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BLÖDES HERZ

EMMA

Liebe war definitiv nichts für Feiglinge …

Das Herz sprang einem aus dem Leib, man schwitzte wie ein Schwein und glotzte wie ein Kalb. Die Menschen laberten was von Schmetterlingen im Bauch und glaubten sterben zu müssen, wenn sie sich mal eine Minute nicht sahen. Sie stierten sich ständig in die Augen und dabei kribbelte es zwischen ihren Beinen.

Und genau dieses Kribbeln war der Beweis dafür, dass alles rein körperlich war! Die pure Biologie!

Und trotzdem bastelten die Irren um die naturbedingten Hormonexplosionen herum herzzerreißende Liebesschwüre, schrieben Liebesbriefe in Schönschrift und feierten Mammut-Hochzeiten. Sie glotzten sich bei Kerzenschein in die Augen und schworen sich ewige Treue.

Dann kam das böse Erwachen. Das verstaubte Parkett wurde von stinkenden Socken übersät und die Kerle suchten sich eine Jüngere. Stress, Tränen, Scheidung. Und dann saß man da, allein mit drei schreienden Kindern, und wusste nicht, wie man die satt bekommen sollte.

Das war nicht lustig.

Darum fragte ich mich, warum ich blöde Kuh ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich nach diesem Wochenende in den Flieger Richtung Heimat stieg. Die Turbinen dröhnten schon und die Flughafenmitarbeiter führten die letzten Checks durch. Noch konnte ich umkehren, aber das würde ich schön sein lassen.

„Herzlich Willkommen an Bord, Miss. Nach links, bitte”, begrüßte mich eine Stewardess, die mich mit ihrem langen, dunklen Haar und der rotbraunen Haut an die Indianerin Aponi erinnerte.

Ich rannte zu meinem Platz und schnallte mich sofort an. Ich wollte nicht zum Fenster rausgucken, doch ich konnte nicht anders.

Trat Jacob gerade vor dem Flughafen von einem großen Fuß auf den anderen und guckte alle zwei Sekunden auf die Uhr, um mich mit auf sein Schloss zu nehmen und mich bis in alle Ewigkeit zu lieben?

Fragte er sich, was er falsch gemacht hatte, weil er vergeblich wartete? Fühlte er sich verlassen und verarscht? Fühlte er einen Stich der Trauer in seinem Herzen?

Wohl kaum.

Klar, würde er mich mitnehmen. Mit mir ein paar Tage verbringen. Vielleicht sogar das nächste Wochenende. Wir würden Tag und Nacht vögeln. Solange bis wir das Kamasutra durchgeturnt hatten. Vielleicht würden wir manche Stellungen auch zwei- oder dreimal probieren. An manchen Tagen wären es aber auch zehn Stellungen, weil neuneinhalb davon schon im Ansatz zu Knochenbrüchen führten. Kurz: Letztendlich war kein Kamasutra so dick wie ein Schwanz. Am Ende würde der großartige Jacob Dean Morgan mich abschießen und vergessen - so wie all die anderen Weiber vor mir!

Ich schniefte die verdammten Tränen in die Serviette, die eigentlich dafür da war, den Mund zu reinigen, nachdem man den Kotzbeutel benutzt hatte.

Dachte ich echt, Jacob würde es ernst mit mir meinen? Wir kannten uns seit drei Tagen, wobei von wirklichem Kennen ja wohl kaum die Rede sein konnte. Ich kannte ihn jedoch genug durchschaut, um zu wissen, dass der Mann einfach nicht der Typ für eine feste Beziehung war. Hey, der mietete sich Callgirls, um seine Freunde zu beeindrucken. Wie krank war das denn?

Dumme Emma! Der Typ hat dir wohl das Hirn rausgevögelt.

Genau diese Worte würden meine echten Freunde für mich finden und darum blieb mein Arsch hübsch auf dem Fensterplatz sitzen.

Mein Leben war ein einziges Trümmerfeld. Wenn ich gewusst hätte, dass das hier erst der Anfang war, hätte ich mir die Bedienungsanleitung für den Notausgang durchgelesen - und wäre auf 10.000 Metern über den Wolken ausgestiegen.


„Wenn du gleich Feierabend machst, Emma, nimm den Müll mit raus“, sagte Mrs. Petersen.

Obwohl Mrs. Petersen als Büchereidrache bekannt war, machte es mich beinahe glücklich, sie zu sehen und ihr liebliches Keifstimmchen zu hören. Ich freute mich sogar, ihren Müll mit raus nehmen zu dürfen, denn es tat einfach gut, wieder im Alltag angekommen zu sein.

Im Nachhinein besehen war das hinter mir liegende Wochenende das Schlimmste meines gesamten bisherigen Lebens. Schlimmer noch als mein erstes Mal. Es hatte mich vollkommen durchgerüttelt, und zwar in jeder Hinsicht.

Aber ich wollte nicht klagen. Tina hatte jetzt das Geld für die Abtreibung zusammen und unsere Miete war gesichert. Insofern hatte ich absolut richtig gehandelt. Im Grunde genommen hatte ich ja auch keine andere Wahl gehabt. Es sei denn, ich hätte meine Freundin hängen lassen wollen, aber so war ich nun mal nicht gestrickt.

Jetzt musste ich nur noch Jacob vergessen. Aber dabei half mir ja der Alltag.

Ich ging ins Kabuff, wo die Kaffeemaschine stand, die die studentischen Hilfskräfte nicht benutzen durften, und schnappte mir den Müllbeutel.

Seit Anfang dieser Woche war es mir nicht mehr peinlich, damit durchs Foyer zu spazieren, an Hunderten von Studenten und Professoren vorbei. Ich hätte den Müll auch in den Container im Hinterhof bringen können, aber der war ab Mitte der Woche immer schon voll. Darum stopfte ich ihn in den Papierkorb, der vor der Bibliothek stand, und hielt nach meinem besten Freund Ausschau. Er sollte eigentlich schon hier auf mich warten.

Verdammt, Ron! Wo bleibst du denn?

Das Master-Kolloquium begann in fünf Minuten und wir brauchten von hier aus genau fünf Minuten zum Seminarraum. Es war also sowieso alles schon total knapp.

Ich schaute auf dem Handy nach, ob ich eine Nachricht verpasst hatte. Wuäääh … Ich hatte Tausende verpasst, doch die stammten alle von Jacob, weshalb ich sie auf einen Schlag entsorgte. Weg damit. Oh ja, ich wollte sie wirklich alle unwiederbringlich löschen, auch wenn sich dieser Vorgang nicht rückgängig machen ließ. Danke der Nachfrage, liebes Handy.

Jetzt waren meine verpassten Nachrichten weg, doch Ron war immer noch nicht da. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die dummen Tränen runter zu schlucken und allein loszugehen.

Mein Alltag, der mich eigentlich beruhigen sollte, fing echt wunderbar an. Gestern schon war Ron eine halbe Stunde zu spät in die Uni gekommen. Vorgestern hatte er mich ganz versetzt. Irgendetwas stimmte da nicht, aber bisher wollte Ron nichts davon wissen.

Als ich das Seminargebäude betrat, war mein Freund immer noch nicht da. Dafür grinste mir Michael, der Blödmann Nr. 1, entgegen.

„Hey-Ho, Emma. Hast du deinen Kopf in Farbe getunkt?“

„Du bleibst einfach immer auf dem Stand eines Elfjährigen, Michael“, entgegnete ich auf das missglückte Kompliment zu meiner aufgehellten Haarfarbe, und setzte mich auf einen der sechs Plätze, die es in diesem Seminarraum leider nur gab.

Mein feinfühliger Studienkollege pflanzte sich natürlich direkt neben mich.

Es war mir schleierhaft, wie der Penner es bis zum Ende des Studiums geschafft hatte. Und ich fürchtete fast, dass er für seine Masterarbeit die Bestnote kassieren würde, während ich wieder mal nur die Zweite war.

Wenigstens kam Ron endlich zur Tür rein gerast.

Aber was war denn mit dem los?

Die sonst stets supergepflegten, roten Haare bildeten ein einziges zerrupftes Entennest. Und erst Rons Haut. Die glich sowieso schon einem Kalkeimer, wenn Ron nicht gerade erregt und deswegen schweinchenrosa war, aber heute sah er aus wie Hui-Buh, das leibhaftige Schlossgespenst.

„Ron! Was ist los?“

Mein Freund ließ sich schwer auf den Holzstuhl zu meiner Rechten fallen. Er seufzte und nickte in Richtung der Tür, durch die soeben Professor Kentwell trat.

„Nachher“, wisperte er und schniefte demonstrativ hinter vorgehaltener Hand.

Oje. Das klang ja furchtbar. Ich schämte mich ein bisschen, als ich dachte, dass der ganze Ärger und Kummer in meinem Alltag auch ein Gutes hatte. Er lenkte mich auf jeden Fall von Jacob ab.

Die Frage war nur, wann die abschreckende Wirkung endlich einsetzen würde.

Während Professor Kentwell einen Vortrag darüber hielt, wie wichtig die Rechtschreibung in Abschlussarbeiten war, und welchen enormen Einfluss eine gute Ausdrucksweise in derselben Abschlussarbeit auf die Note hatte, vibrierte mein Handy alle paar Minuten.

„Du solltest es dir zwischen die Beine klemmen“, zischte Ron mir zu.

„Zu den juckenden Stoppeln, die ich dir und deinem Waxing zu verdanken habe?“, zischte ich zurück und drückte den eingehenden Anruf weg.

„Du könntest längst gekommen sein.”

„Blödmann.”

„Also ich finde, dass dein Indianer sich ziemlich viel Mühe mit deinem Sexleben gibt.“

Ich drückte den nächsten Anruf weg und wisperte: „Dir scheint es ja wieder besser zu gehen.”

„Von wegen. Aber wenn Pfirsich-Jacob mit Orgasmus-Garantie dir wirklich egal ist, dann verstehe ich nicht, warum du dein Handy nicht ausschaltest. Und wieso hat der überhaupt deine Nummer? Tina?“

Ich nickte mit bösem Blick.

„Könnten Sie beide ihre Privatgespräche eventuell auf die Zeit nach Studienabschluss verschieben? Bis dahin brauchen Sie nämlich alle Gehirnzellen für das Studium. Besonders Sie beide.“

„Verzeihung, Professor Kentwell“, sagte ich beschämt. Im selben Moment traf ich eine Entscheidung.

„Ich besorge mir noch heute eine neue Handy-Nummer. Ich schwöre, bei unserer Freundschaft”, flüsterte ich Ron zu.

„Gute Idee. Und wenn du schon bei den Neu-Anschaffungen bist, besorg dir auch gleich noch ein neues Herz.”

Ich nickte. Ein neues Herz war wirklich dringend erforderlich, denn in dem, das momentan in meiner Brust herumjaulte, war Jacob drin.

Bei Anruf Callgirl

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