Читать книгу Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern - Damon Korb - Страница 10

Оглавление

KAPITEL 2

Die 5 Schritte zur Eigenständigkeit eines Kindes

Schritt 1: Sei beständig

Egal welches Buch Sie lesen, oder an welche Erziehungsphilosophie Sie sich halten, ein übergreifendes Prinzip guter Erziehung ist Beständigkeit. Erziehen ist Unterrichten. Und jeder Lehrer kann Ihnen erklären, dass wiederholendes Lernen funktioniert. Übung macht den Meister … naja, bei Kindern fast den Meister. Übung ist wichtig, ob beim Laufenlernen, Schreiben, Basketballwerfen oder Benehmen. Die sanfte Unterstützung Ihres Kindes und positives Feedback, wenn es eigenständig Fortschritte macht, legen das Fundament guten Benehmens. Mit einer beständigen Erziehung lernen Kinder Schritt für Schritt, was erwartet wird, und sich zu benehmen. Beständig und konsequent zu sein, bildet das Fundament für alle anderen Schritte, um ein eigenständiges Kind großzuziehen. Die fünf Schritte funktionieren nur, wenn sie konsequent durchgeführt werden.

Alex wurde in einem russischen Waisenhaus geboren und im Alter von zehn Monaten von seiner Familie adoptiert. Seine Eltern berichteten, dass sein erstes Jahr mit ihnen extrem schwierig war. Sie erzählten, dass er fast nie mehr als drei Stunden am Stück schlief. Die einzige Möglichkeit, ihn zum Schlafen zu bringen, bestand darin, ihn entweder zu halten oder in einen Autositz auf einer Waschmaschine zu setzen, bis ihn die Vibration beruhigte. Als Kleinkind bekam er regelmäßig Wutanfälle, manche dauerten Stunden. Im Kindergartenalter war er extrem impulsiv, sodass er aus drei Kindergärten flog. Und in der Grundschule wurde Alex regelmäßig zum Schulleiter geschickt. Es gab Zeiten, in denen seine Eltern wöchentlich von Lehrern aufgrund seines störenden Verhaltens angerufen wurden.

Wahrscheinlich hatte das Chaos in dem Waisenhaus Alex’ Leben langfristig beeinträchtigt. Aber nun zu den guten Nachrichten. Alex’ Eltern waren besonders geduldig, liebevoll und konsequent. Mit regelmäßigen Mahlzeiten und tröstenden Umarmungen haben sie alle physischen und psychischen Bedürfnisse erfüllt. Hatte Alex wieder einen emotionalen Zusammenbruch, haben sie nie überreagiert. Und sie machten jegliche Schulwechsel so reibungslos wie nur irgend möglich, indem sie jede Schule vor der Einschreibung besichtigten. Alex ging in der Grundschule bis an das Limit, doch seine Eltern hielten fest an ihren Prinzipien, indem sie ihm die natürlichen Konsequenzen für sein Verhalten aufzeigten. Zusätzlich bereicherte die Familie Alex mit Kunst und Kultur. Sie lasen ihm jeden Abend vor. In der Oberstufe änderten sich die Dinge. Er kümmerte sich um seine Hausaufgaben und verwickelte sich nicht mehr in Schwierigkeiten. Er machte seinen Schulabschluss und ging auf ein Junior College. Dort erhielt er sehr gute Noten, sodass er für seine letzten zwei Jahre auf eine Elite-Universität wechseln konnte. Es hat lange gedauert, aber die beständige Erziehung hat sich für Alex ausgezahlt.

Berechenbarkeit beruhigt die meisten von uns, während Widersprüchlichkeit und Chaos Ängste verstärken. Tatsächlich kann intensiver oder chronischer Stress der Gehirnentwicklung schaden. Beständige Eltern sind berechenbar. Das beruhigt Kinder, sodass sie einfacher lernen können und besser vor Stress geschützt sind. Ein Kind konsequenter Eltern kann sich sicher sein, dass die eigenen Bedürfnisse erfüllt werden, und kennt die Grenzen des eigenen Verhaltens. Schließlich kann es damit rechnen, nach einem Regelbruch verbessert oder sachlich kritisiert zu werden. Umgekehrt wird das Kind für positives Verhalten konsequent gelobt. Für einen Säugling ist die beständige Erfüllung der Bedürfnisse beruhigend – und auch, wenn es schwer zu glauben ist – zu einem Jugendlichen „Nein“ zu sagen, kann auch eine beruhigende Wirkung haben.

Selbst ein beständig erzogenes Kind kann Schwierigkeiten haben, Regeln und Grenzen zu akzeptieren. Seien Sie geduldig. Denken Sie daran, dass organisiertes Denken ein komplexer Prozess ist. Folglich benötigt die Vermittlung von eigenständigen Fähigkeiten und Benehmen seine Zeit. Das Ziel liegt darin, ein Kind zu einem glücklichen und ausgeglichenen Erwachsenen zu erziehen und nicht unbedingt darin, ein „perfektes Kind“ zu haben. Denken Sie an all die Gelegenheiten, in denen Eltern stetig und zuverlässig sein können: Nähren des Kindes, Händehalten auf dem Parkplatz oder bei einer Straßenüberquerung, Einführen von Bett-Routinen, Limitierung der Fernseh-Zeit, eine feste „Nach-Hause-kommen-Zeit“ und die Betonung der Wichtigkeit von Bildung – nur um ein paar zu nennen. Es gibt so viele Möglichkeiten konsequenten Handelns, dass Eltern wachsam sein müssen. Sie wollen nicht bei einem Fehler ertappt werden und einen unerwünschten Präzedenzfall auslösen. Dieser könnte dann zu monatelangen Einreden führen (in einem typischen „das ist aber unfair“-Ton): „Aber letzte Woche durfte ich doch Fernsehen vor dem Abendessen schauen.“

Kurzsichtige Verhaltensweisen sind einfach für Eltern, denn kurzfristig mögen sie vielleicht funktionieren. Manche Eltern denken, dass Schreien und Versohlen zu schnellerem Gehorsam des Kindes führt. Aber diese Erziehungsweise hat Konsequenzen. Die Amerikanische Akademie für Pädiatrie empfiehlt, mit anderen Methoden zu reagieren. Studien zeigen, dass Prügel und andere physische Strafen ungeeignet sind, um das Verhalten von Kindern zu verändern. In erste Linie beängstigt dieses Verhalten Kinder und kann ihnen durch extremen Stress massiv schaden. Zweitens ist es schwierig diese gewaltsamen Verhaltensweisen mit Konsequenz zu begründen. Denn sie hängen stark von der Laune des Elternteils ab und geschehen meist spontan. Drittens kann Schreien zu einer neuen Schwelle für das Verhalten des Kindes werden. Der Verstand des Kindes missinterpretiert die Botschaft dann. In anderen Worten: Das Kind denkt vielleicht: „Ich muss den Fernseher nicht ausschalten, bis Mama schreit.“ Oder: „Ich kann schreiend durch das Haus rennen, bis Papa mich schlägt.“ Viertens ist Schlagen ein negatives Vorbild für aggressives Verhalten. Wenn die wichtigste Person im Leben eines Kindes schlägt, denkt es wahrscheinlich: „Hmm, Schlagen ist okay.“ Stattdessen ist eine beständige Annäherung langfristig der beste Weg, um Kindern Regeln zu vermitteln.

Die Prinzipien der Eltern begleiten das Kind ein Leben lang. Die Strategien für ein stabiles Umfeld hängen von der Entwicklungsphase ab. Eltern von Säuglingen müssen zum Beispiel jederzeit auf die physischen und emotionalen Bedürfnisse (z. B. Windelwechseln, Füttern sowie Umarmungen, um zu trösten) reagieren. Wenn ein Kind älter wird, müssen Eltern es beschützen und selbst in Zeiten der Frustration über das Verhalten des Kindes beständig reagieren. Inkonsequente Reaktionen und Überreaktionen verwirren das Kind, wenn es gerade die Konsequenzen und Grenzen des eigenen Verhaltens lernt. Eltern können vielmehr klare Regeln und plausible Erwartungen an das Kind festlegen. Und dieser Prozess muss auf dem Weg des Erwachsenwerdens stetig fortgeführt werden. Die Einführung von Routinen ist eine erste wichtige Strategie , um ein stabiles Umfeld zu erschaffen. In jedem folgenden Kapitel wird Ihnen eine Übersicht sowie Empfehlungen für die jeweilige Altersgruppe bereitgestellt: für Säuglinge, Kleinkinder, Kindergartenkinder, Schüler und Teenager.

Schritt 2: Führe Ordnung ein

Wenn man es herunterbricht, kann jede Aufgabe, jede Handlung auf eine Abfolge von Schritten reduziert werden. Jede Durchführung, egal wie groß oder klein sie ist, hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Mit anderen Worten: eine Vorbereitungsphase, eine Handlungsphase und eine Wiederherstellungsphase. Zur Essenszeit wird das Essen beispielsweise zunächst vorbereitet, dann serviert und gegessen und schließlich wird die Küche aufgeräumt. Beim Brettspielen wird ein Spiel aufgebaut, gespielt und schließlich weggeräumt. Das Konzept von Ordnung wird durch die Eltern immer wieder vermittelt. Dabei überrascht es nicht, dass diese Art von Ordnung bei Kindern häufig nicht zu erkennen ist. Die betroffenen Kinder haben Schwierigkeiten, rechtzeitig fertig zu sein, Dinge zu erledigen, und machen häufig unachtsame Fehler, da sie wichtige Handlungsschritte auslassen.

Nicole ist eine zwölfjährige Schülerin, deren Eltern über ihre Schulleistungen verärgert waren. Sie hatte immer „glatte Einsen“ in der Grundschule, aber ihre Noten gingen in der weiterführenden Schule steil bergab. Sie hatte zwar sehr gute Noten in Klassenarbeiten, aber ihre nicht eingereichten Hausaufgaben zogen ihre Noten runter. „Das Frustrierendste“, erzählte mir Nicoles Vater, „ist, dass sie ihre Hausaufgaben zwar erledigt, sie dann aber zu Hause vergisst.“

Während Nicole Schwierigkeiten in der weiterführenden Schule hatte, gab es schon frühe Zeichen, dass sie Probleme mit der sequenziellen Verarbeitung besaß. Zunächst hatte sie Probleme, komplizierte Bewegungsaufgaben durchzuführen. Sie spielte Baseball und hatte beim Lernen des Wurfes mehr Schwierigkeiten als Gleichaltrige. Fangen hingegen war kein Problem. Ihre Handschrift war leserlich, aber das Schreiben frustrierte sie ab der fünften Klasse extrem. Nicole hatte Schwierigkeiten, Anweisungen zu folgen. Als junges Mädchen erkannten ihre Lehrer und Eltern, dass sie ihr immer nur eine Aufgabe auf einmal geben konnten. Sie aufzufordern, ihre Zähne zu putzen, ihr Gesicht zu waschen und dann den Schlafanzug anzuziehen, war unrealistisch.

Nicoles Geschichte ist bei Schülern mit schlechter sequenzieller Verarbeitung üblich. Sequenzielle Verarbeitung basiert auf dem „sequenziellen Arbeitsspeicher“. Durch den sequenziellen Arbeitsspeicher, auch prozessuales Gedächtnis genannt, können wir Alltagsaufgaben erledigen, ohne bewusst über diese nachzudenken. Er ist unsere Anleitung. Fahrradfahren, Schuhe binden und Geschirr waschen sind alles Aufgaben, die prozessuales Gedächtnis benötigen. Selbst Aufgaben, die wir als „natürliche Dinge“ sehen wie Laufen benötigen prozessuales Gedächtnis. Solche Dinge machen wir zwar einfach, jedoch fällt es uns häufig schwer, den exakten Ablauf zu beschreiben. Diese Art von Gedächtnis findet in anderen Gehirnregionen statt, als unser episodisches Gedächtnis (Gedächtnis von Erfahrungen und bestimmten Ereignissen) – mit einer Gehirnverletzung kann eine Person die eine Fähigkeit verlieren und die andere jedoch behalten. Das ist auch der Grund, warum Personen, die durch eine Amnesie viel ihres persönlichen Lebens vergessen haben, immer noch prozessuales Gedächtnis haben. Sie können beispielsweise nach wie vor eine Gabel benutzen oder Autofahren.

Der Arbeitsspeicher erlaubt dem Gehirn, mehrere Dinge gleichzeitig zu verarbeiten. Damit öffnet er die Tür zu organisiertem Denken. Für das Verständnis von zeitlicher Ordnung bedeutet das, dass ein Kind bereits einen Schritt vorausdenkt. Der sequenzielle Arbeitsspeicher hilft Kindern, sich die Reihenfolge von Aufgaben zu merken. Folglich können wir durch dieses Gedächtnissystem in beide zeitlichen Richtungen denken, Voraussicht und Rückblick. So können Kinder das Prinzip von Zeit verstehen. Und damit gehen wiederum die Fähigkeiten Antizipieren und Planen einher. Für die Entwicklung des sequenziellen Arbeitsspeichers muss man das Konzept von zeitlicher Ordnung erkennen und verstehen, dass alle Handlungen einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben.

Erkennen von zeitlicher Ordnung

Ein aufmerksamer Elternteil erkennt Symptome sequenzieller Unordnung schon im frühen Kindesalter. Ein sequenziell unorganisiertes Kind erkennt nicht, dass es auch eine Zeitkomponente gibt, wie bei der Reihenfolge alltäglicher Routinen. Kindergartenkinder, die für das Erlernen alltäglicher Routinen (z. B. Anziehen, Schlafengehen) länger brauchen, haben häufig Defizite in der sequenziellen Verarbeitung. Diese Defizite sind dann aber erst in der Schulzeit richtig gravierend. Für diese Schüler sind die Menge an Alltagsaufgaben wie rechtzeitig fertig sein, Arbeitsaufträge befolgen, Bewegungen koordinieren und Hausaufgaben erledigen überwältigend. Das Lehren „erster Weisheiten“ beginnt schon im Säuglingsalter, indem Eltern stetig auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen. Der erste sequenzielle Gedanke ist das Prinzip von Ursache (Schreien) und Wirkung (Resonanz). Bevor Kinder beginnen zu krabbeln, finden sie heraus, dass eine Glocke ein Geräusch von sich gibt, dass ein süßer Laut ein Lächeln der Eltern bewirkt. Großartige Eltern bringen ihren Klein- und Kindergartenkindern das Konzept von Zeit und Ordnung nahe. Sie bringen ihren Kindergartenkindern bei, jegliche Aktivitäten mit dem Aufräumen zu beenden. Wenn Kinder eingeschult werden, sollten sie verstehen, dass alle Handlungen dreiteilig aufgebaut sind – Anfang, Mitte, Ende. Schüler lernen, laut vorzulesen. Hierbei wird das sequenzielle Verarbeiten nochmal besonders trainiert und gefordert. Denn während man ein Wort spricht, muss das nächste schon gelesen werden. Mit zunehmendem Alter werden Kinder immer mehr an der Planung beteiligt, sodass sie ihre Hausaufgaben selbst regeln können. Von Teenagern wird langfristiges Planen erwartet.

Zeit verstehen

Zeit ist eine Sequenz von Ereignissen; und ein Schüler muss lernen, seine Zeit selbst zu regeln: pünktlich im Unterricht erscheinen, Aufgaben rechtzeitig erledigen. Schüler müssen auch lernen, große Arbeitsaufträge in kleine Schritte aufzuteilen. So kann die vermeintlich schwierige Aufgabe Schritt für Schritt leichter gelöst werden. Jüngere Kinder werden bereits mit den Wörtern für Zeit konfrontiert (z. B. später, morgen, gestern, bald). Ältere Kinder lernen die Zeiteinheiten (z. B. Minuten, Stunden, Tage, Jahre) kennen. Und von jungen Schülern wird Zeitgefühl erwartet, von älteren eigenständige Zeitverwaltung. Folglich steigen die Erwartungen mit zunehmendem Alter. Schüler, die das Prinzip von Zeit verstehen und anwenden, werden als besonders verantwortungsvoll betrachtet.

Die folgenden Kapitel bieten Leitlinien für altersgerechte Erwartungen sowie Strategien, um die Entwicklung der organisatorischen Fähigkeiten herauszufordern und zu fördern. Denken Sie daran, dass Kinder Prozessabläufe und Zeit-Management lernen, indem stetig Ordnung im Alltag eingeführt wird – und das schon im frühen Alter.

Schritt 3: Teile allem einen Platz zu

Andys Mutter nennt ihn „den unordentlichsten Neunjährigen auf dem Planeten“. Sie sagt, dass jedes Mal eine Bombe in Andys Zimmer hochgehen muss, wenn er nach der Schule nach Hause kommt. Andys Mutter muss ihm überallhin folgen, zur Schule, zum Fußballtraining, nach Hause, um dann seine ganzen Sachen aufzugreifen. Sie sagt, dass „er seine Sachen nicht beisammen halten könne“. Nach nur zwei Monaten in der Schule, hat Andy schon zwei Jacken und eine Brotdose verloren.

Der dritte Schlüssel, um eigenständige Kinder großzuziehen, lautet: „Teile allem einen Platz zu.“ Das hilft Kindern vorbereitet zu sein, jedoch auf eine andere Art als in „Schritt 2: Führe Ordnung ein“. Sequenzielle Ordnung hat eine temporale (Zeit) Komponente, während die Platzierung von Dingen eine räumliche (Ort) hat. Der räumliche Arbeitsspeicher erlaubt es uns, große Brocken visueller Informationen zu erkennen, zu speichern und schließlich auf sie zurückzugreifen. Räumliche Organisation heißt, nicht hektisch auf den letzten Drücker Schuhe für die Schule zu suchen oder panisches Suchen nach dem Lieblingsspielzeug. Denken Sie stattdessen daran, dass ein Achtjähriger nach dem Spielen aufräumt, oder ein Zwölfjähriger sein Bett macht und sein Zimmer selbstständig aufräumt. Räumliche Organisation heißt, keine Anrufe des Kindes wie „Ich habe meine Sportsachen vergessen“ zu erhalten.

Ort

Vorausschauende Eltern beginnen das Konzept von räumlicher Organisation schon in der frühen Kindheit zu vermitteln, indem sie allem einen Platz zuteilen. Das geschieht anfangs dadurch, dass Säuglinge in vertrauter Umgebung schlafen und gefüttert werden. Für etwas ältere Kinder werden Spielsachen an bestimmten Plätzen aufbewahrt. Eltern sollten ihre Erwartungen an räumliche Organisation mit dem Alter und den bereits erlernten Fähigkeiten des Kindes Schritt für Schritt anheben. Kindergartenkinder brauchen meistens noch Unterstützung beim Aufräumen. Schließlich wird ein räumlich gut organisiertes Kind in der Lage sein, die eigenen Sachen aufgeräumt zu halten.

Räumliche Sprache

Viele räumliche Begriffe sind sehr theoretisch gehalten und eher schwierig zu erlernen. Dennoch hilft das Lehren von Sprache, räumliche Organisation zu stärken. Räumliche Wörter erklären die Größe und Form von Objekten. Präpositionen (z. B. hinter, unter, zwischen) werden benutzt, um die Position in Relation zu einem anderen Objekt zu beschreiben. Sie verleihen Kindergartenkindern ein Gefühl von Organisation in dieser verwirrenden Welt. Schüler lernen, Richtungsanweisungen zu folgen und zu erstellen. Dieses Wissen hilft ihnen später dabei, Funktionsgraphen und Landkarten zu verstehen.

Visuelle Informationen bündeln

Räumliche Verarbeitung ist eine effiziente Strategie, Informationen im Gehirn zu „bündeln“. Denn viele Informationen können in ein isoliertes, geistiges Bild zusammengetragen werden. Ein einziges Bild kann Informationen beinhalten, die sich nur durch viele Worte beschreiben ließen. Statt sich Merkmale sequenziell einzuprägen (also Stück für Stück in einer Reihenfolge), können bestimmte Informationen daher besser räumlich, als geistiges Bild, gespeichert werden. Zum Beispiel ist ein Kind am ersten Tag im Klassenzimmer extrem vielen neuen Informationen ausgesetzt. Es sieht die ordentlich angeordneten Tische mit Namensschildern, zusammen mit vielen blauen Stühlen, die alle in Richtung Pult ausgerichtet sind. Es bemerkt, dass jede Wand mit einem anderen Thema dekoriert ist. An einer Wand hängen Briefe, an einer anderen Bilder von Ländern und so weiter. Es wäre jetzt unproduktiv und unrealistisch, sich jeden Tisch und jedes kleine Dekorationsdetail sequenziell, einzeln zu merken. Stattdessen prägt sich das Gehirn ein geistiges Bild, also gebündelte Informationen, automatisch ein; eine sehr effiziente Art, sich Dinge einzuprägen.

Räumliche Organisation in der Schule

Räumliche Verarbeitung wird für einen Schüler immer anspruchsvoller und wichtiger. Kinder, die Wörter visuell schnell erkennen (Stichwort-Lesen), lesen wesentlich schneller. Selbst die Verknüpfung bestimmter Buchstaben mit Lauten benötigt visuelle Verarbeitung. Die Visualisierung des Gelesenen hilft Schülern, Inhalte zu verstehen und zu merken. In Mathematik haben Schüler einen Vorteil, wenn sie Konzepte visualisieren und Funktionsgraphen verstehen können. Natürlich sind Athleten mit einer starken visuellen und räumlichen Verarbeitung meistens besser bei Ballspielen. Die neuronalen Systeme für die visuelle Verarbeitung in der Schule, bei der Musik und beim Sport sind sehr eng miteinander verbunden. Die Forschung vermutet, dass Übung in einem Gebiet auch die Fähigkeiten in den anderen verbessert. Räumliche Verarbeitung und Gedächtnis finden also in zahlreichen Gebieten wie Lesen, Mathematik und Sport Anwendung. Folglich ist die Rolle dieser Fähigkeit entscheidend für die Kindesentwicklung.

Schritt 4: Übe vorausschauendes Denken

Was ist mit „vorausschauendem Denken“ gemeint? Vorausschauendes Denken meint organisierte Gedanken über die Zukunft. Es ist wesentlich schwieriger, über morgen als über heute nachzudenken. Zum Beispiel kann man sich im Moment einfach für ein Essen entscheiden, es ist jedoch wesentlich schwieriger herauszufinden, wonach einem morgen für das Mittagessen sein wird. Genauso ist es einfach, eine Jacke anzuziehen, wenn einem kalt ist. Aber ein Wochenendausflug benötigt viel mehr Planung. Kinder unter vier Jahren haben Schwierigkeiten mit vorausschauendem Denken. Und auch Teenager sind Erwachsenen in der Hinsicht meistens unterlegen. Dennoch sind die ersten Anzeichen vorausschauenden Denkens bereits bei sehr jungen Kindern durchaus erkennbar.

Meine Tochter und ich haben an einem Campingausflug für fünf- bis zehn-jährige Mädchen und ihre Väter teilgenommen. Meine gesamte Familie hat schon zusammen gecampt, nun campten wir aber zum ersten Mal zu zweit. Beim Campingplatz angekommen, habe ich unsere Sachen schnell entladen und dann die anderen Väter begrüßt – in der Annahme, dass meine Tochter mit den anderen Mädchen spielen würde. Als ich jedoch nach 15 Minuten nach ihr schaute, hatte sie schon das Zelt aufgebaut und mit Schlafsäcken und Kissen ausgestattet. In ihrem fünfjährigen Verstand hat sie einen Plan entworfen und ausgeführt, was beim Campen zuerst erledigt werden sollte.

In den folgenden Kapiteln beschreibe ich wichtige vorausschauende Fähigkeiten. Dazu gehören Antizipieren, Vorhersagen, Planen und Einschätzen. Wenn Kinder in der Zeit reibungslos vor- und zurückdenken können, beherrschen sie diese Fähigkeit schon sehr gut. Sie können dadurch mittels ihrer Erfahrungen und ihres Wissens die besten Optionen für die Zukunft ausloten. Kinder mit Beeinträchtigungen wie ADHS, kognitiver Einschränkung, Down-Syndrom, fetalem Alkoholsyndrom und Autismus haben häufig Probleme mit vorausschauendem Denken und Schwierigkeiten, aus ihren Fehlern zu lernen – und das ist okay. Denn auch Kinder in diesen Umständen werden Fortschritte machen, wenn auch vielleicht langsamer. Denken Sie daran, dass Fehler auch Teil der Lernerfahrung sind, und als Eltern sind wir Lehrer. Bestrafungen für Fehler sind keine Lösung. Eltern brauchen Geduld. Erklären Sie den Fehler, empfehlen Sie Verbesserungsvorschläge und geben Sie Kindern die Möglichkeit, erfolgreich zu sein. Konsequenz ist hierbei elementar, denn Kinder lernen durch Wiederholung. Sie entwickeln die Fähigkeit zum vorausschauenden Denken schrittweise. Vor dem Alter von etwa vier Jahren können Kinder kaum planen. Erst mit sechs Jahren weisen Kinder diese Fähigkeiten auf. Und mit zehn Jahren können Kinder noch ausgeklügelter planen. Dennoch benutzen einige Zehnjährige diese Fähigkeit nur sehr unregelmäßig. Fehlende Übung führt zu Atrophie (Schwächung der neuronalen Verbindungen („Muskeln“) für Planung), sodass es hierbei große Unterschiede unter Teenagern gibt.

Rückblick und Voraussicht

Wie ich schon erwähnte, ist vorausschauendes Denken kompliziert, weil es gleichzeitige Verarbeitung erfordert. Rückblick und Voraussicht sind das Fundament für vorausschauendes Denken. Dies erfordert mehrstufige Erkenntnisverarbeitung. Unsere Erfahrung leitet unsere Sicht auf die Zukunft. Hierfür müssen verschiedene Gehirnregionen zusammenarbeiten. Um vorauszudenken, muss ein Kind den Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erkennen. Sobald ein Kind die Vergangenheit (Rückblick) und die Zukunft (Voraussicht) beachtet, ist es schon eher in der Lage, eine logische Vorhersage zu machen oder Schätzung abzugeben.

Vorhersagen und Schätzen

Schätzen ist ein Prozess vorausschauenden Denkens. Dabei wird ein bestimmtes, zukünftiges Ereignis aus unvollständigen Informationen hergeleitet. Kinder lernen Schätzen vor allem in der Mathematik. Aber es gibt noch so viel mehr Möglichkeiten. Schätzungen ermöglichen es uns, richtige Handlungsweisen für die Zukunft zu erkennen. Zum Beispiel denkt ein Kind vielleicht, dass es doch gestern kalt war und man heute vielleicht eine Jacke mitnehmen sollte. Und ein Schüler überlegt bei einem neuen Lehrer, welche Anforderungen seine früheren Lehrer an ein Referat oder eine Präsentation hatten. Die eigene Erfahrung für die Vorhersage der Zukunft zu benutzen, ist eine wertvolle Eigenschaft eines organisierten Denkers.

Antizipieren

Antizipation ist eine zentrale Fähigkeit für angemessenes Verhalten sowie sozialen Erfolg und kann nur geschehen, wenn ein Kind vorausdenkt. Und gerade durch Routinen und feste Zeitpläne können Kinder Ergebnisse besser antizipieren. So spaßig Überraschungen auch sein können, mögen Kinder sie meistens nur, wenn sie angenehm sind, wie eine spontane Reise in das Disneyland. Kinder mögen Vorhersehbarkeit. Und ein Kind, das nicht in der Lage ist vorauszudenken und zu antizipieren, lebt in einer unberechenbaren Welt. Unvorhersehbare Veränderungen sind daher für viele schwierig. Und für manche Kinder ist es sogar eine Tortur, die zu einem emotionalen Zusammenbruch führt. Diese Kinder brauchen konstante Routinen im Alltag; für das Aufräumen der Schulsachen nach der Schule, das Händewaschen vor dem Abendessen und das Schlafengehen. Wie schon erwähnt, haben Kinder unter fünf Jahren Probleme vorauszudenken. Deshalb können sie meistens zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren besonders schlecht mit Veränderung umgehen. Wann Kinder lernen, flexibel zu sein, variiert stark – manche Erwachsene haben noch Schwierigkeiten mit Flexibilität! Eltern können ihren Kindern helfen, Antizipation zu erlernen, indem sie Zeitpläne verwenden und sie zum Vorausdenken motivieren.

Planen

Die Erziehung vorausschauenden Denkens kann in mehrere Etappen eingeteilt werden. Vor dem fünften Lebensjahr werden Kindern Routinen beigebracht. Diese Zeit kann dazu genutzt werden, Planen vorbildhaft zu demonstrieren. Eine Mutter kann beispielsweise sagen: „Lass uns erst die Spielsachen aufräumen, uns umziehen und dann in den Zoo gehen.“ Indem sie ihren Plan laut vorträgt, bekommt das Kleinkind schon eine Idee von Planung. Nach dem fünften Geburtstag können Eltern ihre Kinder zunehmend zum Vorausdenken animieren. Ein Elternteil könnte fragen: „Lass uns in den Zoo gehen, aber was sollten wir vorher noch erledigen?“ Nun hat das Kind die Möglichkeit, einen eigenen Plan zu entwickeln. Ihr Kind sagt „Aufräumen und Umziehen!“ und schlägt vielleicht vor, das Lieblingsspielzeug oder den Hund gleich mitzunehmen. Im Alter von zehn Jahren ist es sinnvoll, das Kind zur eigenständigen Alltagsplanung anzuhalten. Neben der Vorbereitung von Schule und Sport können Kinder ihre Hausaufgaben einteilen und ihre Spielzeit selbst gestalten. Teenager können zur eigenen Zukunftsplanung angeleitet werden. Sie können sich Ziele setzen und die benötigten Schritte und Hürden ausloten.

Planung scheint vielen Erwachsenen automatisch. Aber diese Fertigkeit zu beherrschen, ist dennoch sehr schwierig. Als Eltern ist es unsere Aufgabe, unsere Kinder bei diesem Lernprozess zu unterstützen. Sie brauchen Gelegenheiten, um Eigeninitiative zu ergreifen. Heutzutage sind Zeitpläne fast völlig vorbestimmt, sodass Kinder selten die Möglichkeit haben, selbst zu planen. In der wenigen Freizeit wenden sich Kinder automatisierten Videospielen zu, die das meiste Denken für die Kinder übernehmen. Schüler müssen lernen, Spielverabredungen selbst zu organisieren. So können sie gemeinsame Zeit mit Freunden planen. Schüler in weiterführenden Schulen können ihre Wochenenden planen. Und Teenager sollten in der Lage sein, Übungszeiten und Termine selbst zu organisieren. Wenn Eltern keinen Raum für eigene Planung lassen und erlauben, sich Technik hinzugeben, versäumen Kinder wertvolle Übungsgelegenheiten für diese Fertigkeit.

Manche Kinder werden sich gegen den Gebrauch dieser Fähigkeiten wehren, denn wie alle neuen Dinge, ist vorausschauendes Denken anstrengend. Wenn Kinder heranwachsen, werden sie hunderte Fehleinschätzungen machen. Und manchmal ist es für Eltern einfacher, Dinge für das Kind schnell selbst zu erledigen, jedoch sollten Sie hier vorsichtig sein und diesem Drang möglichst widerstehen. Lassen Sie Ihr Kind aus den eigenen Fehlern lernen, vor allem, wenn Ihr Kind noch jung und die Konsequenzen geringfügig sind. Indem Sie Ihrem Kind einige Schwierigkeiten selbst überlassen, stärken Sie dessen Unabhängigkeit mit der Zeit. Und später können Sie Ihrem Kind bei wichtigeren Entscheidungen im Teenageralter viel mehr vertrauen. Vorausschauendes Denken passiert nicht einfach von selbst; es ist eine erlernte Fähigkeit und Eltern können diese mit Aufmerksamkeit vermitteln.

Schritt 5: Fördere Problemlösung

Denken Sie an die am besten organisierte Person, die Sie kennen. Denken Sie an einen Freund, der viele verschiedene Aufgaben gleichzeitig elegant im Griff hat. Vielleicht ist es der Vater, der das Fußballteam seiner Tochter trainiert. Oder vielleicht ist es die Mutter, die für ihren Sohn im Elternbeirat sitzt und deswegen eine Teilzeit-Stelle hat. Die Kinder dieser Eltern sind bei einem Termin selten verspätet und erklären sich häufig bereit, einen freiwilligen Beitrag für ein Fest zu leisten. Um organisiert zu sein, ist es von grundlegender Bedeutung, mehrere Dinge gleichzeitig im Griff zu haben. Ich für meinen Teil denke an einen Kollegen, der immer die passende Antwort zu haben schien. Wenn ich eine Präsentation vorbereitet hatte, wusste er, welche Stichpunkte betont werden sollten. Wenn ich ein Forschungsprojekt geplant hatte, half er mir, die Leitfrage exakt zu formulieren. Wenn es gerade Zeit war, für ein Examen zu lernen, konnte er schon den Inhalt der Prüfung abschätzen. Mein Kollege besitzt eine brillante Auffassungsgabe für das große Ganze. Genau wie eine „Supermom“ oder ein „Superdad“, die jederzeit eine wundervolle Wahrnehmung für das Geschehen um sie herum besitzen. Organisierte Denker sind mit einem Arbeitsspeicher begabt, der es ihnen erlaubt, reibungslos zwischen vielen verschiedenen Gedanken zu wechseln. Dadurch können sie diverse Möglichkeiten erwägen, das Gesamtbild beachten, und den besten Plan entwerfen.

Wir können nicht alle „Super-Eltern“ oder brillante Wissenschaftler sein. Aber wir können unsere organisatorischen Fertigkeiten benutzen, um alltägliche Probleme zu lösen. Von der Perspektive eines Kindes aus betrachtet, wimmelt es nur so vor Problemen, die gelöst werden wollen. Antworten auf Fragen wie „Wie schreibe ich einen Aufsatz?“, „Was wünscht sich mein Freund zu Weihnachten?“ und „Was soll ich tun, wenn ich gelangweilt bin?“ erfordern mehrere kognitive Fertigkeiten auf einmal. Viele Herausforderungen wie das Überwinden von Langeweile, Abwägen mehrerer Möglichkeiten, Erfinden einer Geschichte oder Perspektivenwechsel fordern gleichzeitig Sprache, Gedächtnis und Planung. Der Arbeitsspeicher, die mentale Tafel, wird bei der Problemlösung extrem gefordert. Zum Glück kann, wie bereits erwähnt, der Arbeitsspeiche durch Übung gestärkt werden. Dieser Aufwand wird Ihr Kind zu einem noch besseren Problemlöser machen.

Deshalb lautet die fünfte Erziehungsrichtlinie: „Fördere Problemlösung“. Mit anderen Worten: Ermutigen Sie Ihr Kind, das Gesamtbild eigenständig zu begreifen. Übernehmen Sie nicht alles selbst. Eltern können die kognitive Entwicklung von Kindern tatsächlich hemmen, indem sie zu viel für sie tun. Legen Sie nicht den gesamten Zeitplan Ihres Kindes fest, sondern erlauben Sie ihm auch mal, „nichts zu tun“ zu haben. Das kann sehr fördernd sein, denn nun muss Ihr Kind eigenständig herausfinden, was es mit der gewonnenen Zeit anfängt. Erlauben Sie Ihrem Kind, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, in kleinem oder großem Ausmaß. Ermutigen Sie es, die eigenen Gedanken zu organisieren, das Gesamtbild zu begreifen, flexibel zu denken, fantasievoll und sozial zu sein. Diese Fertigkeiten werden häufig kognitive Funktionen höherer Ordnung genannt. Dies begründet sich aus den komplizierten Wechselwirkungen zwischen den für das Denken zuständigen Gehirnregionen.

Imagination und Kreativität

Vorstellungskraft ist eine organisatorische Herausforderung. Denn für kreatives Denken muss ein geistiger Plan erstellt werden. Kreativität ist komplizierter als lineares Denken. Imagination ist mit vielen Einflüssen verbunden: abstrakte Ideen, Erinnerungen an frühere Ereignisse, die Zukunft und manchmal unbegrenzte Möglichkeiten. Simple kreative Gedanken beginnen früh. Zum Beispiel lernen viele Kinder zwischen zwei und drei Jahren Rollenspiele. Aber sie wollen häufig immer die gleiche Rolle und das gleiche Drehbuch. Sie haben Schwierigkeiten, wenn Eltern oder Freunde ein anderes Szenario erfinden. Wenn Kinder älter werden, wird ihr Rollenspiel sowohl komplexer, als auch kreativer. Als meine drei Töchter beispielsweise alle zusammen im Alter von acht, sechs und drei Jahren spielten, haben sie Schulen konstruiert, einzigartige Lego-Welten gebaut und eigene Rollenspiele entworfen. Selbst meine dreijährige Tochter hat verstanden, dass ihre Rolle je nach Situation variiert.

Flexibles Denken

Flexibles Denken ist eine weitere kognitive Funktion höherer Ordnung. Um zu der besten Lösung zu gelangen, muss eine Person mehrere Möglichkeiten berücksichtigen. Meistens gibt es viele Arten, ein Problem zu lösen (z. B. eine Frage in einem Aufsatz beantworten, klären, was an einem regnerischen Tag gespielt werden sollte, wer das letzte Stück vom Dessert bekommt), und auch die komplexe soziale Komponente muss bei einer Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Flexibles Denken beinhaltet Effizienz, Pragmatismus und die Gefühle anderer.

Mit zunehmendem Alter gelingt Kindern flexibles Denken immer besser. Zweijährige Kinder sind ein klassisches Beispiel inflexibler Denker. Ein Zweijähriger, der versucht, etwas mit Blöcken zu bauen, wiederholt den gleichen Fehler vielleicht nochmal oder gibt frustriert auf. Im Alter von vier oder fünf Jahren besitzen Kinder häufig schon genug Problemlösungskapazitäten, um andere Optionen in Betracht zu ziehen. Dennoch sind sie aufgrund ihrer noch begrenzten Perspektive nicht zu Kompromissen bereit. Viele junge Kinder werden durch Regeln geleitet, sodass flexibles Denken für sie sehr schwierig ist. Sie sehen Dinge als richtig oder falsch an und tun sich schwer mit Dingen dazwischen.

Inflexibles Denken wird häufig mit negativem Verhalten verknüpft. So haben inflexible Denker Probleme damit, wenn Dinge nicht nach ihren Wünschen laufen und mühen sich daher mit Planänderungen, Übergängen und manchmal mit dem Verlieren bei Spielen. Um Frustration zu vermeiden, spielen sie daher häufig allein oder bestehen in Gruppen darauf, Dinge auf ihre Weise zu machen. Die Lösung liegt darin, diesen Kindern flexibles Denken beizubringen, indem man ihnen ein Gefühl für Problemlösung vermittelt.

Vor Jahren habe ich mit einem Teenager und seiner Mutter gearbeitet, die sich uneinig über die Bearbeitung der Hausaufgaben und die Aufsicht der Mutter waren. Als die Situation eskalierte, bestand der Teenager, wie viele vor ihm, auf mehr Unabhängigkeit und sagte: „Meine Mutter kontrolliert mein Leben.“ Das Argument der Mutter war, dass ihr Sohn „sich um nichts kümmern“ würde. Ich habe die Problemlösung eingeleitet, indem ich beide gefragt habe, was genau sie jeweils wollten. Die Mutter wollte, dass ihr Sohn seine Hausaufgaben erledigt. Der Sohn wollte nicht ständiges „Genörgel“ wegen der Hausaufgaben hören. Also überließ ich das Dilemma dem Sohn: „Was könntest du tun, damit deine Mutter aufhört zu nörgeln?“ Nach einer kurzen Diskussion war die Lösung, dass der Sohn seine Hausaufgaben eigenständig macht und sie vor 19:30 Uhr auf den Küchentisch legt. Wenn die Hausaufgaben nicht wie abgemacht bereit lagen, stand es der Mutter frei, sich zu beschweren. Problem fast gelöst, bis ich aufzeigte, dass der Sohn bei diesem Kompromiss die ganze Arbeit macht. Also habe ich gefragt, was passiert, wenn die Mutter vor 19:30 Uhr nörgelt. Der Sohn entschied, dass die Mutter ihm eine Packung Gummibärchen kaufen müsse, wenn sie sich frühzeitig beschwert. Beide waren zu Flexibilität fähig, sobald ich sie dazu bringen konnte, ihre Forderungen auszudrücken.

Drei Wochen später kam der gleiche Teenager niedergeschlagen mit seiner Mutter. Diese beschwerte sich über das unordentliche Badezimmer. Also sagte ich: „Sie wollen ein aufgeräumtes Badezimmer und er will keine ständige Nörgelei Ihrerseits,“ und bevor ich meinen Satz zu Ende bringen konnte, sagte der Teenager: „Ich weiß es. Wenn ich das Badezimmer jeden Tag bis 19:30 Uhr aufräume und sie vorzeitig nörgelt, muss sie mir eine weitere Packung Gummibärchen kaufen.“ Der Teenager hat die Dinge besser erkannt als seine Mutter. Vielleicht aufgrund des hohen Blutzuckers! Kindern Flexibilität bei der Problemlösung beizubringen, macht es für alle Beteiligten einfacher.

Perspektivenwechsel

Soziale Interaktion kann für manche Kinder schwierig sein und sie herausfordern. Gefühle anderer zu beachten und eigene mitzuteilen, ist nicht intuitiv. Für ein heranreifendes Kind scheint es daher häufig sinnvoller, immer als Erster dran zu sein, kein Spielzeug zu teilen und immer recht haben zu wollen. Das Konzept des Allgemeinwohls bedeutet einem jungen inflexiblen Menschen nichts. Eine der ersten erworbenen sozialen Fertigkeiten ist das Sich-Abwechseln. Aber wie erklärt man Abwechseln einem Kind, das denkt, Dinge nur auf seine Weise lösen zu können? Kindergartenkinder verstehen, dass man Dinge auf verschiedene Weise tun kann. Aber sie fangen gerade erst an, andere Perspektiven einzunehmen und die Meinungen anderer zu berücksichtigen. Daher schlussfolgern sie meistens, dass ihr Weg der beste ist. Perspektivenwechsel, wie in dem Werk der Logopädin Michelle Garcia Winner „Thinking about You, Thinking about Me“ beschrieben, ist sehr kompliziert. Gute soziale Interaktion heißt, den Standpunkt des Anderen mit zu berücksichtigen. Die Perspektive zu wechseln bedeutet manchmal, eine für einen selbst weniger vorteilhafte Entscheidung zu treffen. Zum Beispiel erkennt ein sozial achtsames Kind, dass sein Kumpel im Sport dreimal hintereinander als Letzter gewählt wurde. Also entscheidet es (das Kind), ihn als Ersten zu wählen, auch, wenn damit eine Niederlage im bevorstehenden Spiel einhergeht. Denn das höhere Wohl liegt darin, dem eigenen Freund ein besseres Gefühl zu verleihen. Viele Auseinandersetzungen und Vorurteile kommen von mangelnder Fähigkeit, andere Perspektiven anzunehmen. Je mehr wir unseren Kindern andere Perspektiven und Ideologien erklären, desto besser können diese die Gedanken anderer verstehen. Wie bei jeder Problemlösungsfertigkeit braucht es Übung, um einen Fortschritt zu erzielen. Eltern sind Vorbild für den Perspektivenwechsel.

Überwindung von Langeweile

Zur Überwindung von Langeweile werden Kreativität und Flexibilität benötigt. Ein Kind mit begrenzter Kreativität kehrt bei Langeweile immer wieder zu ein, zwei Lieblingsaktivitäten (z. B. Fernsehen und Videospiele) zurück. Und wenn man dem Kind diese zwei Optionen wegnimmt, ist es schlecht gelaunt. Engagierte und interessierte Kinder können besser auf eine Vielzahl kognitiver Optionen zugreifen, um Langeweile zu überwinden. Sie haben gewissermaßen ein organisiertes „Dropdown-Menü“ von Dingen, die sie bei Langeweile zu Hause oder im Klassenzimmer tun können. Die mentalen „Dropdown-Menüs“ können mit der Organisation von Computern verglichen werden. Wie bereits erwähnt: Wenn ein unorganisiertes Kind mit einem Dilemma wie Freizeit konfrontiert wird, greift es auf dieses mentale „Dropdown-Menü“ zu. Wenn das Menü jedoch nicht direkt erscheint, entscheidet sich das Kind für eine Standard-Beschäftigung. Dieses Verhalten ist nicht zwingend ein Protest, sondern das Fehlen eines sofortigen „Dropdown-Menüs“ diverser Optionen. Kinder erscheinen daher häufig gelangweilt, weil sie keine mentale Liste verschiedener Aktivitäten in Betracht ziehen können.

Die Gehirnentwicklung ist in der Hinsicht faszinierend, dass sich häufig ein Teil des Gehirns auf Kosten eines andern entwickelt. Es ist nicht unüblich, dass Kinder unorganisiert aber begabt („doppelt außergewöhnlich“) sind. Eltern solcher Kinder erzählen mir häufig, dass ihre Kinder so intelligent sind, dass sie sich in der Schule langweilen. Ihre Vermutung ist, dass der Lehrer sie nicht genug herausfordert. Es mag wahr sein, dass ein Lehrer in einer Klasse mit dreißig Schülern sich nicht immer um die besten Schüler kümmert. Jedoch denke ich nicht, dass zu wenig Herausforderung Ursprung dieses Verhaltens ist. Tatsächlich behandle ich auch viele Schüler, die talentiert und nie gelangweilt sind. Desinteressierte Schüler haben vor allem das Problem mangelnder Organisation: Sie sind gelangweilt, weil ihnen keine Alternativen in den Sinn kommen, um die gewonnene Zeit zu füllen. Andererseits könnte ein organisiertes Kind zur Bekämpfung von Langeweile beispielsweise Pläne für den Nachmittag schmieden, einen Song schreiben, die Spieler des WM-Finales 2014 aufzählen oder über all die Dinge nachdenken, die man in der Natur machen könnte. In gewisser Hinsicht ähneln die Bemühungen beim Kampf gegen Langeweile der Fähigkeit zu Kreativität und Imagination. Effektive Kreativität kann beschrieben werden als organisierte Suche nach Dingen, die verwandt, und dennoch einzigartig sind. Daher ist die Verknüpfung zwischen Gedächtnis und exekutiven Funktionen (die Fähigkeit des Gehirns, Aufgaben zu planen, zu organisieren und zu erledigen) elementar. Denn dadurch wird nicht nur das Benehmen des Kindes beeinflusst, sondern auch seine Kreativität und seine schulischen Leistungen.

Haben Sie keine Angst, Ihr Kind Langeweile auszusetzen. Langeweile zu überwinden, ist Training für das Gehirn. Widerstehen Sie dem Drang, das iPhone zu zücken, wenn Ihr Kind nichts zu tun hat. Zeigen Sie stattdessen, wie man mit solchen Situationen kreativ und spaßig umgeht.

Das Gesamtbild begreifen

Ich betrachte die Fertigkeit, das Gesamtbild zu begreifen, als den ultimativen Schritt zu organisiertem Denken. Menschen mit diesem Können sind häufig in Führungspositionen, weil sie das Team-Ziel auf die individuellen Ziele der Teilnehmer an einem Projekt abstimmen können. Viele Erwachsene sind nicht in der Lage, auch mal einen Schritt zurück zu gehen und eine erweiterte Sichtweise zu gewinnen. Daher sind Kinder mit dieser Fertigkeit im Vergleich sehr fortgeschritten. Großzügig zu sein ist ein frühes Zeichen, dass ein Kind das Gesamtbild versteht. Denn dafür muss man die Perspektiven anderer einnehmen und verstehen, was sich andere wünschen. Zusammenfassungen sind ein direktes Beispiel für komplexes organisiertes Denken. Einer anderen Person das Geschehen zu erzählen, scheint zunächst einfach. Aber eine gute Zusammenfassung ist mehr als eine plumpe Aufzählung des Inhaltes. Neben der Darstellung der Ereignisse sollte der Erzähler das Vorwissen der Zuhörer zu diesem Thema mit einbeziehen.

Hier ein Beispiel: Wenn ich meiner Tochter Thanksgiving erkläre, könnte ich sagen, dass Thanksgiving ein Feiertag ist. Dieser wurde eingeführt, nachdem religiös verfolgte Pilger in Europa nach Amerika als freies Land zogen. Als sie in Amerika ankamen, haben sie Ureinwohner getroffen, mit denen sie zusammen ein Erntedankfest hatten. Wenn meine Tochter jedoch kein Vorwissen über Pilger, Europa und religiöse Verfolgung hat, wird sie nur verwirrt sein. Weil ich aber das Wissen meiner Tochter kenne, könnte ich diese Punkte in meiner Zusammenfassung erklären. Eine bessere Zusammenfassung wäre zum Beispiel folgende: Thanksgiving ist ein Feiertag, der begann als Menschen von einem anderen Teil der Erde, Europa genannt, über den Ozean nach Amerika segelten. Sie haben Europa verlassen, weil die dortigen Herrscher ihnen nicht erlaubten, so zu beten, wie sie wollten. Als sie in Amerika ankamen, haben sie Ureinwohner getroffen. Das sind Menschen, die schon in Amerika lebten. Zusammen hatten dann alle ein riesiges Fest, um sich für ihr großes Glück zu bedanken. Demonstrieren Sie Zusammenfassungen vorbildhaft und ermutigen Sie Ihr Kind, die eigenen Erfahrungen zusammenzufassen. So kann es zeigen, dass es in der Situation bereits das Gesamtbild begreift.

Problemlösung ist eine hochentwickelte Fertigkeit, die sich schrittweise ein Leben lang entwickelt. Sie aber legen das Fundament, wenn Ihre Kinder noch sehr jung sind. Ermutigen Sie Ihr Kind heute, morgen und an jedem folgenden Tag, eigenständig zu denken. Die folgenden Kapitel beschreiben altersgerechte Übungen zur Problemlösung.

Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern

Подняться наверх