Читать книгу Wunschaholics - Corinne Lehfeldt - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеChrissy sah Emily zum ersten Mal, als letztere sich gerade damit abmühte, einen schon etwas lädierten Koffer über eine Auffahrt hinüber zu einem Eckhaus zu ziehen. Die unebenen Pflastersteinen schienen sich mit den ramponierten Rollen des Koffers verbündet zu haben, so dass die junge Frau in dem pinkfarbenen Oversize-Sweatshirt und mit dem weizenblonden Pferdeschwanz nicht vor und nicht zurück kam.
„Hi!“, rief sie etwas nach Luft schnappend, als sie Chrissy den Bürgersteig unter den herbstlichen Laubdächern entlangkommen sah, ganz so, als würden sie sich gut kennen. Sie fuhr sich mit ihrem bonbonfarbenen Ärmel über die Stirn und gab dem Koffer einen weiteren Ruck, woraufhin dieser einen krachenden Protestlaut von sich gab, aufsprang und seinen Inhalt über das Pflaster ergoss. Es waren hauptsächlich Fotos, gerahmte oder auch einzeln herumflatternde. Dazu gesellten sich Bücher, diverse Kleidungsstücke und nicht näher definierbare Gegenstände, die wie Souvenirs aus diversen Traumzielen aussahen.
Emily ließ seufzend die Arme sinken und Chrissy trat ein paar Schritte näher an sie heran um ihr dabei zu helfen, den ganzen Krempel einzusammeln. Das erste, das in ihrem Weg lag, war ein Stapel Fotos, die sich halbwegs voneinander getrennt hatten – eine betörend schöne Dschungellandschaft, verschneite Berge, eine Luftaufnahme des Indian Summers, eine weite Küste.
Daneben lag ein Buch, dessen Cover asiatische Schriftzeichen zeigte. Chrissy vergaß für einen Moment, dass sie dieser ja immerhin Wildfremden nur hatte helfen wollen, und betrachtete das Buch, suchte vergeblich nach einem Untertitel oder sonst einem für den Durchschnittseuropäer lesbaren Hinweis. Bevor Chrissy sie fragen konnte, ob sie Chinesisch lesen konnte (oder vielleicht war es auch Japanisch? Koreanisch? Vietnamesisch?) hatte sie es in dem kurzen Moment irgendwie geschafft, den übrigen Kram wieder zurück in den Koffer zu stopfen und sogar das Schloss einrasten zu lassen. Sofort war es Chrissy peinlich und sie reichte der jungen Frau hastig das Buch und die Fotos. Sie war von Natur aus mit einer lästig stark ausgeprägten Schüchternheit gesegnet und sie wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, sie hatte dieses Malheur nutzten wollen ihren neugierigen Riecher in das offenbar nicht gerade langweilige Leben einer Fremden zu stecken.
Die Frau in Rosa lächelte und schien es keineswegs eilig zu haben, ihre persönlichen Dinge Chrissys Blick zu entziehen. Sie ging auf die Haustür mit dem verschnörkelten Gitter zu und wandte sich auf halbem Weg nach Chrissy um.
„Könntest du mir einen Gefallen tun und dir das schnappen was du tragen kannst? Dann müsste ich nicht so häufig gehen.“
Hauptsächlich weil Chrissy wie so oft nicht wusste, was sie sagen sollte, folgte sie ihr zum Eingang des Hauses, von dem ihr jetzt erst auffiel, wie groß es war. Seitlich auf dem Gartenweg standen ein weiterer Koffer, eine Reisetasche und zwei Umzugskartons.
Chrissy griff sich den Henkel der Reisetasche. Sie wog fast nichts – seltsam.
„Wohnst du hier?“, fragte sie, froh darüber, dass ihr etwas eingefallen war. Immer noch besser, als weiter schweigend hinterher zu dackeln.
„Ja, ich ziehe gerade bei meiner Tante Meg ein“, sagte sie. „Jetzt sind Semesterferien und ich studiere hier weiter.“
Sie kamen in die Diele. Direkt gegenüber vom Eingang hing ein großer Spiegel in einem verschnörkelten silbernen Rahmen, in dem sie sich selbst von der Tür aus zwei Stufen hinauf zum Eingangsbereich hinauf gehen sahen. Die junge Frau ließ den Koffer neben einem Kleiderständer gegen die Wand fallen, warf ihm einen „Spring-bloß-nicht-auf-Blick zu, der tatsächlich auch zu funktionieren schien und wuselte sich vor dem Spiegel durch den goldblonden Pony. Dann wies sie auf die kleine Kommode unter dem Spiegel und sagte: „Leg es einfach irgendwo hin, wo Platz ist. Ich kümmere mich später darum.“
„Soll ich dir mit dem Rest helfen?“, fragte Chrissy, die sich an die Sachen auf dem Gartenweg erinnerte und sich gleichzeitig sofort fragte, warum sie das jemandem anbot, den sie schließlich gar nicht kannte, noch dazu obwohl sie eigentlich verabredet war. Bei Chrissy war das zwanghaft. Schon vor einer Weile hatte sie den Entschluss gefasst sich diesen Reflex abzutrainieren, denn wie das so ging hatte sie über die Jahre reichlich Leute kennengelernt, die so viel Hilfsbereitschaft für ihre Zwecke zu nutzen wussten.
So jemanden schien sie diesmal allerdings nicht vor sich zu haben.
„Nein, nein … äh…“
„Christina. Meine Freunde nennen mich Chrissy.“
Albern, so etwas zu sagen, dachte Chrissy sofort. Wie im schlechten Drehbuch.
„Hi Chrissy! Ich bin Emily. Danke, dass du mir geholfen hast, aber jetzt komme ich schon klar. Du wolltest ja sicher auch gerade irgendwo hin. Wir sehen uns sicher bald mal wieder.“
Das war der Tag, an dem Chrissy Emily kennenlernte.