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Biophilia für Harte Wie die Natur uns anspornt

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Es existieren zahlreiche Studien von Sport- und Gesundheitswissenschaftlern auf der ganzen Erde, die eindeutig belegen, dass die Natur uns Menschen in hohem Maße zum Sport motiviert.

Die Soziologin Anne Ellaway an der University of Glasgow stellte in mehreren Studien die sportlichen Aktivitäten von Menschen aus Wohngegenden mit Natur- und Grünflächen dem Sportverhalten von Bewohnern aus Gegenden ohne Grün gegenüber. Ihr Ergebnis: Statistisch betrachtet führen Naturflächen dazu, dass die Menschen in solchen Regionen mehr als dreimal so viel Sport betreiben als in »grauen« Wohngegenden. Das heißt, der Anblick von Bäumen und anderen Pflanzen weckt in uns den Antrieb für körperliche Bewegung.8 Dieser Studie liegen Gesundheitsdaten aus ganz Europa zugrunde. Ellaway konnte in ihren Analysen auch zeigen, dass in grünen Gegenden vierzig Prozent weniger Menschen übergewichtig sind.


Die Bewohner in der Nähe von Parks betreiben im Durchschnitt doppelt so viel Sport wie Stadtbewohner, die keine Parks in der Nähe haben.

Ross Brownson ist Professor für Gesundheitswissenschaften an der School of Medicine der Washington University in St. Louis. Er untersuchte den Einfluss von städtischen Parks auf das Sportleben der Amerikaner. Die Bewohner in der Nähe solcher Parks betreiben demnach im Durchschnitt immerhin doppelt so viel Sport wie Stadtbewohner aus anderen Vierteln, die keinen Park in ihrer Nähe haben.9 Diese Studienergebnisse beziehen sich nicht nur auf Sport im Grünen, sondern generell auf die Häufigkeit des Trainings. Der Blick auf Naturflächen spornt also auch zum Besuch des Fitness-Studios an, aber nachvollziehbarer Weise vor allem zum Biophilia-Training unter freiem Himmel.

Dass der Anblick von Bäumen eine immense Wirkung auf unsere Psyche und unseren Organismus hat, wissen wir aus mehreren Studien. Zu medialer Bekanntheit schaffte es Roger Ulrich, ein Professor für Gesundheitswissenschaften, der an mehreren skandinavischen und US-amerikanischen Universitäten forscht. Schon Anfang der Achtzigerjahre veröffentlichte er in dem weltbekannten Wissenschaftsjournal Science seine Experimente an Kliniken. Über viele Jahre hinweg konnte er nachweisen, dass der Blick auf einen Baum durch das Krankenhausfenster die Selbstheilungskräfte des Menschen fördert. Die Patienten mit Baumsicht konnten nach Gallenblasenoperationen von den Ärzten früher nach Hause geschickt werden als Patienten, die nur auf eine Hauswand sehen konnten. Der Baum förderte durch seine Anwesenheit die Wundheilung und führte sogar dazu, dass die Patienten deutlich weniger Schmerzmedikamente schlucken mussten sowie unter weniger postoperativen Komplikationen litten.

Der Anblick der Natur vor unseren Fenstern wirkt über die Psyche auf uns ein und weil Körper und Geist eine Einheit sind, hat dies auch positive Folgen für unser Immunsystem und die Selbstheilungskräfte. Schon kurze Blicke aus dem Fenster fördern unsere körperliche und geistige Regeneration sowie unsere Motivation und Kreativität bei der Arbeit. Das haben unter anderem die Professoren für Umweltpsychologie Rachel und Stephen Kaplan an der University of Michigan mehrfach bewiesen.10 Rodney Matsuoka, ein Doktorand der beiden, stellte außerdem an mehr als hundert Schulen Untersuchungen zur Wirkung von Grün an. Er kam zu dem Ergebnis, dass Schulen mit Fensterblick auf Naturflächen bei herkömmlichen Leistungstests viel bessere Ergebnisse erzielen und sogar eine geringere Quote an Schulabbrechern aufweisen als Schulen ohne Grün vor den Fenstern. Von den begrünten Schulen gingen außerdem mehr zukünftige Akademiker ab.11

Offenbar vermittelt der Blick auf die Natur während der Schulzeit mehr Freude am Lernen und am Schulbesuch. Der Grünblick aus dem Fenster spornt uns also nicht nur zum Sport an, sondern stärkt generell unsere Motivation bei der Arbeit, in der Schule und in der Freizeit. Das Potenzial der Natur, uns zur körperlichen Bewegung zwischen Pflanzen zu verführen, liegt dabei ganz besonders auf der Hand.


Der Anblick der Natur wirkt über die Psyche auf uns ein und weil Körper und Geist eine Einheit sind, hat dies positive Folgen für unser Immunsystem.

Beim Biophilia-Training tritt noch ein wichtiger Mechanismus hinzu, der auf Grünflächen in der Stadt weniger stark zu spüren ist. Wenn wir im Wald Sport betreiben oder uns auf einem Geländelauf in den Bergen befinden, dann spornt uns die Naturlandschaft ganz besonders an, durchzuhalten und weiterzukommen. Stellen Sie sich vor, Sie laufen einen Berg hinauf und sie wissen, dass sich da oben ein wunderschöner, eindrucksvoller See befindet. Während des gesamten Anstiegs haben Sie das Bild dieses Gewässers in ihrem Kopf und sind voller Vorfreude auf das Ankommen. Auf einem Trainingsgerät im Fitness-Studio gibt es keine solchen Destinationen, auf die Sie zusteuern. Das einzige Ziel, das auf dem Laufband oder dem Hometrainer auf Sie wartet, ist der Zeitpunkt, wenn die Uhr endlich an einem bestimmten Punkt angekommen ist oder das digitale Display ausreichend verbrannte Kalorien anzeigt.

Die Zielpunkte der Natur sind mit einer viel größeren Motivation verbunden als Ziffern auf Bildschirmen. Sie bewegen sich im Wald oder in den Bergen von der Stelle und erleben die Veränderung der Landschaft mit, ja, Sie tauchen regelrecht in die Natur rund um Sie ein. Heute können Sie einen neuen Weg ausprobieren, morgen einen spontanen Abstecher auf einen anderen Hügel vornehmen. Auch die wechselnden Naturstimmungen sind ein guter Grund, den Sport nach draußen zu verlegen. Laufen in den Sonnenuntergang, Radfahren durch geheimnisvolle Nebelschwaden, Klettern unter stahlblauem Himmel, Balancieren am Waldrand nach einem Regen – die Natur bietet uns Abwechslung und unzählige Möglichkeiten für Neues.


Das Biophilia-Training ist eine ganzkörperliche und zum Teil unbewusste Form der Interaktion mit unseren natürlichen Lebensräumen.

Auch die Fahrt in die Natur ist mit mehr Vorfreude und Motivation verbunden als die Anfahrt ins Fitness-Studio, sofern Sie nicht, wie Woody Allen, ein Biophobiker sind. Dabei können sich vor allem Stadtbewohner die Motivation, die von der Natur ausgeht, zunutze machen. Schwingen Sie sich auf Ihr Fahrrad und radeln sie auf schnellstem Wege zum Grüngürtel oder ganz aus der Stadt hinaus. Die Vorfreude, die graue Stadt hinter sich zu lassen, wird Sie anspornen. Wenn Sie in einem Wald oder einem anderen Naturgebiet angekommen sind, wechseln Sie vom Radfahren aufs Joggen. Auf natürlichem Untergrund haben Sie ja keine Schäden für Ihre Gelenke mehr zu befürchten.

Nach dem Lauf schwingen Sie sich wieder auf Ihren »Drahtesel« und radeln Sie wieder nach Hause. Das hat gleich mehrere Vorteile, denn bei einem solchen Training integrieren Sie mehrere Sportarten. Die runden Bewegungen des Radfahrens wärmen Sie nicht nur auf, sondern bauen auch Muskelspannung in Ihrem Kniegelenk auf.

Wenn Sie dann vom Rad absteigen und zu laufen beginnen, ist Ihr Knie dadurch besser stabilisiert und vor Stößen geschützt. Es ist auch schon besser durchblutet. Die Verletzungsgefahr sinkt. Das Biophilia-Training ist eine ganzkörperliche und zum Teil unbewusste Form der Interaktion mit unseren natürlichen Lebensräumen. Dabei können wir zur Leistungssteigerung unsere eigenen evolutionären Mechanismen nutzen, die mit der Vergangenheit unserer Spezies zu tun haben.

Wir haben schon gesehen, dass unsere Vorfahren wichtige Entwicklungsschritte in der afrikanischen Savanne vollzogen haben. Daraus resultieren ganz bestimmte Vorlieben unseres Nervensystems, das seine Umwelt permanent scannt, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. In unserem Schädel befindet sich an der Basis des Gehirns ein evolutionär sehr alter Teil unseres Zentralnervensystems, das auf der Erde auf eine Tradition von 500 Millionen Jahren zurückblickt. In der Geschichte der Lebewesen ist es so früh entstanden, dass es sogar die Reptilien und Amphibien besitzen. Diesen uralten Teil unseres Gehirns nennen Biologen daher »Reptiliengehirn«. Gemeinsam mit dem 250 Millionen Jahre alten limbischen System entscheidet es, von uns völlig unbemerkt, ob wir uns gerade sicher fühlen können oder uns in angespannter Fluchtbereitschaft befinden. Neurobiologische Messungen an Menschen in Naturlandschaften haben ergeben, dass wir uns in lichten Baumbeständen und in Wäldern, in denen ausreichend Sonnenlicht durch die Baumkronen dringt, sicher fühlen und unser Organismus nicht Alarm schlägt. In düsteren Waldstücken hingegen, wo die Büsche und Bäume eng zueinander stehen und wenig Licht durch das Blätterdach kommt, schaltet uns das Reptiliengehirn in den Alarmmodus, weil es uns auf einen möglichen Angriff aus dem Dickicht vorbereitet. Es könnte nämlich plötzlich heißen: »Kämpfe oder flüchte!«

Solche unheimlichen Stellen in der Natur, die jeder Mensch aus eigener Erfahrung kennt, können wir beim Waldlauf ganz gezielt nutzen, um unsere Leistung zeitweise zu steigern. Wenn wir uns durchs Dickicht bewegen, aktiviert das Reptiliengehirn nämlich genau die Funktionen unserer Organe, die uns zur maximalen körperlichen Leistung und zum Durchhalten befähigen. Unsere Beine werden stark durchblutet und die Bronchien in der Lunge weiten sich, damit wir mehr Sauerstoff aufnehmen können. Die Nieren schütten Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol aus, die vorübergehend wie ein körpereigenes Doping wirken und uns zu unseren persönlichen Höchstleistungen antreiben. Während dieser Reaktion steht uns auch mehr Blutzucker zur Verfügung, um länger durchhalten zu können.

Suchen Sie in Ihrem Trainingsgebiet gezielt nach solchen Waldstücken, die Ihnen ein bisschen »gruselig« vorkommen und laufen Sie hindurch, um kurzfristig mehr leisten zu können. Achten Sie aber darauf, nicht über Ihre Grenzen zu gehen. Wenn Sie Ihr Reptiliengehirn gelegentlich und nur temporär auf diese Weise herausfordern, kann Ihnen das nicht schaden. Laufen Sie aber danach wieder durch ein Waldstück, in dem Sie sich wohl fühlen und wo Ihre Sicht nicht mehr so stark eingeschränkt ist. Ihr Reptiliengehirn wird Ihre Körperfunktionen dann rasch wieder normalisieren und die natürlichen Dopingsubstanzen herunterfahren. Apropos »Biophilia für Harte«: Sie können gezielt Ausschau nach etwa kniehohen Dornengewächsen halten. Im Wald sind am Wegrand oft größere Flächen von wilden Brombeeren und anderen stacheligen Pflanzen bewachsen. Suchen Sie nach lockerem Bewuchs, denn eine dichte Dornendecke wäre für diese Übung nicht geeignet.

Laufen Sie durch dieses Dornengebüsch und heben Sie bei jedem Schritt sorgfältig das Bein an. Der Unterschenkel muss immer im rechten Winkel zum Boden gehalten werden und setzt mit dem Fuß senkrecht von oben kommend am Untergrund auf. Ebenso senkrecht heben Sie in wieder an, um sich an den Dornen nicht wehzutun. Geben Sie sich Mühe, den Oberschenkel fast bis zum Bauch hinauf zu heben und mit kräftigen, federnden Sprüngen über die Dornen hinweg zu springen. Setzen Sie Ihre Schritte immer zwischen die Pflanzen.

Sie werden sehen: Sie richten auf diese Weise keinen Schaden an der robusten Pflanzendecke an, trainieren aber dabei auf extrem effiziente Weise die Muskeln in Ihrem Oberschenkel, im Gesäß sowie die Bauchmuskulatur. Die achtsamen, stampfenden Bewegungen bei Lauf durch Dornengestrüpp haben diesen Effekt. Ihr Reptiliengehirn bündelt dabei alle Kräfte in Ihren Beinen, um die Energie für diese anstrengende Form des Laufens bereitzustellen. Die »Angst« vor den Dornen wird so zum Ansporn, dieses Spezialtraining durchzuhalten. Hinzu kommt der feste Vorsatz, keinen Schaden zu verursachen, was ebenfalls zum Durchhalten motiviert. Falls Sie aus der Übung sind, warten Sie mit dieser Form des Trainings bitte, bis Sie sich ausreichend Kondition und Kraft antrainiert haben, damit weder Sie noch die Pflanzendecke dabei in Mitleidenschaft gezogen werden. Danach laufen Sie ganz normal weiter. Sie werden sehen: Schon nach ein paar solcher Trainingseinheiten werden Sie die Kraftzunahme in den genannten Körperregionen spüren.

Die »Dornen-Übung« bringt nicht nur Oberschenkel und Gesäß in Form, sondern stellt beim Bauchtraining eine ernstzunehmende Alternative zu den langweiligen Sit-ups dar, sofern Sie Ihre Oberschenkel bei jedem Schritt sorgfältig bis zum Bauch anheben. Ihre Knie sollten mindestens die Höhe des Bauchnabels erreichen. Dabei werden auch die seitlichen Bauchmuskeln trainiert. Kommen wir nun zu jenem Biophilia-Effekt, den Ihnen die Natur ganz ohne Anstrengung bei jeder einzelnen Trainingseinheit bietet.


Das Biophilia-Training

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