Читать книгу WBG Deutsch-französische Geschichte Bd. X - Corine Defrance - Страница 29

Die Bundesrepublik und die europäische Integration: Souveränitätsgewinn durch Souveränitätsverzicht

Оглавление

Ausgangspunkt für die politische Westwendung (West-)Deutschlands war nach Auffassung von Konrad H. Jarausch „die Verschiebung des deutschen Territoriums nach Westen durch die Verfestigung der Potsdamer Beschlüsse im Gefolge des Zweiten Weltkriegs“, was die Westdeutschen vor dem Hintergrund des sich senkenden „Eisernen Vorhangs“ gezwungen habe, „sich politisch auf die westlichen Nachbarländer auszurichten“26. Diese Entwicklung traf sich mit den Interessen von Konrad Adenauer, der Westdeutschland schon vor der Übernahme der Kanzlerschaft fest in den abendländischen Kulturkreis einbinden und mit der deutschen „Schaukelpolitik“ Schluss machen wollte, die den Westmächten aus der Zwischenkriegszeit noch in schlechter Erinnerung war und sich in der politischen Klasse Frankreichs als „Rapallo-Komplex“ festgesetzt hatte. Die auch von Adenauer befürwortete Integrationspolitik sollte aber nicht nur Grundlage für einen zukünftigen Frieden und die Überwindung des deutsch-französischen Gegensatzes sein, sondern der Bundesrepublik zugleich die Möglichkeit bieten, möglichst rasch ein gleichberechtigter Staat zu werden. Multilateralismus und Einbindung in integrative Bündnisse waren damit von Beginn an die Handlungsmaximen Adenauers, der Souveränität gewinnen wollte, indem er auf Souveränität verzichtete, über die er zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht verfügte („Politik der kleinen Schritte“). Dabei war er sich im Klaren, dass die Rückgewinnung von Handlungsfähigkeit nur im Einklang mit den westlichen Verbündeten zu erreichen sei und nicht in nationalen Alleingängen.

Im Moment seiner Gründung sah sich der junge westdeutsche Teilstaat noch mit einem Besatzungsstatut konfrontiert, das am 21. September 1949 in Kraft trat und die bundesdeutsche Handlungsfähigkeit bis zu seiner Ablösung im Jahre 1955 erheblich einschränkte. An die Stelle der bisherigen Militärregierungen trat nun die zivile Alliierte Hohe Kommission als „Oberregierung“; mit der Einrichtung eines militärischen Sicherheitsamtes am 17. Januar 1949 und der Internationalen Ruhrbehörde wurden der Bundesrepublik wichtige Bereiche der Sicherheits-, Außen- und Außenhandelspolitik vorenthalten, so dass sie nur über eine „geknickte Souveränität“ (Theodor Heuss) verfügte27.

Waren die Handlungsspielräume der Adenauer-Regierung anfänglich auch nur gering, so weist die Kodifizierung des Verhältnisses zu den Alliierten doch auf einen gravierenden Unterschied in den Beziehungen der „Überregierungen“ zu ihren ehemaligen Besatzungszonen hin. Während die junge Bundesrepublik mit dem Besatzungsstatut eine Rechtsgrundlage besaß, verzichtete die Sowjetunion auf eine Kodifizierung, was für sie und die SED den Vorteil zu bieten schien, die Regierung Adenauer als „Lakaien“ der Westmächte darstellen zu können28. In der Realität war es in den folgenden Jahren jedoch eher der Fall, dass Moskau die DDR für die eigenen Bedürfnisse benutzte und keine Rückkoppelungen zuließ29.

Adenauer konnte seinerseits darauf bauen, dass die Bundesrepublik in dem sich zuspitzenden Kalten Krieg zunehmend als Verbündeter und Partner gebraucht wurde, was sich bereits am 31. Oktober 1949 bestätigte, als die Bundesrepublik der OEEC beitreten durfte. Der Kanzler ließ sich daher auch nicht von dem Vorwurf abschrecken, „Bundeskanzler der Alliierten“ (Kurt Schumacher) zu sein, und ging weiterhin in „Vorleistung“, um die Eingliederung der Bundesrepublik in den Westen bzw. eine geistig-kulturelle Wertegemeinschaft voranzutreiben und bei den Westalliierten das Vertrauen in den neuen westdeutschen Staat zu stärken. Ausdruck dieser Politik war Ende 1949 seine Zusage zum Beitritt der Bundesrepublik in die Internationale Ruhrbehörde, die auf Grundlage des Ruhrstatuts vom Dezember 1948 den drei Westmächten und den Beneluxstaaten die Möglichkeit verschaffte, die Förderung und Verteilung von Kohle und Stahl aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet zu kontrollieren. Im Gegenzug räumten die Hochkommissare den Westdeutschen im „Petersberger Abkommen“ vom 22. November 1949 das Recht ein, konsularische und Handelsbeziehungen zu anderen Staaten aufzunehmen. Von besonderer Bedeutung war zudem, dass der Druck durch die Demontagen gelindert wurde, so dass – nach der Währungsreform von 1948 – eine weitere Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Aufschwung gegeben war. Der Bundeskanzler nahm nach heftigen Diskussionen mit Schuman auch das Angebot des Ministerrats des im Mai 1949 gegründeten Europarats an, genauso wie das Saarland assoziiertes Mitglied des Europarats zu werden, doch lehnte er weiterhin eine definitive Abtrennung des Saarlandes von Deutschland ab und verwies zur endgültigen Lösung des Problems auf den zukünftigen Friedensvertrag zwischen den Alliierten und Deutschland. Während die Sozialdemokraten unter Kurt Schumacher in dem von Robert Schuman initiierten Angebot einen „Sieg französischer Hegemonialpolitik“ sahen, um das Saarland endgültig von Deutschland abzutrennen, glaubte Adenauer der Souveränität wieder einen Schritt näher gekommen zu sein; und in der Tat erhielt die Bundesrepublik im Mai 1951 den Status eines vollberechtigten Mitglieds, während das Saarland assoziiertes Mitglied blieb. Zu diesem Zeitpunkt war es aber praktisch noch ein französisches „Protektorat“, denn infolge der von Robert Schuman und dem saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann am 3. März 1950 unterzeichneten „Saar-Konventionen“ hatte Frankreich nicht nur die wirtschaftliche Kontrolle übernommen, sondern auch den militärischen Schutz und die diplomatische Vertretung30.

Die schrittweise Aufnahme der Bundesrepublik in den Kreis der westlichen Staaten ließ die Westdeutschen jedoch einen hohen Preis zahlen, wie Gregor Schöllgen betont: „Die Verankerung ihres Rumpfstaates in der westlichen Welt ging mit der Teilung der Welt, des Kontinents und des Landes einher“31. Stalin, der dem Nationalismus weiterhin „eine überragende, alle Bevölkerungsschichten – einschließlich vieler Kommunisten – umfassende Ausprägung“ einräumte32, gedachte daraus Profit zu ziehen und verschrieb der SED in dieser weltanschaulichen und machtpolitischen Konkurrenzsituation ein Vorgehen, das Züge des revisionistischen Nationalismus der Zwischenkriegszeit trug und Kontinuitäten mit den politisch-kulturellen Ressentiments gegenüber der westlichen Moderne aufwies. Ein einiges Deutschland (langfristig unter sowjetischen Vorzeichen) gegen eine ins westliche Bündnis integrierte Bundesrepublik hieß nun die Devise33.

Adenauer versuchte Vorwürfe aus Ost-Berlin, „Verräter“ der nationalen Sache zu sein, zu kontern, indem er das Wiedervereinigungsgebot stets als integralen Bestandteil seiner Außen- und Deutschlandpolitik bezeichnete und sich wie selbstverständlich eine deutsche Vereinigung nur in den Grenzen von 1937, also unter Einbeziehung der Bundesrepublik, der DDR und der im Potsdamer Abkommen unter polnische Verwaltung gestellten Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie, vorstellen konnte. Für den Kanzler stellte die Westorientierung hingegen keinen Widerspruch zum Grundgesetz dar, denn eine bündnispolitisch in den Westen eingebundene prosperierende Bundesrepublik sollte die Anziehungskraft auf die Bevölkerung der DDR mehren und mit ihrem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem schließlich die Grundlage für ein vereinigtes Deutschland bilden. Diese sogenannte „Magnettheorie“ fand ihre Entsprechung in Ost-Berlin, wo die SED-Führung die DDR als einen provisorischen Staat bezeichnete, der genauso als „Mutter- oder Kernland für ein künftiges gesamtdeutsches Staatswesen fungieren“34 sollte. Mit ihrer Magnet- bzw. Kernstaattheorie35 gedachten die beiden deutschen Staaten die Anziehungskraft des innerdeutschen Konkurrenten zu „demagnetisieren“, um schließlich als Sieger aus dem „deutschen Sonderkonflikt“ hervorzugehen.

WBG Deutsch-französische Geschichte Bd. X

Подняться наверх