Читать книгу Korridorium – ein pluridimensionaler Thriller - Cory d'Or - Страница 6
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Оглавление17.11.2011
Ich betrete den Korridor, falls man das so sagen kann, denn eigentlich skype ich nur, und es ist mein Gesprächspartner, der mit seinem Laptop auf dem Arm den Korridor betritt, um mich mit ins Studio zu nehmen. »Uraniborg« heißt es, und ihn soll ich Tycho nennen, was gut zusammenpasst, denn die sogenannte »Himmelsfeste« war einst die Forschungsstation des dänischen Astronomen Tycho Brahe.
Dieser Tycho jedoch ist Musiker, und genau darum geht es mir auch: um Musik für meine Texte. Obwohl ich ihn gerade nicht sehe, weil die Webcam mir wackelnde Bilder des Korridors zum Studio zeigt, wiederhole ich zur Vorsicht noch einmal, was ich Tycho schon in meiner E-Mail geschrieben hatte, in das Mikro meines Headsets: »Ich kann euch allerdings nichts dafür zahlen.«
»Hast du ja schon geschrieben«, sagt er und öffnet eine schallgedämmte Tür. Ich hatte Synthesizerburgen und einen Haufen Instrumente erwartet. Aber der große, helle Raum mit Panoramafenstern in den Garten enthält neben einer von Klangschalen unterschiedlicher Größe umstandenen Liege nicht viel mehr als ein Keyboard. Dieses lässt sich unter dem Schreibtisch, vor dem ein Klavierhocker steht, offenbar herausziehen. Den zahlreichen Kabeln auf dem Tisch entnehme ich, dass hier ein Computer angeschlossen wird – vermutlich nimmt Tycho dafür sonst den, mit dem er mich gerade herumträgt.
»Willkommen in Uraniborg«, sagt Tycho. Er stellt den Laptop auf dem Tisch ab und verdeckt mit seinem Gesicht die Klangschalenkonstruktion.
»Was ist das für eine Liege hinter dir? Ist das für eine Klangmassage?«, frage ich neugierig.
»Oh, das«, sagt er, »wir experimentieren gerade mit Soundscapes, die der Hautwiderstand desjenigen steuert, der sich in die Liege legt. Sie wird mit Druckluft betrieben.« Tatsächlich erkenne ich hinter ihm zwischen den Klangschalen einen eigenartigen Mechanismus mit Schläuchen und chromglänzenden Kolben.
»Möchtest du auch mal? Wollen doch mal sehen, was für einen Hautwiderstand der Computer hat …« Das Bild kippt. Tycho setzt sein Laptop auf die Liege. Mit dessen eingebauter Webcam habe ich jetzt einige der Klangschalen im Blick. Der Druckluftperkussionist beginnt zu zischen und zu stampfen und bewegt die Klöppel, und bald umhüllen mich hypnotische Sphärenklänge.
»Bevor ich hier ganz wegdrifte …«, rufe ich in mein Headset, und da kippt auch schon wieder das Bild, und Tycho setzt mich, nachdem er die Pressluftmaschinerie abgeschaltet hat, wieder auf den Tisch. Auch er stülpt sich jetzt ein Headset auf. Die Klangschalen hinter ihm hallen noch lange nach.
»Wie bist du auf mich gekommen?«, fragt er neugierig. »Warst du auf einem meiner Schlafkonzerte?«
Ich schüttle den Kopf: »Noch nicht. Ich hab ein paar Tracks von euch im Internet gehört und dachte …« Ja, was hab ich mir eigentlich dabei gedacht?
»Du willst eine Reihe von Texten veröffentlichen und hättest gern jeweils einen kleinen Soundtrack dazu. Hab ich das richtig verstanden?«
»Genau«, sage ich.
Ich hatte schon in der E-Mail ein bisschen von mir erzählt: Dass ich im Bauamt einer kleinen Stadt in den neuen Bundesländern arbeite, da wenig zu tun habe, aber beschäftigt wirken will, weil ich am Gang zu den Toiletten sitze und die Kollegen mich hinter der Glastür gut sehen können, und dass ich angefangen habe, kleine »architektonische« Skizzen in den Computer zu tippen, inspiriert von den Anträgen auf meinem Schreibtisch und den Besichtigungen und Abnahmen, bei denen ich manchmal dabeisein darf.
Und dass ich Musik brauche für die Veröffentlichung. Viel Musik. Ungewöhnliche Musik. Musik, die Bilder im Kopf macht.
»Das Labyrinth des Minotaurus«, sagt er nachdenklich.
»Ja. Ich hab dir ein paar Minotaurus-Fragmente geschickt, weil das doch auch mal Thema eurer Schlafkonzerte war und in der Musik vorkommt. Das verbindet uns sozusagen. Am 11. November will ich anfangen.«
»So bald schon?« Mir rutscht das Herz in die Hose, als er das sagt. Ich bin viel zu spät dran mit meiner Suche nach Musik. Aber kleine Soundtracks zu den Geschichten wären mein Traum, und den will ich nicht so einfach aufgeben.
»Was macht«, fragt er, »eine junge Frau wie du als Sachbearbeiterin im Bauamt?«
»Ich hab in Leipzig Geschichte und Orientwissenschaften studiert, aber als Historikerin nichts gefunden. Tja und da … Jedenfalls dürfen meine Kollegen nichts von meinen literarischen Ambitionen wissen.«
Tycho lächelt ein wenig spitzbübisch: »Ich verrat keinem was. Wie viele Texte liegen denn schon vor?«
»Einen ersten Schwung habe ich schon, und ich will immer mindestens drei, vier im Voraus fertig haben. Was die Zuordnung der Musik angeht, würde ich euch völlig freie Hand lassen. Es sollen insgesamt knapp, äh, vierhundert werden.«
Er zuckt bei der Zahl nicht zusammen. Schon mal gut.
»Ich weiß«, fahre ich hastig fort, »dass es urst viel verlangt ist, aber …« Tycho unterbricht mich: »Kein Problem. Wir haben massig Material im Archiv, alles unveröffentlicht. Aber es sind schräge Sachen dabei.«
»Find ich super«, sage ich.
Tycho muss bei so viel Enthusiasmus grinsen: »Das wären dann Drones, Soundscapes, kompositorische Skizzen, Studio-Sessions, Field Recordings, psychoaktive Klangexperimente …«
»Na, das klingt doch alles ganz schau! Was die jeweilige Dauer betrifft, hab ich gedacht, die Musik sollte immer in etwa so lange dauern, wie man zum lauten Lesen braucht, also so zwischen sieben Sekunden und sieben Minuten.«
»Okay. Schick mir einen Text, und vierundzwanzig Stunden später hast du einen Soundtrack dazu. Sollte dir ein Stück nicht zusagen, kriegst du ein anderes.«
Wow. Ich kann mein Glück gar nicht fassen. Meine geplante Veröffentlichung bekommt eine Begleitmusik! Aber …
»Aber was«, frage ich besorgt, «wenn dir meine Texte nicht zusagen?«
Tycho verzieht keine Miene: »Wird nicht passieren. Ich les sie gar nicht, sondern guck nur, wie lang sie jeweils sind.« Er lässt sich nichts anmerken – außer einem kleinen Funkeln in seinen Augen, das mir verrät, dass er das wohl nicht ganz ernst meint.