also die roten Linien »kurz« machen, können Sie die c5-Senke »nachbauen«, die in Abb. I.77 im Klangspektrum zu sehen ist. Beginnen Sie dafür bitte mit dem 9. Teilton, d. h. mit dem neunten Strich, und erzeugen Sie bis zum 15. Teilton eine keilförmige Senke. Der 16. Teilton bleibt dabei die ganze Zeit über unangetastet. Drücken Sie dann erneut den Play-Button des Synthesizers oben links und lauschen Sie dem Klang: Er klingt viel dumpfer als vorher ohne c5-Senke. Besonders deutlich können Sie den Unterschied wahrnehmen, wenn Sie den Button »Flat« rechts oben neben dem »Source spectrum« drücken: Dann springt der Klang wieder auf den normalen Höreindruck ohne c5-Senke um. Auf diese einfache Weise kann man mit eigenen Ohren erleben, in welcher Weise das Klangspektrum im Frühstadium einer lärminduzierten Schwerhörigkeit eingeschränkt ist.


Abb. I.77: Simulation einer c5-Senke im Klangspektrum

Tastsinn

Der Tastsinn ist beim Spielen jedes Instruments unmittelbar beteiligt. Er gibt die Rückmeldung, wie Taste, Saite, Griffbrett, Griffloch oder Klappe getroffen werden. Bei Bläsern informiert er bei der Artikulation über die Berührung der Zunge am Gaumen und an den Zähnen und über den Kontakt der Lippen mit dem Instrument. Der Tastsinn umfasst verschiedene Komponenten der Wahrnehmung wie Berührung, Druck, Vibration und Temperatur. Die Oberflächensensibilität entsteht durch verschiedene Sensoren, die in unterschiedlichen Schichten der Haut angesiedelt sind.

Besonders empfindlich sind wir an den Lippen, der Zungenspitze und an den Fingerkuppen, wo sich jeweils im Abstand von einem halben Quadratmillimeter sensible Sinnesorgane zur Wahrnehmung kleinster Oberflächeneinwirkungen befinden. Die verschiedenen Sinnesorgane liegen im Haut- und Unterhautgewebe und sind auf unterschiedliche Wahrnehmungen spezialisiert. Die sog. Meissner-Tastkörperchen sind Sensoren für Hautberührung und niederfrequente Vibration, die Vater-Pacini-Körperchen für hochfrequente Vibration und die Ruffini-Körperchen für die Wahrnehmung von Druck und Scherkräften. Für den Tastsinn beim Musizieren ist von Bedeutung, wie hoch die räumliche Auflösung von Berührungsreizen ist. So liegt der Abstand zwischen zwei Berührungspunkten, bei dem diese noch als einzelne Reize erkannt werden können, an Zungenspitze, Fingerspitzen und Lippen bei ca. 1 mm.

Kinästhetischer Sinn

Neben der Oberflächensensibilität (vgl. Tastsinn) verfügen wir auch über eine Tiefensensibilität, welche die Kontraktion und Dehnung von Muskeln, den Zug an Sehnen und die Bewegungen in Gelenken erfasst und dem Gehirn mitteilt. Beide Sinnesbereiche werden zusammen als somatosensorische Systeme bezeichnet. Sie ermöglichen insgesamt die Wahrnehmung der Berührungen der Haut, der Stellung der Glieder, der Steuerung von Bewegungen und von Schmerz und Temperatur.

Der Bereich der Sinneswahrnehmung, in dem körpereigene Informationen zur Bewegung im Raum und zur Kraftentfaltung der Muskulatur vermittelt werden, wird als propriozeptive Sensibilität (von lat. proprius, »eigen«, und percipere, »wahrnehmen«) oder auch kinästhetischer Sinn bezeichnet. Die wichtigsten Sinnesorgane der propriozeptiven Sensibilität sind

• die Muskelspindeln in der Skelettmuskulatur und den Muskelsepten,

• die Golgi-Sehnenorgane in Sehnen und Muskelsepten,

• Mechanorezeptoren wie Ruffini-Körperchen in den Gelenkkapseln und Vater-Pacini-Körperchen in Muskelsepten, Knochenhaut und Gelenkkapseln.

Eine Muskelspindel (Abb. I.78) ist etwa 2–10 mm lang und 0,2 mm breit und liegt parallel zu den Muskelfasern im Skelettmuskel. Sie ist umgeben von einer Kapsel, in deren Innerem sich etwa zehn einzelne Muskelfasern (sog. intrafusale Fasern, von lat. intra, »innerhalb« und fusa, »Spindel«) befinden.

Die Muskelspindeln haben mehrere Funktionen. Sie sorgen dafür, dass Bewegungen in ihrer Kraftentfaltung fein reguliert werden und dass Muskelspannung eingestellt und aufrechterhalten werden kann. Gleichzeitig schützen sie den Muskel vor Überdehnung, wofür der Patellarsehnenreflex ein bekanntes Beispiel darstellt. Hier erfolgt durch einen leichten Schlag auf die Patellarsehne unterhalb der Kniescheibe eine plötzliche Dehnung der Muskelspindeln im vierköpfigen Schenkelmuskel und es kommt als Reflexantwort zu einer Kontraktion dieses Muskels mit Streckung im Kniegelenk.


Abb. I.78: Aufbau einer Muskelspindel

Muskelspindeln verfügen nicht nur über sensible (afferente) Nervenverbindungen, welche die Informationen aus der Muskelspindel über das Rückenmark an das Gehirn leiten, sondern sie sind auch mit motorischen (efferenten) Nervenfasern versorgt. Diese motorischen Axone treten an beiden Enden an die intrafusalen Fasern heran (Abb. I.78) und bilden die kontrahierbaren Anteile der Muskelspindel. Um die Mitte der intrafusalen Fasern sind sensorische Axone geschlungen, welche auf Dehnung reagieren und in sensible Nervenfasen übergehen. Wird nun von den motorischen Zentren des Gehirns (Kap. I.1.6) eine bestimmte Länge der motorischen Nervenfasern als Sollwert an die Muskelspindel weitergegeben, so erfolgt durch die kontraktilen Enden der Muskelspindel eine Voreinstellung des mittleren Dehnungsbereichs (Abb. I.78). Dieser mittlere Faserabschnitt fungiert als Messglied, dessen Dehnungsgrad nun mit der Länge der Skelettmuskelfasern verglichen wird. Kommt es beim Vergleich zwischen Soll- und Ist-Wert zu einer Abweichung, erfolgt in den Muskelfasern eine Veränderung hin zum Soll-Wert.

Die Muskelspindeln regulieren demnach in einem komplexen Regelkreis den Muskeltonus. Auch die erhöhte Muskelanspannung bei Lampenfieber kann dadurch erklärt werden, dass es in dieser Situation zu einer verstärkten Vorspannung der Muskelspindeln kommt.

Die Anzahl von Muskelspindeln ist je nach Muskel unterschiedlich. So finden sich in der mimischen Muskulatur und der Muskulatur der Hand etwa 140 Spindeln pro Gramm Muskulatur, während in den großen Rumpfmuskeln nur etwa 1 Spindel pro Gramm Muskulatur vorhanden ist.

Die Golgi-Sehnenorgane liegen in den Sehnen und sind im Unterschied zu den Muskelspindeln nur mit sensorischen Nervenfasern ausgestattet. Die spindelförmigen Rezeptoren erfassen den Dehnungszustand und die Spannung des Muskels.

Ruffini-Körperchen und Vater-Pacini-Körperchen sind Mechanorezeptoren in den Gelenkkapseln, die ebenfalls auf Dehnung reagieren.

Die Leistungen der somatosensorischen Systeme spielen für das Musizieren eine wichtige Rolle. Sie ermöglichen die Feinabstimmung der Positionen der Finger auf dem Instrument, z. B. auf dem Griffbrett der Geige. Das Gehör, der Tastsinn und das Sehen tragen dazu bei, dass die richtige Stellung des Gelenks eingenommen wird, da Klangvorstellung, Klangwahrnehmung und die dazugehörige Gelenkstellung aufeinander bezogen werden müssen. Auch die genaue Dosierung der eingesetzten Muskelkraft, z. B. beim Tastenanschlag am Klavier, ist auf diese Weise möglich und erlaubt die dynamische Gestaltung beim Spielen (vgl. S. 72 f.).

Sehen

Das Sehen spielt für die Musikausübung eine wichtige Rolle, da es sowohl für das Notenlesen als auch für die Kommunikation mit den Mitspielern notwendig ist. Auch werden Spielbewegungen bei manchen Instrumenten phasenweise optisch kontrolliert, z. B. Lagenwechsel auf manchen Streichinstrumenten oder Tonsprünge auf dem Klavier. Die optische Wahrnehmung der eigenen Person im Spiegel während des Übens oder auf Videoaufnahmen zur Kontrolle der Bühnenpräsenz ermöglicht außerdem wichtige Aspekte musikalischen Lernens. Anders als das Gehör ist das Auge keinen spezifischen Risiken durch die Musikausübung ausgesetzt. Schlechtes subjektives Sehen bei geringer Beleuchtung wird zwar verständlicherweise als störend empfunden, reduzierte Beleuchtung kann aber die Augen nicht funktionell oder strukturell schädigen (Grehn 2011). Es geht demnach hauptsächlich darum, für optimale Sehbedingungen in der Musiziersituation zu sorgen. Dies sollte bei Funktionseinschränkungen des Sehens durch individuelle Maßnahmen – im Rahmen einer augenärztlichen Behandlung – erfolgen. Gleichzeitig sollte beim Musizieren nach Noten darauf geachtet werden, dass der Spieler gute Voraussetzungen für das Lesen des Notentextes und für das Zusammenspiel herstellt.15

Akkommodation und Scharfsehen

Das Auge enthält in seinem vorderen Abschnitt eine optischen Blende: Durch zwei verschiedene Muskeln in der Aderhaut kann sich ihr Rand, die Pupille, bei geringer Lichtstärke erweitern bzw. bei großer Lichtstärke verengen. Direkt hinter der Aderhaut befindet sich die Linse, die je nach Alter eine unterschiedliche Elastizität und damit eine entsprechend unterschiedliche Brechkraft für die einfallenden Lichtstrahlen aufweist. Die Eigenschaft der Linse, Objekte in unterschiedlicher Entfernung scharf einstellen zu können, bezeichnet man als Akkommodationsfähigkeit (von lat. accommodare, »anpassen«). Junge Menschen können Objekte in einer Entfernung von etwa 7 cm (Nahakkommodation) bis zu einer unendlichen Reichweite (Fernakkommodation) scharf stellen. Im Alter von 40 Jahren beträgt die Nahakkommodationsfähigkeit noch etwa 13 cm vor dem Auge. Um das 50. Lebensjahr wird dann »der Arm zu kurz«, um noch in der Nähe ohne Lesebrille scharf sehen zu können, da der Nahpunkt dann bei mehr als 50 cm liegt.

Eine besondere Anforderung stellt im Chor, Orchester oder in kammermusikalischen Formationen der Wechsel zwischen Nah- und Fernsicht dar, der sich daraus ergibt, dass zwischen dem Lesen des Notentextes und der Aufmerksamkeit gegenüber den Mitspielern und dem Dirigenten ständig gewechselt werden muss. Ein gesundes Auge ist hierzu bis zu einem gewissen Alter wegen seiner Fähigkeit zur Akkommodation ohne Weiteres in der Lage.

Beleuchtung

Die eigentlichen Sinneszellen des Auges, die Stäbchen und Zapfen, befinden sich in der Netzhaut. Die Stäbchen sind wesentlich lichtempfindlicher als die Zapfen und kommen etwa 20-mal häufiger vor. Die Zapfen sind jedoch für das Farbsehen wesentlich: Die Grundfarben Blau, Rot und Grün haben jeweils eigens auf die Wellenlänge der jeweiligen Farbe spezialisierte Zapfen. Bei ungenügender Beleuchtung ist das Farbsehen eingeschränkt und auch das scharfe Fixieren eines Objekts hilft in der Dunkelheit nicht weiter, da hierdurch das Objekt an einer Stelle der Netzhaut abgebildet wird (der sog. Fovea Centralis), an der es so gut wie keine Stäbchen gibt. Bei geringer Beleuchtungsstärke ist der Kontrast, z. B. des Notenbilds, herabgesetzt und das Sehen dadurch beeinträchtigt. Besser ist es, im Dunkeln leicht am Objekt vorbeizuschauen, da dies die beste Sehschärfe ergibt.

Folgeerscheinungen bei eingeschränktem Sehvermögen

Auch wenn das Auge ein hinsichtlich seiner Funktion außerordentlich beeindruckendes Sinnesworgan ist, sind seiner Leistungsfähigkeit unter bestimmten Bedingungen Grenzen gesetzt. Subjektiv wird das Sehen dann als anstrengend erlebt. Die Folgen bestehen nicht in einer Schädigung des Auges, sondern äußern sich vielmehr in typischen körperlichen Fehlhaltungen und muskulären Verspannungen. Hierzu kommt es insbesondere dann, wenn die optische Wahrnehmung mit höchster Konzentrationsleistung verbunden ist. Ein typisches Beispiel ist das »Vom-Blatt-Spiel«, bei dem ein neuer komplexer Sachverhalt in kürzester Zeit optisch wahrgenommen, zentral verarbeitet und motorisch umgesetzt werden muss. Wenn hierbei zusätzlich das Erkennen des Notentextes eingeschränkt ist, z. B. bei nicht ausreichend durch eine Brille korrigierter Kurzsichtigkeit, führt dies zur typischen Verlagerung des Kopfes nach vorn. Wird der Oberkörper hierbei nicht mitbewegt, entsteht eine Abknickung im Halsbereich, die zu Verspannungen des oberen Anteils des Trapezmuskels führt. In Abb. I.79 ist eine solche Haltung am Beispiel einer Pianistin zu sehen. Sehschwierigkeiten können auf diese Weise auch zu Spannungskopfschmerzen führen.


Abb. I.79: Weit nach vorn verlagerte Kopf-Hals-Achse aufgrund von Sehproblemen beim Notenlesen

1.6 Steuerung und Lernen von Bewegung

Bewegungssteuerung im Nervensystem

Für das Musizieren hat die kontrollierte und präzise Steuerung von Bewegungen eine zentrale Bedeutung. Ein Instrument zu spielen erfordert die Ausführung der Spielbewegungen mithilfe von Muskeln, Gelenken und allen Elementen des Bewegungssystems, die in Kap. I.1 und I.2 beschrieben sind. Ohne eine sehr genaue Steuerung dieser Vorgänge wären die feinmotorischen Abläufe beim Musizieren nicht realisierbar. Für diese Feinabstimmung erhält das Nervensystem ständig differenzierte Rückmeldungen aus äußeren Sinnesreizen des Gehörs, des Tastsinns und des Auges, jedoch auch aus den Muskeln und Sehnen zur Stellung der Gelenke und zum Spannungszustand der Muskeln (vgl. Kap. I.1.5). Diese gesamten Informationen werden dem Gehirn als sog. sensorische Informationen zugeleitet. Aus der komplexen Fülle werden Bewegungsentwürfe entwickelt, die den ausführenden Organen – den Muskeln – als motorische Impulse zugeführt werden. Bei diesem – hier vereinfacht dargestellten16 – Vorgang werden sensorische und motorische Informationen aufeinander abgestimmt. Man spricht deshalb auch von Sensomotorik. Üben kann demnach als ein sensomotorischer Kreislauf verstanden werden, bei dem das Ziel verfolgt wird, die Abstimmung zwischen Bewegung und gehörtem Klang zunehmend präziser, feiner und kontrollierbarer zu gestalten. Auch wenn wir beim Spielen durchaus das Gefühl haben, dass wir einen Einfluss auf die Ausführung unserer Bewegungen haben, so wird uns doch nur ein Bruchteil der Informationen bewusst, die unser Gehirn ständig empfängt und aussendet.

An dem für das Musizieren wichtigen Bereich der Bewegungssteuerung sind die motorische und die sensorische Rinde (Abb. I.65, S. 58) maßgeblich beteiligt. Abb. I.80 zeigt die Repräsentation des Körpers auf der motorischen Großhirnrinde. Von hier aus gehen Bewegungsimpulse an die Muskeln der entsprechenden Körperbereiche. Die Körperregionen, in denen eine besonders feine Muskelkoordination möglich ist, enthalten dabei mehr Nervenzellen und nehmen deshalb entsprechend mehr Raum auf der Großhirnrinde ein als andere. Hieran lässt sich ablesen, dass für die Bewegungen beim Singen und Musizieren hervorragende Voraussetzungen bestehen. So sind der Gesichtsbereich, insbesondere der Mundbereich, und die Hand am größten abgebildet, d. h., sie können besonders gut feinmotorisch angesteuert werden. Regelmäßiges musikalisches Lernen führt zu spezifischen Veränderungen in der Repräsentation einzelner Körperbereiche auf der Großhirnrinde. Beispielsweise war bei Kindern im Alter von sechs Jahren, die wöchentlich 30 Minuten Klavierunterricht erhielten, nach 15 Monaten der zuständige Bereich auf der motorischen Hirnrinde größer als bei gleichaltrigen Kindern, die gesungen und getrommelt hatten (Hyde et al. 2009).


Abb. I.80: Repräsentation des Körpers auf der primärmotorischen Großhirnrinde (vgl. Abb. I.65)

Die Vorstellung, dass einzelne anatomische Strukturen für eine genau definierte Aufgabe allein zuständig sind, wird heute durch die Erkenntnis relativiert, dass das Gehirn in funktionsbezogenen Netzwerken von Nervenzellen, sog. Zell-Assemblies, arbeitet. So sind etwa an der Bewegungssteuerung beim Musizieren mehrere Bereiche des Gehirns beteiligt. Hierzu zählen die primär-motorische, die supplementär-motorische und die prämotorische Rinde. In ihnen werden nach heutigem Verständnis Bewegungsabfolgen aus einem erlernten Fundus von Bewegungen erstellt und willkürliche – bewusst und unbewusst – Bewegungen entworfen. Außer diesen Abschnitten der Großhirnrinde arbeiten noch tiefer gelegene Hirnzentren wie die Basalganglien hieran mit.

Das Kleinhirn sorgt dafür, dass die vom Großhirn entworfenen Bewegungen korrekt ausgeführt und gleichzeitig durch Abgleich mit sensorischen Informationen aus Muskeln, Haut und Gelenken an die jeweiligen Erfordernisse neu angepasst werden. Hierzu erhält das Kleinhirn eine sog. Efferenzkopie der geplanten Bewegung aus dem Großhirn, die noch vor Ausführung der Bewegung korrigiert werden kann.

Hauptsächlich die Motoneurone in der primär-motorischen Rinde erreichen über das Rückenmark das periphere Motoneuron und geben ihre Befehle an die Skelettmuskulatur weiter.

Bei der Steuerung von Muskeln übertragen die Nervenzellen ihre Signale auf die Muskelfasern. Die kleinste derartige Funktionseinheit wird als motorische Einheit bezeichnet. Sie umfasst ein einzelnes Motoneuron und die von diesem versorgten Muskelfasern, deren Anzahl von 10 bis zu 1000 Fasern reichen kann. Muskeln haben unterschiedlich viele motorische Einheiten. Je mehr Motoneurone sie besitzen und je weniger Muskelfasen von einem Motoneuron versorgt werden, desto feiner ist die Bewegungsabstimmung im Muskel. Die Signalübertragung vom Nerv auf die Muskelfaser erfolgt durch die sog. elektromechanische Kopplung an der synaptischen Verbindung zwischen dem Axon des Motoneurons und der Muskelfaser, an der sog. motorischen Endplatte. Hierbei führt das elektrische Aktionspotenzial der Nervenzelle am synaptischen Spalt unter dem Einfluss von Acetylcholin zu einer Freisetzung von Calcium-Ionen im Sarkomer und damit zur mechanischen Bewegung der Aktin- und Myosinfilamente in der Muskelfaser (vgl. S. 18). Hierdurch kommt es letztlich zur Kontraktion des Muskels.

Lernen bedeutet auf physiologischer Ebene, dass sich die Übertragung von Informationen zwischen Nervenzellen verändert. Die beiden Vorgänge Steuerung und Erlernen von Bewegungsabläufen – generell und auch beim Musizieren – werden folglich auch von denselben Strukturen des zentralen Nervensystems ausgeführt.

Bewegungslernen und Sensomotorik

Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits dargestellt, dass eine große Menge sensorischer Informationen dem Gehirn zugeleitet wird und am Entwurf von Bewegungen beteiligt ist. Beim Musizieren sind hierbei v. a. die Höreindrücke wichtig, da Spielbewegungen im Zusammenhang mit dem Klangergebnis erlernt werden.

Beim Musizieren wirken sensorische (afferente) Informationen und motorische (efferente) Signale zusammen. Dieses als Sensomotorik bezeichnete Prinzip bestimmt ganz grundsätzlich Steuerung und Erlernen der Spielbewegungen beim Musizieren.

Die Ausführung der Bewegungen beim Spielen erleben wir als willentlich und bewusst gesteuert. Tatsächlich ist es aber so, dass ein großer Anteil der Steuerungsvorgänge unbewusst abläuft. Dies liegt daran, dass wir aufgrund der Komplexität der Bewegungen nicht alle Aspekte bewusst wahrnehmen können. Musizierbewegungen sind zudem schnell und müssen sofort präzise funktionieren, so dass eine bewusste Feedback-Kontrolle, d. h. eine Fehlerkorrektur anhand sensorischer Rückmeldungen, nur im Anfangsstadium des Erlernens eines Instruments, nicht jedoch beim professionellen Spiel tolerabel ist. Ein Beispiel ist die Position des Fingers auf dem Griffbrett beim Violinspiel. Der Schüler im Anfängerstatus gleicht die Fingerposition mit dem Höreindruck ab und kann die Position beim Üben nachregulieren. Soll der gewünschte Ton in reiner Intonation jedoch auf Anhieb getroffen werden, muss das zentrale Nervensystem in der Lage sein, die Steuerungsvorgänge von vornherein zielgerecht auszuführen. Die Klangwahrnehmung behält zwar trotzdem ihren hohen Stellenwert für die gesamte Wahrnehmung von Musik und Bewegung, als auditorische Rückmeldung zur direkten Fehlerkorrektur ist sie jedoch zu langsam. Ein Vergleich im Gehirn zwischen der Planung der Bewegung – der sog. Efferenzkopie – und den sensorischen Rückmeldungen führt zwar dazu, dass ein Fehler noch bemerkt und die Bewegung verlangsamt wird, eine Korrektur ist allerdings nicht mehr möglich, da das efferente Signal die Muskulatur zu spät erreicht (Ruiz et al. 2009).

Automatisieren von Bewegungen

Um die zielgerechte Ausführung sicherzustellen, werden Bewegungen automatisiert. Bereits im Kindesalter ist zu beobachten, dass wiederkehrende Bewegungen als Programme im Nervensystem verankert werden. Man denke beispielsweise an das Laufen, das für ein Kind im zweiten Lebensjahr eine Herausforderung darstellt, die zunächst hinsichtlich ihrer muskulären Koordination und Anpassung an die Umwelt – z. B. das Berechnen von Bodenunebenheiten – bewältigt werden muss. Mit der Zeit erfolgt eine Automatisierung der Bewegung, d. h., das Gehirn entwickelt »Programmschablonen«, die aufgrund der umfangreichen Bewegungserfahrungen flexibel angepasst werden können. Für einen Erwachsenen muss Laufen als Bewegung nicht jedes Mal neu entworfen werden, sondern das Gehirn greift auf fertige Entwürfe zurück. Früh, d. h. im Kindesalter, erlernte Programme sind besonders gut im Gedächtnis verankert. In besonderen Situationen, z. B. bei Übermüdung, psychischer Erregung oder durch unvorhersehbare Ereignisse allerdings können die bewährten Bewegungsprogramme kurzfristig gestört werden.

Gedächtnis

Die Fähigkeit, Bewegungsabläufe zu speichern, setzt eine Gedächtnisleistung voraus. Sinneseindrücke gelangen für eine bis wenige Sekunden in den sog. sensorischen Speicher, der auch als Arbeitsgedächtnis bezeichnet wird. Nur ein Bruchteil dieser Informationen gelangt in unser Bewusstsein, der größte Teil entzieht sich unserer Aufmerksamkeit. Ein kleiner Teil gelangt in das Kurzzeitgedächtnis, in dem Gedächtnisinhalte wenige Augenblicke bis Minuten verbleiben. Um im Langzeitgedächtnis – von einigen Tagen bis zur gesamten Lebenszeit – verankert zu werden, müssen Vorgänge mehrfach wiederholt werden. Dies kann durch bewusstes Üben wie beim Musizieren oder durch unbewusste und häufige Wiederholung – wie am Beispiel des Laufens oben ausgeführt – geschehen. Vorgänge, die mit starken Emotionen verknüpft sind, werden besser im Gedächtnis verankert. Größere Informationsmengen können dadurch gespeichert werden, dass einzelne inhaltliche Elemente in Gruppen zusammengefasst werden. Dieser Vorgang wird als »Chunking« (von engl. chunk, »Brocken«) – im Deutschen als »Bündelung« – bezeichnet. Ein Beispiel ist das Spielen einer mehrstimmigen Partitur auf dem Klavier. Hier können einzelne Töne der Partitur vertikal zu Akkorden zusammengefasst und als bekannte harmonische Einheiten erfasst werden. Durch dieses »Chunking« findet eine starke Reduktion der Anzahl von Informationseinheiten, d. h. in diesem Fall einzelner Töne, statt.

Gedächtnisformen – deklaratives und prozedurales Gedächtnis

Unterschiedliche Formen des Gedächtnisses lassen sich nicht nur hinsichtlich der Dauer der Speicherung, sondern auch hinsichtlich der Art der Gedächtnisinhalte beschreiben. So unterscheidet man das deklarative und das prozedurale Gedächtnis.

Als deklarativ werden formulierbare Wissensinhalte wie Fakten, sog. theoretisches Wissen, bezeichnet. Prozedurales Wissen dagegen beinhaltet die Ausführung von Prozeduren, z. B. instrumentale Spielbewegungen. Deklarative Gedächtnisinhalte werden eher explizit und schnell erlernt, der Lernprozess erfordert bewusste Kontrolle. Prozedurale Gedächtnisinhalte dagegen werden meist implizit, d. h. weniger bewusst erlernt. Das prozedurale Lernen erfolgt automatisiert. Es geschieht langsam und benötigt viele Wiederholungen. Im prozeduralen Gedächtnis sind alle wiederkehrenden Bewegungen des täglichen Lebens gespeichert sowie die zahllosen Bewegungen von hoch spezialisierten Fertigkeiten – auch diejenigen des Instrumentalspiels. Automatisierte Musizierbewegungen sind Teil des prozeduralen Gedächtnisses. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Bewegungsgedächtnis oder motorischem Gedächtnis. Die bewusste Körper- und Bewegungswahrnehmung liefert wichtige Voraussetzungen für die Ausbildung des motorischen Gedächtnisses.

Auch wenn das prozedurale automatisierte Gedächtnis notwendig ist, um die Komplexität der Musizierbewegungen zu reduzieren und ihre Stabilität zu sichern, sollte beim Musizieren auch das deklarative Wissen einbezogen werden. Aus der Musizierpraxis ist hinlänglich bekannt, dass rein automatisiertes Spielen, ohne zu wissen, was man spielt, bei zusätzlichen Anforderungen, wie sie in der Konzertsituation regelhaft vorkommen, zu Unsicherheiten bis hin zum Blackout führen kann. Es hat sich daher bewährt, sowohl mit dem prozeduralen als auch mit dem deklarativen Gedächtnis zu arbeiten.

Bewegungslernen beim Musizieren

Das Bewegungslernen beim Musizieren verläuft in mehreren Lernphasen:

Orientierung: Bei Anfängern oder bei ganz neuen Anforderungen übernimmt das Gehör zur Orientierung die Hauptrolle. Das Auge kontrolliert ebenfalls mit. In dieser Phase müssen viele Einzelheiten aufgenommen und mit hoher Aufmerksamkeit während des Spielens überwacht werden.

Differenzierung: In der nächsten Phase ist die Bewegungskoordination schon besser und es ist weniger hochkonzentrierte Aufmerksamkeit auf die Einzelheiten notwendig. Die Sinneswahrnehmungen Hören und Sehen sind auf das Wesentliche bezogen. Bewegungsunterschiede werden feiner wahrgenommen und korrigiert. Das Bewegungsgefühl spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Insgesamt bleiben die Abläufe beim Spielen noch unsicher und anfällig für Störungen.

Stabilisierung: Die Bewegungsabläufe werden jetzt so automatisiert, dass sie ohne bewusste Aufmerksamkeit ablaufen können. Damit ist der Spieler freier, auf andere Aspekte wie das musikalische Zusammenspiel, die musikalische Gestaltung etc. zu achten. Es findet dadurch eine Steigerung der Bewegungsqualität statt, so dass Teilbewegungen zu größeren Einheiten zusammengeführt werden und ein hohes Maß an Ökonomie und Stabilität in der Bewegung erreicht wird. Dies vollzieht sich u. a. auch durch das Bündeln größerer Sinneinheiten (»Chunking«).

Kontextualisierung: In dieser Phase wird das bisher Geübte im Hinblick auf die Konzertsituation weiter stabilisiert und das Bewegungsgefühl unter Kontextbedingungen verankert. Der Spieler lernt hierbei, die Bewegungsabläufe unter besonderen emotionalen Bedingungen und unvorhersehbaren Anforderungen und Störungen stabil zu halten und gleichzeitig flexibel zu gestalten.

Bewegungslernen findet nicht in regelmäßigen Schritten statt, sondern ist Lernsprüngen und zwischenzeitlichen Stagnationen unterworfen. Wenn das individuelle Leistungsniveau erreicht ist, kann weiteres Üben die Bewegungsleistung nicht mehr steigern.

Stagnationen können damit zusammenhängen, dass die gelernte Bewegung erst in komplexeren Zusammenhängen erfasst und abgelegt werden muss. Dies braucht Zeit.

Lernen durch Spiegelneurone

Seit ihrer Erstbeschreibung durch die Arbeitsgruppe um den italienischen Forscher Giacomo Rizzolatti Anfang der 1990er-Jahre wissen wir, dass Spiegelneurone ermöglichen, uns in andere Menschen hineinzuversetzen, und dass sie zu unserer grundlegenden neurophysiologischen Ausstattung gehören (Rizzolatti und Sinigaglia 2008). Spiegelneurone finden sich u. a. in der prämotorischen Hirnrinde. Sie haben auch für das Bewegungslernen eine große Bedeutung, da sie an der Vorstellung und dem Wiedererkennen von Bewegungen beteiligt sind. Zudem steuern sie das Nachahmen von Bewegungen mit. Dies kann erklären, warum im Anschluss an den Konzertbesuch eines exzellenten Künstlers bei einem erfahrenen Musiker eine Verbesserung des eigenen Spiels eintritt.

1 Als Grundlage für die anatomischen Beschreibungen in diesem Kapitel wurde das Lehrbuch ANATOMIE von Zilles und Tillmann (2010) verwendet. Der interessierte Leser findet hier weiterführende detaillierte Angaben.

2 Als weiterführende Literatur empfehlen wir: Simmel, L.: Tanzmedizin in der Praxis. Anatomie, Prävention, Trainingstipps, Henschel, Leipzig 2014.

3 Eine interessante Darstellung hierzu findet sich bei Wilson, F. R.: Die Hand – Geniestreich der Evolution, Klett-Cotta, Stuttgart 2000.

4 Für weitere Informationen zu Anatomie und Funktion der Hand ist zu empfehlen: Wehr, M., Weinmann, M. (Hg.): Die Hand. Werkzeug des Geistes, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999.

5 Lesern, die sich für weiterführende Erläuterungen der Anatomie und Physiologie dieser Funktionseinheit interessieren, sei für einen Überblick das Buch DIE STIMME (Richter 2014) empfohlen. Zu den einzelnen Muskeln sei auf die Artikel des Anatomen Bernhard Tillmann im LEXIKON DER GESANGSSTIMME (Mecke et al. 2016) hingewiesen

6 Eine ausführliche Darstellung findet sich in: Richter 2014 sowie Mecke et al. 2016.

7 Für nähere Ausführungen empfehlen wir die Monografie: Lapatki, B.: The Facial Musculature. Characterisation at a Motor Unit Level, Danders Series, Bd. 33, Ipskamp, Enschede 2010.

8 Für Leser, die sich über die genauen biologisch-physiologischen Grundlagen der Atmungsvorgänge in der Lunge informieren wollen, sei auf einschlägige Kapitel in Lehrbüchern der Physiologie verwiesen, wie z. B. das Kapitel »Atmung« in: Pape et al. 2014.

9 Diese sind auf der 2013 erschienenen DVD DAS BLASINSTRUMENTENSPIEL: PHYSIOLOGISCHE VORGÄNGE UND EINBLICKE INS KÖRPERINNERE veröffentlicht (Spahn et al. 2013). Die Vorgänge während des Spiels unterschiedlicher Blasinstrumente werden auf dieser DVD in mehr als 130 Filmclips präsentiert. Hierdurch soll allen Bläsern ein umfangreiches und kommentiertes Material zur Verfügung gestellt werden, anhand dessen sie die physiologischen Vorgänge beim Spielen selbst nachvollziehen können.

10 Weiterführend interessierten Lesern sei für die Spezifika der Sängeratmung die Lektüre folgender Publikationen empfohlen: DIE STIVVE (Richter 2014), DIE WISSENSCHAFT VON DER SINGSTIMME (Sundberg 2015) und das LEXIKON DER GESANGSSTIMME (Mecke et al. 2016).

11 Für Leser, die sich über die genauen biologisch-physiologischen Grundlagen der Signalübertragung am synaptischen Spalt informieren wollen, sei auf einschlägige Lehrbücher der Physiologie verwiesen, z. B. das Kapitel »Synaptische Übertragung« in: Pape et al. 2014.

12 Die folgenden Ausführungen lehnen sich an das Kapitel »Hören« im Buch DIE STIMME an (Richter 2014).

13 Für ein vertieftes Verständnis der Hörverarbeitung sei dem interessierten Leser die Monografie von Hellbrück und Ellermeier (2004) oder die kompakte Darstellung von Dirk Mürbe im LEXIKON DER GESANGSSTIMME (Mecke et al. 2016) empfohlen.

14 Die hierfür notwendige Software kann im Internet von der Website www.tolvsan.com (letzter Zugriff: 22.03.2015) kostenfrei heruntergeladen werden. Die Software wurde von Mitgliedern der Arbeitsgruppe Music Acoustics Group um Svante Granqvist an der Königlich Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm entwickelt.

15 Weiterführende Erklärungen zum Thema Funktionseinschränkungen des Sehens bei Musikern finden Sie in: Grehn, F.: Augenheilkunde, in: Spahn, C., Richter, B., Altenmüller, E. (Hg.): MusikerMedizin. Diagnostik, Therapie und Prävention von musikerspezifischen Erkrankungen, Schattauer, Stuttgart 2011, S. 343–360.

16 Für eine weiterführende Darstellung verweisen wir auf: Klöppel, R., Altenmüller, E.: Die Kunst des Musizierens, Schott, Mainz 2013.

Musikergesundheit in der Praxis

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