Читать книгу Korridorium – fraktale Romanzen - Cory d'Or - Страница 6
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Ich betrete den Korridor, den ich in den letzten Wochen schon so oft betreten habe. Hinter dieser weißen Tür dort liegst du, und eine Maschine hilft dir beim Atmen. Plötzliche Gehirnblutungen haben dich binnen weniger Stunden ins Koma fallen lassen, und die Ärzte meinen, in deinem Kopf sei zu viel zerstört, als dass man hoffen könnte, eines Tages wachst du wieder auf und bist wieder ganz dieselbe.
Ich halte deine Hand. Das Blubbern und Zischen der Herz-Lungen-Maschine hat etwas Beruhigendes und Meditatives – aber erst, seitdem ich meinen Protest gegen all das hier, meine Wut, mein Unverständnis, meine Verzweiflung und mein Hoffen auf ein Wunder endlich losgelassen hatte.
Wenn wir allein sind, erzähle ich uns leise von unseren gemeinsamen Erfahrungen, den Reisen, den Filmen, die wir gesehen haben, Feiern, Seminaren und Treffen mit Freunden – oder einfach nur von kleinen skurrilen Alltagserlebnissen, die mir in den Sinn kommen. Manchmal spiele ich auf dem kleinen Cassettenrecorder auch deine Lieblingsmusik ab.
Menschen leiden und sterben auf der ganzen Welt – ständig. Warum tut es mir so weh, dich hier liegen zu sehen, während all die anderen mir gleichgültig sind? Fast unhörbar leise stelle ich dir die Frage, stelle mir vor, du könntest zu mir sprechen, und du sagst: Ich leide nicht – du leidest.
Und dann, einige Augenblicke lang, ein paar Atemzüge der Herz-Lungen-Maschine lang, ist es, als würdest du meine Hand halten und mir mit deinem stillen Einfach-nur-Dasein Trost, Mut und Hoffnung geben.
Heute schalten sie die Maschinen ab, und du wirst in ein Hospiz verlegt. Ich habe ein gemütliches kleines Zimmer für dich ausgesucht: Durch das Fenster sieht man Bäume, und man kann die Vögel singen hören, obwohl es mitten in der Stadt liegt.
Es wird dir gefallen.
Und wenn du nicht mehr magst, kannst du gehen. Ich halte zwar immer noch deine Hand, aber ich halte dich nicht mehr fest.