Читать книгу Ein hörendes Herz - Cordula Leidner - Страница 12
Mensch-Sein durch die Kultur des Innehaltens
ОглавлениеWenn – wie im Jahr 2011 – »Stresstest« zum Wort bzw. Unwort des Jahres wird und man sich vor dem »Burnout«, dem Ausgebranntsein, mehr fürchtet als vor einer Feuersbrunst, dann sagt das einiges. Eines auf jeden Fall: Wir scheinen uns wie in einer Mäusetrommel zu bewegen bzw. unfähig, vom Karussell unserer wirklichen und eingebildeten Verpflichtungen, Gedankenspiele, Gefühlswolken, um die sich alles dreht, auszusteigen. Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit ist zunächst einmal der Versuch, ein wenig auszusteigen: mal Schluss jetzt; Pause, Stille, Innehalten, aufatmen, zurück- und vorausblicken, zu sich kommen. – Karl Valentin hat dies einmal feinsinnig-witzig – in hochdeutscher Version – so ausgedrückt: »Heut’ Abend, da möcht’ ich mich besuchen und bin gespannt, ob ich daheim bin.« Also: zu sich kommen statt ständig »außer sich sein«.
Die praktische Frage lautet: Wie steht es bei mir mit der Kultur der Unterbrechung? Kommt sie vor? Wie kommt sie vor? Und wann? Bei einem tiefen Durchatmen? Bei einer kleinen Gesprächspause? In fünf Minuten vor dem Schlafengehen auf dem Balkon? Bei der Fahrt mit der Straßenbahn? Die ersten Minuten vor dem Einschlafen? In einem kleinen morgendlichen Vorausblick auf den kommenden Tag? In einem ernsthaften Gespräch über persönlich Wichtiges? Wer sich auf die Entdeckung von Pausen und Pausenqualität macht, wird fündig werden. Einem, der nach der Häufigkeit des »Examens« fragte, antwortete Ignatius: »Ja, machen Sie das nicht jede Stunde?!« Anders gesagt: Nur wer Pausen macht, kann pausenlos leben. Nur wer unterbricht, wird zum ganzen Menschen.