Читать книгу Algarve ist ja fast Karibik - Corinne Lehfeldt - Страница 6
Kapitel 3
ОглавлениеAm letzten Tag im Büro ging sie jeder überflüssigen Unterhaltung aus dem Weg, aber ihre Hochstimmung kehrte zurück. Der Höhepunkt war, als die Event-Zicke wie üblich eine Stunde vor allen anderen das Büro verließ und mit einer sündhaft teuren Designer-Handtasche in Ellas Richtung winkte.
„Wir sehen uns nach dem Urlaub“, kreischte sie in ihrer nervigen, affektierten Stimme und zwinkerte Ella provokant zu.
Ella nickte und lächelte dünn, so als wäre das eine leidige Tatsache, mit der sie sich gerade mühsam abgefunden hatte. Die Event-Zicke würde schon noch früh genug merken, nach wessen Urlaub sie sich wiedersehen würden. Ihr Herz schlug höher, als sie sich ihren Plan wieder ins Gedächtnis rief. Hecktisch wühlte sie in ihrer Handtasche nach dem ausgedruckten Urlaubsantrag. Sie war am Vorabend so aufgewühlt gewesen, dass sie befürchtete, ihn irgendwo verloren zu haben. Er war da. Paranoiderweise kontrollierte Ella nochmal die Daten.
Es wurde Abend. Das Büro leerte sich und schließlich wurde es Zeit, den Rechner herunterzufahren. Ihr Schreibtisch war aufgeräumt, aber nicht zu aufgeräumt – eben so, als hätte sie vor, am nächsten Morgen wiederzukommen, wie gewöhnlich. Sie trank den letzten Schluck Tee und trug den Becher mit dem hässlichen Firmenlogo nach nebenan in die Küche, um ihn in der schon ziemlich überfüllten, von achtlos mit dem Geschirr hineingestopften Essensresten klebende Spülmaschine zu verstauen.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl musste Ella sich beherrschen ihre Schritte nicht zu beschleunigen. Es sah zwar ganz danach aus, dass sie – wie so oft – die Letzte im Büro war, aber sie wollte nach Möglichkeit vermeiden, dass jemand sie sah und in ein Gespräch verwickelte.
Als sie den Fahrstuhlknopf drückte, durchfuhr sie ein flattriges, aufgeregtes Kribbeln von der Magengegend her, wie bei einem Kind, das einen Klingelstreich machte. Der digitalen Anzeige zufolge war der Fahrstuhl im Erdgeschoss und hing dort offenbar fest.
War da jemand?
Ella war so, als hätte sie ein Geräusch gehört, ganz weit weg, aber man konnte ja nie wissen. Vielleicht sollte sie lieber die Treppe nehmen. Oder würde sie am Ende dort eher jemandem in die Arme laufen?
In diesem Moment setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung.
Erster Stock. Zweiter Stock.
Jetzt hatte sie es wieder gehört. Es war doch noch jemand im Büro. Mit Pech war es Linda aus dem Personalbüro, die mit ihr nochmal eben kurz über die Planänderung sprechen wollte. Dann stünden zwei Aussagen gegen eine.
Fünfter Stock.
Die silbernen Fahrstuhltüren taten sich vor ihr auf. Im Spiegel, der die gegenüberliegende Seite des Innenraumes bedeckte, sah sie sich selbst mit vor Aufregung geröteten Wangen und einem Trenchcoat, den sie in ihrer Hektik offenbar falsch zugeknöpft hatte. Sie schlüpfte ins Fahrstuhlinnere. Erst als die Türen sich schlossen nahm sie einen tiefen, erleichterten Atemzug.
So weit, so gut.
Nur Augenblicke später stand sie vor dem altehrwürdigen Portal des Gebäudes, in dessen Dachgeschoss sich die nicht so altehrwürdige Firma befand. Im Gewühle der Innenstadt würde Ella in die U-Bahn abtauchen und das Weite suchen können.
In der geöffneten Zugtür stieß sie fast mit einer Frau in Pumps und Channel-Kostüm zusammen, die mit energischen Schritten voranmarschierte, während sie 100 Prozent ihrer Aufmerksamkeit ihrem Handy und 0 Prozent ihrer Umgebung widmete. Als Ella ihr im letzten Moment auswich, schaute sie kurz auf und starrte sie an, als wäre es ihre Pflicht gewesen, sich sofort in Luft aufzulösen, weil auf dem Display des Handys wohl gerade das Geschäft des Jahrhunderts in die Wege geleitet wurde. Ella passierte Verbleichbares nicht zum ersten Mal, aber dieses Mal kümmerte es sie gar nicht. Diese Frau war für sie heute mindestens genauso unsichtbar, wie sie es für sie offensichtlich auch war.
Morgen um diese Zeit bin ich schon weit weg, dachte sie, als sie sich in der U-Bahn auf dem letzten noch freien Platz niederließ. In den letzten vierundzwanzig Stunden war dieser Satz ihr Mantra gewesen.
Morgen um diese Zeit bin ich schon weit, weit weg.