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Zwei Maulwürfe und ein Stichling

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Bodo, Joachim und ich waren damals die dicksten Freunde. Wir teilten so ziemlich alles miteinander, was unsere Freizeit und die Hobbys betraf. Im Laufe der Zeit kamen wir einfach zwangsläufig von den Fischen auf die Boote, und ganz langsam entwickelte sich, wenn auch bei jedem von uns unterschiedlich, der Hang zum Wasser. Jetzt, da sich die Schlauchboot-Ära erledigt hatte, fehlte aber etwas. Wir wurden immer kribbeliger, so eingeschränkt, wie wir in unserem Bewegungsdrang waren. So durfte das nicht bleiben!

»Mensch, dass ihr aber auch den Gummikreuzer zerlegen musstet«, meckerte Joachim und beförderte einen der schmackhaften Tauwurmriesen in die Köderbüchse. Unser Vorrat an Wurmködern war erschöpft und wir mussten dringend für Nachschub sorgen.

»Hm«, machte ich nur kurz .

»Mein Gott, bist du heute wieder geschwätzig«, stellte Achim fest. »Was ist eigentlich los mit dir? Du tust schon seit ein paar Tagen so geheimnisvoll?!«

Ich grinste ihn entwaffnend an und sagte fröhlich: »Joah, ne?!«

»Verdammt, willst du mich auf den Arm nehmen? Sag endlich, was los ist!«

»Nee, geht nicht! Kann ich leider nicht machen, Achim. Sonst muss ich alles zweimal erzählen. Pass auf, wir treffen uns heute Nachmittag am Bootshaus. Bodo kommt auch, dann erfahrt ihr alles.«

Man konnte nicht behaupten, dass ihn diese Antwort zufrieden stellte. Er maulte und nörgelte, beschwor unsere Freundschaft und auch sein großzügiges Angebot: »Ich gebe auch einen aus, wenn du mir jetzt sagst, was los ist!«, konnte mich nicht dazu verleiten, das auszuplaudern, was beide Freunde erst am Nachmittag erfahren sollten.

»Ich weiß noch nicht, ob ich dir von meinen Tauwürmern welche abgeben soll«, startete er einen letzten Versuch.

»Och, macht nix, meine Büchse ist auch bald voll«, grinste ich und beförderte noch einen der langen Gesellen hinein, die wir aus dem Kartoffelacker unseres Nachbarn ans Tageslicht befördert hatten.

In der Tat hatte ich mich in der letzten Zeit etwas rar gemacht und den Freunden eisern verschwiegen, was mich so beschäftigte. Aber es sollte eine Überraschung werden, und so verkniff ich mir die Mitteilung, dass ich ein kleines Holzboot von knapp viereinhalb Metern Länge gekauft hatte. Ein älterer Segler aus dem Wassersportverein hatte den Tuffel noch im Bootsschuppen liegen gehabt und ich war schnell mit ihm handelseinig geworden.

Das Boot hatte lange Zeit im Winterlager gelegen und sah nicht mehr sehr flott aus. Das Holz war ausgetrocknet und zwischen den Planken klafften so breite Spalten, dass man da eine Mütze hätte durchwerfen können. Also musste der Kahn erst einmal aufgefixt werden. Einige Tage gut wässern, und die Spalten und Risse würden schon von allein dicht ziehen. Dann den Rumpf einmal durchschleifen und einige Büchsen Farbe drauf. Ein zartes, helles Lindgrün hatte ich ausgewählt. Sah toll aus, fand ich. Früher hatte das Boot mal einen Mast mit Segel gehabt, darum befand sich auch in der Bootsmitte der Schwertkasten, der nunmehr allerdings nur noch die Funktion eines Steh-im-Weg hatte. Er war von unten mit einem Blech verschlossen worden, da man im Zeitalter der Außenbordmotoren weder Mast noch Schwert benötigte. Gut, ich benötigte ihn jetzt auch nicht mehr, denn ich wollte mit dem Teil nicht segeln, sondern angeln. Also weg mit dem Störenfried. Ein Holzkeil verschloss den Spalt und ein wenig Teer und Werg dichteten alles gut ab.

Heute war es soweit. Zwei Vereinsfreunde halfen mir, das Boot mit der Winsch über die Slipanlage ins Wasser zu lassen. Als es von seinem Rollwagen aufschwamm, warf ich den 5-PS-Motor an und fuhr einige Male auf und ab. Klasse! Das Boot lief prächtig, es war sehr leicht zu manövrieren, und ich fühlte mich wie der Herr der Meere.

Meine Uhr sagte mir, dass meine Freunde nun wohl schon warten würden, und so brachte ich meinen «Stichling« auf Kurs und umfuhr einige Schuten, die neben der Slipanlage am Betonwerk lagen, um Sand und Kies anzuliefern. So schnell, wie es meine 5 PS gestatteten, pflügte ich durch den Yachthafen, fuhr eine elegante Kurve und glitt an den Anleger. Fender raus, Leine fest, und da stand ich nun mit meinem »Na, wie hab ich das gemacht?« - Gesicht. Oben auf der Veranda des Clubhauses standen meine besten Freunde wie erstarrt und brachten kein Wort heraus.

»Boh, ey!«, brüllten dann beide wie aus einem Mund und kamen die Anlegerbrücke herab gerannt. Händeschütteln, Schulterklopfen, Fragen und Antworten schwirrten hin und her. »Wie, was, wann, warum?« Die beiden wollten alles ganz genau wissen.

»Bootstaufe! Bootstaufe«, freute sich der Bootsmann und kam mit einer Flasche Sekt angelaufen. Er stellte sich an den Bug, schwang die Buddel und deklamierte: »Und so taufe ich dich auf den Namen....!«

»He! Vorsicht, Mann! Holz«, warnte Bodo und wollte Rudi in den Arm fallen um die niedersausende Flasche abzufangen, doch der war schneller. Mit genau berechnetem Schwung hieb er... natürlich vorbei. Dafür hielt er in der anderen Hand plötzlich wie hingezaubert ein kleines Schnapsgläschen mit einer alkoholischen Flüssigkeit, kippte den Inhalt an die Bootsplanken und vollendete salbungsvoll: »...Stichling!«


Ich hatte nur die Flasche niedersausen gesehen und das war zuviel gewesen. Meine armen Nerven machten das nicht mit. Joachim und Bodo kümmerten sich liebevoll um mich, bis ich das Bewusstsein wiedererlangt hatte.

»Mein Boot?«, fragte ich zaghaft, im Geiste bereits auf das Schlimmste gefasst.

»War doch nur Genever«, beruhigte mich Bootsmann Rudi. »Oder glaubst du tatsächlich, ich würde dein Boot mit diesem Labberwasser taufen? Ne, das Zeug saufen wir selber!«

Mit sattem Knall flog der Korken weit über den kleinen Hafen, und jeder von uns nahm einen anständigen Schluck aus der schäumenden Pulle.

»Los, Probefahrt«, bestimmte der Schlacks, und wir wandten uns dem »Stichling« zu, den die beiden jetzt erst einmal begutachten mussten. Bodo stellte sich an die hintere Sitzbank und das Boot machte Männchen.

»Vollgas kannst du mit dem Teil gar nicht fahren, dann überschlägst du dich«, stellte er sachkundig fest. Damit mochte er Recht haben. Ich hatte den Gasgriff sehr vorsichtig gehandhabt, weil ich gemerkt hatte, dass das Boot doch recht leicht war.

»Joachim, setz dich mal vorn drauf!«, kommandierte der Schlacks und Achim kletterte vorsichtig und behutsam auf die kleine Bank im Bug.

»Siehste! Sieht schon ganz anders aus, kriegt gleich mehr Stabilität, der Bottich! Leg dir man vorn ein paar ordentliche Pflastersteine rein, dann geht‘s wohl.«

Eigentlich keine schlechte Idee. Es war doch immer wieder gut, dass der Lange so praktisch veranlagt war. Sein Vorschlag wurde umgehend in die Tat umgesetzt, da oben vorm Deichschart sowieso gerade die Straße ausgebessert wurde. Was machte es da schon, dass an der Baustelle plötzlich fünf große Granitbrocken fehlten.

»Ein bisschen Schwund ist immer«, hatte Joachim mit einer entschuldigenden Geste gesagt, sich gebückt und zwei Brocken auf einmal weggeschleppt. So bekam mein Stichling einen brauchbaren Schwerpunkt.

»Ein wenig komfortabler als in deinem Gummikreuzer ist es schon«, stellte Joachim zufrieden fest und sah sich um. »Jetzt können wir sogar mal ‘nen Kasten Bier mitnehmen!«

»Klar«, meinte der Schlacks trocken. »Und 'nen Ballen Tabak! Und mittschiffs montieren wir einen Grill, dann können wir die Aale gleich verarbeiten. Und unter die Heckbank kommt ein Generator für 220-Volt-Strom. Dann kannst du eine Kaffeemaschine anschließen und Kuchen gibt es frisch aus dem Kühlfach.«

»Hört sich gut an«, schwärmte Joachim und bekam ganz verträumte Augen.

»Allerdings werden wir dann wohl kaum noch Platz für unser Angelzeug haben«, gab Bodo zu bedenken. »Aber, was willst du denn noch mit Fisch? Dafür hast du doch Bier, Tabak, Kaffee und Kuchen. Was braucht der Mensch mehr?«

Joachim kamen jetzt doch ernste Bedenken. Angeln zu fahren ohne zu angeln, da stimmte doch etwas nicht.

»Ähem, na gut! Ich denke, wir sollten darüber noch mal reden«, meinte er einlenkend.

»Oh, Mann!«, stöhnte Bodo und warf Joachim einen strafenden Blick zu. »Ich halt’s nicht mehr aus! Los, Freunde, Probefahrt! Alle Mann an Deck! Klar Schiff zum ablegen! Maschinist: Motor starten! Matrose: Leinen los!«

Hätte sich der Schlacks nicht für eine Laufbahn als Raubfischer entschieden, er wäre sicher ein famoser Admiral geworden, so viel stand fest. Wir salutierten vorschriftsmäßig und führten die Anweisungen aus. Mit leisem Knattern schob der kleine Motor das schwer beladene Boot aus dem Hafen, hinaus auf den Strom. Jetzt wagte ich sogar Vollgas zu geben und siehe da, der »Stichling« machte auch tief im Wasser liegend gute Fahrt. Die paar Kilometer runter nach Farge waren im Nu zurückgelegt und ich fuhr ein sauberes Wendemanöver, um zurück nach Blumenthal zu fahren. Jetzt ging es nicht mehr ganz so schnell, denn gegen die Strömung hatte der Außenborder nun doch sein Kämpfen.

»Sag mal, wie groß ist eigentlich der Tank?«, fragte der Schlacks neugierig. »Ich meine, wann musst du denn da mal wieder was rein kippen?«

Hätte der Lange doch besser nicht gefragt. Denn kaum hatte er die Frage gestellt, starb der Motor mit einem hässlichen Würgegeräusch ab.

»Jetzt!«, gab ich zurück, und Bodo war sich sicher, auf eine Frage nie eine präzisere Antwort bekommen zu haben.

»Achim, gib mir mal den Reservekanister von vorn.«

»Reservekanister?«, echote der. »Is' hier nich! Nur Pflastersteine!«

Oha! Wo war das Ding? Joachim ließ den Anker fallen, denn die Strömung hatte uns schon erfasst und wir trieben weiter flussabwärts. Wir suchten unter allen Bänken, aber der Plastikkanister blieb verschwunden.

»Und du bist ganz sicher, dass du überhaupt einen an Bord hattest?«

Der Lange ignorierte meinen empörten Blick und grinste: »Mag ja sein, dass das Gedächtnis manchmal nicht mehr so will. Im fortgeschrittenen Alter passiert das schon mal.«

Ich schwor bei allem, was mir heilig war, dass der Kanister tatsächlich an Bord gewesen war, aber es half uns nicht weiter. Unsere Blicke wanderten zum Ufer um den Wasserstand festzustellen, denn vielleicht....

»Keine Chance, Hochwasser ist erst vor zwei Stunden gewesen«, stellte Joachim fest.

Wir hatten also zwei Möglichkeiten. Die erste war, wir ruderten das Boot gegen die Strömung zurück zum Yachthafen, die zweite, wir warteten vier Stunden auf die Ebbe, um dann mit der Flut das Boot zurückzurudern. Allerdings würde es bis dahin Zappenduster sein, und bei Nacht und Nebel ohne Licht auf dem Fluss...!?

»Na, denn man los«, meinte der Schlacks, griff sich die Ruder und legte sie in die Dollen. Joachim hievte den Anker wieder an Bord und Bodo legte sich in die Riemen. Mit langen, kraftvollen Ruderschlägen trieb er das Boot Meter für Meter stromaufwärts. Nach einer halben Stunde machte er schlapp und Joachim übernahm das Rudern. Er war von uns der Stärkste, und wir kamen recht ordentlich voran. Als ich dran war, hielt ich das Boot dicht an der Uferböschung, wo die Strömung am Schwächsten war, und so erreichten wir bei Einbruch der Dunkelheit den Hafen. Mit letzter Kraft schleppten wir uns zum Bootshaus hinauf, wo Rudi, der Bootsmann unsere schmachvolle Ankunft bereits mitbekommen hatte. Als wir uns die Anlegerbrücke hoch hangelten, erwartete er uns bereits mit einer Runde Bier.

»Da sag doch noch mal einer, Motorboot fahren sei was für faule Leute«, grinste Rudi und angelte einen schwarzen Benzinkanister hinter der Theke hervor. Er hielt ihn hoch und fragte scheinheilig: »Ist das vielleicht euer Kanister? Ich fand ihn unten auf dem Anleger, wo ihr vor eurem Ausflug das Boot liegen hattet.«

Bodo wurde blass. »Boh, ey! Den Kübel kenn’ ich doch. Den hab ich vorhin auf den Anleger gestellt, als wir die Pflastersteine verstauten.«

»Ja, ja. Im fortgeschrittenen Alter passiert das schon mal«, grinste ich. »Bodo, kannst du dich noch daran erinnern, in welcher Tasche dein Portemonnaie steckt? Ja? Das ist gut! Bootsmann, bring noch 'ne Runde, heute zahlt der Lange!«

Bodo wusste genau, dass Protest in seiner jetzigen Lage unangebracht war und ergab sich seufzend in sein Schicksal.

Vom Angelkahn zur Motoryacht

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