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WORKAHOLIC

JACOB

Das Gute an Melanie war ihre absolute Loyalität. Obendrein war sie helle im Köpfchen und sie sah fantastisch aus. Ganz gleich, wo sie auftauchte, die bewundernden Blicke der Männer waren ihr gewiss. Ihre offensichtlichen positiven Eigenschaften öffneten ihr Tür und Tor. Besonders die Kerle waren gern bereit, sich von ihr ansprechen und ausfragen zu lassen.

Außerdem hatte sie eine unglaubliche Beobachtungsgabe. Ich legte großen Wert auf Melanies Urteil, denn in 99 Prozent aller Fälle traf sie damit voll ins Schwarze. Darum hatte ich sie auf diesem Trip mitgenommen, anstatt mich von einer heißen Lady vom Escort begleiten zu lassen.

Außerdem vertraute ich ihr zu 100 Prozent.

„Deine Augen sind so blutrot, als hättest du mal wieder die ganze Nacht gearbeitet - oder gesoffen. Vermutlich beides. Du solltest eine Sonnenbrille aufsetzen, um keine Kinder oder alte Damen zu erschrecken“, empfing sie mich in der Hotel-Lobby, noch bevor sie mir einen guten Morgen wünschte.

Tja, Melanies großartige Beobachtungsgabe hatte auch Nachteile.

Zumal in ihrer Bemerkung das Wort Brille vorkam, das seit einiger Zeit für mein Gehirn mit einer gewissen Frau verbunden und für mich zum Unwort des Jahres aufgestiegen war.

„Lass uns sofort durchstarten“, entgegnete ich und schob sie durch die Drehtür. Ich würde mich nicht vor ihr rechtfertigen. Ich arbeitete und trank so viel wie ich wollte, und nicht so wenig wie gut für mich war. Da ließ ich mir von niemandem reinreden. Nicht mal von meiner großartigen Assistentin, die im Übrigen das Gehalt eines Vorstandsvorsitzenden kassierte. Sie hatte jeden einzelnen Cent verdient, aber ich konnte auch verlangen, dass sie ihren Röntgenblick auf andere Objekte richtete als auf ihren Boss.

Kindern und alten Damen begegneten wir an diesem Tag sowieso nicht.

„Taxi, Sir?“, fragte einer der beiden Hotelpagen, die links und rechts vom Eingang des Luxushotels standen.

Ich nickte und der Angestellte im Livree schoss auf das nächste Yellow Cab zu, das am Straßenrand vor dem Hotel auf Gäste wartete, und hielt Melanie und mir die Tür auf.

„Zum Javits Convention Center, bitte“, sagte ich zu dem schwarzen Fahrer.


Das Taxi quälte sich durch Midtown Manhattan und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, seit wir gestern in New York angekommen waren, in welchem Stadtteil wohl Emma wohnte. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass es entweder Brooklyn oder die Bronx sein musste, denn welche Orte konnte eine Studentin sich sonst leisten?

Dass Emma reiche Eltern hatte, die sie mit einem hübschen Apartment in Manhattan pamperten, konnte ich ausschließen. In dem Fall hätte sie sicher keinen Job für eine vom Magen-Darm-Virus gebeutelte Freundin übernehmen müssen. Dann hätte sie Daddy angerufen und ihm die Kohle aus der Tasche geleiert, die sie und ihre ans Klo gefesselte Freundin so dringend brauchten. Wenn ausgerechnet ein Mädel wie Emma das Callgirl gab, konnte es nur am Geldmangel liegen.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte ich bloß ihre Freundin, von der ich die Telefonnummer hatte, und die mir bereitwillig Emmas Nummer gegeben hatte, nach der Adresse zu fragen brauchen. Noch drei Monate nach dem letzten meiner zahlreichen peinlichen Hinterlassenschaften auf Emmas AB, konnte ich die Nummer im Schlaf aufsagen. Leider galt die Ziffernfolge seitdem nicht mehr.

Ich hätte die Universitäten abklappern können, um Emma zu finden, oder einen Privatdetektiv einschalten. Meine alten Freunde hatten mir das empfohlen. Als wäre ich nicht selbst auf diese Ideen gekommen. Aber wenn jemand sogar seine Nummer wechselt, um einen loszuwerden, war das ein Zeichen. Eins, das leider ziemlich an mir nagte.

Na, super. Mein Ablenkungsmanöver funktionierte ja ganz toll. Ich war in dieser Stadt, um zu arbeiten und somit nie wieder an den kleinen Tollpatsch zu denken, der mich eiskalt hatte abblitzen lassen.

Dabei hatte ich in diesem Jahr eigentlich schon im Indian Summer mit der Arbeit abgeschlossen gehabt. Der letzte Deal mit Larry Henderson allein hatte Millionen eingebracht. Doch ich kannte keine bessere Möglichkeit, um meine Gedanken in produktive Bahnen zu lenken. Wenn ich im Geld zu ersaufen drohte, konnte ich es immer noch für einen guten Zweck spenden.

Je länger ich in New York war, desto klarer wurde mir, dass es besser gewesen wäre, mir Christian Bailey an einem anderen Ort anzusehen. Zwölf Wochen war die Season of Peaches nun her. Doch wohin ich auch guckte, ich sah eine Blondine mit Eieruhrfigur, pinken Glitzerklamotten und einer enormen Brille auf der Nase. Wenn das so weiterging, war ich bald reif für die Klapse.

Aber jetzt war ich hier. Und um Bailey anderswo zu treffen, hätte ich einen Termin mit ihm ausmachen müssen, und das wollte ich nicht. Noch nicht. Noch wollte ich ihn beobachten, wenn er sich unbeobachtet und somit sicher fühlte.

Wir hatten unser Ziel erreicht.

Der Fahrer reihte sein Yellow Cab in die lange Taxi-Schlange vor dem vollständig verglasten Messe-Zentrum ein, das mich auch schon wieder an eine Brille erinnerte. Ich schüttelte den Kopf über mich selbst, zahlte, gab dem Mann ein großzügiges Trinkgeld und machte mich mit Melanie auf den Weg, um die Konkurrenz auszukundschaften.


Es war genau so, wie ich es mir gedacht hatte: Der Australier war mit der gesamten Konkurrenz im Gespräch. Er wollte unbedingt eine Fusion mit einem amerikanischen Unternehmen, und ich wollte unbedingt derjenige sein, der mit ihm zusammen ging, um die weltweite Marktführerschaft im Bereich der Landmaschinen zu übernehmen.

Allein bei dem Gedanken an einen Gott neben mir hätte ich kotzen können. Aber es war nun einmal unbestritten, dass es eindeutig besser war für die Geschäfte, wenn man sich den anderen Gott ins Boot holte, denn nur so hatte man ihn unter Kontrolle. Andernfalls konnte es leicht passieren, dass irgendein Halbgott durch diese Fusion zum Gott aufstieg und ich demnächst im Suppentopf schmorte, während die bösen Geister um mich herumtanzten.

„Das müssen wir aber ganz geschickt vorbereiten“, meinte Melanie, nachdem wir Baileys Treiben auf der Messe hinreichend beobachtet hatten.

Meine großartige Assistentin sprach mir aus der Seele und ich nickte ihr über meinen doppelten Espresso hinweg zu.

Sie hatte sich einen Latte Macchiato bestellt und gönnte sich einen Brownie, von dem sie sich genüsslich ein großes Stück zwischen die Lippen schob. Melanies üppiger Mund bewegte sich mampfend und ich fragte mich, warum mich diese Lippen eigentlich nicht reizten.

„Stell dir vor. Ihr beide auf dem Cover des Forbes Magazine.”

Das hatte ich mir bereits vorgestellt. So ganz konnte ich mich mit dem Gedanken allerdings noch nicht anfreunden. Wie gesagt: Gott neben Gott. Aber auch wie gesagt: Ich hatte leider keine Wahl. Entweder fressen oder gefressen werden. Das waren die Regeln im Business. Ich wollte keinesfalls gefressen werden. Und um in Rente zu gehen, war ich ein wenig zu jung. Außerdem hatte ich Verantwortung meinen Mitarbeitern gegenüber.

„Oh, wow!”, riss Melanie mich schwärmerisch aus meinen Gedanken. „Du mit deinem wilden Charme und Christian Bailey, der sexy australische Surferboy, an deiner Seite. Da bekommt nicht nur die gesamte Geschäftswelt ein feuchtes Höschen. Sogar ich würde mit euch beiden in den Heuschober abschieben. Eine Ménage à trois. Das ist bestimmt sogar noch besser als dieser wirklich supersupersupertolle Brownie.“

Wie bitte? Was waren das für Worte von meiner seriösen Assistentin?

Ich tat, als hätte ich sie nicht gehört. Und so toll sah Bailey nun auch wieder nicht aus. Er war ein Modeltyp, aber von der Sorte Lackaffe. Deswegen hatte ich so wenig Bock auf diese Fusion. Ich würde nochmal eingehend mit mir ins Gericht ziehen. Vielleicht fiel mir ja eine andere Lösung ein, um Bailey auszuknocken.

Allerdings gingen mir Melanies Worte nicht aus dem Kopf. All die Jahre hatte ich den besten Sex gehabt, den man sich denken konnte. Und dann kam Emma und setzte dem Ganzen noch das Krönchen auf. Um nicht zu sagen die Krone. Und was war seither los? Nichts als heiße Luft. So ging das nicht weiter! Das Teil in meiner Hose starb mir noch ab. Soweit sollte es nicht kommen. Es musste endlich Schluss sein mit der Lustlosigkeit. Mann, es gab doch noch andere schöne Frauen auf der Welt.

„Hey, was soll das, Jacob?“

Melanies Augen wurden immer größer, als ich sie durch das Gate am JFK Airport schob.

„Ich komme in ein paar Tagen nach Hause. Sag in der Firma Bescheid und sag den anderen, dass wir vorerst alles tun werden, um mit Bailey zu fusionieren - es sei denn, wir finden einen anderen Ausweg aus dem Schlamassel“, rief ich ihr zu. Ich befand mich bereits auf dem Rückzug.

„Aber was willst du denn noch in New York?“, schrie Melanie aufgebracht. „Hat es etwas mit diesem Mädchen zu tun, mit dem du die Season of Peaches gewonnen hast?“

Oh, ja, das hatte es. Aber das würde ich wohl kaum meiner Assistentin auf die Nase binden. Außerdem hatte ich sowieso ganz etwas anderes vor, als Melanie es sich in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hätte. Mir war da nämlich eine Idee gekommen und ich sagte nur eins: Konfrontationstherapie!

Bei Anruf Callgirl

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