Читать книгу Vom Angelkahn zur Motoryacht - Claus Beese - Страница 4

Verflucht, verhext oder völlig durchgedreht?

Оглавление

Seien Sie ehrlich! Sie haben sich doch auch schon gefragt, was einen normalen Durchschnitts-Europäer dazu bewegt, sich scheinbar freiwillig und ohne äußeren Zwang auf etwas zu begeben, das sich mehr oder weniger schwimmend auf dem Wasser fort bewegt? Ich gebe zu, gelegentlich plagen auch mich solcherlei Gedanken, allerdings lebte ich bislang in dem Glauben, gerade noch so halbwegs bei Verstand zu sein. Hierbei könnte es durchaus zu Betrachtungsweisen aus unterschiedlichen Perspektiven heraus kommen, und bevor ich den einen oder anderen zu einer vorschnellen und spontanen Antwort reize, wollen wir die Frage nach dem geistigen Gesundheitszustand hier lieber nicht vertiefen. Und doch, wie kommt man zu einem solchen Hobby?

Ich zum Beispiel habe bis heute noch nicht ganz schlüssig herausgefunden, warum ich mir immer und immer wieder die Törns mit unserem Familienboot antue. Törns, die genau genommen weder sehr erholsam (ich habe im Urlaub schon in bequemeren Betten geschlafen) noch entspannend auf den vom Alltag gestressten Körper und Geist wirken. Fahren sie mal mit nagelndem Dieselmotor einen Zwölf-Stunden-Törn bei sengender Hitze oder reiten bei Windstärke sechs eine meterhohe Welle ab, dann werden Sie wissen, wovon ich rede.

Auch meine Familien-Crew, bestehend aus meinem angeheirateten weiblichen Bestmann und einem ebenso weiblichen Leichtmatrosen, stellte mir stets dann, wenn es auf dem Wasser mal wieder haarig wurde und es hart auf eine Meuterei hinauslief, eben genau diese Frage und entlockte mir jedes Mal die gleiche unbefriedigende Antwort: »Keine Ahnung!«

»Also, ich glaube, dass Papa einfach nur wasserscheu und darum lieber auf, anstatt im Wasser ist«, stellte mein naseweiser Nachwuchs eine durchaus annehmbare These auf. Bei näherem Hinsehen allerdings ist diese dann doch durch die Praxis nicht zu erhärten, denn ich habe noch nie zuvor in fremden Gewässern so viele unfreiwillige Bäder genommen, wie seit unserem Bootskauf.

»Pränatale Schockeinwirkung!«, vermutete hingegen mein weiblicher Bestmann und angeheiratete bessere Hälfte. Das klang schon viel glaubwürdiger und wurde durch die Tatsache unterstützt, dass ich vor meiner Geburt tatsächlich in einem engen Behältnis wie ein Fisch unter Wasser gefangen gehalten wurde. Ohne Kontakt zur Außenwelt harrte ich der Dinge, die da auf mich zukamen und erst nach neun Monaten gelang mir die Flucht. Ich bin mir sicher, dass dieses Ereignis mein weiteres Leben grundlegend beeinflusst hat. Seither zähle ich Wasser nur noch zu den notwendigen Übeln dieser Welt und dulde es im Höchstfall noch in Form von Eisstücken in meinen geistigen Getränken oder als nicht zwingend benötigten Zusatz in meinem Grog.

Das Vollbad wird durch Duschen umgangen, und sollte mir anlässlich eines Bootstörns tatsächlich einmal der feste Boden unter den Seemannsbeinen abhanden kommen, so ist noch nie jemand schneller durch das Hafenbecken zur nächsten Leiter gekrault, als ich.

Es hat auch seinen guten Grund, dass ich mich bisher noch nicht mit der Ahnenforschung beschäftigt habe, denn es hat mich nie wirklich interessiert, ob da mal weitläufig ein „von und zu“ mit gemischt hat. Ich kenne einige Fälle, in denen sich dabei die Mitwirkung eines „auf und davon“ oder sogar eines „mit und weg“ herauskristallisiert hat. Die Betroffenen sind durch die Ergebnisse ihrer Neugier in stumpfe Depression verfallen und ihres Lebens nicht mehr froh geworden.

Nein, so etwas wollte ich gar nicht erst wissen, obwohl ich stark vermute, dass irgendwann in grauer Vorzeit, einmal irgendein tapferer Wikinger nicht nur seine Hand im Spiel gehabt hatte. Zu sehr haben mich die Erlebnisse aus meiner anglerischen Jugend geprägt, als ich

zum Dorschfang mit dem Angelkutter auf die Ostsee fuhr und seither nicht mehr von diesem Meer lassen kann. Immer wieder zieht es mich an Schlei und Förden, die dänischen Inseln liegen mir weit mehr als Mallorca, und öffnet sich vor mir das Schleusentor in Kiel-Holtenau, so kreischen mir die Möwen, die unser Schiff umkreisen, einen lang ersehnten Willkommensgruß zu. Und stets dann, wenn das Boot in einen der Fördehäfen gleitet und die Leinen belegt sind, stellt sich bei mir ein so vollkommenes »Zuhause«-Gefühl ein, dass es fast weh tut.

Sollte es da vielleicht so etwas wie einen Familienfluch geben, der auf mir lastet und mir ein normales Leben an Land verwehrt? Bin ich gar verhext? Oder einfach nur ein wenig durchgedreht?

Natürlich weiß ich, dass mein Vater schon als junger Mann auf verschiedenen Ozeanriesen über die Weltmeere gefahren ist. So war er damals, nach seiner Ausbildung zum Schiffs-Steward, zum absoluten und einzigen Lieblings-Steward der berühmten Schauspielerin Zarah Leander avanciert und durfte sogar eine kleine Nebenrolle in ihrem Film „La Habanera“ übernehmen, der an Bord des Luxus-Liners „ADOLPH WOERMANN“ gedreht wurde, kurz bevor der Dampfer 1939 von seiner Mannschaft mitten im Atlantik versenkt wurde. Dem britischen Zerstörer „AJAX“, der das deutsche Dampfschiff zum Stoppen aufgefordert hatte, blieb das Nachsehen und die Pflicht, Mannschaft und Passagiere aus dem Wasser zu fischen und sie nach Kanada in Gefangenschaft zu übergeben.

Aber das allein beweist noch gar nichts, es könnte lediglich darauf hin deuten, dass die Seefahrt gelegentlich mal in unserer Familie eine gewisse Rolle gespielt hatte. Es begründet nicht, warum auch ich auf den absonderlichen Tick mit den Schiffen verfiel. In mir dämmert der Gedanke, dass es wohl etwas anderes sein muss. Vielleicht eine Art Suchtverhalten, das sich erst im Laufe der Zeit manifestiert. So, wie man anfängt, gelegentlich mal eine Zigarette zu rauchen, um später als asthmatisch keuchender Kettenraucher zu enden, könnte es auch in meinem Fall gewesen sein. Es schleicht sich mit kleinen Schritten ein, die man erst gar nicht bemerkt, und dann…..schlägt es erbarmungslos zu.

Während meiner anglerischen Laufbahn im zarten Jugendalter kam es uns ganz natürlich vor, dass man am Ufer immer nur die „Kleinen“ fing. Die wirklich „Großen“ mussten da draußen sein, dort, wo unsere Schnüre nicht mehr hin reichten. Wenn also die „Großen“ nicht zu uns kamen, so mussten wir wohl notgedrungen zu ihnen hinaus. In dem Drang, die wirklich dicken Fische dieser Welt an den Haken zu bekommen und dingfest zu machen, kam uns alles gelegen, was irgendwie nach einem Boot aussah und schwimmen konnte. Dies wiederum trug erheblich dazu bei, dass einige Kapitäne der deutschen Handelsflotte sowie tapfere Beamte der Wasserschutz-Polizei in ihrem Dienst unverhältnismäßig früh ergrauten. Denn bereits nach den ersten Ruderversuchen stand fest, dass diese Art der Fortbewegung unseren Aktionsradius auf der strömungsreichen Weser nicht wirklich vergrößerte. Und in dem Maße, in dem wir mit einem führerscheinfreien Außenbord-Motor mobiler wurden, nahmen die Abdrücke zuschnappender Gebisse an den „Haspeln“ (Rudern) der Binnenschiffe zu, in die so mancher Skipper außer sich vor Wut und Verzweiflung hinein biss.

So soll denn auch dieses Buch der schwache Versuch einer Rechtfertigung für die Gründe sein, die mich von der einen (Angeln) zur nächsten Sucht (Boot fahren) geführt haben und der mir einredet, dass ein kultivierter Mann sich auf gar keinen Fall anders fortbewegen kann, als auf eigenen, wenn auch schwankenden Planken auf den Wogen des Meeres oder zumindest einiger Flüsse und Flüsschen. Hierbei nimmt der weltgewandte Skipper auch gelegentlich mal das Befahren des einen oder anderen Kanals in Kauf, was natürlich nicht wirklich einen hohen Anspruch an das Können und die hervorragende Seemannschaft von Kapitän und Mannschaft stellt. Andererseits macht auch das Zurechtkommen mit zeitweiliger Unterforderung einen Teil der Führungsqualitäten eines Freizeitkapitäns aus.

Um mehr Verständnis beim geneigten Leser zu wecken, beleuchten wir doch einfach das ganze Drama von Anfang an:

Drei Jungs, verrückt danach, jeden Bach und jede Pfütze auf eventuell vorhandenen Fischbestand zu untersuchen um ihn dann radikal mit der Angelrute zu dezimieren, sind nun einmal nicht in der Lage, ihren Tatendrang auf die Ufer von Teichen und Flüssen zu beschränken. Unser Städtchen, gelegen an einem der größeren norddeutschen Flüsse,

verfügt über einen kleinen Hafen, in dem damals noch Sand und Kies umgeschlagen wurde und eine Menge kleinerer und größerer Boote eines Wassersportvereins zu Hause sind. Da lag es natürlich nahe, auch dort die Fische das Fürchten zu lehren und so ganz nebenbei mit den Bootsleuten ins Gespräch zu kommen, von denen einige mit ihren Kähnen zum Fischen mit Reusen oder Sperrlage hinausfuhren. Die Eigner dieser Boote hatten ein Herz für uns Jungs, und wenn wir es schafften, früh genug aus den Federn zu kommen, so hatten sie ihren Spaß daran, uns mit hinaus auf die Weser zu nehmen, um die Aalkörbe und Aalleinen zu kontrollieren. Bei der oftmals starken Strömung war es nicht immer leicht, die Gerätschaften vom Grund der Weser ins Boot zu wuchten, und die Fischer nahmen uns hart dran. Dafür ankerten sie mit uns nach getaner Arbeit oft nahe der Fahrrinne und wetteiferten mit uns, wer die meisten Aale mit der Angelrute fängt. So verdienten wir uns die ersten Seemannsbeine als Moses auf verschiedenen Angelkähnen, lernten, dass man zu Vorne „Bug“ sagt, links Backbord und rechts Steuerbord heißt, und Luv und Lee auch nicht immer an der gleichen Seite der Schiffe sind.

Ich möchte bei der Schilderung der näheren Umstände, die zu meinem heutigen, kostspieligen Hobby und der damit verbundenen Verelendung meiner nächsten Angehörigen führten, nur kurz die Geschichten erwähnen, die unsere Schlauchboot-Ära betrafen.

Das Schlauchboot, welches eigentlich meinem Angelfreund Bodo gehörte, einem mich um Haupteslänge überragenden, langen und dürren Schlacks mit unendlich viel technischem Sachverstand und anglerischem Knowhow, hatte uns so manches Abenteuer beschert. Es bestand mit uns mehrere haarsträubende nächtliche Abenteuer in den verwunschenen Seitenarmen der Weser und hätte im wahrsten Sinne des Wortes um ein Haar zu unserem Untergang geführt. Es war reines Glück, dass uns damals das Binnenschiff nicht versenkt hatte, als wir an der Fahrrinnentonne festgemacht hatten um den ganz dicken Aalen so nahe wie möglich zu sein. Es hätte nicht viel gefehlt, und wir wären den Biestern näher gewesen, als uns lieb gewesen wäre. Aber diese Geschichten füllen schon ein anderes Buch, und so will ich dieses mit der Schilderung eines Abenteuers beginnen, das dafür sorgte, dass nach langer Zeit meine Wikinger-Gene in mir erwachten und es mich nicht länger mehr auf heimischer Scholle hielt. So fand unsere Gummi-Kreuzer-Ära ein abruptes Ende und das Verhängnis mit dem richtigen „Bootje fahren“ begann.

Ich wünsche viel Vergnügen!

Vom Angelkahn zur Motoryacht

Подняться наверх