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Natur statt Fitness-Studio Vorwort von Clemens G. Arvay

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Die professionelle Mountainbikerin und frühere Abfahrtsläuferin Tina Vindum aus den Vereinigten Staaten von Amerika erinnert sich noch deutlich an die Zeit, in der sich ihre Einstellung gegenüber dem Training radikal veränderte. Wie andere Spitzensportler hatte sie viele Jahre ihres Lebens in Fitness-Studios verbracht: »Mit der Zeit frustrierten mich diese Räume voll mit unbeweglichen Fahrrädern und Laufbändern, Kraftgeräten und fluoreszierendem Licht. Mein Körper und mein Geist fühlten sich in dieser monotonen, sauerstoffarmen Umgebung wie betäubt an. Durch die Gewöhnung meiner Muskeln an die sich ständig wiederholenden Übungen an Standardgeräten hatte ich ein Plateau erreicht, sodass ich meine Leistung nicht mehr steigern konnte.«

Vindum blickt in ihrem Buch »Outdoor Fitness« auf ein einschneidendes Erlebnis zurück, das ihr über das Tief hinweghalf: »Eines Tages ertappte ich mich dabei, wie ich während einer langweiligen Trainingseinheit aus dem Fenster auf die majestätischen Berge der Sierra Nevada starrte und mich eingesperrt und bedrückt fühlte. Draußen bedeckten die Blätter den Boden. Der Wind wehte scharf und kalt. Wie ein Kind, das im Klassenzimmer eingesperrt ist, sehnte ich mich nach dieser Freiheit vor dem Fenster.« Die Sportlerin gab ihrem Drang nach und lief im Slalom durch den Herbstwald, wobei sie der schwierige, unebene Waldboden anspornte. An Baumstämmen, starken Ästen sowie auf Felsen führte sie Kraftübungen aus. Seither, so berichtet Tina Vindum, seien Fitnessgeräte für sie Vergangenheit und ihre Leistung sei im Vergleich zum Indoor-Training enorm angestiegen.2

Vollziehen wir einen Ortswechsel von der Sierra Nevada in die österreichische Wachau. Mit dem Mount Whitney aus den Sierras, der es auf mehr als 4400 Meter Seehöhe bringt, können die Erhebungen der Wachau zwar nicht mithalten, aber es handelt sich dennoch um eine landschaftlich reizvolle Region entlang der Donau und sie stellt mein derzeitiges Zuhause dar. Hier gibt es ausgedehnte Waldgebiete, urtümliche Weingärten und die Wachauer Marille, eine schmackhafte Aprikose, die auf der ganzen Welt bekannt ist und in unserer Region an den sonnendurchfluteten Berghängen besonders süß wird.

Die Felsen der Wachau fallen steil zur Donau ab. Sie gehören zu den wichtigsten Fixpunkten meines Sportlebens, weil sie mich zu Höchstleistungen beim Geländelauf motivieren. Auf einem Laufoand im Fitness-Studio oder im Sattel eines Hometrainers wird mir schon nach einer Viertelstunde langweilig. Laufen oder Radfahren, ohne dabei vom Fleck zu kommen, löscht jeden Funken Motivation in mir aus. Hingegen spornen mich die Felsen der Wachau zum Durchhalten an. Sie lassen die Zeit wie im Flug vergehen.


Die größte Motivation, den Anstieg durchzuhalten, ist der Ausblick, der mich am Gipfel erwartet.

Die Landschaft ist vielfältig und birgt so viele Überraschungen, dass ich gar nicht auf die Idee komme, vorzeitig umzukehren. Was erwartet mich hinter der nächsten Wegbiegung? Wie sieht es hinter diesem Felsen aus? Und auf jenem Plateau bin ich noch nie gewesen, also nichts wie hin! Die Entdeckungslust in der Natur lässt mich bis an meine Grenzen gehen. Sport mit Naturkulisse kostet mich viel weniger Mühe als Sport im Fitness-Studio. »Meine« Berge in der Wachau bieten versteckte Pfade und unzählige mögliche Routen, sodass sie mich auch in vielen Jahren nicht langweilen werden. Es gibt immer etwas zu entdecken. Der Geländelauf führt mich durch karge, mediterran wirkende Wälder mit knorrigen alten Eichen und Kiefern, und über nackten Fels. Je nach Lust und Laune kann ich auf Wegen und Trampelpfaden bleiben oder zwischendurch an Felswänden emporklettern, um meine gesamte Körpermuskulatur zu aktivieren. Die größte Motivation, den Anstieg durchzuhalten, ist der Ausblick, der mich am Gipfel erwartet. Die Felsen belohnen mich dort mit dem sensationellen Panorama der Wachau.

Aus der Perspektive eines Vogels blicke ich auf die imposante Donau, die sich wie eine gigantische Schlange durch die Landschaft windet und im Laufe der Erdgeschichte an beiden Ufern sogar Sandstrände entstehen ließ. Diese gehören im Sommer zu meinem Outdoor-Fitness-Studio, denn das Schwimmen rundet mein Ganzkörpertraining ab und ist eine Wohltat für meine Rückenmuskulatur. Oft fahre ich am Radweg entlang der Donau bis zu den Felsen, dann ist es ein Triathlon mit Radfahren, Laufen und Schwimmen. Kein Fitness-Studio der Welt würde mich so sehr zu Sport motivieren, wie es die Natur mit ihren inspirierenden Landschaften vermag.

Biophilia-Training ist Abenteuer. Wenn die Zeit für einen Ausflug zu den Felsen nicht reicht, mache ich mich zum Waldlauf rund um meinen Wohnort auf. Nicht weit von dort liegt ein idyllischer Waldsee, der aus einem Altarm der Donau entstanden ist. An dem See befindet sich ein natürlich gewachsenes Trainingsgerät. Ein alter, durch das Wasser abgeschliffener und konservierter Baumstamm liegt dort im Uferbereich des Sees. Er erstreckt sich vom Waldrand etwa zehn Meter ins Wasser und eignet sich durch seine hohe Stabilität zum Balancieren und Klettern. Ich nutze ihn, um Klimmzüge zu machen. Ein paar Enten sind immer dabei und feuern mich durch ihr Schnattern an.3 In den Wäldern rund um mein Haus entstanden die meisten Fotos aus diesem Buch. So wie damals, als Tina Vindum aus dem Fitness-Studio hinaus in die Wildnis der Sierra Nevada lief, war es auch bei uns gerade Herbst, als Mariya Beer, unser Fotograf Michael Baumgartner und ich zum Biophilia-Training in die Wälder der Wachau auforachen.

An diesem nebeligen Tag, an dem sich uns die Natur von ihrer wilden Seite zeigte, sollte ich noch viel Neues lernen. Wir befanden uns in einem mir sehr vertrauten Wald, durch den ich schon hunderte Male gelaufen und mit dem Rad gefahren war. Ich war überzeugt davon, die sportlichen Potenziale meiner Umgebung bereits zur Gänze zu kennen. Doch Mariya öffnete mir mit ihrem erfahrenen Blick als Fitness-Trainerin an diesem Tag die Augen für die vielen, von mir bislang ungenutzten Möglichkeiten des Waldes. Ein Baumstamm, der durch einen Sturm umgefallen war und zwischen zwei standfesten Bäumen eingeklemmt wurde, diente uns als »Gerät« für verschiedene Kraftübungen, für die Sie in diesem Buch die Anleitungen finden. Seltsam, zuvor war ich an diesem Baumstamm immer achtlos vorbeigelaufen. Seit unserem Fototermin ist er aber ein fixer Bestandteil meiner Waldläufe. In diesem Buch werden wir Sie an den Erkenntnissen teilhaben lassen, die wir während unserer Trainingseinheiten in der Natur gewonnen haben. Liegende Baumstämme eignen sich hervorragend für Kraftübungen, für Ausdauertraining und für Geschicklichkeitsübungen, die auch Freude bereiten. Herumliegende Äste und Teile von Stämmen sind nicht nur Kennzeichen eines ökologisch intakten Waldes, sondern stehen für viele verschiedene Übungen zur Verfügung, mit denen wir unser Muskelkorsett so richtig in Gang setzen und unsere Haltung verbessern können.

Der Wald ist ein natürlicher Physiotherapeut. Seit ich meine Liegestütze auf Felsen mache, fühlen sie sich auf herkömmlichen Unterlagen nicht mehr »richtig« an. Einmal hatte ich mir vorgenommen, zum Biophilia-Training in den Wald zu laufen, als das Wetter unerwartet schlecht wurde. Ich war etwas krank und zunächst war ich unsicher, ob ich mich bei so unwirtlichem Wetter mit Halsschmerzen und Schnupfen auf den Sport im Wald einlassen sollte. Ich tat es.

Und siehe da: Ganz anders als befürchtet, wurde meine Verkühlung im Laufe des Tages nicht stärker, sondern es ging mir nach ein paar Stunden im Wald immer besser. Ich war beeindruckt von der Wirkung, welche die Waldluft auf mich ausübte. Nach getaner Arbeit fühlte ich mich deutlich besser als davor. Wie Sie später in diesem Buch noch ausführlich erfahren werden, enthält die Waldluft bioaktive Pflanzenstoffe, die nachweislich unser Immunsystem stärken und uns sogar vor Krebs schützen. Die Bäume im Wald unterstützen zahlreiche unserer Körperfunktionen und halten uns gesund. Der Wald ist aber nicht nur Arzt und Physiotherapeut, er ist auch Psychotherapeut. Wissenschaftler konnten nachweisen, dass Sport in der Natur sogar gegen psychische Störungen wirkt und unser Sozialleben verbessert. An die gesundheitsfördernde Wirkung der Natur kommt kein Fitness-Studio heran.

Wir werden in diesem Buch auch zeigen, dass Eis und Schnee kein Grund sind, auf das Biophilia-Training in der Natur zu verzichten. Sport im Wald ist zu jeder Jahreszeit auf komfortable Weise möglich und steigert von Jänner bis Dezember unsere sportlichen Leistungen sowie unsere Gesundheitskräfte.

Mariya Beer war bei der Arbeit an diesem Buch überwiegend für die Konzeption der Übungen verantwortlich und brachte sich mit ihrem fundierten Wissen über das Training in der Natur ein. Meine Beiträge als Biologe finden sich vor allem in den Abschnitten wieder, in denen es um die körperlichen und psychologischen Wirkungen der Pflanzen und Landschaften auf den menschlichen Organismus geht.

Das Biophilia-Training ist der Weg zur Traumfigur und zur sportlichen Höchstleistung mithilfe des Waldes. Ich wünsche Ihnen viel Freude mit diesem Buch.

Clemens G. Arvay

Krems an der Donau, 31. Jänner 2016, unmittelbar nach einem winterlichen Waldlauf

Das Biophilia-Training

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