Читать книгу Korridorium – Mythenwege, Märchenpfade - Cory d'Or - Страница 10
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Ich betrete den Korridor, in den der rote Faden mich leitet. Auf ihn bin ich zufällig bei meiner Wanderung durch diesen endlosen, labyrinthischen Palast gestoßen. Es muss noch jemand hier sein! Und wenn dieser Jemand einen Faden auslegt, dann führt mich dieser Faden entweder zu ihm und beschert mir eine willkommene Abwechslung in meiner eintönigen Speisenfolge – oder er führt mich zu dem Eingang, durch den er hereinkam. Und was für ihn ein Eingang ist, ist für mich der Ausgang!
Also folge ich dem Faden durch das Labyrinth. Und tatsächlich: Tageslicht und das ferne Rauschen des Meeres. Wie habe ich die Sonne vermisst in diesen einsamen Jahren! Am Ende des Korridors sehe ich blauen Himmel. Und eine Gestalt. Es ist eine Frau. Ich muss blinzeln. Sie kommt mir bekannt vor. »Schwester!«, sage ich. Meine Stimme klingt fremd und ungelenk – ich gebrauche sie seit langem nicht mehr.
»Du darfst nicht hier sein«, antwortet sie. Sie ist gealtert. Sehe ich da weiße Strähnen in ihrem Haar?
»Ich bin dem Faden gefolgt.«
»Das war Dädalus’ Idee.« Hätte ich mir denken können. Sie sieht, dass mein Blick auf ihre Trauerbinde fällt. »Vater …«, sagt sie und schluckt.
»Dann bin ich jetzt König.«
»Pustekuchen«, sagt eine neue Stimme – hinter mir. Ein scharfer Schmerz fährt mir in den Rücken, und ich sehe die glänzende Spitze eines Schwertes aus meiner Brust ragen. Ich will etwas sagen, doch meine Lungen wollen sich nicht mehr mit Luft füllen. Meine Beine knicken ein, und ich sinke in die Knie.
Von hier kann ich die Sonne sehen, die nun gleißend die Welt verschlingt, die mir eben noch offenstand, bis meine Schwester zu mir tritt, ihren Schatten über mich wirft, als sie sich zu mir herunterbeugt, und mich gnädige, allumfassende Dunkelheit umarmt.