Читать книгу Korridorium - Storys aus dem Labyrinth - Cory d'Or - Страница 4
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Оглавление2.5.2012
Ich betrete den Korridor, der mein Haus mit dem Bootsschuppen verbindet. Seit Monaten bin ich nicht mehr hier gewesen – erstens weil durch den strengen Winter der See zugeforen war, und zweitens, weil mich ein anstrengender Job für eine Hilfsorganisation keine Zeit für meine privaten Forschungen finden ließ. Hier im Korridor habe ich einen schmalen Tisch untergebracht, auf dem meine Notizen liegen, neben dem kryptischen Originaltext und meinen Versuchen, das Spielbrett und die Figuren zu rekonstruieren.
Durch einen glücklichen Zufall bin ich vor Jahren auf vergilbte Aufzeichnungen gestoßen, in denen von einem verschollenen Brettspiel die Rede ist, das sich zur Renaissance im südlichen Europa offenbar einer gewissen Beliebtheit erfreute. Es hieß »Zitadelle«, und in der Schrift – einem Brief eines in ferne Länder reisenden Sohns an seinen Vater, der ein Kaufmann war – sind einige der Figuren erwähnt, doch leider nur am Rande und nicht etwa zur Dokumentation des Spiels und seiner Regeln. Die Rekonstruktion gestaltet sich schwierig. Wenn sie mir überhaupt jemals gelingen mag.
Meine aus Balsaholz gesägte Nachbildung des Spielbretts ist wabenförmig. Ich habe die Felder getreu der Aufzeichnungen des unbekannten Autors abwechselnd braun und grün eingefärbt.
Nachdenklich nehme ich die von mir geschnitzten Spielfiguren in die Hände. Von einem »raumgreifenden Kurier« ist in dem Text die Rede, von »Katapulten« und einer »wendigen Prinzessin«. Zu den minderwertigen Figuren zählten offenbar zahlreiche »Vasallen«, die bei mir – da ich keine besonderen handwerklichen oder gar künstlerischen Fähigkeiten habe – wie einfache Obelisken aussehen. Auch die Figuren »Thron« und »Szepter« sind nicht gerade Meisterwerke geworden.
Ich vertiefe mich in meine verschachtelten Notizen. »Henker schlägt Hofnarr«, lese ich da. Aber wie? Muss vielleicht vorher eine symbolische Verurteilung durch einen Richter erfolgen? Wieder einmal nimmt mich das rätselhafte Spiel völlig in Beschlag.
Und dann, als ich mir ausgiebig die müden Augen reibe, sitzt er mir gegenüber, der unbekannte Autor, ein junger, fescher Mann mit einem Schnauzbart und grünem Samtbarett auf dem Kopf. Er setzt mit einem überraschenden Zug seinen Königssohn neben meine Prinzessin. »Thron und Szepter«, sagt er mit einem breiten Lächeln, bevor sich die kurze Vision verflüchtigt.
Das ist es!
Innerlich jubiliere ich, bin ich doch gerade einen großen Schritt weitergekommen: »Thron und Szepter« in dem vergilbten Brief – das beschreibt nicht zwei weitere Figuren, sondern es sind die Worte, mit denen das Spiel endet!
Ich nehme die kleinen ungeschlachten Figuren, die ich für Szepter und Thron geschnitzt hatte, vom Brett und lasse sie achtlos unter den Tisch fallen – und damit beginnt das Spiel plötzlich zu leben, werden mir die Züge und Strategien klar, stehen mir die Regeln plötzlich deutlich vor Augen. Es ist alles so offensichtlich. »Thron und Szepter!«, rufe ich und tanze durch den Korridor.