Читать книгу Römische Schriftsteller - Cornelius Hartz - Страница 7
Einführung
ОглавлениеDer Dichter glaubte, als er zum Schreiben schreiten wollte, Dass er sich nur darum zu kümmern brauche, Dass den Leuten das gefiele, was er aufschreiben würde. Jetzt aber sieht er, dass es doch ganz anders kommt: Er verschwendet seine Kraft beim Vorwort-Schreiben …
Terenz
Einmal wurde Cato d. Ä. gefragt, warum man keine Statue von ihm errichtet habe, um seine Verdienste um die Römische Republik zu preisen. „Besser“, so seine Antwort, „als wenn jemand fragte: Warum hat man eine Statue errichtet?“
Natürlich ist dies eine Anekdote, aber etwas Wahres steckt darin: In vielerlei Hinsicht haben sich die Schriftsteller des alten Rom selbst ihre Denkmäler geschaffen. Der berühmteste römische Lyriker, Horaz, schreibt über seine eigene Dichtung (ganz ohne falsche Bescheidenheit): „Ich habe ein Monument errichtet, dauerhafter als Erz, höher als die königlichen Pyramiden, das weder der gefräßige Regen noch der Nordwind zerstören kann, noch die unzählbaren Jahre und die flüchtige Zeit.“ Und wirklich: Nach über zweitausend Jahren werden heute noch die Gedichte des Horaz, die Schriften des Cato, die Werke des Ovid oder Cicero gelesen. Auch wenn die Lektüre der lateinischen Originaltexte seit Mitte des 20. Jhs. immer stärker zurückgeht und man sich heute zumeist auf Caesar beschränkt (den immerwährenden Klassiker des Lateinunterrichts), so gibt es doch immer wieder neue Ausgaben der antiken Schriftsteller in Übersetzung. Dabei lassen nicht nur das Medienecho auf Raoul Schrotts hervorragende Neuübersetzung von Homers „Ilias“ oder die zahlreichen Aufführungen griechischer Tragödien in immer neuen Inszenierungen die antike Literatur heute präsent sein – die moderne Liebeslyrik ist z. B. ohne Catull, Horaz und Ovid kaum denkbar, und eine deutsche Fassung von Vergils Aeneis steht, während diese Zeilen verfasst werden, hoch in der amazon.de-Bestsellerliste. Daneben findet man heute die Stoffe der Autoren des alten Rom (und manchmal auch sie selbst) in Ausstellungen, Filmen, Romanen, in der Bildenden Kunst, in Blogs, YouTube-Inszenierungen und anderswo in der Medienlandschaft wieder.
Dabei ist es eigentlich erstaunlich, wie viel Literatur aus der Antike überhaupt das dunkle Mittelalter überlebt hat. In seinem postmodernen Meisterwerk „Der Name der Rose“ (Il nome della rosa, 1980) gibt Umberto Eco einen Einblick, wie dies prinzipiell funktionierte. Gleich das Vorwort weist den Roman als Nacherzählung einer alten Handschrift aus, die leider verloren ist. Ebenso geht es im Roman selbst um einen heute verlorenen antiken Text: Aristoteles’ Betrachtungen über die Komödie. Aus dessen „Poetik“ sind lediglich die Teile über Tragödie und Epos erhalten geblieben, und schon lange hat man darüber diskutiert, ob es diese Komödien-Abhandlung jemals gegeben hat, ob sie im Mittelalter verloren ging, ob Aristoteles sie nie veröffentlicht hat (und nur seinen Schülern weitergegeben) oder ob sie überhaupt nie vollendet oder gar geschrieben wurde.
So stellte man sich die antiken Philosophen Platon, Seneca und Aristoteles (v.l.n.r.) im frühen 14. Jh. vor.
Was heißt nun hier: „verloren gegangen“? In der klassischen Antike waren „Bücher“ noch nicht gebundene Papierbögen wie heute, sondern Rollen aus Papyrus, die man während des Lesens am unteren Ende ab- und am oberen wieder aufrollte. Die Werke der antiken Autoren sind insofern in einzelne „Bücher“ (libri) aufgeteilt, da diese Papyrusrollen nicht unendlich lang sein konnten – ein Werk wie Ovids Epos „Metamorphosen“ zum Beispiel ist in fünfzehn „Bücher“ aufgeteilt, d. h. man erhielt fünfzehn einzelne Papyrusrollen, wenn man es in einem der Buchläden am Forum Romanum kaufte. Mitunter ist die Einteilung in Bücher auch von späteren Herausgebern verändert oder neu eingefügt worden, aber viel mehr als 1200 Verse einer Dichtung finden sich kaum in einem Einzelbuch, bei welchem Dichter auch immer.
In der Spätantike kam dann der „Kodex“ (Pl.: Kodizes) auf, einzelne Papyrus- oder (immer häufiger) Tierhaut-Seiten, die in einer Art zusammengebunden waren, die dem modernen Buch schon sehr nahe kam. Solche Tierhaut-Kodizes waren wesentlich haltbarer als Papyrus und einige sind sogar noch aus dem 4. Jh. n. Chr. erhalten. Hin und wieder findet man auch immer noch antike Papyri, z. B. im trockenen ägyptischen Wüstensand. Den größten Papyrusfund der Neuzeit gab es in der „Villa dei Papiri“ im ausgegrabenen Herculaneum, das wie Pompeji beim Vesuvausbruch 79 n. Chr. verschüttet worden war (viele der dort 1750 entdeckten Papyri werden heute noch in der Universität von Neapel entziffert, mittlerweile mit Infrarot und modernster Computertechnik).
Vor der Einrichtung der Universitäten in Europa konzentrierten sich Wissen und Wissenschaft im Mittelalter in den Klöstern. Die Mönche verstanden oftmals Latein (und wenigstens z. T. noch Griechisch) und schrieben die Werke der griechischen und römischen Schriftsteller immer wieder ab – teilweise jedoch auch ohne überhaupt zu verstehen, was sie da schrieben. Diese Kopien wurden ihrerseits wieder kopiert und somit natürlich auch immer fehlerhafter, aber so haben sich wenigstens wichtige Teile der antiken Literatur bis in die Zeit der Renaissance erhalten.Dann entwickelte sich auf einmal im großen Stil neues Interesse an der antiken Kultur – und damit auch an deren Literatur. Die Klassische Philologie macht es sich seit Ende des 18. Jhs. zur Aufgabe, die vielen noch erhaltenen mittelalterlichen Handschriften zu sammeln und in kleinteiligster Arbeit zu versuchen, aus den ganzen verschiedenen Versionen den antiken Originaltext zu rekonstruieren.
Nicht das typische Lieblingsfach – Latein in der Schule
Aus dem Rektoratstagebuch des Johann Kajetan v. Weiller (1761–1826),
Rektor am Wilhelmsgymnasium München:
19. 5. 1809 (Besuch der 1ten Klasse)
Ich besuchte um ½ 9 Uhr die erste Klasse unter Pr. Fischer. […] – Dann wurde Latein zu erklären angefangen. – Ich fand viele Schüler sehr schläfrig, fast alle mit dem Ausdruk der Langeweile aufm Gesicht – ohne Interesse dasitzen – (lehnen). Fast zwey Stunden Sprachmetaphysik (wenigsten großentheils nur Metaphysik) ist für Kinder dieses Alters auch schreklich. […]
Dennoch ist über die Jahrhunderte natürlich auch vieles verloren gegangen. Auch wenn die Spitzen der Literatur größtenteils überlebt haben, gibt es wichtige Gegenbeispiele: Nicht nur der erwähnte Aristoteles-Text ist verschollen, von Ennius sind ebenfalls z. B. nur ein paar Fragmente erhalten – dabei galt er zur Zeit Caesars noch als wichtigster römischer Dichter überhaupt. Und der Großteil einer wichtigen Schrift Ciceros ist nur durch einen einzigen sogenannten „Palimpsest“ überliefert – eine alte Handschrift, aus der der ursprüngliche Text entfernt und mit einem christlichen überschrieben worden war (s. S. 41). Die ursprünglich eingeritzten Buchstaben konnte man rekonstruieren. Palimpseste (griech.: „Wieder-Abgeschabtes“) mit Schriften antiker Autoren wurden und werden immer wieder entdeckt, doch natürlich hat sich die Technik inzwischen weiterentwickelt: Heute kann man die ältere Schrift mittels UV- und Röntgentechnik sichtbar machen.
Viele antike Texte haben erst später ihren heute gebräuchlichen Titel erhalten. Dass die Titel so vieler Werke mit „Über …“ beginnen, kommt daher, dass sie keinen Buchtitel im heutigen Sinne tragen, sondern mehr eine Beschreibung des Inhalts: „Über die Republik“ war eigentlich betitelt: „Sechs Bücher über die Republik“ (Libri sex de re publica). In der Kurzform hat sich seit Langem eben nur „Über …“ eingebürgert.
Auch die Namen der antiken Autoren werden seit dem Humanismus in eingedeutschter und zumeist verkürzter Form wiedergegeben. In Rom hatte man Vor- und Familiennamen, oft auch noch einen Beinamen. Über die Jahrhunderte konzentrierte sich dann die Bezeichnung eines Dichters auf den Familiennamen (Vergil, Plinius) oder den Beinamen (Caesar, Plautus). Oft ließ man einfach die Endsilbe „-us“/„-ius“ fort (Catullus → Catull, Ovidius → Ovid, Sallustius → Sallust); „-tius“, wenn im Neulatein „-zius“ ausgesprochen, wurde zu „-z“ (Horatius → Horaz, Propertius → Properz, Lucretius → Lukrez). Die Betonung blieb jedoch weiterhin auf der gleichen Silbe wie zuvor, die jetzt in der Regel die Endsilbe ist. Wenigstens einer Handvoll römischer Schriftsteller blieb das Schicksal eines solchermaßen verstümmelten Namens jedoch erspart (wie Tacitus, Ennius, Livius oder Plinius – nur im Englischen wurden auch die letzten beiden zu „Livy“ und „Pliny“).
Die Anzahl altrömischer Schriftsteller, die erhalten sind (soll heißen: deren Texte die Zeit von der Antike bis heute überlebt haben), ist begrenzt. Dennoch sind in diesem Band nicht alle erhaltenen vorgestellt; es fehlen z. B. Velleius Paterculus, Naevius, Apuleius, Gallus, Cornelius Nepos, Persius, Statius, Kaiser Augustus, Quintilian, Tertullian, Flavius Josephus oder die frühen christlichen Schriftsteller Boethius, Laktanz und Augustinus. Über die Auswahl mag man streiten, das ist bei einem Konzept, wie es einer Reihe wie „Die Berühmten“ zugrunde liegt, nicht zu vermeiden. Dennoch bin ich sicher, dass man keinem der hier vertretenen Schriftsteller die Bedeutung absprechen wird, die er (oder sie) für seine spezielle literarische Gattung, die Nachwelt oder die antike römische Literatur vom 3. Jh. v. Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr. überhaupt hatte und hat.
Bei jedem der vorgestellten Schriftsteller sind ein oder mehrere (eigens für diesen Band neu übersetzte) Texte enthalten – denn wie kann man einen Dichter besser darstellen als durch seine eigenen Werke? Dem antiken Versmaß wird dabei – wenn es sich um Dichtung handelt – allerdings meist nicht entsprochen, da dies gerade beim Hexameter (s. S. 18) im Deutschen oft sehr gestelzt oder sogar unfreiwillig komisch wirkt. Dennoch hoffe ich, dass auch diese Textbeispiele dem Zweck dieses Bandes dienen: Lust darauf zu machen, die bedeutende und großartige Literatur, die das Römische Reich der Nachwelt hinterlassen hat, weiterzulesen.
Alle Welt sagt, Lessing geht nach Rom. […] Sollen wir unsere deutschen Männer den dummen Römern geben? […] Den dummen Römern sagt’ ich! Wie kann ich das bei Horaz, Virgil, Cäsar, Catull und Cato, wie bei Cicero verantworten?
Gleim an Lessing, Halberstadt, 9. März 1769