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Das Wettrennen

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Es war öde und langweilig. Beinahe nicht auszuhalten. Himmel, was sollte ich bloß anstellen mit sooo viel Zeit? Hätte der Lange nicht zum Bund gehen können, wie normale Menschen auch? Dann wäre er sicher in der Umgebung stationiert worden, und wir hätten trotzdem angeln gehen können. Aber nein, der elende Feigling wollte sich drücken.

»Bevor ich zum Barras gehe, mustere ich in der christlichen Seefahrt an«, hatte er getönt und Joachim und ich hatten nur gegrinst. Dann kam der Tag, an dem der Schlacks seine Lehre als Maschinenschlosser natürlich mit Bravour abschloss, und an diesem Tag präsentierte er uns sein Heuerbuch. Der Schock war groß, als er uns eröffnete, dass sein Dampfer in wenigen Tagen von Bremen auslaufen würde. Der Schlacks hatte als Messjunge auf einem Frachter der Deutschen-Dampfschifffahrts-Gesellschaft Hansa angemustert, ohne uns davon was zu sagen.

Obwohl ich nicht damit einverstanden war, dass sich unsere gemeinsamen Interessen plötzlich so weit voneinander entfernten, so wollte ich es mir nicht nehmen lassen, den Freund bis auf sein Schiff zu begleiten, und der Abschied war schwer gefallen.

»In zwei Monaten bin ich doch schon wieder da«, hatte der Schlacks mit einem Kloß im Hals gegrinst, und seinen Vater und mich energisch zur Gangway geleitet. »So, nun seht man zu, dass ihr von Bord kommt. Um zwölf gibt es Essen, und in der Messe steht noch das Frühstücksgeschirr. Ich habe Arbeit satt, und ihr steht mir im Weg!«

Mit sanftem Druck schob er uns auf den Aufgang zur Gangway und wir hangelten uns die halsbrecherisch steile Laufplanke hinab. Wir blickten uns um. Von Bodo war nichts mehr zu sehen. Dafür hörten wir ein verdächtiges, lautes Tröten, so als putze sich ein Elefant den Rüssel.

»Vielleicht winkt er noch mal?«, hoffte ich, aber Willy schüttelte den Kopf.

»Der ist so mit seinen Tränen, äh..., ich meine, mit seinem Abwasch und dem dreckigen Frühstücksgeschirr beschäftigt, dass er uns schon lange vergessen hat«, meinte er, legte

mir väterlich seine Hand auf die Schulter und reichte mir fürsorglich sein Taschentuch. Schweigend gingen wir zum Wagen zurück.

Wo mochte der Schlacks jetzt stecken? Dubai, Karatschi, Kuwait? Irgendwo bei den Ölscheichs trieb er sich herum. Na ja, er würde es mir schon noch erzählen. Übel war nur, dass auch Joachim schon in den Vorbereitungen zu seiner Prüfung als Schriftsetzer stand, und somit auch keine Zeit für mich hatte. Was also blieb mir anderes übrig, mich in meinen Stichling zu setzen, und die Aale allein zu ärgern.

»Mann, was hast du denn vor?«, staunte Bootsmann Rudi, als ich mit den langen Stangen und tausend Utensilien angeschleppt kam.

»Ooch, der Lange hat vor einiger Zeit mal ‘ne Sperrlage gebaut, für seinen Gummikreuzer. Bloß, ausprobiert haben wir sie nie. Aber ich denk mal, sie hat genau das Maß für den Stichling, und so werde ich übers Wochenende mal Karl Bollmann ein wenig Konkurrenz machen!«

Ich schaute über das Geländer der Veranda, konnte aber den »Reiher«, Karls massives Stahlschiff, nirgends sehn. »Wo steckt der eigentlich?«

Der Bootsmann grinste. »Der ist zur kleinen Weser, und ich denke, es ist besser, du kommst ihm mit deiner Sperrlage da nicht in die Quere. Ich bin mir nicht sicher, ob er soviel Spaß versteht!«

»Spaß versteht?«, echote ich empört. »Du täuschst dich, Bootsmann, ich will keinen Spaß machen, ich will das Ding wirklich ausprobieren!«

Rudi holte tief Luft, als wolle er zu einem sehr ausgedehnten Vortrag ansetzen. Dann winkte er konsterniert ab, drehte sich um und ging kopfschüttelnd davon.

»Mach doch, was du willst«, brummelte er und verschwand im Bootshaus.

Es dauerte seine Zeit, bis ich den ganzen Krimskrams verstaut hatte, und, oh Wunder, es passte sogar alles ins Boot. Ich warf den Motor an und tuckerte aus dem Hafen. Ich fuhr Weser abwärts, und mit dem ablaufenden Wasser machte der Stichling ganz schön Fahrt.

Der Bootsmann mochte Recht haben, es war wohl wirklich besser, dem fischenden Kleiderschrank, wie Karl auch scherzhaft genannt wurde, aus dem Weg zu gehen. Wenn er in der kleinen Weser gegenüber von Brake fischte, dann würde ich ein klein wenig weiter fahren und mein Netz in der Schwei, einem anderen Nebenarm der Weser, auswerfen. So konnte ich ihm nicht ins Gehege kommen. Ich erinnerte mich an den Verlauf der schmalen Fahrrinne und tastete mich mit dem auflaufenden Wasser in den schlammigen Seitenarm hinein. Ich fand die Gräben wieder, in denen Karl mir das Fischen mit der Sperrlage gezeigt hatte, musste allerdings noch eine Weile vor Anker auf die Flut warten.

Als der Wasserstand hoch genug war, steuerte ich das Holzboot mit einigen Ruderschlägen durch die Wand aus Schilf und ließ es weiter in den Graben treiben. Ich fand schnell eine geeignete Stelle, drehte das Boot quer und warf Bug- und Heckanker aus. In der Abenddämmerung montierte ich das Netz zwischen die beiden langen Holzstangen und brachte die unförmige Konstruktion zu Wasser. Ich musste höllisch aufpassen, denn das leichte Holzboot war natürlich nicht so stabil wie Karls schwerer Reiher. Aber im Grunde genommen war es eine Sache der Balance, und ich gewöhnte mich schnell daran, das Gewicht der Sperrlage mit meinem Körpergewicht auszugleichen.

Wahnsinn! Es funktionierte. Aal auf Aal flutschte über das Netz ins Boot, und ich nahm mir vor, Bodo im nächsten Brief den Ritterschlag zu verpassen. Den Adelstitel »Sir Bodo« hatte er sich mit dieser Bastelei verdient. Es plätscherte, und dann rauschte etwas durchs Schilf.

»Wahrschau!«, brüllte ich, als das große schwarze Etwas durch den Graben genau auf mein Boot zuschoss.

»Damminomol!«, fluchte eine raue Stimme, die mir bekannt vorkam. Ein Lichtstrahl flammte auf und blendete mich. Dann platschte ein schwerer Anker ins Wasser und das große, stählerne Boot kam knapp vor meiner Sperrlage zum Stehen. Wieder der Lichtstrahl.

»Verflixt und zugenäht. Was machst du denn hier? Raus aus meinem Graben, Bengel!«

»Und was willst du hier, Karl? Ich denke, du bist in der kleinen Weser?«

»Kein Aal da, wollte es hier probieren.« Ich sah Karls ratloses Gesicht. »Wie sieht es denn hier aus?«

Als Antwort holte ich die Sperrlage hoch. Sechs gute Räucheraale schlängelten sich ins Boot und Karl bekam große Augen.

»Damminomol!«, kommentierte er den Fang und begann, den Anker, den er als Notbremse benutzt hatte, wieder einzuholen. Wortlos stakte er sein schweres Boot zurück und verschwand in der Dunkelheit. Wieder raschelte es, als er den »Reiher« durch das Schilf drückte. Dann war es still, und ich wieder allein.

»Damminomol!«, entfuhr es mir und ich war erstaunt, dass Karl nicht mehr zu sagen gehabt hatte. Ich brachte die Sperrlage erneut zu Wasser und begann, das Wasser aus dem Schiff zu schöpfen. Denn jedes Mal, wenn ich das Netz einholte, kamen auch einige Liter Wasser ins Boot, und ich war kurz davor, nasse Füße zu bekommen.

Von irgendwoher hörte ich zwei Anker ins Wasser klatschen. Aha, also hatte Karl auch noch ein lauschiges Eckchen zum Fischen gefunden. Ich beschloss, in diesem Graben auch noch das ablaufende Wasser abzufischen. Zwar war der Fang nun nicht mehr ganz so gut, aber erstens hatte ich schon mehr Aale gefangen, als ich überhaupt erwartet hatte, und zweitens wusste ich nicht, wo Karl fischte. Ich legte keinen gesteigerten Wert darauf, ihm nochmals vor den Bug zu geraten.

Die Sterne verblassten. Leichter Dunst legte sich über das flache Land, als ich das Boot aus dem Graben stakte. Ich griff nach den Rudern, und hielt auf die Mitte der Schwei zu, um dort vor Anker zu gehen. In einiger Entfernung sah ich Karls »Reiher« vor Anker liegen und hielt auf den schwachen Lichtschimmer seiner Laterne zu.

Karl grinste, als ich neben seinem Kahn aus dem Dunst auftauchte.

»Komm längsseits, damit ich dir auf die Nieskapsel hauen kann«, brummelte er, nahm dann aber ganz friedlich meine Festmacherleinen und belegte sie vorn und achtern. Als die Boote sicher nebeneinander lagen, langte mir der Riese einen Becher heißen, frisch gebrühten Kaffee herüber. Fragend hielt er eine Dose Schweinefleisch hoch und ich nickte. Routiniert stellte er die Pfanne auf den kleinen Kocher und leerte zwei Dosen Fleisch hinein. Ich angelte unter meinen Bänken nach dem Brot. Wir waren beide hungrig wie die Wölfe und löffelten das gebratene Dosenfleisch direkt aus der Pfanne. Mit der ekelhaften, schwarzen Brühe, die Karl Kaffee nannte, und die einem die Schuhe auszog, spülten wir anständig nach und waren satt und zufrieden.

»Los, ab in die Falle!«, kommandierte Karl und ich wollte gerade wieder auf meinen Stichling klettern, als er mich mit einem unwilligen Knurren zurückhielt. »Da doch nicht, da kriegst du ja ‘nen Bandscheibenvorfall! Krabbel man runter, ich hab noch ‘ne Koje frei.«

Minuten später lagen wir in der gemütlichen, kleinen Vorschiffskajüte des »Reiher« auf den Matratzen und sägten um die Wette. Der Morgen kroch herauf, die Sonne erhob sich über den Horizont, was uns jedoch nicht sonderlich störte. Erst gegen Mittag krochen wir aus den Decken und Karl machte sich daran, für Kaffee und Frühstück zu sorgen. Ich kletterte hinüber auf meinen »Stichling« und nahm die Fußboden-Grätings hoch, denn da ich keine Fischkiste besaß, mussten die Aale im Boot bleiben. Sie machten schon einen etwas mitgenommenen Eindruck, denn die Sonne hatte den ganzen Vormittag auf die Persenning geschienen, und die Temperaturen im Boot waren hoch. Karl zog seine Aalkiste heran, hievte sie aus dem Wasser und stellte sie mir ins Schiff.

»Pack sie man da rein, bevor sie gar sind«, grinste er.

»Und wenn sie schon mal da drin sind, könntest du sie doch auch gleich miträuchern, Karl. Würdest du als netter Mensch das tun?«

»Klar, wenn du sie vorher alle schlachtest und ausnimmst!«

»Wie, alle?«

»Na ja. Eben alle! Alle, die morgen in der Kiste sind.«

Hm, eine ganze Fischkiste voller Aale schlachten und ausnehmen?! Was verlangte der Kleiderschrank da von mir? Er war ja eigentlich und im Grunde genommen wirklich ein netter Mensch, aber manchmal war er auch nur einfach voll daneben. Ich klappte den Deckel der Kiste wieder zu, ohne auch nur einen Aal hineingetan zu haben. Gerade wollte ich sie wieder über Bord gleiten lassen, als Karl einlenkte.

»Nun tu sie schon rein, wir werden sie dann eben gemeinsam schlachten. Und lang mir mal die beiden Schollen aus der Kiste. Wird Zeit, dass ich was Anständiges zwischen die Zähne kriege. Ich glaub ich verdaue mich schon selbst!«

Ich suchte nach den beiden Weserbutt, die in der Kiste zwischen den Aalen herumschwaddeln sollten und fand zwei Prachtexemplare von der Größe eines Klodeckels.

»Bist du sicher, dass du die in die Pfanne kriegst?«, vergewisserte ich mich.

»Kein Problem. Pass auf, ich verrate dir ‘nen Trick.«

Er schlachtete die Fische rasch und weidete sie aus. Nachdem er die Bauchhöhlen sauber ausgekratzt hatte, fingerte er eine große, robuste Schere aus seinem Krimskrams - Kasten und fing seelenruhig an, den Flossensaum der Fische sehr großzügig abzuschneiden.

»He!«, beschwerte ich mich. »Lass noch was an den Viechern dran!«

»Hab dich nich so, die sind groß genug. Aber jetzt brauchst du keine Gräten mehr zu pulen. Alles sauber weg geschnitten. Musst du dir mal merken.«

Während Karl unser Frühstück bereitete, fing ich meine Aale ein und steckte sie in die große, mit Löchern versehene Holzkiste, die es ermöglichte, die Fische ständig mit Frischwasser zu versorgen.

Ein Duft von gebratenem Fisch zog durch die Landschaft und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Es ging doch nichts über Karls frischen Weserbutt. Goldgelb in Butter gebraten, einfach ein Leckerbissen. Ich kletterte wieder hinüber auf den »Reiher«.

»Häng die Aalkiste man achtern an mein Schiff«, meinte Karl mit gutmütigem Spott. »Sonst kletterst du nachher versehentlich in die falsche Holzkiste!«

»Bescher ‘ne kleine wendige Holtschkischte, alsch ‘nen plumpen Blechkahn, den man kaum noch rudern kann«, nuschelte ich kauend und ließ mir das Frühstück schmecken.

»Moment mal! Wie meinst du das: plumper Blechkahn?«, Karl glaubte nicht recht gehört zu haben. Angriffslustig schob er seinen Elbsegler in die Stirn. »Was wolltest du damit sagen, Bengel?«

»Was wolltest du mit der Holzkiste sagen?«, fragte ich zurück.

»Mit meinem plumpen Blechkahn bin ich allemal schneller, als du mit deiner Streichholzschachtel«, stellte Karl fest.

»Ach, hör doch auf! Wenn ich mit meinen fünf PS schon bald abhebe, musst du noch zusätzlich rudern, damit dein Schlickrutscher mit seinen zehn PS überhaupt in Gang kommt!«

In Karls Augen trat ein gefährliches Glitzern.

»Das probieren wir morgen aus! Wir fahren gleichzeitig los, und wer zuerst am Steg in Blumenthal anlegt, hat gewonnen. Der Verlierer schlachtet die Aale.«

Wir besiegelten die Wette mit Handschlag, und damit war das Kriegsbeil vorläufig wieder begraben. Wir hatten ja auch noch wichtigeres zu tun. Etliche Aale warteten noch darauf, in unsere Sperrlagen schwimmen zu dürfen, und wir wollten sie natürlich nicht enttäuschen. Karl, der die Gräben hier kannte, als hätte er sie selber ausgehoben, zeigte mir ein schmales, aber schnelles Fließ, in welchem ich knapp quer liegen konnte. Da es eine tiefe Auslaufrinne zur Schwei hin hatte, konnte ich sehr früh mit dem Fischen beginnen. Die Strömung machte mir ein wenig zu schaffen, aber sie hatte den Vorteil, dass sie viele Aale mitzog. Als das Wasser umschlug und der Ebbstrom einsetzte, suchten wir uns andere Gräben, um die aus dem verzweigten Grabensystem abwandernden Aale der nun teilweise überfluteten Plate mit ihren Schilfwäldern zu erwischen. Und wir erwischten sie. Mehr als zufrieden mit unserem Fang, hatten wir alle Hände voll zu tun, die Fische zu versorgen. Wir konnten es uns sogar leisten, einige der kleineren Aale auszusortieren und ihnen die Freiheit wiederzugeben. Sollten sie doch in zwei, drei Jahren noch einmal vorbeischauen.

»Wenn wir uns beeilen, kommen wir mit dem Restwasser noch aus dem Arm heraus« meinte Karl und plötzlich hatte er es sehr eilig. Mir war eigentlich mehr nach einer Mütze voll Schlaf, aber Karl meinte, wenn wir jetzt noch schnell bis zur oberen Schweimündung fahren würden, könnten wir noch ungefähr drei Stunden schlafen, um dann mit der auflaufenden Flut die Weser aufwärts in Richtung Heimat zu fahren. Also gut, er hatte die Erfahrung. Es wurde verdammt knapp. Zwar setzten die Boote noch nicht auf, aber einige male kippten die Außenborder in ihren Halterungen hoch und die Schrauben quirlten im Schlamm. Dann erreichten wir die Mündung und Karl warf die Anker aus. Ich ging wieder längsseits, und Minuten später hallte gewaltiges Schnarchen aus der kleinen Kajüte.

Draußen auf der Weser zog ein Frachtkahn vorbei, und der besorgte Kapitän schickte seinen Matrosen hinunter in den Maschinenraum, um nachzusehen, ob dieses merkwürdige, rasselnde Geräusch, das er vernahm, wohl einen Maschinenschaden ankündigte.

Die Motoren heulten im Vollgas, die Boote preschten mit Höchstfahrt durchs Wasser und ganz langsam zog der »Reiher« davon. Karl brauchte sehr lange, um einen Vorsprung von drei Bootslängen herauszuarbeiten, aber er wuchs beständig und mit jedem größeren Frachtschiff, welches uns mit Wellengang begegnete, wurde er noch größer. Während Karl durch die Wellen preschen konnte ohne Gas wegzunehmen, musste ich die Fahrt verlangsamen und den Bug direkt in die Welle drehen, um nicht zu kentern. Und dann musste ich auch noch tanken, während Karl seinen Zehn-Liter-Tank unter der Bank stehen hatte und der Motor seinen Durst über eine entsprechend lange Spritleitung stillen konnte. Nach dem ersten Tankstop fuhr ich den kleinen Spritbehälter am Motor nicht mehr leer und tankte während der Fahrt ohne anzuhalten. Verdammt! Ich musste mir was einfallen lassen, wenn ich den Rest des Tages nicht mit Aale schlachten verbringen wollte. Mein Blick fiel auf die schweren Pflastersteine, die im Bug unter der Bank lagen. Ich blockierte die Steuerpinne und wankte vorsichtig nach vorn. Drei Blöcke stemmte ich hoch und ließ sie über Bord kippen. Der Bug hob sich merklich und ich balancierte zurück zum Heck. Jetzt nahm der »Stichling« gewaltig seine Nase hoch und ich hatte Mühe, den destabilisierten Kahn auf geradem Kurs zu halten. Aber, oh Wunder, er wurde tatsächlich schneller. Mit der Zeit meinte ich sogar, dass Karl seinen Vorsprung nicht weiter hatte ausbauen können. Also war meine Idee gar nicht so schlecht gewesen. Vielleicht konnte ich sie sogar noch verfeinern. Nochmals krabbelte ich nach vorn und warf auch noch die restlichen zwei Steine über Bord.


Dafür platzierte ich die langen Stangen der Sperrlage so, dass sie nicht mehr über das Heck hinaus ins Wasser hingen und bremsten, sondern jetzt wie ein Bugspriet nach vorn über das Boot hinaus ragten. Weit vornüber geneigt hockte ich jetzt im Boot um dem Fahrtwind keine Angriffsfläche zu bieten. Und dann hatte ich ihn eingeholt. Es war ein verbissenes Ringen um jeden Meter, aber schließlich war ich an Karl vorbei und tanzte wie ein Korken durch seine Bugwelle. Fast hätte es mich umgeworfen, aber ich konnte den »Stichling« gerade noch abfangen, bevor er kenterte. Dann hatte ich ruhiges Fahrwasser, die Weser war hier glatt wie ein Ententeich und machte mir das Fahren leicht. Schimpfend und fluchend versuchte nun auch Karl alles Mögliche, um den »Reiher« schneller zu machen. Aber er hatte schon keine Chance mehr, denn ich setzte bereits im spitzen Winkel zum Überqueren der Fahrrinne an. Schräg vor mir lag die Hafeneinfahrt, und dicht gefolgt von Karl preschte ich darauf zu. Wie waren die Bedingungen doch gleich? Wer als erster am Anleger festgemacht hatte...!? Mit ein bisschen Glück konnte ich es schaffen, als erster meine Bugleine über die Poller zu werfen, denn mich behinderte keine Vorschiffskajüte.

Der Bootsmann stand mit offenem Mund auf der Veranda des Bootshauses, als wir, zugegebenermaßen etwas unfein, mit viel zu viel Fahrt in den Hafen rauschten und die Sportboote wild zum Tanzen brachten. Ich fuhr jetzt im Stehen, denn ich wusste, dass im stillen Hafenwasser oft Balken und Sträucher schwammen und einen Aufprall auf ein solches Hindernis wäre meinem Boot sicher nicht gut bekommen. Ich wollte zwar das Rennen gewinnen, aber nach Möglichkeit, ohne mein Schiff zu versenken.

Im letzten Moment hatte ich die Planke gesehen, die genau vor mir im trüben Hafenwasser dümpelte. Ich riss den Motor herum und fuhr ein zentimetergenaues Ausweichmanöver. Jetzt noch um die Pontonecke, und von hinten an den Anleger heran, Außenborder mit Vollgas in den Rückwärtsgang, aufstoppen, nach vorne fallen und die Leine über den Poller – geschafft!

Aber was machte Karl da? Er hatte dem Balken nicht mehr ausweichen können und das Stück Holz hatte sich prompt zwischen Motor und Schiff verkantet. Der »Reiher« ließ sich nicht mehr steuern und raste ungebremst durch den Hafen. Bevor Karl in irgendeiner Form reagieren konnte, war das Hafenbecken zu Ende, und der Blechkahn jagte mit hässlichem Kreischen und Knirschen polternd die Uferschräge hinauf. Nach einigen Metern auf der unebenen Steinpackung kam der »Reiher« sehr abrupt zum Stehen, und es lupfte den verdutzten Karl vom Achtersitz. Mit einem entsetzten Aufschrei schoss er durch die Luft und landete, nachdem er zielsicher die kleine Luke im Zwischenschott passiert hatte, auf seinen Matratzen in der Vorschiffskajüte. Mit lautem Knall flog der Lukendeckel zu und dann herrschte tiefe Stille.

»Klappe zu, Affe tot«, murmelte der Bootsmann fassungslos und kratzt sich am Kopf. Wir nahmen die Beine in die Hand, um nach Karl zu schauen und rannten um das Hafenbecken herum. Wir waren heilfroh, als die Luke sich öffnete und ein etwas benommener, aber unverletzter Karl seinen Kopf herausstreckte.

»Kann mir mal jemand sagen, warum so was immer mir passieren muss?«, schrie er. »Warum immer ich?« Brüllend hieb er mit der Faust auf seinen »Reiher« ein, der eigentlich am allerwenigsten dafür konnte, doch nachdem er sich solchermaßen abreagiert hatte, kletterte er aus dem Boot und besah sich den Schaden. Erleichtert stellten wir fest, dass die Schrammen und Dellen reparabel waren, und da fing auch Karl an zu lachen.

»Na gut, also werde ich heute Nachmittag Aale schlachten, ausnehmen und räuchern«, sagte er gefasst, um sich dann mit einem gefährlichen Knurren mir zuzuwenden.

»Aber du, Zwerg, wirst mein Schiff ins Wasser zurückbringen, und zwar, nachdem du es ausgebeult hast«, beendete er drohend seine Ansprache, drehte sich auf dem Absatz um und stiefelte davon in Richtung Bootshaus.

»Los Zwerg, komm mit, Genever fassen! Den haben wir uns verdient!«

Vom Angelkahn zur Motoryacht

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