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Auf die Ausrüstung kommt es an

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Langsam lief die Flut in der Geeste auf, und der Gästesteg der Bremerhavener Marina leerte sich. Viele Skipper hatten nur darauf gewartet, um mit den von See her in die Flüsse drängenden Wassermassen ihren Weg flussaufwärts fortsetzen zu können. Die einen wollten die Strömung des auflaufenden Wassers nutzen, um die Weser hinauf, vielleicht nach Bremen zu fahren. Andere würden vielleicht auch bei Elsfleth in die Hunte einbiegen um über den in Oldenburg beginnenden Küstenkanal weiter in Richtung Ostfriesland zu fahren. Das war jedoch nicht unsere Richtung, wir würden der Geeste flussaufwärts folgen, bis sie am Stadtrand von Bremerhaven durch das Sperrwerk von der Tide abgeschnitten wurde. Danach gab es keine Ebbe oder Flut, keine Schlickbetten oder schräg liegende Boote mehr. Nur ein wundervolles, kreuz und quer durch die Landschaft mäanderndes Flüsschen, an dessen üppig bewachsenen Ufern eine Vielzahl von Lebewesen heimisch ist, die man während der gemächlichen Fahrt beobachten konnte.

Meine Bestfrau und ich wetteiferten darin, wer wohl das seltenste Tier entdeckte und wo der geeignetere Standort für einen Hecht sein würde und waren begeistert von der Schönheit, die uns Flora und Fauna in dieser Vielzahl präsentierte. Unser Nachwuchsmatrose hingegen saß gelangweilt am Bug und ließ die Beine durch die Reling über Bord baumeln. Tortis ganze Konzentration zielte darauf ab, ein Bein so lang zu machen, dass der große Zeh ins Wasser tauchen konnte.

»Wusstest du eigentlich, dass ein Angler hier neulich einen Piranha gefangen hat?«, rief ich von meinem Schönwetter-Posten meiner Hobby-Tierkundlerin zu, die an Backbord auf dem Dach der Vorderkajüte saß. Wenn die Situation es zuließ, saß ich gerne in der Luke meines Hardtops wie auf einer Mini-Flybridge und lenkte das Boot mit den Füßen.

»Einen großen?«, fragte sie zurück und ich zeigte mit den Händen in Anglermanier ein Maß von ungefähr vierzig Zentimetern. Vollkommen unauffällig hatte unsere Tochter den Kopf nur eben so weit in den Nacken gelegt, dass sie diese Geste hatte sehen können. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie das Gehörte ernst nehmen sollte, zu oft war sie schon den Späßen ihres Erziehungsberechtigten aufgesessen. Aber sie wusste auch, dass der nicht nur ein begeisterter Freizeitkapitän sondern auch ein Vollblutangler war, der sich mit Fischen auskannte. Und wenn der sagte, es war ein Piranha, dann...!

Mit einem leisen Seufzen erhob sie sich und schaute uns an.

»Mama! Du solltest dich auch nicht so in die pralle Sonne setzen, ich jedenfalls werde mich jetzt in den Schatten begeben. Das schont die Haut und wirkt gegen frühzeitiges Altern!«

Mit dieser spitzen Bemerkung entschwand sie in den Schatten der Persenning, wo sie sich demonstrativ mit Sonnenmilch einzucremen begann.

»Sehr weise, Torti«, lobte ich sie mit ernster Miene. »Obwohl ein wenig runzelige Haut allemal besser ist, als mit einem abgeknabberten Zeh rumlaufen zu müssen!«

Jetzt hatte sie gemerkt, dass ich sie auf den Arm genommen hatte und holte tief Luft um zu einer Gegenattacke zu starten. Doch bevor sie etwas sagen konnte, gellte ein lauter und durchdringender Alarmton durch das Schiff und ich sauste von meinem Sonnendeck aus durch die Luke nach unten auf den Sitz des Skippers. Meine Augen irrten über die Kontrollanzeigen und blieben auf dem Thermometer der Kühlwasseranzeige hängen. Hundert Grad zeigte die Nadel und das war entschieden zu viel. Ich schob den Gashebel ganz zurück in die Leerlaufstellung und peilte einen kleinen Grabenauslauf am Ufer an. Mit wenig Restfahrt bohrte sich DODI ins Schilf und in den Schlick und lag dann still.

Ich sprang vom Sitz und riss die Bodenluke auf, unter der sich das Sieb des äußeren Kühlwasserkreislaufes befand. In dem klaren Behälter war alles in Ordnung, nichts war verstopft, alles schien in Ordnung. Nun griff ich eine Pütz und schwang mich über die Achterreling hinunter auf die schmale Badeplattform. Ich hielt den Eimer unter das Auspuffrohr, aus dem zusammen mit dem Abgas auch das Kühlwasser wieder herausbefördert wurde. Ich spähte in den Behälter und fand erschreckendes: Kleine schwarze Gummiteile im Kühlwasser zeugen meistens davon, dass sich gerade das Pumpenritzel, in Skipperkreisen auch meist sorgenvoll „Impeller“ genannt, in der Kühlwasserpumpe verabschiedet hatte.

»Motor aus!«, kommandierte ich und mein weiblicher Maschinist drückte den Aus-Knopf.

»Und jetzt?«, wollte meine Bestfrau wissen. »Was machen wir jetzt?«

»Ganz einfach, wir rufen den ADAC«, hatte unser Leichtmatrose eine tolle Lösung parat, auf die ich aus verständlichen Gründen nicht näher einging. Ich hatte das Ersatzteil dabei, das wusste ich. Was ich nicht wusste, war, wo die verflixte Pumpe saß. Der riesige Motorblock, der den Maschinenraum mehr als ausfüllte, und so groß war, dass die Werft schon den Fußboden hatte aufdoppeln müssen, ließ keine wirklich erhellenden Einblicke in die geheimnisvollen Tiefen des Schiffsleibes zu.

»Bug- und Heckanker raus auf die Wiese! Mir wird nichts anderes übrig bleiben, als das Boot auseinander zu nehmen«, erklärte ich und kratzt mich am Kopf.

Meine Begeisterung war auf dem Höhepunkt angelangt, jedenfalls vermutete ich das. Hätte ich zu dem Zeitpunkt gewusst, in welch Schwindel erregenden Höhen dieser Punkt sich tatsächlich befand, hätte ich das Gummiboot aufgeblasen und mich fluchtartig abgesetzt. Da ich es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ahnte, fing ich an, die Plicht zu demontieren.

Als erstes störte die Persenning. Also weg damit. Nun hatte die Sonne freie Bahn, was sie auch sofort auszunutzen begann. Erbarmungslos brannte sie auf den armen Motorschrauber und Skipper hernieder, der damit anfing, alle Fußbodenteile auf das Achterdeck zu stapeln, während die weiblichen Crewmitglieder die Anker ausbrachten und damit ein Abtreiben des Bootes verhinderten. Vor dem Motor war noch ein Schott, das auch weg musste. Die beiden Ersatzteilfächer rechts und links von der Maschine, die über den Tanks saßen, waren ebenfalls im Weg. Sie landeten auch achtern. Angelkram, Ölsaugtücher, Ersatzteile, irgendwie war das halbe Schiff im Weg. Ich benötigte fast eine Stunde, um mich bis in die Tiefen vorzuarbeiten, in denen ich die Wasserpumpe vermutete. Ich folgte der Kühlwasserleitung und wirklich, das da vorne, wo ich nicht mehr hinlangen konnte, das musste sie sein. Hurra, gefunden! Aber wie sollte ich da heran kommen? Es war kaum genug Platz, eine Hand bis da unten vorzuschieben, aber in der Enge auch noch zu arbeiten, erschien unmöglich.

»Und wenn du die Trennwand zwischen Motor und Tank herausnimmst?«, half meine Bootsbauerin mir auf die Sprünge und ich begann, auch noch die letzten Teile der Motorraumverkleidung mitsamt allen Spriegeln und Spanten zu demontieren. Aber, oh Wunder, jetzt hatte ich wirklich Platz und kam so gerade eben an die winzig kleinen Schrauben heran, die den Deckel auf der Pumpe hielten. Mein Rücken war gar, der Schweiß rann mir in die Augen. Meine Begeisterung erklomm jenen bisher noch nicht gekannten Bereich, der in weiter Ferne neue, ungeahnte Höhepunkte verhieß.

Der winzige Schraubendreher glitt ab und bohrte sich in meine andere Hand. Wer da immer behauptet hatte, Indianer kennen keinen Schmerz, hat sich geirrt. Sie schreien nur nicht so laut! Etwas irritiert schaute ich meinem Blut nach, das nun anfing, die Bilge zu füllen. Egal, Zähne zusammen beißen und weiter machen. Schraube Nummer acht musste raus, ob sie wollte oder nicht. Längst hatte ich den „Point of no Return” überschritten, jetzt nur nicht aufgeben. Pling, pling, platsch! Das war Schraube Nummer acht, die sich gerade verabschiedet hatte, um tief unten im Schiff in ein Meer aus meinem Blut zu tauchen. Wenn ich nur..., wenigsten etwas mehr Platz..., Pffffrrrrtsch! Oh, da war die Altölpumpe im Weg gewesen und noch fast kochendheißes Öl ergoss sich über meinen Arm. Es würde unten im Schiff einen netten Kontrast zum Rot meines Blutes bilden. Aber jetzt: Schraube neun und zehn, da waren sie. Raus mit ihnen. Schraube elf ging ebenfalls auf Tauchstation, bevor ich sie auffangen konnte. Nur noch eine einzige, aber an die kam ich nicht heran. Vielleicht, wenn ich mich mit dem Fuß im Spülbecken der Pantry abstützte? Unaufhaltsam rutschte ich, von der Öldusche gut geschmiert, langsam aber sicher immer tiefer unter den Motorblock.


Da, jetzt hatte sie verspielt, gleich hatte ich sie....

»Guten Tag! Ich bin der hiesige Fischerei-Aufseher. Darf ich mal ihren Fischereischein sehen?«

„Plitsch“ machte Schraube Nummer zwölf und verschwand im Blut-Ölgemisch, welches knietief in der Bilge stehen musste. Fassungslos über das „Plitsch“ und noch fassungsloser über das davor Gehörte tauchte ich ölverschmiert aus den Tiefen meines Schiffes auf, was dem pflichtbewussten Aufseher, der am Ufer stand, ein leicht erstauntes »Oh!« entlockte.

»Seien sie mal ehrlich: Sehe ich aus, als würde ich angeln?«, fauchte ich ihn vor Wut bebend an. Was hatten die hier nur für einen Aushilfs-Bademeister als Oberaufseher eingestellt?

»Ach wissen sie, darauf kommt es gar nicht an«, klärte der Mann in flottem Anglergrün mich auf und hielt mir noch immer seinen Ausweis vor die Nase. »Da auf dem Schiff liegt eine komplette Angelausrüstung, und sie könnten jederzeit mit dem Angeln beginnen!«

Ich schluckte. Konnte das noch normal sein? Wo hatten sie den denn bloß freigelassen?

»Was haben sie da vorne eigentlich für Löcher im Kopf? Sind das Augen? Dann müssten sie doch eigentlich sehen können, dass ich einen Maschinenschaden habe, den ich gerade repariere. Sehen sie mich irgendwie eine Rute schwingen? Ist irgendetwas von dem Gerät fertig montiert?«

»Nun, ich verstehe ihren Ärger! Aber das kommt eben davon, dass Sie nicht korrekt unterrichtet sind. Sie hätten einmal einen Blick auf die Bestimmungen unserer Gewässerordnung werfen sollen, bevor sie hier angeln.«

»Kerl! Ich angle nicht! Ich repariere! Und da ich auch nicht vorhabe hier zu angeln, interessiert mich Ihre Gewässerordnung einen feuchten Kehricht!«, schrie ich, denn meine Beherrschung war am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angelangt.

»Jaaa! Das sagen sie jetzt! Aber wenn sie mit der Reparatur fertig sind, wollen sie sicher ein wenig entspannen. Und was entspannt mehr als Angeln? Na?«

»Ein Mord?«

Meine Bestfrau erkannte, dass ich das nicht nur so dahingesagt hatte. Mein Blut kochte in Bereichen, in denen man die Temperatur meines Motors als wohltuend kühl abgetan hätte. Sie schob mich kurzerhand beiseite.

»Also, wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat mein Mann sich strafbar gemacht, weil dort auf dem Schiff eine Angelausrüstung liegt«, forschte sie nach. Der Aufseher atmete auf. Endlich jemand, der ihn verstand.

»Genau!«, meinte er erleichtert. »Auf die Ausrüstung kommt es eben an!«

Mein Prachtstück von einem Eheweib warf dem Fischereiheini einen entzückenden Augenaufschlag zu.

»Sagen sie, sie haben doch sicherlich ein Handy dabei. Dürfte ich das mal benutzen?«

»Äh, ja schon! Aber wozu?«

»Oh, ich will nur die Polizei rufen! Das macht man als Frau so, wenn sich ein Mann einer Dame unschicklich gezeigt hat!«

»Unschicklich gezeigt...? Ähem, wieso denn das? Wer hat ihnen denn was getan?«

»Na, sie doch! Oder haben sie etwa geglaubt, sie kämen so ungeschoren davon? Sie sollten sich schämen, einer Frau mit ihrer minderjährigen Tochter so etwas anzutun!«

»Moment mal! Ich habe doch gar nichts gemacht! Was wollen sie von mir?«

»Ach ne! Kommen sie mir bloß nicht so! Nichts gemacht! Sie haben ihre komplette Ausrüstung dabei, alles was man dazu braucht um Frauen und Kinder zu erschrecken, und jeden Moment können sie über mich herfallen! Und sie wollen nichts gemacht haben? Ich habe zwei Zeugen und sie?«

Der Fischerei-Aufseher blickte in die drei grimmigen Gesichter einer zu allem entschlossenen Skipper-Familie. Langsam ging er einen Schritt zurück, dann noch einen und noch einen. Dann drehte er sich um und rannte davon, als sei der Teufel hinter ihm her. Ich wandte mich meinem mir angetrauten Prachtstück zu.

»Frau, lass dich umarmen! Das war genial! Wenn ich jemals diesen verdammten Motor wieder zum Laufen kriege, lade ich dich in Bederkesa zum Griechen ein«, lobte ich sie.

»Geh mir von der Wäsche, Schmutzfink«, wehrte sie mich lachend ab und deutete nach unten ins Schiff. »Sieh lieber zu, dass du das wieder zusammenbekommst.«

Beinahe fröhlich tauchte ich wieder in die Folterkammer meines Bootes und plötzlich lief alles ganz wunderbar. Ohne Probleme fummelte ich die zerbröselten Überreste des Impeller aus dem Gehäuse, setzte ein neues Schaufelrad ein und angelte nach den verlorenen Schrauben. Nach einer weiteren Stunde sah das Schiff wieder aus wie ein Schiff und der Motor lief ohne zu überhitzen.

Während ich mich notdürftig säuberte und meine Wunden verband, saß mein weiblicher Steuermann auf dem Skipperstuhl, summte fröhlich den weltberühmten Sirtaki aus „Alexis Sorbas“ und nahm Kurs auf Gyros und Tsatsiki in Bederkesa.

Bei Thor und Odin

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