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Die Verlobung in St. Domingo.

Heinrich von Kleist

Gesammelte Schriften, herausgegeben von Tieck[.] Bd. 3. Berlin, Reimer.

Heinrich v. Kleist, geb. 10. Oktober 1776 zu Frankfurt an der Oder, gest. 21. November 1811, Verfasser der Trauerspiele „Robert Guiscard“ (verloren), „Familie Schroffenstein“ und „Penthesilea“, der Lustspiele „Amphitryon“ und „Der zerbrochene Krug“, der Schauspiele „Das Käthchen von Heilbronn“, „Die Hermannsschlacht“, „Der Prinz von Homburg“, und einer Anzahl Erzählungen und Gedichte, endete ein teils durch eigene, noch weit mehr aber durch die Schuld des Geschicks und einer für seine hohe dichterische Begabung blinden Mitwelt verfehltes Leben, indem er sich nebst einer Freundin, die an einem unheilbaren Übel zu leiden glaubte, am Wannsee bei Potsdam erschoss. S. über ihn das vorzügliche Buch: „Heinrich v. Kleist“ von Adolf Wilbrandt.

Vorwort

Noch ehe Goethe sich zum zweiten Mal der Novelle zuwendete, hatte Kleist (1810-11) seine Erzählungen herausgegeben. Es ist schwer, diesem Dichter gerecht zu werden, von welchem man sich ebenso gewaltig angezogen als abgestoßen fühlen muss. Eine Gestaltungskraft, die über das Höchste, was wir besitzen, noch hinauszureichen scheint, die das Süßeste wie das Erschütterndste zu verkörpern weiß, und doch wie oft mitten in der herrlichsten Entfaltung ihre Schöpfungen mit einem widerwärtigen Querstrich vernichtet! Die Lösung des Rätsels ist, dass eine dunkle Fügung hier einen Genius von seltener Größe in ein krankes Gefäß eingeschlossen hat, das, obendrein durch unermüdlich grausame Lebensschicksale und tief empfundenes Unglück der Zeit aufgerieben, sich in einem unruhigen Schaffen bewegt, bei welchem Poesie und Irrsinn Hand in Hand gehen.

Leider trifft dieses Urteil in besonders starkem Grade die Erzählung „Michael Kohlhaas“, die man vergebens in gegenwärtiger Sammlung suchen wird. In ihrer ersten Hälfte ein geradezu unerreichbares Muster von Erzählung, zumal einer Volksgeschichte, die, wenn in gleichem Geist und Guss vollendet, der weitesten Verbreitung als Volksbuch würdig wäre — die Entwicklung (ein paar kleine in Überstürzung mitlaufende Unmöglichkeiten ausgenommen) der Natur selbst abgelauscht; der Vortrag künstlerisch einfach, knapp, so dass jedes Wort ausgespart ist, anspruchslos, als wäre bloß eine alte Chronik ab- oder umgeschrieben, und eben hierdurch den Leser zu eigenem Schauen und Nachschaffen der ungeheuren Vorgänge nötigend — in der zweiten (kleineren) Hälfte gleicht sie der schönen Jungfrau, die in einen Fischschwanz endet, indem das Gemälde einer großartigen Leidenschaft für Volksrecht und Manneswürde auf einmal zu einer albernen Gespenstergeschichte wird, kaum besser als die vielen Dutzende, die von handwerksmäßigen Schreibern im Trosse der Romantik angefertigt wurden.

Es wäre wohl ein verdienstliches Werk, wenn Jemand aus den älteren Erzgängen unserer Literatur Goldstufen, wie diesen ersten Teil des „Kohlhaas“ und so manches Ähnliche, herauszubrechen und in eine literarhistorisch berichtliche, das Abgerissene für die Betrachtung ergänzende Darstellung zu fassen unternähme. Unsere Aufgabe ist eine andere. Wir dürfen uns keine eigenmächtige Weglassung oder gar Änderung, keine Unterbrechung durch eigene Zutat erlauben, wir haben nur die Wahl, ein in Frage kommendes Stück entweder ganz zu nehmen, wie es ist, oder ganz auf dasselbe zu verzichten. Aus diesem Grunde nun müssen wir manchmal Bedeutenderes zurückstellen, wenn es ungesunde Bestandteile hat, die wir weder beibehalten, noch entfernen können, und müssen dafür Anderes, das sich Jenem in der Hauptsache nicht an die Seite stellen dürfte, vorziehen, sobald es in seinem Gesamtbestand den soeben bezeichneten Anspruch erhebt.

So legen wir denn, indem wir den „Kohlhaas“ einem andern Verfahren anheimgeben, die „Verlobung in St. Domingo“ vor, eine in ihrer Art vortreffliche Novelle. Man wird zwar auch hier den Dämon, der den Dichter beherrschte, an mehr als flüchtigen Zuckungen erkennen: nur aus einem gewaltsamen Seelenzustande erklärt sich die eigensinnige Motivierung des Verlaufes, die uns nicht bereden wird, dass es notwendig gerade nur so und nicht anders habe gehen können, und besonders willkürlich muss der Schluss erscheinen, sofern ja die Vergangenheit der Heldin, die allein und freilich stark genug für denselben sprechen könnte, gerade nach der Auffassung des Dichters selbst ein tragisches Abbrechen nicht erfordert; so dass Theodor Körner, der wuchtige Sängerheld und federleichte Dramatiker, in seiner verwaschenen Behandlung der „Toni“ mit dem glücklichen Ausgang immer noch das Richtigere getroffen zu haben scheint. Aber durch Tiefe des Gehalts und Meisterschaft der Form wird die Erzählung, wenn sie auch einen Stachel im Gemüt zurücklässt, immer ihren Platz bei den Musternovellen behaupten.

K.

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Deutscher Novellenschatz 1

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