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Prolog

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Er hätte es wissen müssen. Da stand er, vor der verschlossenen Tür, die man ihm vor der Nase zugeschlagen hatte und drinnen war Jesus von Nazareth, wurde zum Tode verurteilt und er hatte ihn ans Messer geliefert.

Aber das hatte Jesus doch selbst so gewollt. Hatte ihn direkt aufgefordert, die Initiative zu ergreifen. Er hatte immer das Gefühl gehabt, dass der Meister in ihm jemanden sah, der die Dinge zurechtrückte. Jesus konnte nicht mit Geld umgehen, Besitz interessierte ihn nicht, mit so schnöden Dingen wir Wirtschaftlichkeit oder Planung befasste er sich nicht gern, das hatte er ihm überlassen. „Judas“, hatte er gesagt, „Wenn du immer solche Angst hast, dass wir mit unserem Geld nicht auskommen, dann wird es wohl das Beste sein, du nimmst den Beutel an dich und teilst es so ein, dass es für uns alle reicht.“

Jesus hatte ihm da durchaus etwas zugetraut und er hatte die Aufgabe mit Bravour erfüllt. Sie waren niemals pleite, dafür hatte er drei Jahre lang gesorgt und es trotzdem hinbekommen, ab und an eine kleine Extraportion für sich abzuzwacken, die er sich aber durch seinen selbstlosen Einsatz redlich verdient hatte. Manche gönnten ihm das nicht und sahen ihn scheel von der Seite an, aber selbst wollten sie sich auch nicht um die Finanzen kümmern, dazu waren sie sich immer zu fein gewesen, vor allem der kultivierte und belesene Johannes, der ständig um Jesus herumscharwenzelte oder der übereifrige Petrus, der sich immer einbildete, keiner stehe dem Heiland so nahe wie er. Selbstgerechte Kerle waren sie allesamt.

Keiner von ihnen hatte durchgemacht, was er aushalten musste. Die leidende Mutter, die nach neun Geburten kraftlos und blutleer nicht einmal das kleine Haus in Ordnung halten konnte, der aufbrausende Vater, der nichts verdiente, weil ihn niemand als Handwerker gebrauchen konnte, sodass sie selten genug zu essen hatten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Überleben zu lernen, sich Liebkind zu machen, bei denen, die vielleicht ein wenig von ihrer Habe abgaben, etwas mitgehen zu lassen, wo niemand aufpasste und dann die Beute gut aufzuheben und einzuteilen, damit es für alle reichte. Er war durch eine harte Schule gegangen und die hatte ihn klug und stark gemacht.

Jesus dagegen war ein Träumer. Er brauchte jemanden, der ihm den Weg frei machte, für ihn sorgte. Im Hohen Rat braute sich eine dunkle Wolke gegen ihn zusammen und er hatte einfach immer so weitergemacht und hatte es nicht sehen wollen. Darum musste jemand etwas unternehmen, um Jesus vor sich selbst zu schützen. Alle anderen waren zu feige dafür, liefen wie Schafe hinter ihrem Hirten her, hatten scheinbar keinen eigenen Kopf.

Der Handel mit Zera hatte ihn überzeugt. Dass man ihm dafür eine Bezahlung zusicherte, hatte er nicht hinterfragt, sondern als positive Begleiterscheinung mitgenommen. Das Richtige tun und noch davon profitieren, warum nicht? Er hatte doch nur Schaden abwenden wollen von der Bewegung und von Jesus. Im Gespräch mit dem Hohen Rat, hätte Jesus in Ruhe erklären können, worum es ihm ging und der Hohe Rat hätte Jesus erklären können, was nicht ging.

Ach und um ehrlich gegen sich selbst zu sein, musste er auch zugegeben, dass ihm gelegentlich Zweifel gekommen waren an diesem sanften Rabbi, der ständig von einer neuen Welt sprach und trotzdem nicht bereit war, an grundsätzlichen Veränderungen mitzuwirken, die Besatzungsmacht aus dem Land zu vertreiben und für eine gerechte Verteilung des Eigentums zu sorgen. Mit schönen Worten konnte man Reiche und Mächtige nicht zum Teilen von Macht und Gütern bewegen, das funktionierte nur mit dem Schwert. Er hatte Jesus ja glauben wollen, dass es einen anderen Weg gab, einen ohne Gewalt und Verletzungen, das wäre ja auch schöner, aber das war eben nur ein schöner Traum gewesen, aus dem Jesus sich weigerte, aufzuwachen und die anderen Elf mit ihm.

Doch jetzt fühlte er sich schuldig. Es war ein schlimmer Fehler gewesen, Jesus diesen Raubtieren auszuliefern. Mit den Löwen verhandelte man nicht, entweder floh man vor ihnen oder man schlug sie mit dem Knüppel in die Flucht oder man tötete sie. Aber er hatte sich eingebildet, sie bändigen zu können. Was war er nur für ein Narr? Er hatte das Geld zurückgeben wollen, um Jesus wieder auszulösen, aber sie hatten ihn nur ausgelacht. Zornig schleuderte er den Beutel in den Hof des Tempels. Sollten sie ihr schmutziges Geld für andere schmutzige Geschäfte verwenden. Er hatte nichts mehr damit zu schaffen.

Dann lief er und lief und lief immer weiter hinaus aus der Stadt, bis er keine Kraft mehr hatte. Auf einem Acker setzte er sich keuchend auf die Erde und lehnte sich an den Stamm eines uralten Baumes. Solche Wurzeln hätte er auch gern gehabt. Wissen, wer man ist und wo man steht. Gesehen, geschätzt und geliebt werden. Offensichtlich wertvoll sein, sichtbare Früchte hervorbringen. Dieses Ziel war nunmehr in unerreichbare Ferne gerückt.

Die anderen würden ihn verfluchen und bespucken, aus ihrer Gemeinschaft hinausstoßen, seinen Ruf vergiften. Er war ein toter Mann und er hatte die Wahl: ein grausamer, schmerzvoller Abgang, innerlich zerfressen von Reue und Schuldgefühlen, äußerlich vernichtet durch Ächtung und Verstoßung oder ein kurzer schmerzhafter Schlussstrich und danach ewige Ruhe.

Er nahm den Gürtel von seinem Gewand, ein schlichter, fester Strick aus Hanf, der sicher mehr hielt, als etwas Stoff um die Hüfte herum. Er wand eine Schlinge, kletterte auf den Baum und befestigte das andere Ende des Stricks mit einem Knoten, den er einmal von dem Fischer Andreas gelernt hatte, an einem starken Ast. Dann schob er unter großen Mühen – denn das Seil war kurz – seinen Kopf durch die Schlinge und zog sie zu. Judas Iskariot sah noch ein letztes Mal in den funkelnden Sternenhimmel. Dann sprang er in die Tiefe und ertrug, wie sein gesunder Körper, das Gefäß seiner kranken Seele, um sein Leben kämpfte, bis er schließlich verlor.

Karfreitagabend

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