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1 KATHARINA BETRITT NEULAND
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So, das Abenteuer kann beginnen!, denkt Katharina, als das Flugzeug Richtung Stockholm abhebt. Sie fragt sich, ob ihre Entscheidung, ein Forschungssemester am Karolinska-Institut zu verbringen, richtig war. Sie hatte Angebote verschiedener Universitäten zur Auswahl: University of Arizona, Case Western Reserve University in Ohio und das MRC Lab im englischen Cambridge. In Arizona, wussten Freunde zu berichten, ist es höllisch heiß, Ohio im Mittleren Westen – wer will da schon hin? Und England? Da war sie schon zu oft. Schweden ist mal was anderes. Das Karolinska betreibt Forschung auf höchstem Niveau, ernennt jährlich die Nobelpreisträger in Medizin oder Physiologie, und das CMB, das Institut für Cell- och Molekylärbiologi, gehört zu den besten der Welt, sagt sich die junge Molekularbiologin.
Katharina war zwar noch nie in Schweden, glaubt aber, es einigermaßen gut zu kennen. Schließlich weiß man in Deutschland doch allerhand über das Land im hohen Norden. Man ist ja quasi mit Dingen aus Schweden aufgewachsen, oder etwa nicht? ABBA, H&M, Ikea und Knäckebrot kennt schließlich jeder. Ganz zu schweigen von Pippi Langstrumpf. Katharinas Mutter war in ihrer Kindheit Fan von Pippi, »Michel aus Lönneberga«, »Ferien auf Saltkrokan« und »Wir Kinder aus Bullerbü«. Und da sie die Geschichten von Astrid Lindgren so liebte, kaufte sie die Verfilmungen auf DVD für ihre Tochter. Im Alter von zehn Jahren kannte Katharina die Filme auswendig und hat deshalb eine Ahnung davon, wie es in Südschweden und in den Schären aussieht, sie weiß, dass die Schweden ihren Sommerurlaub am liebsten in roten Holzhäuschen am Meer oder an einem See verbringen und dass sie verrückt nach Erdbeeren sind. Zumindest waren die Kinder in den Fernsehserien immer am Erdbeerpflücken, und auf dem Kaffeetisch stand meistens eine Erdbeertorte.
Später lernte sie die südschwedische Landschaft Schonen durch die Lektüre von Mankells Wallander-Krimis kennen, und ABBA kennt Katharina natürlich auch. Nicht, dass sie jemals ein Fan des Quartetts gewesen wäre, aber ihre Mutter liebte die alten Songs der Gruppe, die öfter auf dem DVD-Player liefen und Katharina durch ihre Kindheit begleiteten. Die Möbel in ihrem Jugendzimmer stammten von Ikea. Sie erinnert sich noch, wie sie mit ihrem Vater zu dem schwedischen Möbelhaus fuhr, um Bett, Regal und Schreibtisch auszusuchen. Wie cool das war!
Freunde, die letzten Sommer ihren Urlaub in Südschweden verbrachten, haben der Nachwuchswissenschaftlerin erzählt, dass am frühen Morgen am Gartenzaun des Ferienhäuschens ab und zu mal ein Elch stand, der zutraulich war und nicht einmal weglief, als sie sich näherten. Na, das ist doch eine ganze Menge, was ich über die Schweden weiß, denkt Katharina zufrieden. Und Stockholm kenne ich durch die Kriminalromane von Arne Dahl und Stieg Larsson doch schon recht gut. Sie freut sich darauf, in ihrer Freizeit die Tatorte und Schauplätze der Verfolgungsjagden aus den Büchern zu erkunden.
Zugegeben, sie hat kein Sachbuch oder einen Reiseführer über Schweden gelesen, hat keine Ahnung, wer das Land gerade regiert oder wie die Mentalität der Schweden ist. Was sie weiß, ist, dass die Ermittler in den Schwedenkrimis etwas schwermütig sind, teilweise sogar depressiv und meistens schlecht gelaunt, aber davon einmal abgesehen, werden die Menschen im hohen Norden so viel anders als in Deutschland schon nicht sein. Oder etwa doch?
»WILDE ERDBEEREN« UND SCHWEDISCHE SVÅRMOD
Die Schweden neigen zur Melancholie, svårmod genannt. Man sagt, das läge an den langen, dunklen Wintern und den gigantisch hohen Steuern. Keinem anderen ist es so gut gelungen, die Psyche seiner Landsleute darzustellen, wie Ingmar Bergman in seinen Filmen. Mit »Wilde Erdbeeren« schrieb er 1957 Filmgeschichte. In dem Drama geht es um die Frage nach dem geglückten Leben. Der alte Arzt und Wissenschaftler Isak Borg ist mit seiner Schwiegertochter im Auto nach Lund unterwegs, wo er als doctor jubilaris öffentlich geehrt werden soll. Er hat sein Leben der Wissenschaft gewidmet, hat zum großen Teil auf ein soziales Umfeld verzichtet und ist so zum »lebenden Toten« geworden. Seine Schwiegertochter wirft ihm emotionale Gleichgültigkeit und Gefühlskälte vor. Auf dem Weg halten sie an einem verlassenen Sommerhaus an, in dem der junge Isak mit seinen Eltern, Geschwistern und anderen Verwandten die Sommerferien verbrachte. Er sucht jene Stelle, wo wilde Erdbeeren wachsen, setzt sich auf die Erde und driftet in Gedanken an längst vergangene Tage zurück. In einer Traumszene sieht er seine Verlobte Sara beim Erdbeerpflücken. Sein Bruder Sigfrid kommt hinzu, flirtet mit Sara und küsst sie. Sara hat sich auch im wirklichen Leben für den lebenslustigeren Sigfrid entschieden und diesen geheiratet. Isak hingegen hat Kathrin geheiratet, die später an seiner Gefühlskälte zerbricht. Unterwegs nach Lund passiert so allerhand. Anhalter werden mitgenommen, der alte Arzt döst immer wieder vor sich hin und sieht Szenen aus seiner Vergangenheit, und am Ende ... ja, das wird hier nicht verraten! Auf Schwedisch heißt der Film »Smultronstället«. Smultron ist das schwedische Wort für »wilde Erdbeeren«, ställe bezeichnet den Ort, an dem man sie pflücken kann. Wild wachsende Erdbeeren tauchen in vielen Bergman-Filmen auf. Der Regisseur schien die kleinen, roten Früchte zu lieben. Wie alle Schweden, die sich im Sommer rings um ihr Ferienhäuschen auf Beerenjagd begeben. Wer Glück hat, findet sogar mehr als eine smultronställe.