Читать книгу Mein Freund der Junkie - Dana Krösche - Страница 3

Kapitel 1

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Vorwort

Er war mein Freund gewesen. Er ist für immer mein Freund. Für alle anderen war er nicht mehr als ein Mensch, der sein Leben nicht verdient hatte. Nicht mehr als jemand, den es nicht hätte geben sollen. Nicht mehr als jemand, wegen dem ich zu oft geweint hatte. Nicht mehr, als ein weiterer, unleserlich geschriebener Name auf der Liste der Drogentoten. Man hört öfters Dinge wie Junkies haben keine Freunde, nur Connections. Oder Man kann nicht mit einem Junkie befreundet sein, ohne selbst Drogen zu nehmen. Und doch, es geht. Das hier ist eigentlich bloß eine weitere zerbrochene Liebesgeschichte. Es gibt schon so viele davon. Das kommt daher, dass die, die glücklich sind, sich nicht die Zeit nehmen, ihr Glück aufzuschreiben. Warum auch? Man muss nicht versuchen, glückliche Momente im Schreiben zu verarbeiten. Wer glücklich ist, ist froh, sich an jedes schöne Detail erinnern zu können. Wer glücklich ist, muss nichts verdrängen oder es in einem Buch verarbeiten, es später ins Regal stellen und verstauben lassen.

Wie gesagt, es ist bloß ein Versuch, irgendwie damit fertig zu werden.

Alles begann vor circa zwei Jahren an meinem ersten Abend in der Disco. Ich hatte meine Eltern schon ziemlich lange vorher überreden müssen, um hingehen zu dürfen. Ich war gerade sechzehn geworden.

Mein Geburtstag war für sie wie jeder andere gewesen. Unnötige Geschenke, nachmittags Kaffee und Kuchen mit Oma und Opa und das Wochenende darauf eine Übernachtungsfeier mit einigen Freunden, bei der ich meine ersten offiziellen Biere trank. Ich bin nicht der Typ, der sich betrinken muss, um Spaß zu haben. Vielleicht hatte ich bei dieser Party ein bisschen mehr getrunken, um meinen Eltern eins auszuwischen, da es nun gesetzlich erlaubt war.

Jimmy, den ich zu meiner Party eingeladen hatte, feierte seinen Siebzehnten in einem Club und lud mich nun ein, wahrscheinlich mehr als eine Art Gegenleistung. Er konnte gut Gitarre spielen, deswegen war er bei mir dabei gewesen. Wirklich viel hatte ich mit ihm ansonsten nicht zu tun. Aber letztendlich war es für mich mal die Gelegenheit, kostenlos und mit fester Begründung in einen Club zu kommen.

Ich kannte keinen der Leute, die noch mit ihm zusammen da waren. Ich unterhielt mich gelegentlich mal hier und dort, doch die meiste Zeit saß ich an der Theke und schaute den anderen beim Tanzen zu. Ich bin nicht so, dass ich mich besonders toll fühle, wie viele Mädchen in meinem Alter, wenn ihnen beim Tanzen ihr Shirt bis zum Hals hochrutscht und kein Junge mehr den Blick abwenden kann. Ich sehe gut aus, bin aber eher unauffällig. Die anwesenden Jungs waren also mit anderen Dingen beschäftigt, als auf mich aufmerksam zu werden.

Die Musik gefiel mir, und die Leute steckten mich mit ihrer Partylaune an. Ich war gut drauf. Jedoch kann mich niemand so leicht zu irgendwelchen Sachen überreden. Bevor ich bei etwas mitmache, gucke ich es mir erst einmal ganz genau an. Und meinen Eltern hatte ich sowieso versprochen, um elf oder bis halb zwölf spätestens zuhause zu sein. Würde ich dies nicht, würden sie innerhalb kürzester Zeit alle umliegenden Polizeistationen mit der Suche nach mir beauftragen.

Im Laufe des Abends ergab es sich, dass ich meinen festen Platz an der Bar verließ: Ich musste ich auf die Toilette.

Dort sah ich ihn zum ersten Mal. Er lehnte lässig am Türrahmen. Seine Haare waren blond und halblang. Er hob den Kopf, als ich auf ihn zukam. Unsere Blicke kreuzten sich.

Ich weiß nicht, ob es Liebe auf den ersten Blick war.

Ich weiß nicht, ob sich meine Liebe auf den ersten Blick entwickelte.

Aber ich weiß mit Sicherheit: Er war für mich von Anfang an nicht nur irgendein Junge. Er war mehr als das.

„Hey!“, sagte er in einem Ton, der mir so vertraut erschien, dass ich dachte, ich würde ihn bereits von früher kennen, hätte ihn nur schon ewig lange nicht mehr gesehen.. „H-Hallo.“, meinte ich total erstaunt über seine Begrüßung. „Du möchtest auf die Toilette?“ Ich grinste: „Ja.“ „Okay dann geh, ich warte auf dich.“ Er lächelte.

In diesem Moment wollte ich alles andere als den Blick von ihm abwenden, doch wie paralysiert und in Zeitlupe schritt ich weiter zur Damentoilette. Natürlich checkte ich mein Aussehen, bevor ich diese wieder verließ. Alles passte. Alles saß. Perfekt.

Als ich wieder herauskam, stand er tatsächlich noch da und lächelte mich wieder an. „Ich bin Sam.“ Er reichte mir die Hand. „Ich bin Marleen.“ „Wollen wir uns ein bisschen unterhalten?“, fragte er einladend. „Okay gerne, aber bitte nicht hier.“ Sam lachte. Es war ein schönes Lachen. Ein leichtes, befreites Lachen. „Dann gehen wir dahin, wo du hin möchtest.“ Ich holte tief Luft, ich hatte das Bedürfnis, vor die Tür zu gehen. Sam folgte mir. Die Frische einer lauen Hochsommernacht umhüllte uns. Es war Mitte August und sternenklar. „Stört es dich, wenn ich Eine rauche?“, erkundigte er sich vorsichtig. „Nein“, erwiderte ich. Er zündete sich eine Zigarette an. „Du bist alleine hier?“ „Nein, aber ich kenne die Leute, mit denen ich hier bin, nicht so gut.“ „Aha.“ Er blies den Rauch aus. „Und du?“, fragte ich, meinerseits interessiert. „Ich bin hier, um dich kennenzulernen.“

Es sollte bestimmt nur ein Flirt sein, doch es klang so, als sei das genau der Grund. „Oh gut. Lernen wir uns kennen!“, flirtete ich zurück. „Hey! Ich bin Sam.“ Er reichte mir erneut die Hand. „Ich bin Marleen!“ „Ich weiß.“ Sam schmunzelte. „Wahnsinn! Woher nur?“, ich grinste frech. Er lachte wieder wie zuvor. „Wie alt bist du?“, fragte er. „Rate mal.“ Er musterte mich. „Hm. Siebzehn oder achtzehn." „Nein.“ Zu alt. „Neunzehn?!", schätzte er ungläubig. „Sechzehn, gerade geworden", gestand ich. „Echt?" Er klang erstaunt. „Ja", antwortete ich stolz. „Du bist hübsch." Zum Glück war es relativ dunkel, so konnte ich ohne Bedenken rot werden. „Danke", entgegnete ich. „Jetzt du", forderte Sam. „Einundzwanzig“, rutschte es mir heraus. „Richtig!" „Oh wow! Das war ohne Überlegung!", ein bisschen verwunderte mich das. „Gut, gut aber einen Preis kann ich dir gerade leider nicht geben", meinte Sam, während er seine Zigarette am Boden austrat. Wir blieben noch eine Weile vor dem Club stehen. Er lehnte sich an die Wand neben der Eingangstür und sah mich einfach nur an.

Er war mir fremd, ich kannte nicht einmal seinen ganzen Namen. Dennoch war etwas an ihm, was mich völlig faszinierte. Innerlich verspürte ich den Wunsch, mich von ihm in den Arm nehmen zu lassen und mit geschlossenen Augen diesen Moment einfach zu genießen.

Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu verscheuchen, so etwas Naives! Wir standen lange einfach nur da und sahen uns gegenseitig an. Nach einer Weile brach er das Schweigen: „Wann musst du zuhause sein?" „Gegen elf." Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Wohnst du weit weg von hier?" „Halbe Stunde zu Fuß." Ich antwortete fast ohne nachzudenken. „Dann solltest du dich langsam bereit machen, wir haben viertel nach zehn." Ich war überrascht. Wo war die Zeit? Wie lange hatten wir schweigend dagestanden?

„Okay, ich verabschiede mich dann mal von Jimmy", sagte ich. „Ich warte hier auf dich“, versprach Sam.

Ich erwiderte nichts, sondern ging noch einmal kurz hinein in den Club. Dort fand ich Jimmy recht schnell, offenbar hatte er bereits nach mir gesucht. Er kam auf mich zu, fasste mich an den Schultern und fragte besorgt: „Marleen, ist alles in Ordnung mit dir? Hat der Typ, mit dem du raus bist, irgendwas mit dir gemacht?" „Nein, es ist alles in Ordnung. Aber ich muss jetzt nach Hause. Es tut mir leid, dass ich nicht so viel getanzt habe, aber trotzdem vielen Dank für die Einladung. Es war ein schöner Abend." Jimmy ließ nicht locker: „Ist wirklich alles okay? Soll ich dich nach Hause bringen, oder sollen deine Eltern dich abholen?" „Nein Jimmy, das ist lieb von dir. Danke, aber ich möchte zu Fuß gehen. Wir sehen uns dann in der Schule“, versuchte ich ihn zu beruhigen und das Gespräch zu beenden. „Das sind noch zwei Wochen bis dahin." Er strich mir einige Haare aus dem Gesicht. „Ich melde mich, wenn ich Sehnsucht nach deiner Gitarre habe“, versprach ich freundlich. Er grinste kurz. „Gut. Pass auf dich auf, Marleen“, er gab mir einen Abschiedskuss. Ich schmeckte Alkohol und dachte, dass seine Einladung wohl doch nicht nur eine reine Gegenleistung gewesen war. Ich versuchte, mich aus seinen Händen, die mich noch immer festhielten, zu lösen. Er senkte beschämt den Kopf und entschuldigte sich: „Tut mir leid. Bis dann."

Es war kein besonderer Kuss gewesen. Dennoch hoffte ich, dass Sam nichts merken würde. Ich verließ den Club und freute mich, als ich sah, dass er tatsächlich auf mich gewartet hatte und noch an der gleichen Stelle stand, an der ich ihn zurückgelassen hatte. „Ich bring dich nach Hause“, sagte er entschlossen. „Nein, brauchst du nicht“, lehnte ich dankend ab. „Natürlich! Glaubst du, ich lasse dich jetzt, in deinem Zustand, alleine gehen?“ „In meinem Zustand? Was soll das denn heißen?“, fragte ich irritiert,. „Du wirkst ein bisschen aufgewühlt“, entgegnete er. Verdammt, war es so offensichtlich? „Dann weißt du ja, wo ich wohne“, stellte ich fest. „Das werde ich früher oder später sowieso wissen."

Er hatte eine solche Sicherheit in der Stimme! Ich war verunsichert. Meine Eltern, Freunde, Bekannte, alle hatten mich davor gewarnt, mich Fremden anzuvertrauen. Und nun stand ich hier und konnte Sam den Gefallen nicht abschlagen, geschweige denn ihm widersprechen.

„Okay", sagte ich stattdessen, und wir gingen gemeinsam los. Er lief direkt neben mir. Ich fühlte mich hin und her gerissen und versuchte, nicht auf falsche Gedanken zu kommen. Ein beiläufiges Gespräch schien in dieser Situation passend: „Und wo wohnst du?", erkundigte ich mich. „Am Marktplatz", antwortete er ein wenig unpräzise. „Ah, das ist gar nicht so weit von mir.“ Die Neugier hatte mich geweckt: „Und, wohnst du alleine?" „Nein", sagte er. Ich war enttäuscht. Doch dann redete er weiter: „Ich habe da so ein kleines Wollknäuel, was sich Katze oder Lilly nennt und jede Nacht mein halbes Kissen in Anspruch nimmt." Ich lachte vor Erleichterung laut los. „Wie süß!", platzte es aus mir heraus. „Süß ist es bis zu dem Punkt, an dem du morgens mit Kratzern im Gesicht aufwachst.", fügte er hinzu. Ich musste noch mehr lachen. Das Eis war gebrochen, und den Rest des Weges bekam ich noch einige Geschichten von „Lilly“ zu hören.

Die Kirchturmuhr schlug gerade elf, als wir vor meiner Haustür ankamen. Für mich stand fest, dass ich Sam wiedersehen wollte. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte: „Gibst du mir deine Nummer?" „Die brauchst du nicht, wir werden uns auch so wiedersehen", „Oh“, die Enttäuschung überkam mich, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Er nahm meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. Er blickte mir in die Augen und drückte meine Hand zum Abschied. Oh man! Es fiel mir schwer, die Fassung zu behalten. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen oder hätte ihn geküsst! Er ist ein Fremder, mahnte ich mich selbst, während er sich schon verabschiedete: „Bye, Marleen." Er lächelte, ließ meine Hand los und ging. Obwohl ich unvernünftigerweise mehr gewollt hätte, reichte mir diese Verabschiedung vollkommen. Aber würden wir uns wirklich wiedersehen? Ich sah ihm noch eine Weile sehnsüchtig nach und ging dann ins Haus. Manchmal ist es so schwer seinem Verlangen nicht nachzugeben.

Meine Eltern waren noch wach, saßen im Wohnzimmer und sahen fern. Es lief eine Dokumentation über Gebirge. „Und wie war's?“, erkundigte sich mein Vater neugierig. „Es war echt schön! Die Leute waren total gut drauf! Aber ich erzähle euch morgen mehr, denn ich bin ziemlich müde". „Hast du viel getanzt?", fragte meine Mutter interessiert. „Äh ja." Ich gähnte, um meine Aussage zu unterstreichen. „Okay Schatz, geh’ schlafen. Schön, dass du pünktlich warst." Mama gab mir noch einen Gute-Nacht-Kuss, dann ging ich in mein Zimmer.

Ich legte mich aufs Bett und starrte aus dem Fenster. Das Licht der Stadt leuchtete herein, sodass sich Schatten um mich herum abzeichneten. Sam. Was wusste ich über ihn? Einundzwanzig Jahre alt, Single, Wohnung am Marktplatz, Raucher und eine Katze namens Lilly. Ich war so naiv! Wer weiß, ob eines der Dinge stimmte? Wer konnte mir das versichern?

Keiner! Vielleicht stand er ja in genau diesem Moment an meiner Haustür und überlegte, ob er klingeln oder sie gleich aufbrechen soll.

Aber, er hatte überhaupt nicht unehrlich gewirkt. Er hatte mein Vertrauen geweckt und es schien, als könne er nichts anderes als die Wahrheit sagen. Er hatte eine Ausstrahlung, die mir ein tiefes Wohlgefühl gab.

Die Geräusche eines Einbruchs blieben aus, und so schlief ich nach kurzer Zeit fest ein. Ich träumte von Jimmy.

Mein Freund der Junkie

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