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Kapitel 4

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PATSY CLINE macht mich schläfrig.

Ihre Stimme mag schön sein, aber wenn ich eines ihrer Lieder höre, schlafe ich ein.

Also beugte ich mich vor und betätigte den Knopf des Radios, um es mit einem anderen der in Juns Mietwagen einprogrammierten Sender zu versuchen. Hallo, Rihanna, meine hinreißende Königin. „S&M“. Sex lag in der Luft. Ein guter Song.

Jun warf mir einen Seitenblick zu.

„Patsy ist wie warme Milch am Abend“, protestierte ich.

„Sie war besser als das hier. Das ist ein schreckliches Lied.“

Ich keuchte. „Nimm das zurück.“

„Was?“

„Ich liebe dieses Lied. Du solltest mich mal nach ein paar Gläsern dazu tanzen sehen.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Ich werde mich nicht zwischen dich und deine Popdiven stellen.“

Juns cooles, elegantes Auftreten täuschte viele Menschen. Tief im Innern war er etwas mehr der schlimme Junge. Er hörte nur den härtesten Rock, Metal und Punk vom alten Schlag, den er auftreiben konnte. Die Art von Musik, bei der man kaum den Text verstand und sich durchs Headbangen eine Nackenverletzung zuzog. In einem Moshpit hätte er sich vermutlich wie zu Hause gefühlt.

Ich wusste bereits, dass er Rihanna absolut nicht mochte, seit er vor einigen Jahren nach der Arbeit mit mir und Matt in einer Bar gewesen war. Matt hatte den ganzen Abend damit verbracht, dort mit einigen jungen Männern zu flirten – und verdammt, es tat immer noch weh, daran zu denken. Daran, wie dumm und unerwünscht ich mir vorgekommen war, während Jun alles mit angesehen hatte. Doch er war den ganzen Abend neben mir sitzen geblieben und hatte sich die größte Mühe gegeben, sich mit mir zu unterhalten – dabei hatte ich auch herausgefunden, dass Reden nicht sein Ding war. Am Ende waren wir uns beim Gespräch über unsere unterschiedlichen Musikgeschmacksrichtungen nähergekommen.

„Alles in Ordnung?“ Jun wandte den Blick kurz von der Straße ab, um mich anzusehen.

„Ja“, antwortete ich hastig und etwas zu laut. „Ich habe mich nur an damals erinnert, als du versucht hast, mir mit Five Finger Death Punch das Trommelfell wegzupusten.“

„Ich wusste, dass es eine Lüge war, als du behauptet hast, du würdest sie mögen.“

„Ich wollte dich beeindrucken.“ Ich streckte eine Hand aus, um sie auf Juns Oberschenkel zu legen. Dort spürte ich feste Muskeln und es fühlte sich richtig an. „Hat es funktioniert?“

Jun antwortete lediglich mit einem Lächeln.

Nachdem Jun und ich auf die Nachricht im Schrank gestoßen waren, hatte es mir gereicht. Kein verrücktes, gruseliges Zeug mehr für mich, vielen Dank. Ich hatte Adam angewiesen, später alles abzuschließen, hatte mir meine Sachen geschnappt und mich mit Jun auf den Weg nach Hause gemacht. Für die nächsten eineinhalb Wochen hatte ich nichts anderes geplant, als am Strand zu entspannen, Tourist zu spielen und sehr viel mit Jun nackt herumzuliegen. Ein verschwundenes Skelett und eine geheimnisvolle Nachricht würden nicht meinen Urlaub ruinieren.

Wehe dem, der in den nächsten zehn Tagen versuchte, mich von meinem sexy Mr Tanaka fernzuhalten. Ich mochte winzig sein, aber ich würde jemanden richtig fertigmachen.

„Links oder rechts?“, fragte Jun an der nächsten Kreuzung.

„Hier links“, antwortete ich und richtete mich etwas auf, damit ich auf das in Sicht kommende Häuschen zeigen konnte. „Das blaue ist meins. Da ist mein Parkplatz.“

Jun parkte am Straßenrand. „Wo ist die pinke Vespa, von der ich so viel gehört habe?“, fragte er, während er den Zündschlüssel abzog.

„Oh, die Prinzessin?“, fragte ich grinsend. „Die ist im Garten.“

Jun stieg lachend aus und holte seinen Trolley aus dem Kofferraum.

Ich ging währenddessen zur Haustür, schloss auf und öffnete sie für ihn. „Willkommen in Chez Grant. Kommen Sie wegen der Hausmannskost, bleiben Sie wegen des süßen Arschs.“

„Bekommt jeder dieses Angebot?“, erkundigte sich Jun beim Eintreten.

„Nur linguistisch Begabte, die Verbrechen bekämpfen.“

„Klingt nach einer kurzen Liste.“

Ich schloss die Tür, drehte mich um und sah zu ihm auf. „Du würdest dich wundern. Ich denke, ich könnte dich jeden zweiten Mittwoch für einen Brunch unterbringen. Was meinst du? Selbst gemachte Omeletts, bevor wir uns um deine Vorderseite und meine Rückseite kümmern?“

Jun stellte seine Laptoptasche neben seinem Trolley ab und näherte sich. Ich presste mich mit dem Rücken gegen die Tür und genoss, wie er vor mir aufragte. Ich spürte die Wärme seines Körpers und die Bewegung seiner straff gespannten Muskeln. So viel Selbstbeherrschung. Vielleicht zu viel.

„Obwohl ich glaube, dass meine Tische jetzt reserviert sind“, flüsterte ich.

„Unter dem Namen Tanaka. Soll ich es buchstabieren?“

„Nein, ich hab’s schon.“

Jun musterte mich kurz. Er gab mir das Gefühl, mich mit seinen Blicken auszuziehen. Meine Atemzüge wurden flacher und schneller, während mein Schwanz eindeutig erwachte und sich einsatzbereit machte.

Du musst noch nicht strammstehen. Er hat dich bisher nicht mal angefasst!

„Gehen wir doch lieber sicher“, sagte Jun. Dabei senkte sich seine Stimme so sehr, dass sie praktisch meine Eier massierte. Er näherte sich so weit wie möglich, ohne meinen Körper mit seinem zu berühren. Ich vibrierte fast, als ich dagegen ankämpfte, mich auf ihn zu stürzen. Jun legte sanft einen Zeigefinger an meine Kehle und zeichnete etwas auf meine Haut, das sich wie ein T anfühlte.

„T“, sagte er.

Er wanderte weiter hinunter, unter mein Schlüsselbein.

„A“, sagte ich.

Jun zog den Finger nach unten und zur Seite, wo er gegen das Barbell-Piercing in meiner Brustwarze stieß. Seine Lippen verzogen sich zu diesem schiefen Lächeln, als ich geräuschvoll ausatmete. „N“, sagte er, als er den Buchstaben schrieb.

Ich schluckte.

Jun senkte seine Hand langsam zur Mitte meines Bauches und presste einen weiteren Buchstaben auf meinen Körper.

„A“, flüsterte ich.

Jun lächelte etwas verwegener. Er ließ den Finger über meinen Bauch gleiten, wo er beim nächsten Piercing innehielt. „K“, sagte er, als er mit dem Finger leicht gegen den Metallring stieß, woraufhin ein Piercing, das für mich niemals von erotischer Bedeutung gewesen war, plötzlich dafür sorgte, dass mein ganzer Körper vor Sehnsucht schmerzte. Jun hob den Blick, sah mich eindringlich an und legte seinen Finger an meinen sich aufreckenden Schwanz, zeichnete einen Buchstaben.

„Aah“, stöhnte ich mit gegen die Tür gelehntem Kopf.

Jun entfernte seine Hand.

„Begehst du jetzt einfach Buchstabierflucht?“, murmelte ich. Als ich mich von der Tür löste, stolperte ich.

Jun hielt mich fest. „Alles in Ordnung?“

„Es geht mir gut“, beharrte ich und entzog mich ihm.

„Kein Grund zur Eile“, sagte er.

„Abgesehen von meiner halben Latte … in Skinny-Jeans …“ Ich richtete mich auf, um auf die Stelle meines Leidens zu zeigen.

Jun wirkte amüsiert. Mistkerl. Er öffnete das vordere Fach seines Trolleys, um ein Paar schwarze Hausschuhe herauszuholen. Dann streifte er seine teuer wirkenden Schuhe ab, wobei er kurz bunte, in Regenbogenfarben gestreifte Socken aufblitzen ließ und schlüpfte in die Pantoffeln.

Ich senkte den Blick zu meinen verschlissenen, abgewetzten Chucks. Ich schwankte ständig zwischen sehr viel Wert auf mein Äußeres zu legen – mal ehrlich: Meine Haare, meine Piercings und das Tattoo auf meinem Rücken waren echt scharf – und zu wirken, als wäre mir entfallen, wie das noch mal mit dem Erwachsensein ging. Denn meine Garderobe war fragwürdig – hauptsächlich billige Klamotten im Stil eines Teenagers und es hätte mich nicht überrascht, wenn diese Cons noch aus dem Jahr 1992 stammten.

„Was hat es mit den Socken auf sich?“, fragte ich.

„Meine Schwester schenkt mir jedes Jahr alberne Socken. Deshalb habe ich viele.“

„Ooh“, säuselte ich. „Wie süß.“

Jun räusperte sich.

Ich setzte mich in Bewegung und führte ihn ins Wohnzimmer. „Also. Erdgeschoss.“

Das Haus war eigentlich größer, als es für mich allein nötig gewesen wäre. Allerdings war es wunderschön, und durch meine Zeit in New York hatte ich mich an Mietpreise gewöhnt, die einen ausbluteten. Also hatte ich es behalten. Alle Räume waren mit leuchtenden, an den Strand erinnernden Farben gestrichen, die man auf der ganzen Insel sah – blau, grün und pink, mit einigen ausgewählten Werken einheimischer Künstler an den Wänden. Das Wohnzimmer beinhaltete das Nötigste: Fernseher, Sofa und ein Regal mit Liebesromanen und Kochbüchern.

Ja, ich weiß. Und mein Terminkalender war auch plötzlich immer sehr voll, wenn ich einen Liebesroman mit einem Koch und einem Polizisten fand.

Ich näherte mich dem offenen Durchgang zur Küche und schaltete das Licht ein, damit Jun sie sich ansehen konnte. Sie war nicht übermäßig beeindruckend, doch in meiner alten Wohnung in Brooklyn hatte ich genau eine halbe Arbeitsplatte gehabt, während sich hier mehrere und eine Spülmaschine befanden.

„Neben der Gartentür ist eine Waschküche“, teilte ich Jun mit und ging auf eine Wendeltreppe zu. „Mein Bett und das Badezimmer sind im oberen Stockwerk. Du kannst deinen Koffer hochbringen, wenn du willst.“

Während er diesen holte, ging ich hinauf, um zu überprüfen, ob ich in meiner morgendlichen Eile wegen der früheren Arbeit nicht schmutzige Socken oder Unterwäsche auf dem Boden vergessen hatte. Natürlich wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass Jun die Unterwäsche eines anderen Mannes gesehen hätte – er war einundvierzig und keine Jungfrau. Aber trotzdem. Ich wollte wenigstens vierundzwanzig Stunden durchhalten, bevor er merkte, wie unordentlich ich war.

Siehe da – auf dem Boden lag ein Paar Socken, das ich hastig in den Wäschekorb warf. Auf der Tagesdecke meines Bettes lagen außerdem noch mehrere T-Shirts vom Morgen, als ich versucht hatte, etwas auszusuchen, das mir besonders gut stand, damit ich Jun beeindrucken konnte. Dann war mir bewusst geworden, dass ich zu lange getrödelt hatte und es schon viel zu spät war, woraufhin ich in ein T-Shirt mit Akte-X-Motiv geschlüpft war und hastig das Haus verlassen hatte. Auf den Monster-der-Woche-Look hatte ich es eigentlich nicht abgesehen gehabt, aber c’est la vie.

Ich drehte mich um, als Jun die Treppe heraufkam. „Nicht schlecht, oder?“

„Ganz und gar nicht.“ Er schob seinen Trolley zum Geländer, von dem man im Loftstil das Erdgeschoss überblicken konnte.

Ich nahm indessen die T-Shirts und hängte sie in den Schrank. „Ich weiß, dass es unhöflich ist“, sagte ich, nachdem ich die Schranktür geschlossen und mich wieder Jun zugewandt hatte, „aber würde es dich stören, wenn ich einen kurzen Mittagsschlaf mache? Das soll ich eigentlich um eins tun, aber besser spät als nie.“

„Es ist nicht unhöflich“, antwortete er. „Nur zu. Wie lange brauchst du? Eine Stunde?“

„Oh, nein, nur zwanzig Minuten.“ Ich ließ mich auf mein Bett fallen und drehte mich auf die Seite. „Wenn ich länger schlafe, fühle ich mich erschöpft.“ Ich fischte mein Handy aus der Tasche, stellte den Wecker und legte es auf den Nachttisch. Dann sah ich mich zu Jun um und klopfte einladend auf die Matratze. Schwere Müdigkeit legte sich bereits über mich. Es dauerte keine Minute, bis ich tief und fest einschlief – doch bevor ich im Traumland ankam, spürte ich wenigstens noch, wie sich Juns Arm um meine Taille legte.

NARKOLEPTIKER TRÄUMEN viel, was nicht überraschend ist. Denn während REM-Phasen bei normalen Menschen frühestens nach eineinhalb Stunden einsetzen, waren sie bei mir fast augenblicklich da, selbst bei nur zwanzig Minuten Schlaf. Was viele Leute nicht wussten, war, dass wir zu überraschend häufigen Albträumen neigten.

An viele meiner Träume erinnerte ich mich und dieser hatte überhaupt nicht furchterregend angefangen. Ich ging mit Cher die Duval Street entlang – vermutlich, weil sich Juns Erwähnung ihrer Musik im Radio irgendwie in meinem Kopf festgesetzt hatte. Wir suchten eine Harke, doch als wir diese nicht finden konnten, sickerte allmählich die Panik durch und verwandelte den Traum in einen Albtraum. Wir brauchten eine Harke, um das Skelett im Schrank aufzuhalten.

Und ich weiß, Cher + Harke = sicherer Sieg ist eine verdammt seltsame Logik. Aber ein Traum ist eben ein Traum und in diesem Augenblick wusste ich, dass wir eine Harke finden mussten, weil wir sonst keine Chance hätten.

Dem Skelett begegneten Cher und ich allerdings nicht mehr. Doch obwohl es mir gelungen war, aufzuwachen und dem Albtraum zu entkommen, bevor er ernsthaft beängstigend werden konnte, war meine Rückkehr in die wirkliche Welt schwerfällig und … in Etappen. Ich öffnete die Augen, doch der Rest von mir war, vereinfacht ausgedrückt, noch nicht wach. Schlaflähmung. Wenn Menschen einschlafen, verfallen unsere Körper normalerweise in eine Art Starre, damit wir nicht unsere Träume nachspielen und uns dabei verletzen. Bei mir kam es jedoch gelegentlich vor, dass ich aufwachte, aber mein Körper es noch nicht verstand.

Es ist schwer zu erklären. Manchmal verstand ich in dem Moment, was passierte, allerdings nicht immer. Verdammt beängstigend war es jedes Mal. Mein Verstand raste und konnte nicht begreifen, warum der Rest von mir nicht reagierte. Normalerweise litt ich dabei zusätzlich unter Halluzinationen. Verrückt, oder? Einmal hatte ich mir zum Beispiel eingebildet, ein Wecker kröche durch den Raum, um mich zu töten. Im Gegensatz zu dem, was ich diesmal vor mir sah, war das jedoch noch harmlos gewesen.

Vom Rand des Bettes starrte mich Skelli an. Nur seine vornübergefallene obere Hälfte, wie er in der Wand gewesen war. Doch plötzlich zuckte er, packte den Rand der Matratze und begann, sich hochzuziehen.

Ich versuchte zu schreien. Ich versuchte zu treten und zu schlagen.

Versuchte es und versuchte es und Gott, er kam näher! Er war da, berührte mein Bein und …

Ich fuhr hoch, rang nach Atem, stieß den verhallenden Rest eines Schreis aus.

„Aubrey?“ Jun war bei mir. Er streichelte mit sanften, aber bestimmten Bewegungen meinen Hinterkopf. „Alles in Ordnung?“

Mit bebender Brust atmete ich tief durch. „N-nein, was? Ich … Albtraum.“ Ich drehte mich um und sah Jun an. „Schlaflähmung“, verbesserte ich mich, als der Nebel in meinem Kopf sich allmählich lichtete. „Die ist beängstigend.“

Jun runzelte die Stirn, legte eine Hand an meine Wange. „Kann ich dir irgendetwas holen?“

„Nur dich“, sagte ich. Es kam automatisch aus meinem Mund. Mir wurde erst klar, was ich gesagt hatte, als es schon zu spät war.

Doch er lächelte. Ein strahlendes Lächeln. Das Funkeln war in seine dunklen Augen zurückgekehrt. Jun beugte sich vor, überbrückte die Lücke zwischen uns. Sein Mund war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt.

Tu es. Küss ihn.

Schließlich waren wir nun offiziell ein Paar.

Ich näherte mich seinem Mund mit meinem.

Und dann kam mir mein Wecker in die Quere – Nicki Minaj, die ihren Feinden vorschlug, ein paar Schwänze zu lutschen.

IM INNERN war ich ein Romantiker.

Ich wollte nicht einen Kuss. Ich wollte den Kuss. Also drängte ich nicht weiter darauf, nachdem der Moment zerstört worden war. Es würde nicht der letzte sein, und dann würde ich den besten verdammten Kuss meines Lebens bekommen.

Da wir beide noch keinen besonders großen Hunger hatten, bereitete ich anstelle einer richtigen Mahlzeit etwas Bruschetta mit Tomate und Basilikum zu, womit wir uns vor dem Fernseher niederließen. Jun trank ein Glas Wein. Ich blieb bei Wasser.

Was Filme anging, war ich unzuverlässig. Ich hielt nie bis zum Ende durch, verschlief die wichtigsten Szenen und wachte erst bei den langweiligen wieder auf. Aus diesem Grund beschränkte ich mich auf Fernsehserien mit kurzen Episoden. Knapp dreißig Minuten dieser Passivität konnte ich gerade noch ertragen. Nur war ich diesmal nicht allein und sah mir gelangweilt eine meiner üblichen drei Serien an. Jun war bei mir und es war ziemlich fantastisch.

Ich mochte ihn wirklich sehr. Er sorgte für Schmetterlinge in meinem Bauch.

Anstatt also nach zwei Folgen und drei Schlafattacken aufzustehen, um etwas anderes zu tun, blieb ich bei ihm sitzen. Jun legte mir einen Arm um die Schultern und ließ zu, dass ich es mir halb wach und halb schlafend mit dem Kopf an seiner Brust bequem machte. Alles an ihm war gut. Verdammt, er roch sogar perfekt, falls das einen Sinn ergab.

Als es im Raum still wurde, öffnete ich die Augen. Jun sah sich bei Netflix um. „Oh, den“, sagte ich plötzlich. Er hielt inne.

„Seit wann magst du Horrorfilme?“

„Du beschützt mich schon.“

„Das ist ein japanischer Film, Aubrey.“

„Untertitel?“ Ich hob meinen Kopf etwas von seiner Brust und stellte fest, dass er mich anstarrte. „Was denn? Vielleicht würde ich eben gerne ein paar Wörter lernen.“

„Warum?“

Mein Herz hüpfte leicht. „Weil du es sprichst.“

Er lächelte.

„Und weil du dabei so verdammt sexy klingst.“

Jun strich mir mit den Fingern durchs Haar und sagte mit seiner tiefen, kraftvollen Stimme etwas Japanisches.

Schwuler Babymachmodus eingeschaltet.

„Meine Güte, das ist gemein“, beschwerte ich mich. Ich setzte mich auf, um ihn besser ansehen zu können. „Was hast du gesagt?“

Er verzog keine Miene. „Ich habe gefragt, wo die Toilette ist.“

„Was? Das ist doch gelogen.“

„Nein, wirklich. Toire bedeutet Toilette.“

Ich verpasste ihm einen leichten Klaps auf den Arm. „Du Arschloch!“

Jun lachte leise. „Tut mir leid.“

Ich erhob mich und schob ein Bein über Jun, um auf seinen Schoß zu klettern. Die Arme schob ich über seine Schultern und hielt mich an der Rückenlehne des Sofas fest. Er ließ die Fernbedienung auf die Couch fallen, um seine Hände an meine Hüften zu legen, als ich meine Finger in seine stylishe Frisur schob und sanft zufasste. Es gefiel mir, wenn ein Mann so lange Haare hatte, dass man sie mit den Fingern packen konnte. Und Juns leisem Keuchen nach zu urteilen, gefiel es ihm, wenn man es bei ihm tat. Ich zog leicht, nur um es auszuprobieren, und sein Mund öffnete sich.

Das betrachtete ich als Einladung.

Doch bevor ich reagieren konnte, hatte Jun den Saum meines T-Shirts gepackt und den Stoff nach oben geschoben. Auf meiner nackten Haut fühlten sich seine Hände wie Feuer an. Er schob das T-Shirt bis zu meinen Brustwarzen hoch, wo er mit den Fingerspitzen über die Piercings strich.

Aus dem Stöhnen, das ich von mir gab, hörte man jeden Tag der zwei Jahre heraus, die ich als Single verbracht hatte. „Gott“, sagte ich, wobei ich das Wort mit nicht existierenden Silben in die Länge zog.

Jun schnippte noch einmal gegen jedes Piercing. „Die gefallen mir“, flüsterte er.

Gut. Dann waren sie jeden Cent wert gewesen.

Danach tat er nicht mehr viel, streichelte mir lediglich mit den Handflächen über die Seiten. Bei unseren täglichen Telefongesprächen hatte Jun leicht angedeutet, wenn auch nicht deutlich ausgesprochen, dass er im Bett nicht unbedingt der Initiator war. Ich hatte mich beim Thema Händchenhalten und Beziehung direkt verhalten, weil ich davon ausgegangen war, dass er dann handeln würde. Offenbar lief es wirklich darauf hinaus, dass er nur niemals den ersten Schritt tat.

Und das Ganze führte mich zu einer Vermutung. Genau wie ich war er wahrscheinlich etwas nervös, was unser erstes Mal anging, aber nicht so sehr, dass er erst große Hemmungen abbauen musste oder Ähnliches. Er hatte kein Problem damit, zu flirten, zu necken und mir seine Zuneigung zu zeigen. Mittlerweile war ich allerdings ziemlich sicher, dass es ihn anmachte, wenn man ihm im Bett Befehle gab. Wer dabei welche Rolle übernahm, war ihm nicht wichtig. Er wollte nur Anweisungen. Vielleicht lag es daran, dass er im Beruf immer das Sagen hatte und es deshalb entspannend fand, wenn zu Hause jemand anders die Führung übernahm.

Für mich war das Neuland, aber tja, ich war sehr gern bereit, meinen Horizont zu erweitern. Der Gedanke, einem erfolgreichen FBI-Agenten zu sagen, wo es langging, war ohnehin recht verlockend.

„Jun?“

„Hm?“

„Leck meine Nippel.“

Seine Augen weiteten sich hinter den Brillengläsern leicht und ich hörte ein winziges Keuchen. Oh ja. Das war so was von dem, was er wollte. Jun legte die Hände wieder auf meine Hüften und beugte sich vor. Seine rosa Zunge kam zwischen seinen Lippen hervor und da war sie, feucht und warm an meinen Piercings. Er küsste, leckte und benutzte seine Zunge, um mit dem Metall zu spielen. Ich umklammerte mit beiden Händen seinen Hinterkopf, damit er sich nicht entfernte, woraufhin er stöhnte und seine Hände senkte, sie auf meinen Rücken schob.

„Fass meinen Arsch an“, befahl ich, auch wenn mein Tonfall nicht mehr ganz so gebieterisch klang, denn was er da mit seiner Zunge anstellte, würde mich in ungefähr zehn Sekunden zum Explodieren bringen.

Jun gehorchte, legte seine Hände auf meinen Hintern, massierte ihn durch die Jeans.

Ja, ich freundete mich mit dieser Sache verdammt schnell an.

Ich neigte Juns Kopf nach hinten, indem ich sanft an seinen Haaren zog. Schwer atmend sah er zu mir auf.

Scheiße.

Ich beugte mich vor, um ihn zu küssen, diese talentierte Zunge in meinem Mund zu erleben, seine kratzigen Stoppeln auf meiner glatten Haut zu spüren …

Mein Handy klingelte auf dem Couchtisch, durchbrach unerwünscht die nur von den zwischen uns flüsternden Atemzügen erfüllte Stille. Jun lehnte sich auf dem Sofa zurück. Er nahm die Hände von meinem Hinterteil und sah zu mir auf, nicht verärgert oder gereizt, sondern … als hätte er alle Zeit und Geduld der Welt.

„Merk dir, wo wir waren“, sagte ich, als ich von seinem Schoß kletterte, mein T-Shirt zurechtzupfte und zum Tisch stolperte. Ich hörte ihn leise lachen, während ich mir das Handy schnappte und den Anruf annahm. „Hallo?“

„Mr Grant?“

„Der bin ich.“

„Hier ist Joe Hernandez vom Sicherheitsdienst Island-Security.“

„Oh nein“, sagte ich seufzend.

„Leider doch.“

Ich warf über meine Schulter hinweg einen Blick auf Jun. „Das muss doch ein Scherz sein“, murmelte ich. „Welcher Sensor wurde diesmal ausgelöst?“

„Der im ersten Stock“, antwortete Joe. „Ich weiß, dass es spät ist. Ich kann einen Streifenwagen hinschicken, wenn es Ihnen lieber wäre.“

„Nein, nein“, antwortete ich und richtete mich auf. „Die Polizei hasst es, umsonst rauszukommen. Ich sehe es mir an.“

„Verstanden. Rufen Sie uns an, falls Sie weitere Unterstützung benötigen.“

Ich verabschiedete mich, legte auf und sah Jun an. „Hasst du mich, wenn ich dir sage, dass der Spaß noch etwas warten muss?“

Er stand auf. „Was ist passiert?“

„Einer der Bewegungsmelder im Smith-Haus wurde ausgelöst.“

„ES BESTEHT wirklich kein Grund zur Sorge“, versicherte ich Jun zum ungefähr hundertsten Mal, als ich das Tor des Grundstücks aufschloss.

Jun hatte darauf bestanden, mich zu begleiten – vermutlich weil die Sache für ihn verdächtig oder gefährlich klang. Tatsächlich spielten der Sicherheitsdienst und ich dieses Spielchen schon seit langer Zeit. Kurz nachdem ich Verwalter des Hauses geworden war, hatte ich die alten Bewegungsmelder entfernen lassen, da sie ständig falschen Alarm ausgelöst hatten und die Firma Island-Security übernehmen lassen. Und siehe da – ihre Anlagen hatten dieselben Probleme. Die Sensoren meldeten in unregelmäßigen Abständen Bewegungen im Haus. Manchmal blieb monatelang alles ruhig, dann wieder gab es jede Woche einen Alarm. Einmal, im letzten Oktober, war es dreimal in einer Nacht passiert. Das war verdammt lästig gewesen.

Die Polizei war bei jedem Alarm gerufen worden, was dazu geführt hatte, dass es auf der Insel zu einem Running Gag geworden war. Jeder wusste, dass es sich um falschen Alarm handelte. Als ich die Verwaltung übernommen hatte, hatte ich auch die Verantwortung dafür übernommen, zu jeder Tages- und Nachtzeit dafür zu sorgen, dass das Anwesen sicher war. Seit sich herausgestellt hatte, dass die neuen Systeme so fehleranfällig waren wie die alten, hatte ich es bereits einige Male bereut, so sehr auf dieser Pflicht bestanden zu haben.

Aber hey, so war das Leben eben. Man musste es leichtnehmen.

Eine Sache, auf die ich jedoch gern verzichtet hätte, waren die Gerüchte, die sich dadurch verbreiteten. Bei jedem technischen Schluckauf wedelten die Conchs – die Einheimischen der Inseln – mit dem Zeigefinger und sagten: „Siehst du, ich habe ja gesagt, dass es da spukt!“

Das tat es nicht. Vielleicht gab es Probleme mit den elektrischen Leitungen. Oder …

Ich betrat die Veranda, fischte meinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die äußere Tür. „Das passiert dauernd.“

„Für solche Dinge ist die Polizei zuständig, Aubrey“, sagte Jun nachdrücklich.

„Ich weiß, aber hier unten läuft es anders.“ Ich richtete mich auf und sah mit einem Lächeln zu ihm hoch. „Entspann dich.“

Er runzelte die Stirn.

Ich stieß die schwere Tür auf und betrat das stockdunkle Haus. Nachdem ich die kleine Schreibtischlampe neben der Tür eingeschaltet hatte, tippte ich meinen Code in den Ziffernblock der Alarmanlage ein, um sie zum Schweigen zu bringen.

Ich musste zugeben, dass das Smith-Haus bei Nacht … anders war. Obwohl sich die Duval ganz in der Nähe befand, wo Bands spielten und laute Betrunkene die Bars bevölkerten, war es im Innern des Hauses, als könne nichts davon die Wände durchdringen. Ein bisschen unheimlich – nur ein klitzekleines bisschen. Aber verratet niemandem, dass ich das gesagt habe.

„Und nun?“, fragte Jun.

„Ich gehe durchs Haus, um zu bestätigen, dass alles in Ordnung ist und fahre wieder nach Hause.“

„Aubrey“, sagte Jun erneut in seinem Nicht-glücklich-Tonfall. „Ich will nicht, dass du das auch weiterhin allein tust. Es ist Nacht und hier gibt es wertvolle Gegenstände. Was passiert, wenn tatsächlich mal jemand einbricht und du nicht mit Gefahr rechnest?“

„Jun …“

„Ich meine es ernst.“ Obwohl sich sein Gesicht halb im Schatten befand, erkannte ich, dass er mich mit seinem verärgerten Polizistenblick bedachte – etwas, das ich seit New York nicht mehr gesehen hatte. Und es gefiel mir nicht, derjenige zu sein, auf den er gerichtet war.

„Du weißt aber schon, dass ich kein hilfloser kleiner Waschlappen bin?“ Ich näherte mich der Treppe und begann hinaufzugehen.

„Das habe ich auch nie gesagt.“

Ich wedelte stöhnend mit den Händen. „Ich sage dir doch auch nicht, wie du deine Arbeit machen sollst, oder?“

„Das ist nicht dasselbe. Hier geht es um deine persönliche Sicherheit.“

„Dann kaufe ich mir eben Pfefferspray“, sagte ich halbherzig, um ihn hoffentlich dazu zu bringen, das Thema zu beenden.

„Aubrey“, wiederholte er.

„Oh, Mann, Jun. Jetzt beruhig dich mal, okay?“, sagte ich und drehte mich auf der Treppe zu ihm um. „Es ist okay. Alles ist okay. Warte einfach kurz hier und lass mich meine Arbeit machen, damit wir nach Hause fahren können.“ Ich widerstand meiner schlechten Angewohnheit, die Augen zu rollen und legte den Rest des Weges zum ersten Stock zurück.

Da ich das Haus in- und auswendig kannte, machte ich mir meistens nicht die Mühe, Lichter einzuschalten, bis ich im zweiten Stock angekommen war und mich dann nach unten vorarbeitete. Juns Paranoia reichte nicht aus, um mich von dem zur Routine gewordenen Ablauf, dem ich bei jedem falschen Alarm folgte, abzubringen. Es bestand nicht der geringste Grund zu der Annahme, dass sich irgendwo im Dunkeln ein psychopathischer Einbrecher/Mörder/Gangsterboss aufhielt – oder was Jun dort sonst vermutete.

Bisher war ich abgesehen von „Skellis weltberühmtem Verschwindezaubertrick“ niemals auf etwas Beunruhigendes gestoßen und rechnete nicht damit, es jemals wieder zu tun. Aber erinnert ihr euch, was die Leute über mich sagten?

„Mr Aubrey Grant, was leben Sie nur für ein seltsames Leben.“

Und ob ich das tat.

Ich stolperte über etwas, das mitten im Flur der ersten Etage lag, fiel der Länge nach hin und landete auf der anderen Seite des Objekts. Bei der langen Reihe von Flüchen, die ich daraufhin ausstieß, drehte sich meine Großmutter vermutlich mehrere Male im Grabe um.

„Was war das?“, rief Jun im Erdgeschoss. „Aubrey?“

„Alles okay“, antwortete ich. „Bin nur gestolpert.“

Als es mir gelungen war, mein Handy aus meiner Gesäßtasche zu zerren und die Taschenlampenfunktion einzuschalten, wurde mir klar, dass ich mich an Leichen gewöhnen und sie der Liste mit merkwürdigen und ungewöhnlichen Dingen in meinem Leben hinzufügen musste.

Denn auf dem Boden des Flurs lag ein toter Mann, aus dessen Brust ein hölzerner Marlspieker ragte.

Mord in Key West

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