Читать книгу Der wunderbare Garten der Druiden - Claudia Urbanovsky - Страница 7
KAPITEL 1 WO DIE ALTEN GÖTTER WEITERLEBEN
ОглавлениеWer sich die Mühe macht, westlich von Pleumeur-Boudou, einem kleinen Ort an der bretonischen Nordküste, durch die einsame Heidelandschaft zu wandern, der kann dort ohne Schwierigkeiten einen etwa acht Meter hohen geglätteten Felsbrocken finden, auf dessen Spitze ein Kreuz thront. Die Oberfläche des langen Steines, eines Menhirs, ist unterhalb dieses Kreuzes mit einer Vielzahl christlicher Motive bedeckt: Lanzen, die Werkzeuge der Folter Jesu Christi, Maria, der Hahn auf dem Geißelpfahl.
An sich sind Menhire in der Bretagne nichts Besonderes. Das ganze Land scheint mit Relikten aus grauer Vorzeit übersät zu sein. Allein Carnac besitzt fast 3000 stehende Steine an mehreren Stellen und ist somit weltweit einer der bedeutendsten Zeugen der vorzeitlichen Megalithkultur. Um diese Megalithen ranken sich auch heute noch unzählige Geheimnisse, aber im Laufe der Zeit wurden viele von ihnen zerstört und entziehen sich somit einer tiefgreifenden wissenschaftlichen Untersuchung. Sie fielen dem Kirchen-, Festungs- und Hafenbau zum Opfer, wurden – wie zum Beispiel in Norddeutschland – zum Deichbau abgetragen oder zerkleinert mancherorts gar als Straßenpflaster verwendet. Doch dieses Schicksal oder der Blitzeinschlag, der nach der Legende den größten bekannten Monolith der Welt25 – Le Grand Menhir de Locmariaquer – dereinst hinstreckte, sind ein gnädigeres Los im Vergleich zu dem, was so manchem überlebenden Monument der Megalithkultur im Verlauf der letzten paar hundert Jahre zugestoßen ist!
Es wird vermutet, dass heute in manchen Gebieten nur noch etwa fünf Prozent der ursprünglichen Objekte überhaupt erhalten sind. Nach langer Verteufelung fing man erst im 17./18. Jahrhundert wieder an, sich für die Megalithenanlagen zu interessieren. Aus dieser Zeit, in der Interesse beinahe über Nacht in rasende Begeisterung umschlug, stammt gleichfalls der Mythos, dass diese rätselhaften Bauwerke auf die Druiden der Kelten zurückzuführen seien.
Die Christianisierung des Steins von Pleumeur-Boudou ging nämlich keineswegs mit der offiziellen Bekehrung des Landes zum Christentum einher. Diese galt ja – zumindest nach der Geschichtsschreibung – bereits im 7./8. Jahrhundert als abgeschlossen, in jener Zeit also, als das Manuskript von Leyden von seinen unbekannten Verfassern höchstwahrscheinlich in einem der keltischen Klöster des Landes niedergeschrieben wurde, während sich gerade in seiner direkten Nachbarschaft die Klosterregel des heiligen Benedikt von Nursia mit Feuer und Schwert durchzusetzen suchte. Die barbarischen und geschmacklosen Steinmetzarbeiten, die den Menhir von Saint-Duzec verunstalten, wurden jedoch erst im Jahre 1674 vorgenommen! Offensichtlich muss es also irgendein katholischer Geistlicher noch im späten 17. Jahrhundert für bitter nötig gehalten haben, die Überreste einer scheinbar seit langem erloschenen heidnischen Naturreligion auszumerzen und dieses Relikt aus der Steinzeit der Leitlinie der römisch-katholischen Kirche anzupassen.
Die ganze Sache wird noch interessanter, wenn man sich auf einen Ausflug in den Norden von Nantes begibt. Dort ist es noch nicht einmal 100 Jahre her, dass der Abbé Jacques Cotteux aus dem kleinen Örtchen Luisfert einen wahren Kreuzzug ausrief, um dem heidnischen Aberglauben in seiner Gemeinde endlich ein Ende zu setzen. Seine doch recht spät anmutenden Versuche, die Bretonen zu christianisieren, arteten geradezu in wilden Vandalismus aus! Er ließ systematisch sämtliche Megalithen in seinem gesamten Amtsbezirk zerstören. Im Anschluss daran zwang er die ihm anvertrauten Schäfchen dazu, ihm dabei zur Hand zu gehen, diese »massakrierten« Megalithen zu einem enormen Hügel übereinanderzuschichten. Auf dessen Spitze stellte er eigenhändig drei Kreuze, verschiedene kitschige Heiligenstatuen im Geschmack der Jahrhundertwende sowie Schiefertafeln mit erbaulichen religiösen Versen auf. Nachdem der Abbé vor seinen Schöpfer getreten war, wurde er selbst gar im Herzen dieses unglaublich geschmacklosen Beispiels religiösen Fanatismus zur letzten Ruhe gebettet. Glücklicherweise sind zahllose andere steingewordene Erinnerungen an die uralte europäische Verehrung der allmächtigen Natur und ihrer Personifizierung, der »Großen Göttin«, dem geradezu lächerlich anmutenden, verkrampften, missionarischen Eifer der katholischen Un-Geistlichkeit entgangen. Heute können wir endlich aufatmen und die erhaltenen Megalithenbauten als endgültig für die Nachwelt gerettet betrachten. Viele von ihnen wurden in den letzten 30 oder 40 Jahren liebevoll restauriert, unter Denkmalschutz gestellt und die spektakulärsten, wie zum Beispiel Carnac, mit so hohen Zäunen umgeben, dass weder der neugierige Tourist noch der wahre Suchende auf Armeslänge an sie herankommt.
Trotz erheblicher Kosten werden Megalithen beim Bau neuer Straßen inzwischen entweder weit umgangen oder unter großem Kosten- und Zeitaufwand an eine andere Stelle umgesiedelt. Gewiss ist eine solche Umsiedlung nicht so ganz im Sinne der Erfinder der Megalithkultur. Nichtsdestoweniger ist dieser Umgang mit den Relikten der Vorzeit respektvoller als ihre gewaltsame Zerstörung und Unterdrückung! In der an die Bretagne angrenzenden Normandie ging der Conseil Régional gar so weit, Landwirten bei Strafe zu untersagen, auf ihren Äckern befindliche Megalithen zu entfernen.
Doch nicht nur die stehenden Steine und andere vorzeitlichen Denkmäler der Megalithkultur erinnern beim Durchwandern der Bretagne und der angrenzenden Normandie (aber auch der Auvergne, des Languedoc, der nördlichen Verwaltungsbezirke Frankreichs etc.) auf Schritt und Tritt an vorchristliche Traditionen. Da gibt es zahllose Bräuche an kirchlichen Feiertagen, die ihre Herkunft aus den Fruchtbarkeitsriten, aus dem Sonnenkult oder aus der noch weiter zurückliegenden Verehrung der Großen Mutter nicht verleugnen können. 7777 Heiligen sollen in der Bretagne verehrt werden, rund 4500 in der angrenzenden Normandie. Und die Menschen kümmert es dabei nur wenig, dass der Papst in Rom die allermeisten ihrer Heiligen überhaupt nicht anerkennt, wohl wissend, dass sich hinter den meisten irgendwelche heidnischen Gottheiten verstecken, oder die weisen druidischen Hüter einer Quelle, einer Furt oder eines anderen Naturheiligtums.
In zahllosen alten Kirchen Frankreichs und insbesondere in denen der Bretagne und der Normandie sind die alten Götter als Skulpturen oder symbolisch in Hülle und Fülle präsent; nackte, gehörnte Frauen- und Männergestalten, keltische Kreuze in einem Kreis der Unendlichkeit, Sirenen und Sonnenräder, der Hirschgott Cernunnos, Ankoù, der Herrscher über Leben und Tod, und die Große Mutter der uralten matriarchalischen Kultur, kaum verhüllt vom – sonderbar archaisch und unchristlich anmutenden – blauen Mariengewand! Selbst in ihren Namen tragen diese christlichen Kirchen noch die uralte Verehrung der Göttin – Notre-Dame!
Beim Besuch bretonischer Gotteshäuser erwacht sowieso schnell der Eindruck, dass die Religion des (römischen) Patriarchats eine ziemliche Schlappe erlitten haben muss. Wo sonst verehren sogenannte katholische Gläubige eine Darstellung der Jungfrau Maria – wie in Kermaria-en-Isquit oder Fougères, unweit der administrativen Grenze zur Normandie –, die dem Jesuskind die unbedeckte Brust anbietet? Auf dem Kreuzweg der Kirche Notre-Dame de Tronoën in Saint Jean-Trolimon findet der aufmerksame Betrachter sogar eine Maria, die mit aufgelöstem Haar und nacktem Oberkörper lasziv auf einem Bett liegt. Nirgendwo hat das matriarchalische Verständnis der Frau klarere Formen angenommen als in der Madonna von Saint-Matthieu de Morlaix, einer Statue aus dem 15. Jahrhundert. Diese Maria lässt sich öffnen und in ihrem Inneren birgt sie Gottvater, die Taube des Heiligen Geistes und das Kreuz als Attribut Jesu. Auf diese Weise ist die gesamte Dreifaltigkeit im Schoß der Mutter enthalten und selbst Gottvater geht hier aus der Frau hervor. Vor allem aber lebt die Große Mutter der Urzeit in einer Heiligen fort, die nirgendwo so sehr geliebt und verehrt wird wie in den keltischen Ländern und der Bretagne: Anna, die »Großmutter« Jesu! Die Bretonen behaupten gar steif und fest, dass Anna eine der ihren war: In Auray geboren, floh sie vor einem grausamen Ehemann und ging nach Galiläa, wo sie Joachim heiratete und Maria zur Welt brachte. Nach der Kreuzigung sei Anna gemeinsam mit Josef von Arimathäa und dem Heiligen Gral in die heimatliche Bretagne zurückgekehrt. Ihre Statuen sind zahlreich und ähneln einander aufs Haar. Meist wird Anna als weise alte Frau dargestellt, die der jungen Maria das Lesen und Schreiben beibringt!
Anna als Bretonin betrachtet? Es ist nicht einmal abwegig! Der Kult um die heilige Anna ist ein Teil der bretonischen Nationalidentität. Natürlich wurden eines Tages plötzlich ihre Reliquien entdeckt, wie es heißt, im Beisein von Karl dem Großen selbst im Jahre 801, und Papst Urban VI. autorisierte 1382 die Heiligenverehrung. Die angebliche Großmutter Jesu – denn nur die Apokryphen erwähnen Anna als Mutter Mariens – ist heute die Nationalheilige der Bretagne. Auch diese »wichtige« Entdeckung fällt in die Zeit, in der die neobretonische medizinische Handschrift niedergeschrieben wurde, die man heute in Leyden bestaunen kann.
Die Mutter der Götter der Druiden heißt Anna, Ana oder auch Dana. Die Iren bezeichnen diese alten Götter als die Túatha Dé Danaan, die Kinder von Ana! War es für die Bretonen, diese keltischen Enkel von Ana, vielleicht einfacher, die neue Religion aus dem Orient zu akzeptieren, indem sie Jesus in die Ahnengalerie ihrer eigenen alten Götter einreihten? Genauso wie es offensichtlich jene Druiden zu tun wussten, die sich entschlossen hatten, aus den Waldheiligtümern in die keltischen Klöster zu gehen, um dort ihr Wissen und ihre Kenntnisse weiterzugeben und zu bewahren? Sind hier im äußersten Westen Frankreichs an der Atlantikküste die vorchristlichen Kulte vielleicht weitaus weniger rigoros ins kollektive Unterbewusstsein verdrängt worden als anderswo in Europa?
Legenden über den heldenhaften Kampf eines christlichen Heiligen gegen den Leibhaftigen oder gegen einen feuerspeienden Drachen sind überall dort besonders zahlreich und lebendig, wo sich die alte Religion lange und entschlossen der Zwangschristianisierung widersetzen konnte. Den bretonischen Drachentötern – Saint-Pol Aurélien, Saint-Derrien, Saint-Armel oder Saint-Neventer – ist es allem Anschein nach nicht so ganz gelungen, dem feuerspeienden Untier Herr zu werden. Und auch der heilige Samson und der berühmteste aller Drachentöter, Michael, waren offenbar weniger erfolgreich im Kampf gegen ihre Hörner tragenden, geschuppten Widersacher, als viele Legenden dies glauben machen wollen. Geschichten über den »Sieg« des Christentums häufen sich insbesondere im Osten der Bretagne, an der heutigen administrativen Grenze zur Normandie. Drei weithin sichtbare Erhebungen liegen dort ganz nahe beieinander: der Mont Tombe, der Mont Dol und der weltberühmte Mont Saint-Michel. Alle drei verfügen über solch gewaltige kosmisch-tellurische Strahlungen, dass selbst die Wissenschaft diese nicht zu leugnen vermag. Insbesondere der Mont Saint-Michel, einst hieß er Mons vel Tumba Beleni – Berg des Belenos – und in noch früherer Zeit Mons Kronan, nach dem vorzeitlichen Gott, der über die Phasen des Lebens herrschte, ist ein wertvoller Zeuge der Verteidigung! Der wundersame Berg im Meer diente in früheren Zeiten als Sonnenheiligtum der Druiden. Sie selbst lebten im Wald von Scissy, der den Berg umgab, bevor er vom Kontinent abgeschnitten wurde. In gallorömischer Zeit – so sagt man – wurden dort gleichfalls weibliche Priester der alten Religion ausgebildet, die genauso wie ihre Schwestern auf der Ile de Sein – Sena – im Ruf standen, Stürme und Wogen heraufbeschwören oder besänftigen zu können.
Die von zahlreichen Wissenschaftlern gemessenen Kraftfelder des Mont Saint-Michel reichen sowohl weit in die Bretagne als auch tief in die Normandie hinein. Der Berg ist erst sehr spät – wohl nach der großen Flutkatastrophe, die ihn 709 vom Festland trennte – von christlichen Priestern in Besitz genommen worden. In genau diesem Augenblick beginnt die Legende von Saint Michel, dem Drachentöter. Hier, wie auch am nahe gelegenen Sonnenheiligtum Mont-Dol, bewahren Legenden die Erinnerung an das brutale Aufeinanderprallen der alten und der neuen Religion, der Druiden und der christlichen Priester. Nur ein paar Kilometer weiter, am Mont Tombe, erinnert ein weiterer christianisierter Menhir ähnlich dem von Pleumeur-Boudou daran, dass es mit der Auseinandersetzung um den Mont Saint-Michel und den Mont Tombe für den heiligen Michael und Samson noch lange nicht vorbei war! Diesen Menhir soll nämlich Satan selbst, der Gehörnte, aus Wut über seine Niederlage in der Auseinandersetzung um den Mont Tombe geschleudert haben.
Ob der alte Hirschgott, der Gefährte der Großen Mutter, dem die christlichen Priester den Stempel Satans aufdrückten, allerdings wirklich eine Niederlage erlitt, darüber mag der Leser sich selbst Gedanken machen! Vom Giebel des Beinhauses neben der Kirche von Commana unweit Mont Tombe schaut nämlich heute immer noch provozierend der Kopf eines gehörnten Mannes gen Westen, dorthin, wo für die Druiden das Jenseits, die Anderswelt, An Avallach, liegt. Und im Inneren der Kirche von Pleyben finden wir einen weiteren gehörnten Mann, der seinen Blick hinüber in die weiße Welt des Gwenved richtet. Auf dem Kreuzweg von Lannédern, direkt unter dem gekreuzigten Jesus, reitet Saint-Edern – der Papst und die römische Kurie haben gewiss noch nie von ihm gehört – auf einem weißen Hirsch. Der weiße Hirsch von Brocéliande, Symbol des Druiden Merlin, ist gar auf einer modernen Freske in der Kirche von Tréhorenteuc abgebildet. Auch sie liegt gerade einmal anderthalb Stunden mit dem Auto von Mont Tombe entfernt.
Selbstverständlich war der 1942 an diesen gottverlassenen Ort am Rande des Zauberwaldes Brocéliande strafversetzte Abbé Henri Gillard kein besonders herausragender Sohn der katholischen Kirche. Doch als sich ihm beim ersten Gang durch den Ort der Eindruck aufdrängte, dass dessen 120 Einwohner lediglich existierten, wohl aber kaum lebten – der Verfall der Gegend war trotz harter Arbeit überall sichtbar, weil Landwirtschaft in solchen Randlagen kaum noch lohnte –, erkannte er doch intuitiv, fast wie ein weiser Mann, dass den ihm anvertrauten Schäflein die inneren Kräfte für eine Wandlung ihrer ausweglosen Situation fehlten.
In seinem Bestreben, zu helfen und die Menschen dort zu verstehen, setzte er sich abends mit ihnen zusammen. Abbé Gillard sprach nur wenig, dafür hörte er aber viel zu. Und so erfuhr er von den Legenden! Man berichtete ihm ängstlich, zögernd von Zeiten, in denen dieses Gebiet kein hoffnungsloses Jammertal gewesen war, sondern das Zentrum einer reichen Kultur. Fasziniert suchte Gillard die abgelegenen mythischen Orte auf, die man ihm beschrieben hatte. Er fand die rätselhaften Steine der Megalithkultur und eine Gralsüberlieferung, die um vieles älter war als die von den Britischen Inseln. Seine Begeisterung für diese alten Schätze griff auf die Gemeinde über und die Menschen von Tréhorenteuc erwachten. Es war so, als ob ein uralter mächtiger Zauber aus vorchristlicher Zeit das Dorf berührt hätte. In Stein gemeißelt finden sich die Symbole des alten Weges am Eingang der Kirche, in leuchtenden Fresken schmücken sie ihr Inneres. Zwei deutsche Kriegsgefangene malten den Kreuzweg. Tréhorenteuc ist der einzige Ort des christlichen Abendlandes, wo Jesus auf seinem Weg nach Golgatha Druiden, Feen, keltischen Göttern und Fabelwesen begegnen darf!
Und war es nicht auch einer jener geheimnisvollen weißen Brüder, der an einem anderen bedeutenden Locus fortis Galliens – Carnabum, dem heutigen Chartres – etwa 100 Jahre vor Christi Geburt nach einer Vision prophezeite, eine Jungfrau, »virgo paritura«, werde dem Einen Gott einen Sohn gebären? Um nicht weiter auszuschweifen, sei dazu nur so viel gesagt: In der keltischen Mythologie, wie auch in vielen anderen Mythologien, ist die Geburt einer herausragenden Heldengestalt immer eine außergewöhnliche Geburt und oftmals eben auch eine »jungfräuliche« Geburt nach einem nicht konventionellen Zeugungsakt.
Man denke hierbei nur an Taliesin, den berühmten walisischen Barden, der wohl im 6. Jahrhundert lebte, und an die ungewöhnliche Art seiner Zeugung und Geburt, die im »Hanes Taliesin«27 – der Sage von Taliesin – beschrieben wird: Taliesin ist der jüngste Sohn der Göttin Karid’wen und trägt noch den Namen Gwion Bach. Seine göttliche Mutter trägt ihm auf, auf den magischen Kessel aufzupassen, in dem sie einen Trank für ihren älteren Sohn, den hässlichen Afagddu, braut, der alles Wissen dieser Welt enthält. Der Junge ist jedoch unvorsichtig, verbrennt sich beim Umrühren den Finger und lutscht diesen trotz des mütterlichen Verbotes ab. Dadurch erhält er das Wissen dieser Welt und die Inspiration. Doch der Trank für Afagddu ist durch Gwion Bachs Unvorsichtigkeit unbrauchbar geworden. Seine erzürnte Mutter will Gwion bestrafen, der jedoch die Flucht ergreift. Während dieser wilden Jagd kommt es zu einer ganzen Reihe von magischen Verwandlungen der beiden. Schließlich verwandelt sich Gwion in ein Weizenkorn und Karid’wen in eine schwarze Henne. Diese pickt das Korn auf und frisst es. Doch neun Monate später gebärt Karid’wen einen Knaben. Eigentlich will sie ihn – ihr Zorn auf Gwion ist noch immer nicht verraucht – sofort töten. Doch das Kind ist so schön, dass die wütende Göttin es nicht übers Herz bringt. Stattdessen setzt sie es in einem offenen Boot auf dem Meer aus. An einer Schleuse findet schließlich der Fischer Elphin den Knaben, nimmt ihn an Kindes statt bei sich auf und nennt ihn Taliesin. Das Kind wächst zu einem wunderschönen jungen Mann heran, dessen Gesänge und Gedichte Zauberkraft besitzen. Schließlich endet Taliesin – inzwischen berühmt geworden – am Hofe König Artus. Ähnliche Erzählungen über außergewöhnliche Heldengeburten findet man auch im Legendenschatz der Bretagne und der anderen auf dem Kontinent gelegenen keltischen Gebiete Europas.
Umso öfter ich die Bretagne und die angrenzenden Gebiete der Normandie durchstreife, desto mehr habe ich den Eindruck, dass die Zeit der alten Götter und der Druiden längst nicht so weit zurückliegt, wie die offizielle Geschichtsschreibung es uns glauben machen will. Vielleicht haben die Druiden dem erstarkenden Christentum, ganz ähnlich wie der mit Waffengewalt durchgeführten Romanisierung Galliens, ja aus der Gewissheit heraus keinen ernsthaften Widerstand geleistet, dass sie immer unterschwellig wirken würden – nämlich im kollektiven Bewusstsein der Menschen, die diese keltischen Länder bevölkern – und dass ihre Zeit wiederkommen würde, sobald eben diese Menschen erkannten, dass eine Zivilisation, die auf einem rein materialistischen Weltbild aufgebaut wurde, sich am Ende selbst zerstören muss. Vielleicht haben sie sich aber auch einfach nur aus dem Rampenlicht zurückgezogen, weil ihnen wohl bewusst war, dass das Christentum nach Kaiser Konstantin aus schlauem Kalkül zur Staatsreligion des Römischen Reiches stilisiert worden war, nämlich als ein äußerst wirksames politisches und ideologisches Instrument der Staatsführung. Und dem konnten sie bereits – ohne gewaltiges Blutvergießen zu provozieren – von dem Augenblick an nichts mehr entgegensetzen, als die Römer mit der Eroberung der Ostalpen (16/15 vor der Zeitrechnung) den dortigen Druiden und Druidinnen die weitere Ausübung ihrer Ämter verboten. Durch dieses »Berufsverbot« wurde die zentrale Funktion für die Ausübung und den Bestand sowohl der keltischen Kultur als auch des keltischen Glaubenssystems bereits in einem Teilgebiet der keltisch besiedelten Länder brutal abgeschafft und damit in den Untergrund gezwungen. Den Höhepunkt dieser Unterdrückung kann man rund 70 Jahre später, im Jahr 61 der Zeitrechnung, festschreiben: Der römische General Suetonius Paullinus stürmte mit Truppenteilen aus der Legion XIV Gemina und der XX Valeria Victrix die Insel Mona (Anglesey), auf der sich die zu dieser Zeit wohl bedeutendste Druidenschule der keltischen Welt befand, und ließ dort sämtliche Druiden und Druidinnen, deren man habhaft werden konnte, hinrichten. Schließlich schändete man alle sakralen Orte auf der Insel und machte sie so weit wie irgend möglich dem Erdboden gleich. Dieser grausame Akt hatte bezeichnenderweise einen rein politischen Hintergrund und war darauf ausgerichtet, das politische Element der geistigen Führungselite der Kelten endgültig zu brechen, nachdem Rom bereits mehrfach schmerzhaft erfahren musste, in welchem Maße die Druiden an der Vorbereitung und Durchführung diverser Aufstände gegen ihre Herrschaft beteiligt gewesen waren.
Die große Schwäche der Kelten, die schließlich zur Unterwerfung und Unterdrückung ihrer Kultur führte, war die Tatsache, dass sie niemals das politische Ordnungsdenken der Römer besessen hatten und daraus resultierend über keine zentrale politische Macht verfügten. Als das Römische Reich ab der Mitte des 6. Jahrhunderts der Zeitrechnung endlich zerfiel, waren die alten Stammesstrukturen schon zu sehr aufgelöst worden, um in einem gemeinsamen Kraftakt der Kelten von dieser Situation profitieren zu können und sich noch einmal – aus der Asche Roms – zu altem Ruhm aufzuschwingen. Es wäre ein Krieg an vielen Fronten geworden, nicht nur gegen das in Todeszuckungen liegende Reich, sondern insbesondere gegen die fast übermächtig anmutenden, anstürmenden germanischen Franken. Dies waren jene Merowinger, die den Römern so lange Zeit militärische Hilfstruppen gestellt hatten und von deren Reichtümern so geblendet worden waren, dass sie nun selbst in die Fußstapfen ihrer ehemaligen Dienstherren treten wollten. Lediglich im Nordwesten der ehemaligen gallischen Provinzen des Römischen Reiches gelang es den Kelten – verstärkt durch ihre Verwandten, die vor den Angeln und Sachsen aus Britannien zurückströmten –, ein eigenständiges Staatsgebilde zu errichten. Armorica – die Bretagne – war bis zum Ende des 16. Jahrhunderts sowohl als Herzogtum als auch als Königreich unabhängig. Doch sie litt, sozusagen vom Augenblick ihrer Geburt an, unter genau derselben Krankheit, die der keltischen Nation beim Auftauchen der Römer zum Verhängnis geworden war und die auch ihr am Ende zum Verhängnis wurde: übermäßiger Individualismus, Uneinigkeit der Barone untereinander, interne Streitereien und Bruderkämpfe und ein Mangel an gemeinsamen Machtstrukturen.
Natürlich gelang es immer wieder der einen oder anderen historischen Führerpersönlichkeit – Conan Meriadec, Riothomas, Judicaël, Nominoë, Alain dem Großen, Yann dem Eroberer, Yann dem Weisen oder Arzhur dem Rächer –, dem Land oder Teilen des Landes Macht, Einfluss und Stabilität zu geben. Doch diese »goldenen Zeiten« der keltischen Bretagne waren leider immer nur kurze Zwischenspiele in einem langen und grausamen Kampf ums Überleben, den das »Land vor dem Meer« in dem Augenblick endgültig verlor, als die kleine Herzogin Anne mit Waffengewalt an die Seite des französischen Königs Karl VIII. vor den Traualtar gezwungen wurde.