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28.6.2012

Ich betrete den Korridor auf dem Weg in mein Büro, auch hier darauf bedacht, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen: Ich schließe die Eingangstür, wenn sie vorher geschlossen war, oder verschaffe ihr wieder den Winkel, den sie vor meinem Eintreten hatte. Ich achte auf saubere Schuhsohlen, die keinen Dreck hinterlassen auf den Fußmatten, welche ich um keinen Deut verrücke, und ich schleich alleweil mucksmauserlstill drüber.

Sollte ich einem der Dampfplauderer aus dem Amtshaus begegnen, so nuschel ich nur das Allernotwendigste, mit gesenktem Kopf, um dann möglichst schnell hinter meiner Tür zu verschwinden.

Dankenswerterweise habe ich gleich nach der Matura eine Stelle als Akzessist im Wiener Bundesdenkmalamt bekommen und konnte mich da der Bewahrung von Dingen und Zuständen widmen, inzwischen in Definitivstellung bei dieser wunderbaren und ehrwürdigen Institution, der ich meine bescheidenen Dienste gern zur Verfügung stelle.

Auch in meinem Büro vermeide ich jedes Gepräge, das auf mich zurückgeht: Nichts Persönliches steht auf meinem Schreibtisch, ich habe keine Bilder aufgehängt und keine Krautstauden aufgestellt. Schon lange, bevor der Ausdruck »ökologischer Fußabdruck« modisch wurde, habe ich alles getan, um überhaupt keinen Fußtapper in der Welt zu hinterlassen. Mit meinem notwendigen Konsum für Gewand und Nahrungsmittel beschränke ich mich auf Dinge, die in großen Mengen hergestellt werden, so dass mein Anteil daran möglichst wenig ins Gewicht fällt.

Hier im Amt sind in den vielen Jahren wohl viele Beförderungsmöglichkeiten und Biennalsprünge an mir vorübergegangen, weil ich mich immer möglichst unauffällig verhalten habe. Es macht mich stolz, dass, verschwände ich eines Tages spurlos, wohl niemand auf die Idee käme, eine Abgängigkeitsanzeige aufzugeben.

Manchmal – und das sind überaus selige Momenterl – verschwinde ich vor mir selbst. Ich fühle keine Anwesenheit mehr und entdecke erst hintennach, wie viel Zeit während meiner Absenz vergangen ist.

Seltsamerweise scheint sonst niemand so wie ich zu denken. Alle Leut pudeln sich heuer furchtbar auf und wollen alle damlang Einfluss nehmen. Viele wollen sogar ausdrücklich etwas bewegen. Das ist mir fremd.

Dann dieser Schmetterling. Was macht dieser Schmetterling in meinem Büro? Wie kommt er hier herein, wo ich doch das Fenster nie öffne? Er ist weiß und flattert vor die Scheibe, dreht dann eine patscherte Runde durch die kleine, schmucklose Kammer. Hinaus kann er nicht, denn die Tür war geschlossen, als ich sie vorfand, und so halte ich es seitdem.

»Wie ein Schmetterling«, flüstert sie und legt den Finger auf die Lippen, »sei leise wie ein Schmetterling.« Sie ist schon lange tot, meine Mutter, genau wie mein Vater, der »Herr Doktor« in Weiß, der nie gestört werden durfte, sei es durch die Fragen seines heranwachsenden Sohnes, sei es durch Radau und einfach nur Unruhe. Und kam er aus der Apotheke nach oben, so war es oft Mutter, die Migräne hatte, und keins der Pulverl des Vaters half, und ich musste wieder unsichtbar sein und keinen Mucks von mir geben. Das ist vorbei. Sie sind dahin. Oh, und sie haben Spuren hinterlassen: mich. Ich würde nie ein Kind in die Welt setzen. Allein schon die Wirkung, die ich auf diesen anderen Menschen, diese Frau, ausüben würde, und sie auf mich. Spuren. Wunden und Narben womöglich. Nicht auszudenken.

Dieser Schmetterling irritiert mich. Er findet keinen Ausgang. Dies ist kein Ort für ihn. Er wird verdursten und verhungern, liegt auf dem Fensterbrett, vergilbt und verstaubt. So sieht es die Natur vor. Ich mische mich da nicht ein, sondern halte mich fein zurück. Andere mögen sich mit der Natur und dem Lauf der Dinge anlegen wollen. Nicht so ich, der ich tunlichst vermeide, irgendwelche Spuren zu hinterlassen, an denen abzulesen wäre, dass es mich je gegeben hat.

Ich könnte sein Leiden abkürzen. Ihn in der hohlen Hand fangen und dann kurz eine Faust ballen. Aber so ist es nicht vorgesehen. Er flattert um mich herum. Kann er nicht so wieder hinaus, wie er hier hereingekommen ist?

Ich stehe auf. Rede mit ihm. Rede auf ihn ein. Dass alles gut wird. Dass er so tun soll, als sei er gar nicht da. (Der ewige Sermon meiner Mutter.) Dass er sich gefälligst zusammenreißen soll! (Im flüsternd drohenden Tonfall meines Vaters.)

Dann öffne ich das Fenster. Ein Windstoß fegt Bewilligungsansuchen und Einreichpläne (in dreifacher Ausführung, gefärbelt und unterschrieben) von meinem Tisch. Doch der Schmetterling scheint jetzt ein Ziel zu haben: der Brise entgegen in die Freiheit. Er flattert hinaus. Und irgendwie fliegt auch ein Teil von mir mit ihm, zu den mächtigen grünen Buchen unter dem blauen Himmel.

Schnell schließe ich das Fenster. Was ist nur in mich gefahren? Ich habe den Lauf der Dinge verändert! Mutwillig habe ich eingegriffen! Fast erwarte ich, ein Blitz führe vom Himmel. Dann wische ich über meinen Schreibtisch und fege so auch die restlichen Anbringen und Papiere zu Boden. Und lache, lache laut, lache wie lange nicht mehr.

Korridorium - Storys aus dem Labyrinth

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