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KATHARINA BLEIBT AUF IHREN KRONEN SITZEN

WILLKOMMEN IN DER BARGELDLOSEN GESELLSCHAFT!

Gegen Abend will Katharina ihr neues Umfeld erkunden und schlendert ziellos die Drottninggatan hinunter. In der eineinhalb Kilometer langen Einkaufsstraße im Zentrum, die ihren Namen im 17. Jahrhundert zu Ehren von Königin Christina (drottning = Königin) erhielt, reihen sich kunterbunte Läden, Coffeeshops und Restaurants aneinander. In Nummer 85, gar nicht weit entfernt von dem Haus, in dem die junge Molekularbiologin in den nächsten Monaten zu Hause ist, verbrachte der Schriftsteller August Strindberg seine letzten Lebensjahre. Seine Wohnung im Obergeschoss ist heute das Strindberg-Museum. Das, hat sie sich vorgenommen, möchte sie in den nächsten Tagen unbedingt besuchen – wo sie doch schon mal in der Nähe wohnt. Ihr fällt eine Saftbar ins Auge, die »Joe & The Juice« heißt. Ein Smoothie wäre jetzt nicht schlecht, denkt sie und tritt ein. Sie hat die Qual der Wahl zwischen Green Haven, Joe’s Identity, Green Shield, Clear Vision, Go Away Doc sowie zahlreichen anderen exotischen Smoothie-Kreationen und entscheidet sich letztendlich für Joe’s Green Mile mit Brokkoli, Spinat, Avocado, Apfel und Zitrone. Bevor der Angestellte mit dem Namensschild »Lucas« den Smoothie mixt, bittet er Katharina zur Kasse. Sie zieht einen 100-Kronen-Schein aus ihrem Geldbeutel. In letzter Minute hatte sie in der Reisebank am Frankfurter Flughafen Euro in Kronen umgetauscht. Bei ihrer Hausbank hatte man ihr erklärt, dass diese nur noch die gängigen Währungen Britisches Pfund, Dollar und Schweizer Franken anbiete. Als Lucas den Geldschein sieht, wehrt er ab und sagt: »Sorry, Bezahlung ist nur mit Karte oder mobile Payment möglich.« Katharina wundert sich. Den Taxifahrer bei ihrer Ankunft hatte sie noch mit zweihundert Kronen in bar bezahlt. Nun soll sie einen Kleinbetrag von umgerechnet 7,50 Euro mit Karte zahlen? Sie überlegt, mit welcher Karte weniger Gebühren fällig werden – EC oder Visa? – und entscheidet sich schließlich für ihre Visa-Karte, die ihres Wissens bei Auslandseinsätzen günstiger ist.

Mit ihrem grünen Smoothie in der Hand setzt sie ihren Bummel über die Drottninggatan fort. An der Ecke Klarabergsgatan stößt sie auf das Kaufhaus Åhlens City. Der gigantische, mehrstöckige Einkaufstempel sieht so einladend aus, dass Katharina spontan hineingeht, mit der Rolltreppe in die erste Etage fährt und in den Kleiderständern und Regalen mit schwedischen Modelabels herumstöbert. In den oberen Etagen gibt es Geschenkartikel, Bücher, Wohnaccessoires, Geschirr sowie im Untergeschoss einen Supermarkt. Auf der Etage mit den Wohnaccessoires befinden sich die Toiletten, die Katharina dringend aufsuchen müsste. Entgeistert stellt sie fest, dass die Benutzung derselben nur mit Kreditkartenzahlung möglich ist. »Für fünf Kronen, das sind umgerechnet etwa 50 Cent, soll ich meine Kreditkarte benutzen? Das ist ein Witz!«, flucht sie innerlich. Ihr bleibt jedoch nichts anderes übrig, denn die Blase drückt. Als sie fertig ist, fährt sie ins Untergeschoss zum Supermarkt, um sich ein paar Naschereien zu kaufen. Die langen Schlangen an der Kasse halten sie jedoch davon ab. Feierabendeinkäufe, ganz wie zu Hause, denkt sie, fährt wieder nach oben und nimmt sich vor, auf dem Rückweg in einem der 7-Eleven-Shops vorbeizuschauen, die ihr unterwegs auf der Drottninggatan aufgefallen waren. Sie kennt die Läden der japanischen Einzelhandelskette aus den USA und wusste nicht, dass es sie auch in Schweden an jeder Ecke gibt.

Katharina geht die Straße hinauf und betritt den nächsten 7-Eleven, der in ihr Blickfeld gerät. Sie entscheidet sich für eine Tüte Mandeln und zwei Bananen. Als sie bezahlen will und dem asiatischen Kassierer einen Kronenschein entgegenstreckt, sagt dieser: »Sorry, no cash!« Katharina versteht die Welt nicht mehr: Schon wieder keine Barzahlung möglich? Dass dies in den USA gang und gäbe ist, versteht sie ja, aber im kleinen Schweden?! Sie zieht ihre Kreditkarte aus dem Geldbeutel und steckt sie in das kleine Kartenlesegerät. Wenn das so weitergeht, dass keiner Bargeld akzeptiert, sind am Ende der drei Monate ganz schön viele Gebühren für den Karteneinsatz aufgelaufen, denn gebührenfrei ist der Einsatz der Kreditkarte ja nur zu Hause und in den Euro-Ländern, und dazu gehört Schweden mit seinen Kronen nicht. Mist!, denkt sie und trottet nach Hause.

Was ist schiefgelaufen?

Die Deutschen lieben das Bargeld, die Schweden nicht. Katharina, die sich kaum auf ihren Aufenthalt vorbereitet hat, stellt überrascht fest, dass das Land inzwischen zu einer fast bargeldlosen Gesellschaft geworden ist. Man findet tatsächlich nur noch wenige Geschäfte, die Münzen und Scheine akzeptieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich beim Kauf um eine Tasse Kaffee, eine Zeitung am Kiosk oder ein teures Abendessen handelt. Die Stockholmer Nahverkehrsbetriebe SL (Storstockholms Lokaltrafik) akzeptieren keine Barzahlung mehr, selbst öffentliche Toiletten und Parkautomaten wurden auf bargeldloses Zahlen umgerüstet. Die meisten Stockholmer zahlen per Smartphone mit Swish, dem mobilen Zahlungssystem schwedischer Banken, das von knapp sieben Millionen Schweden genutzt wird – das ist eine Menge, wenn man bedenkt, dass das Land nur 10 Millionen Einwohner hat. Swish ist praktisch, kann aber nur von denjenigen genutzt werden, die über ein schwedisches Girokonto, einen Wohnsitz in Schweden und ein nationales Personenkennzeichen, die »Personnummer«, verfügen. Vor der Reise nach Schweden Euro in Kronen umzuwechseln lohnt sich nicht. EC-Karten und alle gängigen Kreditkarten werden überall akzeptiert – auch bei Spenden in der Kirche und auf Floh- und Wochenmärkten.

DIE »PERSONNUMMER«

Was den Amerikanern die »Social Security Number«, ist den Schweden die »Personnummer«. Durch diese Identifikationsnummer, die 1947 eingeführt wurde und von der schwedischen Steuerbehörde Skatteverket ausgestellt wird, kann jeder Bürger des Landes eindeutig bestimmt werden. Die zehnstellige Nummer besteht aus dem Geburtsdatum in der Reihenfolge Jahr, Monat, Tag (z. B. 801211), einer dreistelligen Geburtsnummer (Geburtsort und Hinweis ob männlich oder weiblich) sowie einer Kontrollziffer. So wie wir in Deutschland bei Kontoeröffnungen, Telefonanschluss und Vertragsabschlüssen jeglicher Art nach Name, Geburtsdatum und Geburtsort gefragt werden, fragt man in Schweden nach der Personnummer. Ohne die geht gar nichts. Die Nummer erhält jeder, der bei der Steuerbehörde ins zentrale Melderegister (folkbokföring) aufgenommen wird. Als Nichtschwede muss man dafür über ein Aufenthaltsrecht verfügen und mindestens seit einem Jahr in Schweden leben.

Katharina kann’s besser

Katharina hat gleich zu Beginn ihres Stockholm-Aufenthalts Bekanntschaft mit der bargeldlosen Gesellschaft gemacht. Den Umtausch von Euro in Kronen hätte sie sich sparen können. Bei künftigen Reisen nach Schweden wird sie sich allein auf ihre EC-und Kreditkarten verlassen, sich aber vorab bei diversen Kreditkartenanbietern (z. B. in einem Vergleichsportal) erkundigen, wie hoch die Gebühren bei einem Karteneinsatz im Nicht-Euro-Land Schweden sind.

DIE ENTWICKLUNG SCHWEDENS ZUR BARGELDLOSEN GESELLSCHAFT

In Gelddingen war Schweden schon immer allen anderen voraus: 1661 war es das erste Land in Europa, das Geldscheine als offizielles Zahlungsmittel einführte. Dreieinhalb Jahrhunderte später gehören die technikbegeisterten Schweden weltweit zu den Ersten, die es wieder abschaffen. Kein Land der Welt, auch nicht die kreditkartenverliebten USA, ist auf dem Weg in die bargeldlose Gesellschaft so weit fortgeschritten wie Schweden. Im Kampf gegen Münzen und Scheine wurde 2008 von Banken, Gewerkschaften und dem Verband des Einzelhandels die Kampagne »Bargeldlos jetzt« ins Leben gerufen, die mit Sätzen wie »Bargeld braucht nur noch deine Oma – und der Bank räuber« warben. Wichtigstes Argument: Ist in Läden und Banken kein Bargeld mehr vorhanden, verhindert das Raubüberfälle. Der Erfolg zeigte sich schnell: Gab es in Schweden 2007 noch 110 Banküberfälle, waren es zehn Jahre später nur noch fünf. In zahlreichen Bankfilialen können Kunden heute Bargeld weder abheben noch einzahlen, Geldautomaten wurden zum Großteil abgebaut. Von den 20 SEB-Niederlassungen in Stockholm verfügen nur noch zwei über kontant, das schwedische Wort für Bargeld. Seit 2018 denkt die Reichsbank über die Einführung von elektronischem Geld nach. Mit der »E-Krone« wäre Schweden das erste Land mit einer eigenen Digitalwährung.

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