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1.1 Altern heute verlangt nach Gestaltung und braucht soziale Bezüge

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Altern heute ist ein dynamischer und spannender Prozess, der geprägt ist von großen individuellen Unterschieden, als Ergebnis von lebenslangen biografischen Einflüssen und Faktoren, die unsere persönliche Entwicklung maßgeblich bestimmen. Diese für unser Leben so bestimmenden Rahmenbedingungen sowie die bisher im eigenen Leben verpassten Chancen und Optionen sind ganz maßgeblich für unser Leben im Alter von hoher Relevanz. Trotzdem sind wir als Individuen auch dann, wenn wir die Phase beruflicher und familiärer Verpflichtungen hinter uns gelassen haben, durchaus in der Lage, unser Leben neu auszurichten, uns neu zu positionieren und Korrekturen vorzunehmen (vgl. Pinter, Weiss, Papousek & Fink, 2014)

Im Sinne einer Differenzierung und als Antwort auf die wachsende Zeitspanne nach Beruf und Familienzeit dominiert heute das Bild vom gestalteten Leben im Alter, das möglichst sinnvoll gefüllt werden kann und soll. Diese Orientierung auf Fragen der Sinnfindung im Alter stellt die Lebensgestaltung als Ergebnis von Reflexion und als begreifbares Kontinuum im Leben in den Mittelpunkt. Dabei wird der alternde Mensch vor dem Hintergrund seiner unter biografischen Bedingungen erworbenen Ressourcen und Kompetenzen als Gestalter seiner Umwelt gesehen. Altern kann damit zur Herausforderung und zur neuen Chance werden (Kricheldorff, 2020b, 2019; Kocka & Staudinger, 2011).

Die Frage, wie wir uns in der Gesellschaft des langen Lebens verorten, wie offen wir auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren und damit auf der »Höhe der Zeit« bleiben wollen, ist eine ganz persönliche Entscheidung. Sie fällt sicher manchen Menschen mit guten Startbedingungen in die nachberufliche Phase leichter als denen, die dafür weniger günstige Voraussetzungen mitbringen. Aber wichtig und lohnend darüber nachzudenken, wie dieser lange Lebensabschnitt sinnvoll gestaltet werden kann, ist es bei aller Unterschiedlichkeit der individuellen Bedingungen allemal. Und dies gilt für alle Menschen, die die kollektive Erfahrung von Veränderungen im Prozess des Alterns für sich möglichst gut bewältigen wollen. Einfach abzuwarten, was da so kommen mag, ist wenig konstruktiv und kann in die Sackgasse von Frustration führen, die wiederum ein guter Nährboden für Krankheit ist und den Weg in Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit ebnet.

Dieser Entscheidungsprozess ist auch ein Ergebnis von Reflexion, möglichst im Dialog mit anderen Menschen – das macht es einfacher und verschafft neue Sichtweisen. Der interpersonelle Austausch, auch mit Menschen anderer Generationen, kann für die Gestaltung des eigenen Lebens im Alter wertvolle Impulse liefern, weil die eigene Positionierung durch die unter Umständen differierenden Perspektiven sowie durch die dadurch mögliche Abwägung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden leichter fällt. Diese sind ein typischer Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse und Bedingungen in der jeweiligen Zeit. Insofern haben diese sozialen Bezüge eine hohe Relevanz, weil Menschen gleicher Geburtsjahrgänge durchaus vergleichbare kollektive Erfahrungen gemacht haben.

Parallel zu diesen eher schicksalhaften Einflüssen, die wir nur wenig selbst beeinflussen können – die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie waren und sind dafür ein deutliches Beispiel –, haben wir jedoch im gesamten Lebenslauf, und damit auch im Prozess des Alterns, immer auch persönliche Gestaltungsspielräume. Wir selbst können Weichen stellen, die unser weiteres Leben prägen. Wir haben also im Prozess des Alterns immer individuelle Entscheidungsmöglichkeiten, sind aber gleichzeitig auch Teil der gesellschaftlichen Entwicklungen. Altern vollzieht sich damit also immer im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft und gestaltetes Leben im Alter verlangt deshalb nach reflektierten Entscheidungen ( Abb. 1.1).


Abb. 1.1: Altern im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft

Gut vernetzt oder abgehängt?

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