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Sechstes Buch

I. Kapitel

1.

1. Das sechste und zugleich das siebente Buch unserer „Teppiche wissenschaftlicher Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie“ sollen zunächst so gut als möglich die Sittenlehre behandeln, die in diesen Büchern abgeschlossen werden soll, und darlegen, welcher Art die Lebensführung des Gnostikers ist. Die Fortsetzung soll dann die Philosophen davon überzeugen, daß dieser Gnostiker keineswegs gottlos ist, wie sie angenommen haben, daß vielmehr in Wahrheit er allein gottesfürchtig ist.3734 Zu diesem Zweck müssen wir die Art der Gottesverehrung des Gnostikers im Umriß beschreiben, soweit es eben ohne Gefahr möglich ist, dies in einer Denkschrift aufzuzeichnen.

2. Denn der Herr befahl, sich mit seiner Arbeit um die „Speise“ zu bemühen, „die zum ewigen Leben bleibt“,3735 und der Prophet sagt an irgendeiner Stelle: „Selig ist, wer an jedem Wasser sät, wo Rind und Esel wandelt“,3736 womit er das aus dem Gesetz (dem Jundentum) und aus den Heiden sich zu dem einen Glauben versammelnde Volk meint.3737 „Der Schwache aber ißt nur Pflanzennahrung“,3738 sagt der edle Apostel.

3. Schon früher hat unsere, in drei Bücher geteilte Schrift „Der Erzieher“ die Erziehung und Pflege von Kind auf dargelegt, das heißt die Art des Lebenswandels, der sich auf Grund der Unterweisung gleichzeitig mit dem Wachsen des Glaubens entwickelt und bei denen, die zu reifen Männern gerechnet werden wollen, die Seele in den Tugenden übt und zur Aufnahme gnostischen Wissens vorbereitet.

4. Wenn sodann die Griechen aus dem, was wir in diesem Zusammenhang zu sagen haben, ganz klar erkannt haben, daß sie selbst freveln, wenn sie ungerechterweise den Gottliebenden verfolgen, dann können erst unsere Darlegungen entsprechend der Eigenart der „Teppiche“ fortgeführt werden, und zwar müssen wir dann die Zweifel beheben, die von Griechen und Barbaren betreffs der Erscheinung des Herrn uns gegenüber vorgebracht werden.

2.

1. Nun wachsen auf der Wiese die Blumen bunt durcheinander, und in einem Park sind die Fruchtbäume nicht so angepflanzt, daß jede Art für sich stünde und von den anderen geschieden wäre. Und so haben manche Schriftsteller auch Schriften mit den Titeln „Wiesen“ oder „Helikonberge“ oder „Honigwaben“ oder „Prachtkleider“ verfaßt,3739 indem sie gelehrte Sammlungen mit bunten Blüten ausschmückten. Und auch unser eigenes Werk, das wir „Teppiche“ genannt haben, gleicht einer Wiese, da wir in ihnen absichtlich in bunter Mannigfaltigkeit das bringen, was uns gerade in den Sinn kam und was wir weder nach einem genauen Plan ordnen noch stilistisch sorgfältig ausfeilen wollten.

2. Und gerade in dieser Form können die „Teppiche“ für mich selbst meinen Eifer anfachende Erinnerungsschriften sein;3740 und wenn einer, der fähig ist, sich die Erkenntnis zu erwerben, durch Zufall mit ihnen bekannt wird, so wird das Suchen in ihnen ihn zwar manchen Schweißtropfen kosten, aber zu einem nützlichen und heilsamen Ergebnis führen.

3. Denn es ist billig, daß Anstrengungen nicht nur dem Essen,3741 sondern weit mehr noch auch dem Erwerb der Erkenntnis vorhergehen, wie es bei denen der Fall ist, die sich auf einem engen und schmalen Weg,3742 nämlich dem wirklich vom Herrn gelehrten Weg, zum ewigen und seligen Heil führen lassen.

4. Unsere Erkenntnis und der geistige Park ist aber unser Heiland selbst, in den wir eingepflanzt werden, indem wir aus unserem alten Leben in das gute Land versetzt und verpflanzt werden.3743 Die Veränderung des Pflanzbodens trägt aber zu einer reichen Ernte bei. Licht und die wahre Erkenntnis ist also der Herr,3744 in den wir versetzt wurden.

3.

1. Das Wort „Erkenntnis“ wird aber auch sonst in doppeltem Sinn gebraucht, einmal in dem allgemeinen Sinn, daß damit die in allen Menschen in gleicher Weise vorhandene Fähigkeit zu verstehen und zu erfassen bezeichnet wird, die sich selbst bei gewöhnlichen Geschöpfen darin zeigt, daß man jeden einzelnen Gegenstand kennenlernt. An ihr werden nicht nur die vernünftigen, sondern vielleicht auch die unvernünftigen Wesen Anteil haben; aber ich möchte dies wohl gar nicht Erkenntnis nennen, da ja auch ihr Wesen nur darin besteht, etwas mit den Sinnen wahrzunehmen.

2. Für die zweite Art von Erkenntnis, die mit besonderem Recht diesen Namen führt, sind Verstand und Denkvermögen kennzeichnend. Durch sie kommen allein die vernünftigen Wesen zu Erkenntnissen, indem sie sich dem nur geistig Wahrnehmbaren mit der reinen Tätigkeit der Seele zuwenden.

3. „Gütig ist der Mann“, sagt David, „der barmherzig ist“ gegen diejenigen, die in Gefahr sind, in ihrem Irrtum umzukommen, „und darleiht“, indem er nämlich an dem Worte der Wahrheit Anteil gibt, nicht aufs Geratewohl, vielmehr „wird er seine Worte auf Grund klaren Urteils zweckmäßig verteilen“,3745 mit sorgfältiger Überlegung. Dieser ist es, der „reichlich ausgeteilt und den Armen gegeben hat“.3746

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