Читать книгу Fettnäpfchenführer Schweden - Cornelia Lohs - Страница 11

Оглавление

5

KATHARINA WILL ZU ABEND ESSEN

KOMISCH, DASS SIE ÜBERALL NUR MIDDAG BEKOMMT

Samstag, zweiter Tag in Stockholm. Es ist 18 Uhr, und Katharina plagt der Hunger. Emma ist schon seit dem Morgen mit ihrer Kamera unterwegs, und im Kühlschrank und in den Küchenregalen findet die junge Deutsche nichts, auf das sie auf Anhieb Appetit hätte. Der Kühlschrank ist zwar prall gefüllt, aber vieles von dem, was nicht eindeutig identifizierbar ist, kann Katharina nicht deuten, da sie kein Schwedisch spricht und nicht lesen kann, was auf den Verpackungen steht. Zudem weiß sie nicht, ob sie sich einfach so bedienen darf. Bisher war sie noch gar nicht dazu gekommen, ihre Vermieterin zu fragen, wie das mit der Küchenmitbenutzung gehandhabt wird. Ob Emma einkauft und sie sich finanziell beteiligt oder ob sie ihr eigenes Essen kauft.

Als Katharina am Morgen noch halb verschlafen in der Küche erschienen war, befand sich die Fotografin bereits auf dem Sprung und erklärte ihr nur kurz, wo sie Kaffee und die übrig gebliebenen Zimtschnecken vom Tag zuvor finden würde. »Aber wenn du lieber einen Espresso möchtest, dort im Schrank steht eine Dose mit Espresso-Bohnen, Kaffeemühle und Espressokanne findest du im Regal über der Spüle. Ein paar Schritte die Straße runter gibt es auch ein Espresso House mit leckeren Kaffeespezialitäten.« Mit einem hejhej, das die Schweden sowohl für Hallo als auch für Tschüss verwenden, verschwand Emma aus der Tür.

Katharina ging erst einmal duschen und schmiedete unter dem heißen Wasserstrahl Pläne für den Tag. Frisch geduscht, geschminkt und angekleidet bereitete sie sich einen Espresso zu und wärmte eine Zimtschnecke im Backofen auf. Anschließend verließ sie das Haus. An diesem Tag würde nur Sightseeing auf dem Programm stehen: Bis zum Mittag hatte sich Katharina die Altstadt (Gamla Stan) und Södermalm vorgenommen, am Nachmittag wollte sie ein paar Museen auf Djurgården besuchen.

Als sie gegen 17 Uhr in die Wohnung zurückkehrt, tun ihr die Füße furchtbar weh, so viel ist sie gelaufen. Ganze 21 Kilometer, wie ihr der Kilometerzähler auf ihrem iPhone anzeigt. Am Mittag hatte sie unterwegs ein Sandwich gegessen, seitdem nichts mehr. Ich hätte auf dem Rückweg etwas einkaufen sollen, schließlich bin ich an zahlreichen Supermärkten und Lebensmittelläden vorbeigelaufen, denkt sie nun, während sie mit hochgelegten Beinen an ihrem Schreibtisch sitzt.

Katharina quält sich von ihrem Stuhl, zieht ihre Jacke an und schnappt sich ihre Tasche. Sie verlässt die Wohnung und schlendert die Drottninggatan hinunter auf der Suche nach einem Restaurant, das auch Vegetarisches auf der Speisekarte anbietet. Nach wenigen Metern sieht sie auf der anderen Straßenseite ein Restaurant, das recht einladend aussieht. Vor der Eingangstür steht ein Schild, auf dem die »Middag«-Gerichte aufgezählt sind. Middag kann ja nur »Mittag« heißen, denkt Katharina und wundert sich, dass es um 18 Uhr noch Mittagstisch gibt. Leider steht unter den Gerichten keine englische Übersetzung, sodass Katharina nicht weiß, was da überhaupt serviert wird. Sie geht weiter und bleibt vor einem italienischen Restaurant stehen. Auch da preist ein Schild vermeintliche Mittagsgerichte an. Aber zumindest steht hier die englische Übersetzung dabei. Das einzig rein Vegetarische ist Pizza, und darauf hat Katharina nun überhaupt keinen Appetit. Und nur einen Salat zu essen ist ihr zu mickrig.

Also sucht sie weiter. Komischerweise bieten alle Restaurants Mittagstisch an. Andere Länder, andere Sitten, denkt Katharina. Vielleicht werden samstags generell bis abends Mittagsgerichte für Spätaufsteher angeboten? Sie mag nicht mehr weitersuchen und betritt das nächste Restaurant, dass unter »Middag« eine große Auswahl vegetarischer Speisen anbietet.

Mittlerweile ist es halb sieben. Sie setzt sich an einen Tisch mit Blick auf die Drottninggatan. Eine Kellnerin bringt die Speisekarte und weist darauf hin, dass es besonders günstige Middag-Gerichte gibt. Katharina fragt sich, ob »besonders günstig« wohl bedeutet, dass es die übrig gebliebenen Mittagsgerichte sind, die nun billig angeboten werden.

»Gibt es auch spezielle Abendgerichte?«, fragt sie.

»Natürlich«, antwortet die Kellnerin und zeigt auf die Karte, wo »Middag« steht.

»Nein, kein Mittagsgericht, no lunch, dinner«, sagt Katharina.

Die Kellnerin schaut sie überrascht an und zeigt wieder auf »Middag«. Gut, dann eben ein Mittagsgericht, bevor ich verhungere, denkt Katharina und gibt ihre Bestellung auf.

Was ist schiefgelaufen?

Als Katharina nach Hause kommt, sitzt Emma in der Küche bei einer Tasse Tee.

»Hej, wie war dein Tag?«, fragt sie neugierig.

Bevor Katharina ihr davon erzählt, wo sie heute überall war und was sie alles gesehen hat, brennt ihr eine Frage auf der Zunge. Nämlich die, was es mit dem middag auf sich hat. »Wieso gibt es bei euch bis zum Abend Mittagstisch?«

Emma versteht nicht, was Katharina meint und antwortet: »Mittagstisch gibt es normalerweise nur bis 14.30 Uhr.« Katharina schüttelt den Kopf.

»Nein, das kann nicht sein – ich habe gerade ein Mittagsmenü gegessen!«

Emma, die in der Schule Deutsch als zweite Fremdsprache gelernt hat, ahnt, was Katharina da verwechselt hat. »Meinst du middag? Es klingt zwar fast wie das deutsche Wort Mittag, ist aber der schwedische Begriff für Abendessen. Zum Mittagessen sagen wir Lunch, ein Mittagsmenü ist das lunchmeny oder dagens lunch, wobei wir das Wort aber nicht wie im Englischen aussprechen, sondern mit einem langen U.«

»Middag heißt Abend? Darauf muss man erst einmal kommen! Was heißt denn nun Mittag?«, will Katharina wissen.

»Middagstid, also wörtlich übersetzt Mittagszeit«, antwortet Emma.

»Das soll einer verstehen. Middag heißt Abend, aber hängt man das Wort Zeit an, wird daraus der Mittag! Das ist nicht nur irritierend, sondern völlig unlogisch!«

»Willkommen im Schwedischen!«, sagt Emma lachend.

Katharina will der Sache beziehungsweise dem Wort auf den Grund gehen und zieht sich nach einem kurzen Schwätzchen mit Emma in ihr Zimmer zurück, um im Internet zu recherchieren. Auf Deutsch findet sie nichts, also nutzt sie ein kostenloses Übersetzungs-Tool, stellt die entsprechende Frage auf Deutsch, kopiert die schwedische Übersetzung, fügt diese in Google ein und wird schließlich fündig. Den gesamten schwedischen Text kopiert sie dann auf das Übersetzungs-Tool und erfährt, dass middag in vorigen Jahrhunderten das Essen war, das man in der Mitte des Tages, also um 12 Uhr mittags, zu sich nahm, und dass es damals die größte Mahlzeit des Tages war. Als man im Zuge der Industrialisierung die Hauptmahlzeit des Tages erst abends einnahm, wenn man von der Arbeit nach Hause kam, wurde das Wort middag einfach beibehalten. Ein anderer Begriff für »Abendessen« ist kvällsmat, der aber hauptsächlich in der älteren Literatur benutzt wird, so die Recherche. Katharina sucht nach der Bedeutung von kvällsmat und findet, das kväll »Abend« heißt und mat »Essen« oder »Lebensmittel«. Na, das klingt doch gleich viel logischer, denkt sie.

Katharina kann’s besser

Bei middag auf das deutsche Wort »Mittag« zu schließen, ist ein gängiges Missverständnis von Touristen aus deutschsprachigen Ländern. Hätte Katharina diesen Fehler vermeiden können? Nur, wenn sie vorher in einem Wörterbuch nachgeschaut hätte, was Abendessen auf Schwedisch heißt. Durch ihre sorgfältige Internetrecherche zur Begriffsgeschichte ist sie nun für die Eigenheiten der schwedischen Sprache sensibilisiert. Sollten ihr wieder einmal solche »falschen Freunde« begegnen, nämlich Wörter, die verdächtig an ein deutsches Wort erinnern, weiß sie Bescheid.

FALSCHE FREUNDE – HIER DROHT VERWECHSLUNGSGEFAHR

Viele Deutsche begehen den Fehler, von ihrer Sprache aufs Schwedische zu schließen. Einige Wörter laden aber auch geradezu dazu ein, durch vorschnelles Übersetzen ins Fettnäpfchen zu treten. Katharina ist nicht die Einzige, die so ihre Probleme mit »middag« hat. Wer zum ersten Mal in Schweden ist, wundert sich besonders in Bäckereien über so manches Wort. Wie »bulle«. So ist ein bulle keineswegs ein männliches Rind, sondern ein Brötchen. Mehrere Brötchen sind bullar, bullar bedeutet aber auch »Gebäck«. Die allseits beliebte kanelbulle ist keineswegs ein Bulle oder ein Brötchen aus der Stadt Kanel im Senegal, sondern eine Zimtschnecke. Bei der russin handelt es sich nicht etwa um eine Dame aus Russland, sondern um eine Rosine. Kaka ist nicht das, was kleine Kinder meinen, wenn sie mal müssen, es ist schlichtweg das Wort für »Kuchen«. Gesprochen klingt es im Schwedischen übrigens etwas anders, als wenn man es in deutscher Weise ausspricht. Tigerkaka findet man nicht im Zoo, es ist das Wort für »Marmorkuchen«. Das öl, das die Schweden gern trinken, ist das »Bier« – was in den Salat kommt, ist olja. Mit ost ist keine Himmelsrichtung gemeint (diese heißt öst), sondern »Käse«. Bei vatten handelt es sich nicht um Watte (diese wäre vadd), sondern um »Wasser«, wobei »Trinkwasser« dricksvatten heißt. Socker sollte nicht mit dem englischen soccer (Fußball) verwechselt werden, es ist »Zucker«. Das allseits beliebte smörgås hört sich zwar an wie geschmortes Gas, ist aber die Bezeichnung für ein »Sandwich«. Wörtlich übersetzt heißt es »Buttergans«. Der Ausdruck stammt aus der Zeit, als Butter noch per Hand hergestellt wurde. Die Flocken, die beim Buttern an die Oberfläche stiegen, sahen aus wie weiße Gänse. So kam das Schweden-Sandwich zu seinem Namen.

Die ficklampa ist die »Taschenlampe«, und jordgubbe ist zwar kein falscher Freund, klingt für »Erdbeere« aber etwas seltsam und hat mit den smultron genannten »wilden Erdbeeren«, die für den Filmemacher Ingmar Bergman so wichtig waren, begrifflich nichts zu tun. Zu Verwechslungen und Irritationen kommt es häufig bei dem Wort sex – damit ist im Schwedischen einzig und allein die Zahl »sechs« gemeint. »Sex«, wie man es im Deutschen und Englischen versteht, heißt auf Schwedisch kön. Und slut ist nicht etwa die »Schlampe«, wie im Englischen, sondern der »Schluss« oder das »Ende«.

Fettnäpfchenführer Schweden

Подняться наверх