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Apuleius: Das herausgeschnittene Herz

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Der Schriftsteller Apuleius (ca. 123–170 n. Chr.) war ein römischer Bürger aus einer reichen und angesehenen Familie aus Madauros im heutigen Algerien. Bekannt ist er auch heute noch für seinen vielschichtigen, kompliziert aufgebauten Roman Der goldene Esel (auch Metamorphosen genannt), der vielen als erster Horror-Roman der Literaturgeschichte gilt. Gleich im Prolog erfährt der Leser, er könne den Roman auf zweierlei Weise lesen: Entweder lasse er sich nur oberflächlich von den Geschichten unterhalten oder er lasse sich auf den philosophisch-religiösen Überbau ein, der all dem, was geschildert würde (und zum Teil recht grotesk ist), innewohne. Viele Leser haben genau das versucht, aber es gibt Philologen, die der Meinung sind, der ganze Roman sei so satirisch, dass auch das Philosophische nicht ernst gemeint sei bzw. die Philosophie auf die Schippe nehme. Immerhin war Apuleius nicht nur Schriftsteller, sondern auch Redner und platonischer Philosoph, und eventuell verfolgte er tatsächlich eine gewisse Agenda – diese mag dann aber für seine Zeitgenossen besser funktioniert haben als für uns.

Der nun folgende Abschnitt stammt aus dem ersten Buch des Goldenen Esels (met. 1.2ff.), wie viele der Episoden im Buch funktioniert er als Erzählung innerhalb der Erzählung. Sie wird oft als eine der ersten Vampirgeschichten gedeutet; dabei zeigt sich nicht ganz klar, was die beiden alten Frauen mit dem Blut, das sie dem armen Sokrates abzapfen, denn eigentlich tun – aber dass sie es in einem Behältnis auffangen, wie es zum Trinken verwendet wird, ist doch ein ziemlich deutlicher Hinweis darauf, dass jemand dieses Blut trinken könnte. Interessant ist, dass diese Szene bei aller Grausamkeit eine gewisse Erotik impliziert, wie sie sich auch später durch die Literatur zieht, nachdem sich der Vampir um 1800 herum als festes Personal vor allem der britischen Horrorliteratur etabliert hat. Nur dass hier bei Apuleius die Vampire noch keine spitzen Zähne haben, sondern einen Dolch benutzen.

Die Übersetzung der folgenden Passage wurde 1783 von August Rode (1751–1837) angefertigt, einem Schriftsteller und Politiker aus Dessau, den eine breitere Öffentlichkeit heute noch durch seine Beschreibungen der berühmten anhaltinischen Gärten von Dessau-Wörlitz kennt.

Einstmals nun zog ich Kundschaft ein, dass in Hypata, der angesehensten Stadt in ganz Thessalien, frischer, wohlschmeckender Käse zu sehr billigem Preis zu haben sei. Ich machte mich eiligst dahin auf, gleich den ganzen Vorrat wegzuschnappen. Allein, ich armer Schelm musste zur bösen Stunde ausgegangen sein, meine Hoffnung, einen trefflichen Schnitt zu machen, schlug fehl; wie ich hinkam, hatte schon tags zuvor Kaufmann Wolf allen Käse bei der Erde weggekauft.

Von der unnützen Eile ermüdet, begab ich mich gegen Abend ins Bad. Siehe! Da wurde ich unterwegs meines alten Kameraden Sokrates ansichtig. Er saß auf der Erde, mit einem groben, lumpigen Mantel halb behangen, sich selbst fast nicht mehr ähnlich, totenblass und ganz entstellt vor Magerkeit: kurz, vollkommen so wie die Stiefkinder des Glücks an den Ecken um Almosen zu bitten pflegen. In diesem erbärmlichen Zustand schämte ich mich meines Freundes und hätte fast getan, als kennte ich ihn nicht; doch ging ich endlich zu ihm hin.

„Um Himmels willen, lieber Sokrates, was ist das?“, rief ich, „wie siehst du aus? Sag mir, was hast du angefangen? Du bist zu Hause als tot ausgeschrien, beweint; die Gerichte haben deinen Kindern Vormünder bestellt, deine Frau hat die Trauer um dich schon wieder abgelegt und um deinetwillen sich so abgehärmt und abgeweint, dass sie beinahe unkennbar und blind geworden ist; eben dringen alle Verwandten in sie, ihren betrübten Witwenstand lieber gegen die Freuden einer zweiten Ehe zu vertauschen – und mittlerweile sehe ich dich hier, zu unser allergrößter Schande, wie ein leibhaftes Gespenst einherziehen?“

„Ach, Aristomenes“, seufzte er, „wie wenig musst du noch des Glückes Launen, Unbestand und Wechsel kennen!“

Und mit den Worten verbarg er sein Gesicht, das blutrot vor Scham geworden war, dergestalt in seine Lumpen, dass kaum noch seine Blöße bedeckt war. Ich konnte den jämmerlichen Anblick nicht ertragen. Ich packe ihn an und will ihn aufrichten.

Aber mit verhülltem Kopf, wie er war, rief er: „Oh, lass mich; lass das Glück noch länger des Siegeszeichens genießen, das es sich selber aufgestellt hat!“

Ich bringe ihn dem ungeachtet noch dahin, dass er mir nachgibt, ziehe auch meinen Oberrock ab und bekleide – oder, um recht zu sprechen, bedecke – ihn geschwind damit und eile mit ihm ins Bad. Da stecke ich ihn in die Wanne und wässere ihn erst, schaffe indes Salbe und Reibtücher herbei und scheuere ihm dann den alten Schmutz tapfer ab, und nachdem ich seiner also auf das Beste gepflegt, leite ich ihn, da er ganz entkräftet, so müde ich auch selbst war und so sauer mir es auch wurde, nach einer Herberge, lege ihn zu Bett und gebe ihm zu essen und zu trinken und suche ihn durch allerhand Gespräche aufzumuntern.

Schon waren wir auch wirklich guter Dinge, lachten, scherzten, stachen einander an, waren laut, als auf einmal mein Gast schmerzlich aus innigster Brust heraufseufzt, sich mit geballter Faust vor die Stirn schlägt und also anhebt: „Ich Unglücklicher bin bloß durch die vermaledeite Lust, ein Fechterspiel zu sehen, wovon sehr viel Gerede gemacht wurde, in dies schmähliche Elend geraten! Denn, wie du weißt, reiste ich, um mir ein bisschen Geld zu machen, nach Mazedonien, Kaum habe ich allda zehn Monate mein Wesen getrieben, so ist mein Beutel auch schon so wohl gespickt, dass ich mich wieder auf den Heimweg begebe. Allein wie ich dicht vor Larissa komme, wo ich durchwollte, um dort eben die verwünschten Fechterkämpfe mit anzusehen, fällt mich eine Straßenräuberbande in einem abgelegenen, winkligen Tale an, und ich muss alles, bis aufs Leben, im Stich lassen. In dieser Not gelange ich zu einer alten braven Gastwirtin mit Namen Meroë. Ich erzähle ihr die Ursache meiner Wanderschaft, und wie ich nun beim nach Hause Gehen alles meines sauer erworbenen Gutes beraubt worden bin. Sie hört meine ganze Geschichte voller Mitleiden an und nimmt mich höchst liebevoll bei sich auf, setzt mir auch, und zwar unentgeltlich, eine wohl zugerichtete Mahlzeit vor; am Ende aber, von Brunst hingerissen, nimmt sie mich mit sich zu Bett, und damit war mein Unglück fertig! Denn in der einen Nacht hat mir es das Weib so angetan, dass ich ihr Saft und Kraft verschwendete, ihr auch selbst die Kleider, die mir die Räuber aus Erbarmen noch gelassen hatten, nebst allem dem hingab, was ich, da ich noch fortkonnte, durch Trödeln gewann; bis ich mich zuletzt – Dank sei meinem bösen Geschick und diesem gutherzigen Weibe! – in dem Zustand befand, worin du mich jetzt antriffst.“

„Beim Pollux!“, sprach ich, „du verdientest, dass es dir noch schlimmer erginge, womöglich, als es bereits dir geht, da du so um schnöde Lust und um einer verhurten Vettel willen Weib und Kind vergessen hast!“

Ganz verdutzt fuhr er darüber voll Schreckens mit dem Zeigefinger sich hastig auf den Mund.

„St! St!“, rief er mir zu, sah sich höchst schüchtern überall um und sprach endlich: „Oh Bruder, ich bitte dich, nimm dich in Acht, dass du dir an dem Weibe die Zunge nicht verbrennst!“

„So?“, antwortete ich spöttisch. „Was ist denn mehr mit deiner Frau Wirtin? Ist sie so mächtig? Sie ist doch wohl nicht etwa eine Königin?“

„Eine Zauberin“, versetzte er, „ist sie, eine Fee! Sie kann dir den Himmel herniederlassen, die Erde emporhängen, die Quellen versteinern, die Felsen zerflössen, die Manen hinauf-, die Götter hinabbannen, die Gestirne verdunkeln, den Tartarus selbst erleuchten …“

„Halt, halt!“, unterbrach ich ihn, „dass du nicht noch fällst, über die tragischen Stelzen! Packe lieber den theatralischen Plunder ein und sprich mit mir wie andere Leute.“

„Nun, nun“, sprach er, „soll ich dir eins und das andere von ihren Sächelchen erzählen? Dass sie die Einheimischen nicht allein, sondern die Inder auch, ja die beiden Äthiopier und selbst die Gegenfüßler sterblich in sich verliebt macht, das ist nur erst Kleinigkeit, lauter Spaß! Aber höre nur an, was sie alles vor vieler Leute Augen getan hat.

Einer ihrer Buhlen hatte einmal ein Mädchen genotzüchtigt. Mit einem Wort hat sie ihn da in einen wilden Biber verwandelt, um ihn an dem zu strafen, womit er gesündigt; denn dies Tier entmannt sich, um sich nicht fangen zu lassen. Danach tat ihr wieder ein benachbarter Gastwirt zu viel Abbruch in der Nahrung; den hat sie zu einem Frosch gemacht, der bis jetzt noch immer in seinem Weinfasse herumschwimmt und daraus mit heiserer Kehle die alten Kunden zu sich einlädt. Ein andermal hat sie einen Advokaten, der einen Prozess gegen sie geführt hatte, zu einem Hammel umgestaltet. Du kannst den Hammel noch heutigen Tags vor Gericht advozieren sehen. Endlich hatte einmal das Weib ihres Liebhabers ihrer gar zu bitter gespottet. Was hat sie zu tun? Sie verschließt demselben in dem Augenblick, als es entbunden werden sollte, den Leib, treibt ihr die Geburt zurück und verdammt die arme Unglückliche zu einer ewigen Schwangerschaft. Es sind nun schon, wie ihr jeder nachrechnen kann, über acht Jahre, dass sie sich so mit dickem Bauche herumschleppt, gleichsam als sollte sie einen Elefanten zur Welt bringen.

Kurz, durch diese und andere dergleichen Streiche kamen gar sehr viele Leute zu Schaden, und der Unwille der ganzen Stadt wurde zuletzt darüber rege und nahm so überhand, dass man beschloss, die Unholde anderen Tags zu Tode zu steinigen. Allein es hat sich wohl, dass die es hätte dazu kommen lassen! Gleichwie Medea in einer vom Kreon ihr zugestandenen Tagesfrist Palast samt Tochter und Vater vermittelst eines Kranzes zu Asche verbrannte, ebenso hat auch diese in einer einzigen Nacht (wie sie in einem Rausch es mir neulich selbst erzählt hat) vermittelst fürchterlicher, in Gräbern angestellter Beschwörungen, alle Einwohner der Stadt samt und sonders so fest in ihre Häuser hineingebannt, dass sie ganze zwei Tage weder Schlösser erbrechen noch Tür und Fenster ausheben noch auch durch Mauern und Wände sich Öffnungen machen konnten; bis sie sich endlich insgesamt bequemten und einhellig schrieben und auf das Heiligste sich vermaßen, nicht allein selbst nicht Hand an sie zu legen, sondern sie auch gegen jedermann, der etwas wider sie unternehmen würde, zu verteidigen und zu schützen. Damit zufrieden, hat sie stracks die ganze Stadt wieder entzaubert. Allein den Urheber des wider sie gefassten Anschlags hat sie bei stockfinstrer Nacht samt dem ganzen Hause (das heißt Gemäuer, Grund und Boden), so verschlossen wie es war, hundert Meilen weit weg in eine Stadt hingetragen, die auf der Spitze eines so hohen Berges gelegen, dass beinahe gar kein Wasser da ist. Weil aber da die Gebäude der Einwohner so dicht aneinander standen, dass für den neuen Ankömmling kein Platz mehr übrig war, so hat sie das Haus nur vor das Stadttor hingeworfen und dann sich wieder heimbegeben.“

„Nein, lieber Sokrates“, schrie ich, „das ist arg, das ist wundersam! Nun bin ich gleichfalls angst und bange und bebt mir das Herz vor Furcht im Leibe, dass deine Alte diese unsere Gespräche nicht auch durch Hilfe eines Geistes wieder erfahre. Lass uns also nur früh Schicht machen, damit wir bald ausschlafen und uns morgen mit dem Allerfrühesten aus dem Staube machen können!“

Ich hatte dies noch nicht ausgeredet, so war der gute Sokrates, weil er des Weins ungewohnt und vom Tage her müde war, schon eingeschlummert und schnarchte überlaut. Ich klemme also flugs die Tür zu, schiebe die Riegel recht fest vor, stelle auch noch zur größeren Sicherheit mein Bett ganz dicht wider die Angeln und werfe mich hinauf. Die Furcht hielt mich erst eine lange Weile wach; endlich, um Mitternacht, fallen mir die Augen allgemach zu. Kaum war ich recht eingeschlafen, so wird auch mit einem Mal mit größerem Ungestüm, denn sich von Dieben erwarten lässt, die Tür eröffnet oder vielmehr gesprengt und holterdiepolter über den Haufen gerannt, dass die Angeln in Stücken zu Boden fallen. Mein Bett, ohnedies klein, dreibeinig und morsch, fliegt um und um und bleibt, da ich herausgepurzelt, umgestürzt über mir stehen.

Da erfuhr ich, dass manche Affekte sich von Natur auf widersprechende Art äußern. Denn wie man oftmals vor Freude Tränen vergießt, so konnte ich mich auch jetzt bei meinem großen Schrecken des Lachens nicht erwehren, da ich so aus Aristomenes zu einer Schildkröte geworden. Wie ich aber auf der Erde unter meinem Bett hervor aufpasse, was es denn gibt, so sehe ich zwei ziemlich betagte Mütterchen. Eine trägt eine helle Leuchte; einen Schwamm und einen bloßen Dolch die andere. In dem Aufzug stehen beide am Bett des Sokrates, der in tiefem Schlaf lag.

Die mit dem Dolch fängt an: „Hier, Schwester Panthia, hier siehst du meinen teuren Endymion, meinen Ganymed, der so Tag als Nacht meine Schwäche missbraucht hat und der nun meine Liebe mit Füßen tritt, meinen guten Namen schändet und mich auf ewig fliehen will. Aber dass ich mich doch von diesem arglistigen Odysseus hintergehen ließe und wie eine zweite Kalypso um ihn in ewiger Sehnsucht und Einsamkeit weinte! Mag indessen“, fuhr sie fort, mit ausgestreckter Rechten der Panthia mich zeigend, „sein feiner Ratgeber da, Aristomenes, der ihm die Flucht in den Kopf gesetzt hat, jetzt aber, dem Tode nah, nach aller Länge unter dem Bett ausgestreckt liegt und hier nach uns herschielt, mag er doch immerhin wähnen, allenthalben meine Schmach auszuposaunen; er soll mir schon über lang oder kurz, vielleicht nur allzu bald, ja wohl gar noch jetzt, den Augenblick, all seine angebrachten Spöttereien so wie seine gegenwärtige Keckheit schmerzlich genug bereuen!“

Als ich das hörte, brach mir der kalte Angstschweiß aus, und ich zitterte und bebte dergestalt unter meinem Bett, dass es auch nicht eine Minute ruhig stehen blieb, sondern unaufhörlich wie eine Stampfmühle schüttelte und pochte.

„Ei“, sprach Panthia, „warum kühlen wir denn nicht also unseren Mut an dem zuerst? Lass uns ihn, Schwester, wie Bacchantinnen in Stücke zerreißen oder binden und zum Verschnittenen machen!“

„Keines von beiden!“, versetzte Meroë (denn ich merkte an allem, dass es die war, von der Sokrates mir erzählte), „er muss am Leben bleiben, um den Leib dieses Armseligen in ein wenig Sand zu verscharren.“

Hiermit kehrt sie den Kopf des Sokrates auf die Seite, senkt ihm den Dolch bis an das Heft in die Gurgel und fängt das hervorspritzende Blut so geschickt und sorgfältig in einem Schlauch auf, dass auch kein Tröpfchen danebenkommt. (Das haben diese meine Augen gesehen!) Nun fährt sie – um keinen von den Opfergebräuchen aus der Acht zu lassen, wie mir dünkt – mit der rechten Hand durch die Wunde bis zu den Eingeweiden hinunter, sucht darin herum und bringt dann das Herz meines armen Kameraden zum Vorschein, während der Zeit er aus durchgeschnittener Kehle laut röchelt und seinen Geist mit dem strudelnden Blut aufgibt. Panthia aber stopft die Wunde, wo sie am weitesten voneinandersteht, mit einem Schwamm zu und murmelt dabei: „Schwamm, Schwamm, im Meer geboren, geh im Fluss verloren!“

Dies getan, schieben sie das Bett von mir hinweg, treten mit auseinandergesperrten Beinen über mich hin, und jetzt regnen sie so lange auf mich herab, bis sie mich durchaus in den garstigsten Bökel eingeweicht haben. Kaum verließen sie die Schwelle, so erhebt sich die Tür wieder und kehrt an ihren Ort zurück, die Angeln springen wieder in ihre Pfannen ein, die Haspen eilen den Pfosten zu und die Riegel schieben sich von selbst wieder vor. Ich aber bleibe, wie ich war, am Boden hingestreckt liegen, atemlos, splitternackt, eiskalt und nicht minder benetzt, als ob ich eben erst aus Mutterleib gekrochen; da ich doch schier halb ausgelebt, ja mich selber schon ganz überlebt hatte und mit allem Fug als ein After-Ich, wenigstens als ein wohlbestallter Galgenkandidat anzusehen war.

„Was wird aus dir werden“, sprach ich bei mir selbst, „wenn man am Morgen den erwürgt im Bett finden wird? Wem wirst du nicht der Wahrheit zum Trotz ein Lügner scheinen? Du hättest ja nur um Hilfe rufen dürfen, wird man sagen, wenn du feige Memme dich vor einem alten Weibe fürchtest! Vor deinen Augen einen Menschen ermorden sehen und schweigen? Warum hat man dich nicht auch auf den Kopf geschlagen? Warum hätte denn die Mordlust der Hexe den Augenzeugen ihres Frevels verschont, von dem sie ja fürchten musste, dass er sie verraten würde? Immerhin mit dir zum Tode, dem du also entronnen bist!“

Ich überlegte das hin und her, unterdessen ging die Nacht zum Tag über. Am klügsten dünkte mir es da, mich noch in der Dämmerung fortzumachen und so geschwind und so weit zu rennen, als die Füße nur laufen wollten. Ich nehme also mein Bündel auf den Buckel, schließe die Stubentür auf, wiewohl erst nach vieler Mühe und Not, denn das vertrackte Schloss, das nachts von freien Stücken aufgesprungen, ließ sich jetzt lange aufhebeln und rütteln, ehe es aufgehen wollte, und gehe und rufe den Hausknecht.

„He“, schreie ich, „wo bist du? Mach das Tor auf, ich will fort!“

Er lag gleich hinter der Haustür auf einer Streu; noch halb im Schlaf, gab er mir zur Antwort: „I, wisst Ihr denn nicht, die Straßen sind jetzt der Spitzbuben wegen so unsicher. Wo wollt Ihr denn noch bei Nacht hin? Rennt doch dem Tod nicht in den Rachen! Oder treibt Euch etwa ein böses Gewissen dazu? Nu, so dumm sind wir doch nicht, dass wir uns um Euretwillen sollten totschlagen lassen!“

„Es ist ja nicht mehr weit vom Tag“, versetzte ich, „und was können mir blutarmem Manne auch die Räuber stehlen? Weißt du nicht, Narr, dass selbst zehn Banditen einen Nackten nicht ausplündern können?“

Ohne sich zu ermuntern, warf er sich auf die andere Seite herum und sagte: „Ach, wo weiß ich auch, ob Ihr nicht gar Euren Reisegefährten, mit dem Ihr gestern so spät hierher kamt, umgebracht habt und Euch nun durch die Flucht retten wollt!“

Ich denke nicht anders, als es tut sich in dem Augenblick die Erde unter mir auf, und ich sehe aus dem innersten Tartarus hervor den Cerberus heißhungrig auf mich zufahren. Jetzt kam es mir erst zu Sinne, dass die ehrliche Meroë mitnichten aus Barmherzigkeit meiner Kehle geschont, sondern vielmehr aus Grausamkeit mich für den Galgen aufgespart habe.

Sobald ich also in die Stube zurückgekehrt, überlege ich in der Geschwindigkeit, wie ich mir das Leben nehmen will. Inzwischen, da kein anderes tödliches Werkzeug anzutreffen war, als was mein Bett mir darbot, so wende ich mich zu demselben mit diesen Worten:

„Herzliebes Bett, das so viel Ungemach mit mir erlitten; du, das alles mit angesehen, was diese Nacht hier vorgegangen ist; du, der einzige Zeuge, den ich für meine Unschuld anrufen kann: Oh leihe mir zu meiner Reise in die Unterwelt gefälligen Beistand!“

Während der Anrede knüpf ich den Strick los, womit es zusammengeschnürt war, werfe das eine Ende davon um einen Balken, der oben über das Fenster hervorragte, und befestige es daran, und an dem anderen mache ich eine Schleife. Nun steige ich auf mein Bett in die Höhe, um mich zu erhenken, und streife mir die Schlinge über den Kopf.

Wie ich jetzt aber mit dem Fuß meine Stütze unter mir wegstoße, um durch meine Wucht im Herabfallen mir den Knoten um die Kehle desto fester zuzuziehen, so zerreißt mit einmal der alte verstockte Strick, und ich stürze auf den Sokrates, der dicht neben mir lag, so mächtig hin, dass wir uns beide überkollern und zusammen auf die Erde hinabrollen.

Und siehe, in dem selbigen Augenblick reißt auch der Hausknecht die Tür auf und schnauzt herein: „Wo seid Ihr denn nun, der bei stockfinsterer Nacht so über die Maßen forteilt? Ihr seid ja wohl gar wieder in das Bett gekrochen?“

Nun weiß ich nicht, war es über unseren Fall oder übers überlaute Geschrei dieses Kerls, genug damit, so erwacht mein Sokrates und rafft sich zuerst auf.

„Wahrlich!“, sprach er, „die Reisenden haben auch recht, dass sie so über das ungeschliffene Hausknechtsgesindel schimpfen. Was muss nun der Grobian da um jetzige Zeit seinen Rüssel zur Tür hereinstecken und so zahnbrecherisch schreien, dass er mich armen Ausgemergelten aus meinem allertiefsten Schlaf aufweckt? Er hat gewiss Lust, uns was zu mausen.“

Gleich spring ich munter und lustig auf, kein kleiner Stein fiel mir vom Herzen. Begeistert von höchst unerwarteter Freude, rufe ich: „Nu, da sieh einmal, du superkluger Hausknecht, ist er wohl ermordet, mein trauter Reisegefährte, mein Bruder, mein Vater? Schau, ist er ermordet, wie du es mir vorher in deiner Dösigkeit schuld gabst?“

Und mit den Worten falle ich dem Sokrates um den Hals und herze und küsse ihn. Aber der Wohlgeruch, den die alten Hexen über mich gegossen hatten, stieg ihm nicht so bald in die Nase, als er mich zurückstieß: „Oh bleib mir vom Leibe“, sprach er, „riechst du doch wie ein alter Nachttopf!“ Und lachend wollte er nun die Ursache dieses angenehmen Duftes erforschen. Allein ich wich ihm durch ein aus dem Stegreif erdichtetes Späßchen aus, nehme ihn beim Arm und sage: „Warum gehen wir denn nun nicht und machen uns den Morgen zunutze?“

Ich hocke sofort mein Felleisen auf, bezahle dem Hausknecht das Nachtlager, und wir machen uns auf den Weg.

Wir waren schon ziemlich weit vorwärts, als erst die Sonne aufging und es hell wurde. Nun betrachtete ich mir mit unruhiger Neugier die Kehle meines Reisegefährten, zumal auf der Seite, wo ich den Dolch hatte hineinsenken sehen.

„Alberner Mensch“, sprach ich endlich bei mir selbst, „was du auch auf deinen Rausch nicht all für tolles Zeug geträumt hast! Sieh nur, Sokrates ist ja frisch und gesund. Wo hat er wohl eine Wunde? Wo den Schwamm? Wo endlich die große frische Narbe?“

Darauf wandte ich mich zu meinem Begleiter: „Die Ärzte haben doch wirklich nicht unrecht“, sprach ich, „wenn sie der Meinung sind, dass das übermäßige Fressen und Saufen schwere Träume macht; denn ich habe diese ganze Nacht, weil ich gestern Abend ein bisschen zu tief ins Glas geguckt, so entsetzliche Gesichte und Erscheinungen gehabt, dass ich mir noch immer von Menschenblut zu triefen scheine.“

„Von Menschenblut?“, versetzte er lächelnd, „ich hätte eher auf etwas anderes geraten! Indessen habe auch ich geträumt, ich würde erwürgt. Ich fühlte an der Kehle große Schmerzen, und es war mir auch, als würde mir das Herz aus dem Leib gerissen. Selbst jetzt kann ich noch keinen Atem kriegen, und die Knie werden unter mir so schwach, dass ich hin und her wanke. Ich möchte wohl etwas zu essen haben, um mich wieder zu erquicken.“

„Geduld“, sprach ich, „es soll den Augenblick ein Frühstück für dich fertig sein!“ Mit dem werfe ich meinen Ranzen von der Schulter und reiche ihm ein Stück Brot und Käse hin: „Komm“, sage ich, „lass uns dazu unter der Platane dort hinsetzen.“

Das geschieht, und ich nehme mir mein Teil auch. Indem wir nun so sitzen und es uns wohlschmecken lassen, werde ich auf einmal gewahr, dass dem Sokrates bei der größten Geschäftigkeit seiner Kinnbacken die Augen brechen und dass er bleich und blass wie ein Tuch wird. Bald hatte er so sehr das Aussehen einer Leiche, dass alle meine nächtlichen Schreckbilder sich von Neuem meiner Vorstellung bemächtigten und vor Entsetzen mir der Bissen im Mund erstarb. Was meine Furcht noch vermehrte, waren die vielen Leute, die vorübergingen. Was hätten sie anders denken können, als dass ich meinen Reisegefährten ermordet.

Doch als Sokrates seinen Appetit gestillt, so bekam er einen gewaltigen Durst; denn von dem besten Käse hatte er ein gutes Stück zu sich genommen. An der Platane, worunter wir saßen, floss ganz nah ein kleines kristallenes Flüsschen so langsam und ruhig vorbei, dass es fast für ein stehendes Gewässer anzusehen war.

„Sieh“, sage ich also zu ihm, „da kannst du ja aus der schönen reinen Quelle deinen Durst löschen!“

Er steht auf, schlägt seinen Mantel zurück, und wo das Ufer am flachsten ist, kniet er nieder, hält sich fest mit den Händen an, und mit langem, vorwärts hinabgebeugtem Halse sucht er einen frischen Trunk zu schöpfen. Allein, er hat seine Lippen noch nicht recht nass gemacht; so bricht die Wunde in der Kehle, so groß und tief sie war gemacht worden, auf, und der Schwamm fällt in den Fluss, von wenigen Blutstropfen begleitet. Schier wäre der ganze Körper in das Wasser gesunken, hätte ich ihn nicht bei einem Bein gefasst und mit genauer Not aufs Ufer gezogen. Nachdem ich meinen armen Reisegefährten nach Beschaffenheit der Zeit bitterlich beweint und auf ewig in der Nachbarschaft des Flusses in den Sand verscharrt, floh ich schüchtern und bebend durch abgelegene, unwegsame Einöden davon, und nicht anders, als wäre ich eines Menschenmordes schuldig, verließ ich Vaterland und Haus und Hof und begab mich freiwillig ins Elend. Jetzt bin ich nun wieder verheiratet und in Ätolien ansässig.

Antike mit Biss

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