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Das Abenteuer beginnt

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Mittlerweile war es schon September und sie wollten nicht länger warten. Es mussten, wie es in unserem Land üblich ist, unzählige Genehmigungen eingeholt werden. Unter anderem wurden auch Nutzungsänderungen beantragt, da die Gastronomie dann nur noch einen kleinen Teil des Hauses einnehmen würde. Mit den beiden Besitzern waren die drei Schwestern beim Notar gewesen. Es war ein Testament verfasst worden, sodass Evi, Gigi und Andri das gesamte Anwesen, nach dem Ableben des letzten Besitzers. erben würden. Der Kassensturz ergab nun ein Barvermögen von insgesamt 80 000 €. Das musste wenigstens für das Nötigste ausreichen. Da ihnen aber bis zur Fertigstellung die Pacht erlassen wurde, sollte das gelingen. Eine der Schwestern hatte wohl gegenüber ihrem Partner nicht dicht gehalten. Jedenfalls wurden sie mit Nachrichten bombardiert und es wurde ihnen klar gemacht, dass sie von deren Seite keine Hilfe zu erwarten hatten. Keine der Schwestern hätte ihren Mann je um Hilfe gebeten. Zum Glück wussten diese nicht, wo ihre Frauen untergekommen waren. Die Suppe, die die Schwestern sich eingebrockt hatten, mussten sie nun auch alleine auslöffeln. Das letzte Abenteuer ihres Lebens sollte die Schwestern bis an den Rand ihrer körperlichen und nervlichen Kräfte bringen. Mitte Dezember hatten sie alle Genehmigungen beisammen. Der folgende Winter war glücklicher Weise mild. Nach dem ersten Weihnachtsfest und dem Jahreswechsel ohne Familien, was alle drei seltsamer Weise sehr genossen hatten, musste zuerst einmal Bestandsaufnahme in der Pension gemacht werden. Die Besitzer hatten zugestimmt, dass die Möbel, das Geschirr und was sonst keine Verwendung mehr finden sollte verkauft und für die Renovierungsarbeiten verwendet werden durfte. Die beiden Alten hatte der Himmel geschickt. Gigi war die erste der Schwestern, die ihre Behelfsunterkunft bei Meggy verließ und in das knapp 50km entfernte, neue Zuhause zog. Sie musste ja nicht mehr jeden Morgen zur Arbeit. Die Internetverbindung funktionierte und sie begann, die nicht mehr zu gebrauchenden Möbel über Ebay zu versteigern. An den Wochenenden verpackten Evi und Andri die Sachen, die klein genug waren um per Paket verschickt werden zu können. Gigi wickelte den Zahlungsverkehr und den E-Mailverkehr mit den Käufern ab. Die Pakete brachte sie anschließend mit ihrem Auto zur Post. Die großen Möbelstücke wurden fast vollständig von einem Käufer abgeholt, der eine Pension im Retrostil eröffnen wollte. Er war glücklich über so viele schöne alte Stücke. Alles in allem brachte die Aktion unglaubliche 25 000 € in die Kasse. Anfang März konnten sie endlich mit den Arbeiten beginnen. Andri hatte die Scheidung eingereicht und einen neuen Job, in einem kleinen Kindergarten in der Nähe des Hauses, gefunden. Evi baute sich einen neuen Kundenkreis in der Nähe auf. Alte Menschen, die Hilfe brauchten und die sie betreute gab es überall. So konnten die beiden jetzt auch nach Feierabend auf der "Baustelle" mitarbeiten. Es wurde zunächst der eine Gastraum neben der Küche als provisorisches Schlafzimmer für die drei eingerichtet. Da die Räume jetzt nahezu frei von Möbeln waren, kamen alle versteckten Mängel zum Vorschein und das waren nicht wenige. So langsam bekamen sie Zweifel, ob sie bis zum kommenden Sommer fertig werden würden. Das Wetter meinte es weiterhin gut mit ihnen. Ab Mitte März gingen die Temperaturen auf 20 Grad hoch. Sie hatten einen Baumarkt in der Nähe gefunden, in dem sie alles für ihre Renovierungsarbeiten kaufen konnten. Teile, die zu groß für Gigis Van waren, wurden geliefert. Den Rest bestellten sie über das Internet. Gigi, die den ganzen Tag im Haus arbeiten konnte, besorgte vormittags das Material und begann die alten Wandbeläge zu entfernen. Einer der Bungalows, Andris geplantes Kinderreich, wurde zuerst in Angriff genommen. Er bestand aus insgesamt 3 Zimmern, einem Flur mit Garderobe und einem Bad. Um den Auflagen gerecht zu werden, die ihnen gemacht wurden, fehlten fünf Kindertoiletten mit ebenso vielen Waschbecken. Das war nun wirklich etwas, das keine der Schwestern selbst einbauen konnte. Andri rief Meggy an. Erreichte aber leider war nur die Mailbox. "Hallo Meggy! Du hast doch gesagt dass du uns, falls es irgendwo klemmt, deinen Aleksej ausleihen würdest. Schicke ihn doch bitte einmal vorbei." hinterließ Andri eine Nachricht. Kurz darauf rief Meggy zurück. Sie meinte dass der russische Arbeiter, der für sie immer diverse Arbeiten verrichtete, abends vorbeikäme um sich das Problem anzusehen. Bis zum Abend räumte Gigi alles, was noch in diesem Bungalow an Mobiliar und Unrat herumlag, in einen extra dafür eingerichteten und mit einer Plane abgedeckten Teil des Gartens. Aleksej kam am Abend zusammen mit Meggy, die die Neugierde drückte. Nach einer ausgiebigen Besichtigung entschloss Andri sich den kleineren Raum, der direkt ans Bad angrenzte, mit den fehlenden Toiletten und Waschbecken auszustatten und das kleine Duschbad zur Küche umzufunktionieren. Da sie sowieso nicht mehr als maximal zehn Kinder aufnehmen wollte, war immer noch Platz genug. Aleksej notierte das benötigte Material und überreichte Gigi den Zettel. "Wann denken sie, haben sie alles zusammen?" fragte er mit seinem russischen Akzent, den er immer noch hatte, obwohl er schon über vierzig Jahre in Deutschland lebte. "Ach, ich denke bis nächste Woche werde ich alles besorgt haben." meinte sie zuversichtlich. Gigi machte sich im Netz auf die Suche nach den Sanitärobjekten. Es war gar nicht so einfach Kindertoiletten zu finden. Auf Ebay fand sie zehn gebrauchte Teile aus einer Grundschulrenovierung. Bilder gab es davon nicht. Sie bot zunächst einmal zehn Euro, um an der Auktion teilzunehmen und um Andri zu fragen, ob es unbedingt neue Toiletten sein müssten. Es bot keiner mehr als diese zehn Euro. Also fuhren Gigi und Andri mit dem Auto am nächsten Tag zu dem Verkäufer, um die ersteigerten Teile abzuholen. Als sie dort ankamen, sahen sie schon von weitem die Toiletten im Hof stehen. Die waren so schmutzig wie Schultoiletten so sind. "Die hätte der Verkäufer auch mal ein wenig reinigen können." sagte Gigi. Angeekelt, mit Handschuhen, die sie in weiser Voraussicht vorsorglich mitgenommen hatten bewaffnet, luden die beiden Frauen die zehn Kloschüsseln ins Auto und zahlten die zehn Euro. "Wollen sie auch noch ein paar Waschbecken? Die bekommen sie umsonst dazu. Die Teile müssen weg, wir brauchen den Platz." meinte der Verkäufer. Also hatten sie auch noch zehn kleine Waschbecken mit an Bord. Zu Hause angekommen wurden ihre "Schmuckstücke" zuerst einmal begutachtet, mit dem Hochdruckreiniger abgespritzt und sauber gescheuert. Jetzt sahen wenigstens sieben von ihnen fast aus wie neu. Die Waschbecken waren auch noch ganz passabel. Den Rest entsorgten sie erst einmal unter der Plane im Garten. Die Wasser- und Abflussrohre, Spülkästen etc. wurden aus dem Baumarkt geholt. Fliesen für Wände und Böden bekamen die Schwestern als Restposten ebenfalls sehr günstig. Aleksej rief am Ende der Woche an und erkundigte sich, ob sie alles besorgt hätten und ob er seinen Sohn vorbeischicken dürfe. Er selbst müsse noch einen anderen Auftrag erledigen. "Das ist uns egal, solange die Arbeiten schnell und sauber erledigt werden......." meinte Andri. Pijotr, so hieß Aleksejs Sohn, kam pünktlich am Samstagmorgen um mit den Arbeiten zu beginnen. Er war Anfang vierzig, hatte blonde, lockige etwas längere Haare, grüne Augen und einen Dreitage-Bart. Er trug eine blaue Latzhose und ein schwarzes ärmelloses T-Shirt, dass seine muskelbepackten Arme betonte. Andri zeigte ihm seinen Arbeitsplatz auf Zeit und kam kurze Zeit später ins Haupthaus zurück, um sich einen Kaffee zu holen. "Na, hat er gesagt wie lange er brauchen wird?" fragte Gigi. "Keine Ahnung, hab mich gar nicht getraut zu fragen, weil er so skeptisch geschaut hat. Lass ihn erst mal anfangen. Die Fliesen kannst du ja selbst legen hast du gesagt" meinte Andri zu Gigi gewandt. "Klar hab ich doch schon öfter gemacht. Das geht schnell bei der Größe der Fliesen. Wir brauchen nur noch einen Fliesenschneider." Es begann schon dunkel zu werden als Evi zur Tür herein kam. "Was habt ihr denn da für ein Sahneschnittchen im Bungalows sitzen? Den würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen!"

"Habe mir schon gedacht, dass der deine Kragenweite ist." feixte Gigi. "Aber viel zu jung für dich." "Ach was! Ich muss ihn ja nicht gleich heiraten. Man gönnt sich ja sonst nichts." meinte Evi und warf augenzwinkernd ihr fast hüftlanges, kastanienbraunes Haar zurück. Kein Mensch würde sie über fünfzig schätzen, so wie sie aussah. "Vorsicht Evi.......ich denke wir haben alle die Nase voll von den Männern!!!!" mahnten Andri und Gigi eindringlich. Evi verzog das Gesicht als hätte sie in eine Zitrone gebissen. "Von unseren Männern, von unseren!" betonte sie, drehte sich um und lief zum Bungalow um nachzusehen wie weit Pijotr mit seiner Arbeit vorangekommen war. Nach einer Woche waren alle Rohre verlegt und die Objekte gesetzt. Nun konnten die Fliesen auf Wand und Boden verlegt werden. Gigi hatte Spaß an dieser Arbeit und brauchte nur wenige Tage dafür. Andri und Evi hatten unterdessen begonnen die Wände in fröhlichen Öko-Farben anzustreichen. Jetzt fehlten nur noch die Möbel um die sich Andri selbst kümmern wollte. Der erste Schritt war gemacht und Pijotr hatte seine Arbeit gut, schnell und günstig beendet. Er versprach für weitere "Probleme" gerne zur Verfügung zu stehen und zwinkerte Evi zu, die doch tatsächlich rot wurde. Gab es da etwas was Gigi und Andri nicht wussten? Na egal, dachten die beiden. Soll sie tun was sie nicht lassen kann, aber seine Zahnbürste würde er hier ganz sicher nicht deponieren, dafür würden sie sorgen. Als nächstes großes Projekt stand die kleine Kneipe an, die Evi führen wollte. Es war schon Ende Mai und die Zeit lief ihnen davon. Ihre Männer hatten immer noch keine Ahnung wo sich ihre Zufluchtsstätte befand. Bis jetzt hatte jede von ihnen wenigstens in diesem Punkt dicht gehalten. Nach längerer Überlegung hatte Evi sich entschlossen den Gewölbekeller, der aus zwei großen und drei kleinen Räumen bestand, als Gastraum auszubauen. Die Holztreppe, die nach oben ins Erdgeschoss führte, war in die Jahre gekommen und musste dringend ausgetauscht werden. Meggy kam zu Besuch und hatte die Idee, dass eine schöne, verzierte Metall-Wendeltreppe, die in einem ihrer Objekte das zu verkaufen war und raus musste, ideal in den Keller passen würde. Sie müsse die nur noch mal ausmessen. Die würde auch nichts kosten. Die Leute wären froh wenn die weg wäre. "Nur fürs Ausbauen, den Transport und den Einbau müsst ihr euch etwas einfallen lassen. Wenn ihr wollt, frage ich einmal meine Russen, ob die das für euch machen. Aber es ist schon beeindruckend was ihr in der kurzen Zeit geschafft habt. Respekt." Das nächste Problem war die fehlende Heizung und der nicht vorhandene Kaminabzug im Keller. Gigi hatte die rettende Idee: "Wie wäre es mit Infrarot-Heizkörpern, die brauchen keinen Kamin, heizen günstig, schnell und effektiv. Infrarotstrahlen sind gesund und der Sonnenstrahlung ähnlich. Strom haben wir ja im Keller." Skeptisch sahen die beiden sie an. Von dieser Art des Heizens hatten sie zwar schon gehört, aber noch nie eine solche Heizung gesehen. Gigi hatte in ihrem Haus schon seit Jahren in einigen Räumen diese Heizung in Betrieb und war begeistert davon. "Meinst du diese Heizungsart kann den gesamten Raum warm bekommen?" warf Evi zweifelnd ein. "Klar, vertrau mir." Gigi bestellte noch an diesem Abend zwei 60x60cm kleine Infrarot-Heizkörper aus Keramik im Internet. Diese konnte man an der Wand befestigen oder mobil auf Standfüße stellen, für insgesamt siebzig Euro, um die Zweifler zu überzeugen. Zwei Tage später wurden die Teile geliefert und Gigi stellte sie am Abend, als die anderen beiden zu Hause waren, in einem der Gästezimmer auf. Evi und Andri wurden auf zwei Stühle mitten im Raum deponiert und spürten schon wenige Minuten nach dem Einschalten der Heizkörper die wärmenden Strahlen. Schnell war der ca. 25 qm große Raum angenehm erwärmt, mit der Energie, die man für die Ausleuchtung eines Raumes mit sechs 100 Watt Glühbirnen benötigen würde. "Oh Mann das hätte ich nicht gedacht! So machen wir das." rief Evi begeistert.

Die nächsten Tage verbrachten die drei damit den Unrat, der sich im Laufe der Zeit in dem Gewölbekeller angesammelt hatte, nach oben zu schleppen und im Garten auf dem Gerümpelplatz abzustellen. Der Boden war Gott sei Dank mit roten Pflastersteinen belegt und entpuppte sich nach gründlicher Reinigung, mit dem Hochdruckreiniger als wunderschöner, rustikaler Hingucker. Die Wände und die Decke waren mit Spinnenweben und Staub bedeckt. Sie hatten zu dritt, zwei Tage damit zu tun diese zu entfernen. Die Freude am sauberen Keller dauerte nicht lange. Meggy meldete sich: "Hallo, na ihr drei, wie weit seid ihr? Eure Treppe kommt am Wochenende. Aleksej und Pijotr haben die bereits ausgebaut. Ihr könnt die alte schon mal abreißen." Am folgenden Samstag fuhr ein kleiner LKW in den Hof. Darauf lag eine wunderschön gearbeitete, etwas angerostete Wendeltreppe. Zu fünft hievten sie die drei Einzelteile vom LKW und schafften diese in den Keller. "Na ihr, da habt ihr aber ganze Arbeit geleistet." meinte Pijotr, stemmte die Hände in seine Hüften und betrachtete das Loch in der Decke, wo die alte Holztreppe zwei Tage zuvor noch gestanden hatte. "Na dann mal los, packen wir es an!" meinte Aleksej, klopfte seinem Sohn auf die Schulter und spuckte in die Hände. Keine zwei Stunden später waren die drei Teile der Treppe zusammengesetzt und das Prachtstück stand an seinem Platz. Gigi hatte inzwischen für die beiden Männer Fleisch auf den kleinen, wackeligen Holzkohle-Grill gelegt und mittags schon Bier besorgt. "Was sind wir euch schuldig?" fragte Evi. "Ach macht euch mal keinen Kopf, für so drei schöne, im Moment zwar ziemlich schmutzige Damen, machen wir das umsonst. Aber nur wenn wir später, wenn alles fertig ist, ab und zu einmal auf ein Bier vorbei kommen dürfen und etwas leckeres zu Essen bekommen". sagte Piotr und grinste von einem Ohr zum anderen. Durch diese Treppe ersparten die drei Schwestern sich zusätzliche Sanitäranlagen im Keller. Die Gäste konnten auf diese Weise sicher nach oben gelangen, um dort die Gäste-Toiletten zu benutzen. Gigi verbrachte die nächsten Tage damit, die Treppe vom Rost zu befreien, zu grundieren und antik-grün zu streichen. Die kleinen filigranen Röschen und Blätter, die kunstvoll daran angebracht waren, bepinselte sie in akribischer Kleinstarbeit mit Goldlack. Evi war begeistert. Die Treppe war wirklich ein Hingucker geworden. Günstige Lounge-Möbel aus Poly-Rattan, die sowohl draußen als auch drinnen zu verwenden waren, hatten sich schnell im Internet gefunden. Die Bar, die oben nicht mehr gebraucht wurde, wurde abgebaut und unten wieder aufgestellt. Deren alte Holzverkleidung wurde kurzerhand mit den Scherben des zu Bruch gegangenen Garderobenspiegels beklebt. So bekam das alte Teil einen modernen Look. Der Sommer kam und die Vermieter auf Besuch. Sie waren begeistert von den bisherigen Veränderungen. Vor allem Evis neues Reich hatte es ihnen angetan. Der Mix aus modernen und vintage Elementen und rustikalem Umfeld war einzigartig. Wie die Treppe und der Kontrast der gemütlichen Loungesessel und Sofas, zu den rohen Felswänden. Ebenso der außergewöhnliche, rustikale Bodenbelag aus roten Pflastersteinen. Für die Wände hatte Evi LED-Leuchten gekauft, die wie große Fackeln aussahen und ein warmes, gemütliches Licht abgaben. Die Schwestern waren stolz auf ihr bisheriges Werk und hatten immer noch über 60 000 Euro in der Kasse.

An jedem Vollmond, wenn der Himmel wolkenlos war, gingen die drei Schwestern nachts mit einer Flasche Rotwein auf die kleine Waldlichtung. Sie besuchten das Universum und baten es jedes mal um weitere Unterstützung und bedankten sich für das Glück, das ihnen bis jetzt geschenkt worden war. Es gab nicht immer nur Harmonie bei dem Dreigestirn. Evi machte sich immer rarer auf der Baustelle nachdem "ihr Reich" fertiggestellt war. Gigi als „große Schwester“ stellte sie eines abends, als sie mal wieder sehr spät nach Hause kam, zur Rede. "Evi sag mal, was ist los mit dir? Seitdem deine Kneipe fertig ist, sieht man dich hier nur noch zum schlafen. Wir wollten doch alles gemeinsam machen! Jetzt lässt du uns mit dem Rest alleine? Das finden Andri und ich nicht fair. Ich weiß, dass du durch deinen Betreuungsjob keine festen Arbeitszeiten hast, aber ein bisschen mehr Engagement wünschen wir uns schon. Bitte erkläre mir dein Verhalten, ich möchte es verstehen." Evi begann herum zu drucksen. "Ja Gigi weißt du, mir ist da etwas dummes passiert." sagte Evi und blickte zu Boden. "Ich habe mich wieder verliebt." „Oha, das ist ja mal eine Neuigkeit. Da hast du es ja ohne Mann nicht lange ausgehalten. Kenne ich ihn?" fragte Gigi und glaubte die Antwort schon zu kennen. "Pijotr!" platzte es aus Evi heraus. Sie schien fast ein bisschen erleichtert zu sein ihr Geheimnis preis geben zu haben.

"Das habe ich mir schon gedacht, dass du dem schönen Mann nicht widerstehen kannst. Du weißt schon, dass der mindestens 12 Jahre jünger ist als? Hast du ihm gesagt, dass du schon über fünfzig bist?" fragte Gigi misstrauisch. Sie kannte ihre Schwester. "Nein noch nicht." gab Evi kleinlaut zu. "Das solltest du klären um Enttäuschungen auf beiden Seiten zu vermeiden." riet Gigi ihr. "Du hast Recht wie immer. Aber ich hatte sowieso keine festen Absichten. Ich brauche nur mal wieder ein paar starke Arme und Anerkennung als Frau. Morgen werde ich ihm reinen Wein einschenken." "Ja tu das und ich bitte dich, hier wieder mit zu helfen. Ich habe heute 300 qm Laminat und Trittschalldämmung bestellt, das verlegt werden muss. Wir müssen auch noch die restlichen Zimmer fertig machen. Ich möchte nicht noch ein Jahr auf einer Baustelle leben." sagte Gigi. Evi nickte und umarmte ihre Schwester. "Danke, dass du mich so ehrlich auf alles angesprochen hast, mein Verhalten tut mir leid, entschuldige bitte." Am nächsten Tag hatte sie Pijotr im Schlepptau. "Guten Abend." sagte Pijotr freundlich. Gigi und Andri saßen am Abendbrottisch und baten ihn, sich doch zu setzen. "Evi hat mir erzählt ihr hättet beide Probleme damit, dass wir zusammen sind und der Altersunterschied euch Sorgen macht. Sie hat mir heute gesagt wie alt sie ist. Das ist für mich überhaupt kein Problem. Evi ist eine tolle, attraktive Frau. Das Alter spielt überhaupt keine Rolle für mich. Ich habe gesehen, dass ihr draußen so einiges Laminat liegen habt. Wo soll das hin?" beendete Pijotr seine Ansprache und schaute fragend in die Runde. "In den ersten Stock." sagte Evi. Pijotr stand auf und schleppte das Laminat nach oben. "Habt ihr jemanden, der euch das verlegt?" fragte er anschließend."Das macht Gigi, die hat das schon öfter gemacht." meinte Andri. "Wenn ihr bis zum Wochenende Zeit habt helfe ich euch, wenn ich anschließend etwas Leckeres zu essen bekomme. Unterdessen könnt ihr schon mal den alten Teppichboden herausreißen und aus den Fenstern in den Garten werfen. Aber jetzt muss ich wieder los." sagte Pijotr, hob die Hand zum Gruß, drückte Evi einen Kuss auf die Wange, drehte sich um und verschwand durch die Eingangstür. "Na seht ihr, es ist doch nicht so schlecht, dass ich mit ihm angebandelt habe." sagte Evi und grinste. "Ach Evi. Der macht sich doch dann noch Hoffnung, dass mehr aus euch wird. Wir wollten doch ohne Männer klarkommen." warf Gigi ein. Pijotr hatte Andri und Gigi mit seinem Auftritt etwas überrumpelt. Evi machte ein nachdenkliches Gesicht. "Vielleicht habt ihr Recht. Ich werde darüber nachdenken und mit Pijotr reden." versprach sie. Am nächsten Morgen, als Andri und Evi zur Arbeit fuhren, begann Gigi mit dem Entfernen des alten Teppichbodens. Gegen Mittag läutete ihr Handy. "Hallo Gigi, wie geht es dir?" ihre Freundin Beate war am Apparat. Von ihr hatte sie schon fast zwei Jahre nichts mehr gehört. Seitdem Beates Mann zu Hause war, verlangte er Rundum-Entertainment und Full-Service von seiner Frau. Auch ließ er sie keinen Moment aus den Augen. "Ach viel Arbeit." meinte Gigi und erzählte was seit ihrem letzten Kontakt alles passiert war. „Ihr seid ja verrückt, aber ihr habt genau das Richtige gemacht. Ich wollte ich hätte den gleichen Mut wie ihr. Mein Mann wird immer fauler und sein Bauch immer dicker. Er lässt sich bedienen wie ein Pascha. Ich kann keinen Schritt ohne ihn machen. Seine Eifersucht ist unerträglich.“ jammerte sie. „Tja glaub nur nicht, dass er das aus Liebe tut. Er hat nur Angst, dass der Service wegfällt, wenn du die Schnauze voll hast und ihn sitzen lässt. Komm uns doch einfach mal besuchen. Vielleicht bekommst du Lust und ziehst auch in unser Haus ein.“ erwiderte Gigi. "Ach wenn ich eich besuche, will mein Alter wieder mit und verrät dann sicher euren Männern wo ihr seid." sagte Beate resigniert. „Sag ihm einfach du musst zum Frauenarzt. Dass du dort immer lange warten musst und nicht genau weißt wie lange das dauert.“ stachelte Gigi ihre Freundin an. „Gute Idee, das werde ich versuchen. Ich melde mich wieder bei dir.“ versprach Beate und legte auf. Gigi kannte Beate seit ihrer gemeinsamen Schulzeit. Sie hatten schon vor einigen Jahren darüber geredet eine Frauen WG zu gründen. Beate hatte zwei erwachsene Kinder und eine behinderte Tochter, die unter der Woche in einem Heim untergebracht war. Beate hatte schon oft gesagt, dass sie wenn das Mädel nicht wäre, schon längst ihre Sachen gepackt hätte. Evi hatte mit Pijotr geredet und der meinte er würde gerne helfen, wenn er Zeit hätte. Also kam er am Samstag mit seinem Werkzeug. Gigi, Andri und Evi hatten im Laufe der Woche schon die Trittschalldämmung verlegt. Sonntagabend waren alle Zimmer und der Flur im ersten Stock fertig. Nun konnten die Frauen bald ihre eigenen Reiche beziehen und mussten nicht mehr gemeinsam in einem Raum schlafen. Im Internet waren auch schnell die passenden Möbel bestellt, geliefert und aufgebaut. Jetzt hatte jede der Frauen ein schönes, großes Wohnzimmer und ein kleines, modernes Schlafzimmer mit Balkon sowie ein eigenes Bad. Ein weiteres Stück Freiheit und Lebensqualität für jede der drei Schwestern. Jetzt standen noch vier große und vier kleine Zimmer mit Bad leer. Gigi hatte von Meggy erfahren, dass ihr Mann Werner einen Autounfall unter Alkoholeinfluss hatte und in der Klinik lag. Er hatte wohl noch einmal Glück im Unglück gehabt und nur leichte Verletzungen davongetragen. Das Auto, das er sich vor einem Monat gekauft hatte, war nun Schrott. Sein Führerschein war wohl auch weg. Gigi konnte kein Mitleid mehr mit ihm haben. Ihr Mann hatte sich seine Situation selbst zuzuschreiben. Er würde aber auch dieses Mal nichts daraus lernen und sich selbst wieder als Opfer sehen. Sie war froh dieses Kapitel in ihrem Leben endlich hinter sich gelassen zu haben. Glücklich sein war jetzt ihr Ziel für die letzten paar Jahre ihres Lebens. Sie würde jeden Tag das Leben genießen und nur noch das tun was ihr Spaß macht. Andris Scheidung ging voran und das Trennungsjahr war auch bald vorbei. Ihr gemeinsames Haus sollte verkauft werden, sodass sie eine Menge Geld aus dem Verkauf zu erwarten hatte. Gigis Freundin Beate, hatte sich tatsächlich von zu Hause wegschleichen können und war begeistert vom "Haus der alten Schachteln." Es war Andris Idee gewesen ein großes Holzschild mit diesem Namen zu bemalen und es an der Einfahrt des Anwesens aufzustellen. Beate bezog nun auch eigene Rente. Für sie war das ein Segen. Nun musste sie ihren geizigen Mann nicht mehr um jeden Cent anbetteln, wenn sie sich etwas kaufen wollte. Nachdem Gigi ihr die Räume im Obergeschoss gezeigt hatte meinte Beate traurig: „Ach weißt du Gigi, wenn meine kranke Tochter nicht wäre, ich wäre sofort bei euch." Am Abend, als die drei Frauen wieder am Esstisch saßen, erzählte Gigi von Beates Besuch. „Hey" meinte Evi. „Ich habe eine geniale Idee! Wie wäre es, wenn wir die restlichen Zimmer an weitere alte Schachteln vermieten? So hätten wir noch mehr Spaß und lustige Gesellschaft obendrein. Ebenso eine zusätzliche Einnahmequelle.“ Am nächsten Morgen verabredete sich Gigi ein zweites Mal mit Beate.

Das Tass(ch)enbuch Nr.1

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