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Das Phantom von Bederkesa
Оглавление»Hermann! Riech mal! Grillt hier schon wieder einer?«, fragte der Hafenmeister von Bederkesa und schnüffelte in der Luft herum. Der angesprochene Skipper hielt nun auch seinen Riechkolben in die Luft, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen. Dann jedoch zeigte er stumm den Kanal entlang, wo aus Richtung Lintig ein gelbes Motorboot aufkam.
»Zum Teufel! Wenn das nicht die DODI ist…«, murmelte der Hafenkapitän und wechselte die Farbe in Richtung kalkweiß.
»Hat wohl nicht geklappt mit den sechs Richtigen im Lotto«, sprach Skipper Hermann aus, was Hafenmeister Wilfried soeben dachte. (siehe: Voll voraus, DODI!)
»Ich geh zur Burg, die Kanone holen«, meinte der Herr über die Liegeplätze entschlossen und machte Anstalten davonzueilen. Hermann fasste beherzt zu und bekam ihn gerade noch an den Hosenträgern zu fassen.
»Mann! Bleib hier! So schlimm sind die doch nun auch nicht, und außerdem bin ich ja auch noch da. Ich pass auf, dass nix passiert«, versprach er und ließ die weit gedehnten Hosengummis fahren, die sich darauf hin wieder mit Schwung in ihre Ausgangsstellung begaben und sich an den „durchtrainierten“ Oberkörper des Hafenmeisters anschmiegten, dass es laut klatschte.
»Aaaaah!«, brüllte der Gepeinigte auf.
»Fein«, freute sich Hermann, der das als Zustimmung auffasste. »Du weißt doch, wenn ich was verspreche, dann halte ich das auch!«
»Hermann«, jammerte der Hafenkapitän. »Immer bringen sie hier alles durcheinander. Der ganze Ort steht Kopf, wenn die DODI in Beers anlegt!«
Hermann legte seinen Arm väterlich um die Schultern des Freundes.
»Heul man nich, mien Jung! Das wird schon werden! Vielleicht fahren sie ja auch durch«, tröstete er den verzagten Wilfried, der mit angstvollem Blick beobachtete, wie wir das Anlegemanöver einleiteten. Hatte er eben noch insgeheim gebetet, dass wir weiterfahren mögen, so sah er jetzt alle seine Hoffnungen dahinschwinden.
»Nicht wieder vor dem Klo!«, forderte meine Bestfrau und schwang drohend das nasse Handtuch, welches eigentlich zur Kühlung meines verbrannten Rückens dienen sollte.
»Und nicht so weit weg vom Dobbendeel! Sonst muss ich so weit zum Eisessen laufen«, forderte unser weiblicher Nachwuchs. Ich verzog das Gesicht, denn damit saß ich mal wieder in der Falle. Der öffentliche Sanitär-Container befand sich nämlich direkt neben dem See-Restaurant, und wenn ich es dem einen recht machen wollte, wurde automatisch der andere benachteiligt.
»Weiber!«, knurrte ich wütend. »Früher, bei meinen Vorfahren, den edlen Wikingern, da haben sie so etwas wie euch verkauft! Je weiter weg, um so besser!«
Ich überlegte kurz: Sah man mal von den Annehmlichkeiten des Lebens ab (gemeint war natürlich das Leben der gewöhnlichen Crewmitglieder), so benötigte das Schiff und sein Skipper in erster Linie passende Holzpoller zum Anlegen, nahebei eine Steckdose zur Stromversorgung und einen möglichst kurzen Weg zur nächsten Wasserzapfstelle. Na also, schon gefunden! Ich steuerte den benötigten Liegeplatz an und war der festen Überzeugung, dass es nicht meine Schuld war, dass der genau auf der Grenze zwischen Sanitär-Container und Dobbendeel lag!
»Nicht vor dem Lokus, habe ich gesagt!«
»Ja, wo soll er denn hin? Alles andere ist zu weit vom Eistresen entfernt!«
»Aber nicht vorm Klo!«
»Mama! Weißt du was? Du bist sowieso überstimmt! Papa und ich sind immerhin zu zweit, und du bist ganz alleine! Dein Pech!«
Ich beschloss, mich da raus zu halten und nahm einfach keine Notiz von der Zankerei.
»Diskutiert das unter Euch aus, ich geh anlegen«, meinte ich lässig und verließ den Skippersitz. Heute war ich nicht auf meine Festmacher angewiesen, denn der Wind wehte von der Seite her und drückte das Schiff genau an seinen Liegeplatz am Steg. Ich nahm die Leinen und während meine beiden Kampfhühner noch immer verbal aufeinander losgingen, war DODI schon fest. In aller Ruhe zog ich die Stromleitung zum Anschlusskasten, wo mich schon der Hafenmeister erwartete.
»Moin, Willy!«, begrüßte ich ihn. »Schön, wieder bei euch zu sein. Haste mal ’n paar Pfund Schlick für uns?«
Angesichts der Tatsache, dass wir mal wieder sein geliebtes Bederkesa heimsuchten, wusste Willy nicht, ob er lachen oder weinen sollte und starrte mich entgeistert an.
»Wat?«, murmelte er.
»Na gut, ein paar Kilowatt können es auch sein«, willigte ich gutgelaunt ein und klopfte ihm jovial auf die Schulter, während ich ihm den Stecker in die Hand drückte. Er nahm ihn, schob ihn in die Dose und schon war das kühle Bier für den Skipper gesichert.
»Sag mal, riecht ihr so angesengt?«
Der Hafenkapitän hatte sich ein wenig gefangen und schnüffelte erneut in der Luft herum. Ich zeigte ihm meinen von der Sonne angekohlten Rücken, von dem wohl der durchdringende Brandgeruch in Form kleiner grauer Wölkchen ausging. Ich erzählte ihm von unserem Malheur und die Laune des Hafenmeisters stieg beträchtlich. Willy wollte sich schier ausschütten vor Lachen, klopfte sich vergnügt auf die Schenkel und meinte: »Na, dann sieh man zu, dass du in der Apotheke noch was kriegst. Der Sonnenbrand sieht wirklich nicht sehr gut aus!«
Ich brauchte mich nicht von hinten zu betrachten, um zu derselben Überzeugung zu gelangen. Ich spürte den heftigen, brennenden Schmerz und ahnte, dass ich in den nächsten zwei Nächten wohl im Sitzen würde schlafen müssen. Auf den „Grillrippchen“ konnte man einfach nicht liegen!
Also barg ich eines der beiden Klappräder vom Achterdeck und brachte Sattel und Lenker in eine für mich benutzbare Position. Dann schwang ich mich auf den Mini-Drahtesel und radelte fröhlich pfeifend in Richtung „City“ davon. Um meine beiden Kampfhühner brauchte ich mich nicht zu kümmern, sie waren bereits in stiller Eintracht auf die Damentoilette im Container entschwunden um danach die Eisvorräte des Seerestaurants Dobbendeel zu inspizieren.
Der Apotheker lieferte eine Top-Beratung ab und machte das Geschäft seines Lebens. Tuben, Töpfe und Tiegel, so wie eine ganze Batterie von Pillenschachteln waren seiner Meinung nach unbedingt notwendig, um diesen schlimmsten aller Sonnenbrände, der ihm je untergekommenen war, zu bekämpfen. Ich vertraute ihm und verstaute die ganze Notfallarznei auf dem Rad. Ich wusste, dass ich in den nächsten Nächten kaum Schlaf finden würde, darum radelte ich auch noch beim hiesigen Fahrradhändler vorbei, bei dem es nicht nur alles um die Drahtesel herum gab, sondern auch die Gastangelkarten und Köder in Form von Maden und Tauwürmern. Wenn schon, denn schon, dachte ich mir. Wenigstens sollte keine Langeweile aufkommen, während meine beiden Seejungfrauen in ihren Kojen dem nächsten Tag entgegen träumten.
Meine bordeigene Krankenschwester rieb mir den verbrannten Buckel mit den diversen Mittelchen ein, bevor sie sich zur Nachtruhe in ihre Koje zurückzog. Das Brennen der angeschmorten Haut ließ ein wenig nach, und die Kühle der Nacht tat gut. Ich saß neben dem Boot und hatte die Ruten ausgelegt, um mir die Zeit zu vertreiben. An Schlaf war nicht zu denken, denn ich hätte sowieso nicht gewusst, auf welchem Körperteil ich hätte liegen sollte. Also konnte ich auch die Nacht damit verbringen, den Aalen im Kanal nachzustellen. Immer leiser wurde es um mich herum, die Lichter in den Kajüten der Boote erloschen, der Hafen entlang des Kanals kam zur Ruhe. Es war etwa zur Mitte der Geisterstunde, als die Lampen entlang der Hafenpromenade ausgeschaltet wurden und alles in samtene Dunkelheit gehüllt wurde. Von weit her schimmerte noch der Schein einiger Straßenlampen durch die Bäume, aber sie waren zu weit weg, um noch bis hier her die Gegend zu erhellen.
Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Nach einer Weile vermochte ich auch weiter entfernte Dinge wieder im schwachen Licht der Sterne zu erkennen. Ich beugte mich vor und wollte eine der Angeln aufnehmen, um sie neu auszulegen, als ich aus den Augenwinkeln eine flüchtige Bewegung am anderen Kanalufer wahrnahm. Ich hielt inne und duckte mich noch weiter in den Schatten am Deich. Was war da drüben gewesen? Ich hatte es doch ganz deutlich gesehen. Zögernd trat eine dunkle Gestalt aus dem Schatten der Parkbäume auf den Deichweg hinaus. Wer immer das war, er wollte nicht erkannt werden, denn er hatte sich in einen schwarzen Umhang gehüllt und einen Hut tief in das Gesicht gezogen. Fast lautlos eilte er den Weg entlang bis zum Amtshaus, dann knarrte leise eine Tür und das Schemen war verschwunden.
Ich rieb mir die Augen. So etwas konnte es doch gar nicht geben. Ein Phantom in Bederkesa? Nie und nimmer! Aber wenn doch, wo war der Kerl geblieben? Zuletzt hatte ich ihn am alten Amtshaus gesehen und gehört. Was wollte der Unheimliche da? So weit ich wusste, wohnte dort früher der Amtsschreiber. Heute war dort wohl die öffentliche Verwaltung untergebracht. Daneben in der alten Amtsscheune fanden nach ihrem Umbau häufig Ausstellungen und Veranstaltungen statt. Was also gab es da, zu dem man sich mitten in der Nacht schleichen musste?
Nun, ich war nicht das, was man als „sensationshungrig“ bezeichnen würde, aber eine gesunde Portion Neugier ließ sich nicht verhehlen. Ich zog die Angeln ein, tastete durch die Persenning nach der Taschenlampe und machte mich auf den Weg. Schnell hatte ich die Brücke über den Kanal passiert, lief leise den Spazierweg entlang bis zum Amtshaus und blieb schließlich vor dem großen Gebäude stehen. Es lag einsam und verlassen im Dunkel eines Parks und nichts deutete auf die Anwesenheit des Phantoms oder eines anderen nächtlichen Besuchers hin.
Ich ging um das Haus herum, sah aber keine Tür, der ich das knarrende Geräusch hätte zuordnen können. Ich wandte mich der Amtsscheune zu, umrundete auch sie, fand sie aber ebenso verlassen wie das große Haus. Ein Lichtschein ließ mich stutzen, denn dieses matte, wandernde Licht, mehr ein Schimmer hinter Fensterscheiben, befand sich in keinem der beiden Gebäude. Fahl glomm es aus der nahe gelegenen Burg herüber, wo es sich scheinbar einen Gang entlang bewegte, denn es wanderte von Fenster zu Fenster. Für einen kurzen Augenblick, nicht länger als ein Herzschlag, erkannte ich schemenhaft die Umrisse meines „Phantoms“. Langer, wallender Umhang mit großkrempigem Hut. Wie kam der Kerl in die Burg? Und was wollte er da? Es wurde immer mysteriöser.
Ich ging zurück zum Amtshaus und begann, an der Rückseite des Gebäudes intensiver zu suchen. Eine kleine, unscheinbare Kellertür, halb verdeckt von einem Gebüsch, weckte mein Interesse. Sie lag so versteckt, dass sie beinahe keinen Sinn machte. Zu schmal und zu niedrig, als dass man sie wirtschaftlich hätte nutzen können, und..., sie war nicht verschlossen! Ich drückte die alte Klinke nieder und die Tür schwang knarrend auf. Bingo! Das war das Geräusch, das ich vorhin gehört hatte.
Der Schein der Stablampe wanderte über allerlei Gerümpel, der Keller schien seit Jahren unbenutzt, denn überall lag eine dicke Staubschicht. Ich tastete mich über schmale Treppenstufen hinab in den Raum und leuchtete die Wände ab. Dieser Keller hatte ganz offensichtlich nur einen Eingang, und durch den war ich eben gekommen. Wo war der Kerl im Umhang durchgeschlüpft? Ich war mir sicher, dass es einen weiteren Zugang geben musste, und den wollte ich finden. Ich klopfte jeden Zentimeter der Wand ab, aber es erwies sich alles als massives Mauerwerk. Nirgends klang es hohl, nicht der kleinste Anhaltspunkt für einen weiteren Durchgang. Dafür wurde es um mich herum immer dunkler. Es rächte sich nun, dass ich vor Urlaubsantritt die alten Batterien nicht gegen frische ausgewechselt hatte.
Mit dem letzten Schimmer aus der kleinen Glühbirne schlüpfte ich durch die knarrende Tür ins Freie und zog sie fest ins Schloss. Ich wollte mich gerade zum Gehen wenden, als mir ein Gedanke kam. Vielleicht würde das Phantom ja den gleichen Weg zurück nehmen, und ich brauchte eigentlich nur hier zu warten, um dem rätselhaften Knilch mit Hut und Umhang auf die Spur zu kommen.
Die Zeit tröpfelte dahin, Sekunden wurden zu Minuten, zu Stunden, und ich hockte in dem riesigen Rhododendron und bemühte mich, wach zu bleiben. Der betörende Duft der Blüten betäubte meine aufgeputschten Nerven, die Kühle der Nacht streichelte wohltuend meinen schmerzenden Rücken und ich lehnte mich entspannt gegen die starken Äste des Busches, der mir Schutz und Deckung vor den Augen des rätselhaften Fremden bieten sollte. Die Zweige waren sehr kräftig und sie federten leicht, wenn ich mich auf sie stützte. Das sanfte Schaukeln musste mir wohl den Rest gegeben haben, denn als ich die Augen wieder öffnete, ging gerade die Sonne auf.
Ich hatte das Phantom verschlafen! Bei Petrus, Neptun und Rasmus, das durfte doch nicht wahr sein! Wer wusste schon, ob ich jemals wieder eine so spannende Beobachtung würde machen können? Die Zukunft sah mich als ewig grübelnden Versager, der die Chance seines Lebens verpasst hatte, einem echten, wahrhaftigen Geheimnis auf die Spur zu kommen! Aber immerhin, ich hatte geschlafen. Das war ja auch etwas positives, mit dem so angesichts des heftigen Sonnenbrandes auf meinem Rücken nicht zu rechnen gewesen war.
Ich durchforschte meine Hosentaschen, fand zu meiner Freude noch einen Zehner und beschloss, beim Bäcker die frischesten und knusprigsten Brötchen zu holen, die meine Crew je zum Frühstück gehabt hatte. Und dem Heini mit dem Umhang würde ich schon noch beikommen, so wahr ich in eingeweihten Kreisen als Sherlock Beese alias Claus Holmes bekannt war.