Читать книгу Das abenteuerliche Karaganda - Claus Bork - Страница 6

1. Kapitel

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Es war eine gewalttätige Welt gewesen, bis sie die große Veränderung durchlief. Es gab nur wenige, die fähig waren, sich an die Zeit vor der Gemeinschaft zu erinnern. Die einzelnen Individuen der mannigfaltigen Populationen der Gemeinschaft nahmen die Tage wie sie kamen. Sie lebten jetzt in Hektik, die sie vom Gott Zarg zugeteilt bekommen hatten - ein mühsames Leben vom Ende eines Winters bis zum Beginn des Nächsten. Sie zählten Millionen, jeder mit seinen Wünschen und Ansprüchen - entsprungen aus ihrem begrenzten Bewußtsein.

Aber es gab in diesem komplizierten Reich auch Weisheit. Sie wurde durch Generationen Ehrwürdiger Mütter vererbt. Sie trugen alle Erfahrungen ihrer Art in ihrer Erinnerung. Man sagte von zweien von ihnen, daß sie durch die Kraft ihrer Seelen reisen konnten, hinaus hinter die Grenzen der physischen Existenz, und die eierlegenden Riesenkörper verlassen konnten, die für ihre Lebensdauer dazu verurteilt waren, an derselben Stelle zu verbleiben. Diese zwei Mütter waren die Mutter der Wespen in der Behausung Akorn und die Mutter der großen Kriegerameisen in der Behausung Grünn. Aber es gab auch andere mächtige Individuen in dem, was an der Oberfläche ein Reich der Ordnung und des Friedens war.

Es sollte nie Zweifel daran herrschen, daß Königin Sols Eingebungen gut und reell waren, da sie aus eigenem Willen begründete, was sich mit der Zeit zu der Gemeinschaft entwickelte. Die Libelle Ganj wurde ihre physische Stärke - und ihr Gegenpol in der Balance, die sie zwischen den sanften, milden und verzeihenden Kräften - und der zornigen Stärke zu schaffen versuchte, die in den Schatten von Ganjs Seele herrschte.

Schließlich soll erwähnt werden, daß so, wie es Licht und Dunkelheit gibt, es auch hier die sanfte, erschaffende Kraft von Königin Sol - und die brutale, gnadenlose Seite der Kraft des Gottes Zarg gab, in der Gestalt des Skolopenders, der " Das Blanke Ding" bewachte.

Auszug aus Spys Erinnerungen an die Zeit der Gemeinschaft.

Ganj saß auf der morschen Fläche des Eichenstumpfes und betrachtete das Land, das sich meilenweit nach allen Seiten ausbreitete.

Er war eine Libelle.

Die großen, blanken Augen näherten sich einander in ihrer Krümmung, mitten über dem hervorgeschobenen Kopf, und gaben ihm ein unermessliches Blickfeld.

Er streckte seine vier Flügel vom Körper und ließ sie von den ersten, sanften Strahlen der Morgensonne wärmen.

So saß er jeden Morgen - hinausblickend über das Reich, das er als das Seine betrachtete. Er genoß, es erwachen zu sehen, zu sehen, wie die Sonne die erstarrten Seelen auftaute, sie aus ihren Träumen in den Höhlen unter der Erde und der Rinde zurückholte und den Funken entzündete, der das Leben weitergehen ließ.

Er fühlte seine Macht, als etwas fast mit den Händen greifbares - fühlte sie ruhig einen Augenblick, um sie dann zu ignorieren. Er hatte sich an sie gewöhnt und dachte seltener und seltener über sie nach.

Garm, der Nashornkäfer ärgerte ihn oft damit. Es sei eine Alterserscheinung, behauptete Garm - das mit dem resignieren und bloßen genießen. " Das Leben ist ein ständiger Kampf..." Ganj wiederholte in sich den Klang seiner Stimme. " Die Jungen stehen auf dem Sprung, um Anteil an den Privilegien der Alten zu bekommen."

Ganj schob den Gedanken an Garm von sich und sah suchend zur Behausung am Waldrand.

Es schmerzte in seinem alternden Körper und er bewegte den Kiefer auf und ab, um die Blutzirkulation in Gang zu bringen.

Die ersten Ameisen zeigten sich in den Löchern der Behausung. Sie entfernten eifrig die Zweige und Halme, die die Eingänge die ganze Nacht bedeckt hatten. Ihre krummen Kiefer streckten sich aus der Dunkelheit wie blauschwarze, glänzende Zangen.

Ganj wurde auf seinen eigenen zunehmenden Hunger aufmerksam und beschloß, sich zurück nach Eichberg zu begeben, um die erste Mahlzeit des Tages einzunehmen. Aber bevor er sich ganz umgedreht hatte, hielt er inne und lauschte. Ein Geräusch war an seine Ohren gedrungen.

Eine Wespe landete vor ihm, schüttelte den Staub von den Fühlern und legte die Flügel auf dem Rücken zusammen. Erst danach wandte sie sich ihm zu, direkt und ohne Umschweife,so wie immer.

" Guten Morgen, Hochwohlgeboren." Sie hatte eine schneidende Stimme. " Ich dachte mir, heute frühzeitig zu starten. Die Ameisen behaupten, daß es regnen wird."

" Guten Morgen, Kapitän Zip," polterte Ganj.

Kapitän Zip von der Wespenflotte wartete schweigend, halb bedeckt vom dunklen Schatten der Libelle.

Ganj ließ den Blick am ganzen Horizont entlanglaufen, ohne den Kopf drehen zu müssen. Dann richtete er endllich seine Aufmerksamkeit auf die Wespe und fragte: " Warum dieser Eifer? Ist etwas im Gange - etwas, wovon ich wissen sollte?"

Kapitän Zip schüttelte den Kopf, sodaß der Chitinpanzer in seinem Nacken knackte. " Nein, aber ich möchte alles gerne schaffen, bevor der Regen einsetzt. Ich bin nicht gern gezwungen in einer Baumspitze Schutz zu suchen - und dort vielleicht eine ganze Nacht hindurch gefangen zu sein." Zips Stimme bebte ganz leicht. " Man muß sich ja nicht Zargs Zorn aussetzen..."

Ganj murmelte bekräftigend. Er hatte die Flügel über seinen breiten Rücken gelegt. " Wir müssen alle Zargs Gesetze einhalten..." sagte er zustimmend, worauf er sich bereitmachte, weiter zu krabbeln.

" Laß mich dich nicht aufhalten, mein junger Freund." Ganj drehte den Kopf ein wenig und sah auf die Wespe herab. Kapitän Zip war erstarrt, stand da und betrachtete sein eigenes Spiegelbild in der gewaltigen Augenkrümmung der Libelle.

" Aber eines sollst du wissen," setzte Ganj fort. " Es hängt viel von dir und deiner Wespenflotte ab. Viel mehr, als ich im Stande bin,

aufzudecken.

Die Wespe stand angespannt da und horchte.

" Enttäusch mich nicht..." flüsterte Ganj scharf.

" Zarg möge verbieten, daß es jemals geschehen wird!" rief die Wespe aus.

" Scht," brachte Ganj ihn zum Schweigen. " Natürlich nicht, mein Freund - natürlich nicht." Er beobachtete die Wespe als sie abhob und durch die Baumkronen davonjagte, getragen vom Summen ihrer eiligen Flügel.

Ganj bewegte sich behäbig über Eichberg hinweg, dem einzigen Eichenstumpf in Karaganda - und die Heimat der obersten Macht in Königin Sols wohlgeordnetem Reich.

Hinter dem massiven Äußeren des Eichenstumpfs war er durchkreuzt von einer Unzahl von Gängen und Spalten, die sich bis ganz zu den unterirdischen Sälen zwischen den Wurzeln erstreckten. Dies repräsentierte das Zentrum der Welt in ihrem Bewußtsein, von hier gingen alle Gesetze und Verordnungen aus, die alles in einem festen Griff hielten - und von hier breitete sich das Netz von Fäden aus, das seine Wurzeln in des Erschaffers, Zargs, Gedanken hatte. Zarg, den niemand von ihnen jemals gesehen hatte - Zarg, der die Kraft selbst war, die in den Ehrwürdigen Müttern lebte, einem der Grundelemente von Karagandas Macht.

Ganj näherte sich einem der dunklen Eingänge. Die Kreuzspinne studierte ihn aus der Dunkelheit. Sie war immer auf der Hut, so wie alle Kreuzspinnen es in allen Eingängen zum Eichberg waren. Ganj brummte einen Gruß, während er sie passierte, aber die Spinne antwortete ihm nicht.

Ganj hatte nur Verachtung für Spinnen übrig, aber er bemühte sich, dies nicht zu zeigen. Er wußte aus überlieferten Berichten, daß viele seiner eigenen Vorväter in den klebrigen Fäden der Kreuzspinnennetze gefangen worden waren und ihr Leben hatten lassen müssen, auf traurige und schändliche Weise. Er trug diese Berichte tief in seiner Seele versteckt - und sprach nie mit jemandem darüber.

Er hielt inne und vertiefte sich in Gedanken. Einmal, vor langer Zeit, bevor Sol nach Karaganda kam, war er selbst in Orcas Spinnennetz gefangen worden. Er mußte sich anstrengen, um sich an Einzelheiten zu erinnern. Es war ihm fast geglückt, es zu verdrängen.

Von allen Spinnennetzen der Welt hatte es gerade Orcas Netz sein müssen, Ganj schauderte bei der Erinnerung. Er erinnerte sich schwach an das Gefühl von festgeklebten Flügeln und seine eigene, gewaltige Wut - bevor das Sausen der Spinnenfäden vor seinem inneren Ohr auftauchte. Es hatte seinen eigenen Gesang, so ein Spinngewebe. Eine grausame Hymne, die wie eine Fanfare des Todes für den war, der sich in den Fäden verfangen hatte. Wenn man diesen Gesang hörte, wußte man instinktiv, daß es die Schritte des Todes über die Fäden waren - man wußte es, ohne es jemals vorher gehört zu haben.

Es war ihm geglückt, sich fast freizuzerren, genug, daß Orca ihm nicht nahe kommen konnte. Er hatte die Fäden zerbissen und ihr mit seinem gewaltigen Kiefer gedroht. Orca, die fette, glänzende Spinne hatte ihn durch ihre tausend Augen beobachtet. Er hatte seinen eigenen Tod sich in diesen Augen abspielen sehen. Dann war die Spinnwebe geborsten. Orca hatte ihn angezischt, als er auf die Erde wirbelte.

In den Zeiten, die folgten, hatte Ganj Orca unter Beobachtung gehalten. Sie hatte ihm Ehrfurcht eingejagt - ein Gefühl, dessen Existenz er nur widerwillig erkannte - und wenn, dann nur vor sich selbst. Sie hatte ein Spinnennetz quer über den Bach gebaut.

Es war nie vorher geschehen, und Ganj wußte es, wie alle anderen es auch wußten, daß dies eine ganz beispiellose Tat war.

Je mehr Ehrfurcht sie säte, je mehr haßte er sie. Er sah sie in Träumen vor sich, zerteilt, zerrissen und tot. Aber morgens saß sie immer noch da, fett und glänzend in ihrem riesigen Netz, mitten über dem Bach. Zuletzt fühlte Ganj, daß gerade diese, ihre Existenz, ein Hohn war, der gegen ihn gerichtet war. Aber erst später, viel später hatte er seine Rache bekommen.

Gewaltig waren die Berichte, die Ganj den Respekt seiner Untertanen sicherten, und viele waren es, die behaupteten, bei seinem Kampf gegen Orca dabei gewesen zu sein. Nur er selbst kannte die Wahrheit - und er behielt sie für sich.

Er erwachte aus seiner träumenden Trance und begab sich weiter durch Eichbergs verschnörkelte Gänge. Die Silhouette der Kreuzspinne zeichnete sich gegen den hellen, blauen Himmel in der Öffnung ab. Sie stand wie auf dem Sprung da, unbeweglich und versteinert, während seine Schritte sich zu einem schwachen Echo verliefen.

Das abenteuerliche Karaganda

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