Читать книгу Mein Freund der Junkie - Dana Krösche - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеMeine Mutter war das ganze Wochenende Zuhause.
Ich beschloss, Sehnsucht nach Jimmys Gitarre zu haben, denn der Marktplatz war ja schließlich verboten. Wenn ich nur einfach so rausgewollt hätte, wäre Mum wahrscheinlich sogar mitgekommen. Jimmy kam pünktlich um ein Uhr. Ich hatte mich gerade fertig angezogen, als es klingelte. „Hey Marleen!“ Er schloss mich erfreut in die Arme. Ich hatte mit einem Kuss gerechnet, doch dafür war er wahrscheinlich zu nüchtern.
Meine Mutter arbeitete an einem Ehering mit eingefasstem Opal. „Hallo. Ich bin Jimmy“, begrüßte er sie anständig. „Hey! Schön, dass du da bist!“ Sie lächelte ihn an. Ich zog ihn in mein Zimmer, bevor sie ein Gespräch anfangen würde. Ich war immer noch sauer auf sie.
Jimmy packte seine Gitarre aus. „Sie hat dich auch vermisst“, meinte er grinsend. Er setzte sich auf mein gemachtes Bett, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und spielte. Ich räumte noch schnell ein paar Klamotten weg, dafür hatte ich bislang noch keine Zeit gehabt. Was da so herumlag, war mir echt peinlich. Doch meinen Gast schien es in keiner Weise zu interessieren. „Wie geht’s dir so?“, fragte er nach einer Weile. „Super, und dir?“ „Ich hab dich vermisst“
. Ich lächelte. Meine Aufräumaktion war beendet. Ich setzte mich neben ihn. „Jimmy, ich muss dich mal was fragen“, fing ich an. „Was denn?“, er guckte mich neugierig an. „Du hast doch auch gesehen, dass ich mit jemandem den Club verlassen habe?“
„Ja. Er hatte blonde Haare. Wieso fragst du?“ Er war verwundert. „Weil ich langsam glaube, ich hätte mir alles nur eingebildet“, erklärte ich. „Habt ihr denn keinen Kontakt?“ Es klang hoffnungsvoll. „Nein. Ich habe auch keine Telefonnummer oder Adresse“, meinte ich traurig. „Sei froh.“ Ich war erstaunt: „Wieso?“ Jimmy fügte hinzu: „Auf mich hat er den Eindruck gemacht, als ob mit ihm irgendwas nicht stimmt. Als wäre er gar nicht wirklich da.“ „Hm.“ Ich guckte aus dem Fenster, während er weiterspielte. Vielleicht sollte ich nicht weitersuchen.
Er hatte ja gemeint, wir würden uns wiedersehen.
Doch es war wirklich nur naiv, so etwas zu glauben.
Ich beschloss, ihm nicht nachzulaufen.
Jimmys Gitarrenspiel beruhigte und machte mich sentimental. Ich erinnerte mich an seinen Abschiedskuss im Club, das hieß er war nicht uninteressiert. Er sah auch ganz süß aus. War in meinem Alter. Und saß in diesem Augenblick direkt vor mir. Auf meinem Bett, in meinem Zimmer. Greifbar nah. Ich rutschte näher zu ihm und legte ein Bein auf seinen Schoß. Die Melodie stockte kurz, wurde dann aber wieder fließend. Ich schmiegte mich an ihn. „So kann ich nicht weiterspielen“, sagte er. Ich lachte: „Dann mach doch eine Pause.“ Er stellte die Gitarre beiseite, legte sich aufs Bett und zog mich auf sich. Wir küssten uns. Es gefiel mir, besser als am Samstag. Dann legte er seine Arme um mich, drehte mich aufs Bett und legte sich auf mich. Seine Küsse wurden intensiver. Ich hatte schon einige sexuelle Erfahrungen gesammelt, das war nicht das Problem. Aber meine Mutter saß ein Stockwerk tiefer an ihrer Arbeit, eine etwas unpassende Situation. In ihrer Vorstellung sollte ich wenigstens den Nachnamen eines Jungen kennen, bevor ich etwas Intimes mit ihm anfing. Ich musste mich also nach ihren Regeln richten und mich erst um die Formalitäten kümmern, wenn ich Stress mit ihr vermeiden wollte.
Ich beschloss, es vorerst beim Küssen zu belassen. So schob ich ihn von mir runter und machte einen Vorschlag: „Lass uns doch einen Kaffee trinken gehen.“ Es war echt fies von mir, ihn plötzlich so abzuwimmeln, aber es galt, einen erneuten Streit mit meiner Mutter zu vermeiden. In diesem Sinne: Erst die Pflicht, dann das Vergnügen. „Wo willst du hin?“, fragte Jimmy. „Ich weiß nicht, wie wäre es mit dem „Café am Fluss“?“ „Na gut.“ Er gab mir noch schnell einen Kuss. Ich zog meine Shorts und das Rüschentop zurecht, zog meine Chucks an und ging die Treppe hinunter zu meiner Mutter: „Mama? Wir gehen einen Kaffee trinken.“ Sie antwortete: „Okay, du weißt ja, wann du wieder hier zu sein hast.“ Ja, leider wusste ich das. Jimmy legte mir eine Hand auf den Hintern. „Wann wäre das?“, fragte er. Während wir gingen, erzählte ich es ihm. Ohne jeglichen Kommentar nahm er meine Ausführungen zur Kenntnis.
Ich begann, mich nach ihm, seinen Interessen und Hobbys zu erkundigen.
Sein Leben war interessanter, als ich es mir vorgestellt hatte. Seine Eltern waren geschieden und er lebte bei seinem Vater, in so einem richtigen Männerhaushalt. Ich beneidete ihn, denn anders als ich hatte er jeden Tag sturmfrei, bis sein Vater spät abends aus der Kanzlei zurückkam. Wir holten uns einen Coffee to go, spazierten am Fluss entlang und unterhielten uns gut. Als es dämmerte, kannte ich ihn meines Erachtens gut genug. „Ich bring dich heim“, beschloss er. „Meine Gitarre steht ja auch noch bei dir.“ „Okay.“ Ich nahm seine Hand. Als wir zuhause ankamen, war bereits das Abendbrot vorbereitet. Mein Vater und Jimmy begrüßten sich freundlich: „Guten Abend, ich bin Jimmy.“ Sie reichten sich die Hand. „Möchtest du mitessen?“, fragte meine Mutter einladend. „Gerne.“ Wir setzten uns zu Tisch. Ich holte Getränke. „Bist du Marleens Freund?“, fing mein Vater ein Gespräch an. „Ich denke, es ist mehr eine offene Beziehung“, sagte Jimmy, der nicht so richtig wusste, was er sonst hätte antworten sollen. Ich grinste: „Sehe ich auch so.“ „Und wo kommst du her?“ Meine Eltern quetschten ihn gnadenlos aus. Beide waren mal gut gelaunt und ich wusste, ich hatte ihre Regeln hervorragend beachtet, denn meine Mutter bot Jimmy aufgrund des starken Regens an, bei uns zu übernachten: „Du kannst heute Nacht hierbleiben, wenn du magst. Dann musst du nicht im Regen nach Hause.“ Er grinste und nickte. „Ja, gerne. Ich muss dann nur kurz meinem Vater Bescheid sagen. Vielen Dank für die Einladung.“
Er rief an, bevor wir in mein Zimmer gingen. Meine Eltern begaben sich ins Wohnzimmer, um fernzusehen.
Es gewitterte. „Zu den Gitarrenklängen mischt sich der Regen.“ Ich stand am Fenster und sah zu, wie die Tropfen daran abprallten. Jimmy setzte sich auf mein Bett und sang: „You‘re standing there, staring outside the window. You look so great and I don‘t know what to do. I just want to take you tonight.” Sein Gesang gefiel mir. Ich stimmte ein: „I‘m standing here, watching the lightning. But I‘ll come to you, sit next to you“, ich ging auf ihn zu, „And I‘ll come for you tonight.”
Jimmy hörte auf zu spielen. Der Donner grollte über uns. Er stellte die Gitarre beiseite und zog mich in seine Arme. Wir standen in meinem Zimmer, einfach eng umschlungen. Ich legte meinen Kopf an seine Brust. Das Gewitter tobte sich aus. Ich zitterte. „Hast du Angst?“, fragte er. Er hob meinen Kopf und schaute mir tief in die Augen. „Nein.“ Ich küsste ihn. Langsam zogen wir beide uns aus und schlüpften unter die Bettdecke. Jimmy löschte das Licht. Nur die Blitze erhellten mein Zimmer, als wir uns liebten. Wie romantisch.
Das Gewitter war vorüber. Jimmy lag hinter mir und legte seinen Arm um mich. „Wie lange stehst du schon auf mich?“, fragte ich ihn. Er küsste meinen Nacken. „Zu lange. Ein halbes Jahr.“ „Und da hast du mich nie angesprochen und mich gefragt, was ich über dich denke?“. Ich war erstaunt. „Ich bin sehr schüchtern“, meinte er. Ich lächelte, während ich einschlief und es genoss nicht allein zu sein.
Eine sanfte Melodie weckte mich: „Guten Morgen, meine Süße.“ Jimmy war schon länger wach. „Morgen“, sagte ich, noch ein wenig verschlafen. Der Duft von frischem Kaffee strömte durchs Haus, doch Jimmy wollte nicht zum Frühstück bleiben. Ich ging ins Bad und er nach Hause. Das war sie also, meine offene Beziehung.
Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Die Woche über war ich fast jeden Tag bei ihm. Er spielte Gitarre, wir hatten Sex oder gingen spazieren.
Sam kam mir immer mehr wie eine Illusion vor. Nirgendwo gab es ein Lebenszeichen von ihm.
Die wundervolle freie Sommerzeit war nun vorbei, und das neue Schuljahr begann. Ich war jetzt in der Oberstufe und Jimmy eine Klasse über mir. Am ersten Schultag hatten alle Jahrgangsstufen sechs Stunden. Wir verließen gemeinsam die Schule. Plötzlich entdeckte ich etwas, das mich nahezu erstarren ließ. „Marleen, was ist?“ Jimmy folgte meinem Blick. Als ich ihn seufzen hören konnte, war ich mir sicher, dass es keine Einbildung war, was ich sah:
Sam lehnte am Schultor.
„Denk daran, wir haben eine offene Beziehung“, raunte ich Jimmy zu und löste mich von ihm.
Ich wusste nicht, wie ich Sam begrüßen sollte. Vielleicht war er ja gar nicht wegen mir hier. Er rauchte und wippte mit dem Fuß auf und ab. Zuerst bemerkte er mich gar nicht. Doch als ich nur noch ein paar Schritte entfernt war, hob er den Kopf und lächelte mich an.
Er streckte mir die Hand entgegen, ich gab ihm meine und er verschränkte wieder unsere Finger. Er nahm noch den letzten Zug von seiner Zigarette, warf sie zu Boden und trat sie aus.
„Hey!“ Es klang so wie das erste, das ich von ihm gehört hatte. Und da war es wieder. Mein Herz klopfte merklich schneller und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Hi, wartest du auf mich?“, wagte ich einen Anfang. „Ja! Ich dachte, wir könnten zusammen was trinken gehen.“ Ich war ein wenig irritiert und ging nicht darauf ein. Stattdessen fragte ich: „Wo warst du die ganzen Wochen? Ich habe dich gesucht!“ „Ich lasse mich nicht gerne finden. Ich habe auch viel an dich gedacht, doch wusste ich nicht, ob du mich wiedersehen willst. Jetzt weiß ich es. Wolltest du nicht, wärst du an mir vorbeigegangen.“ Sam sah mich an. Schüler drängten an uns vorbei, doch das war egal. Er war wieder da. Er war keine Illusion, und er hatte an mich gedacht. Alles andere war gleichgültig, selbst der Nieselregen.
Wir gingen in das Café, in dem ich immer gefrühstückt hatte. „Sam, warum glaubst du, ich hätte dich nicht wiedersehen wollen?“, wollte ich mir nun doch Klarheit verschaffen. „Weißt du, Marleen, das will selten jemand. Ich bin vielen Menschen unheimlich. Nicht jeder kommt mit meiner Art klar.“ Ich war erstaunt. „Du bist sehr direkt“, sagte ich, weil mir das bei unserem ersten Gespräch schon aufgefallen war. „Und du bist sehr hübsch“, wiederholte Sam sein Kompliment, vom letzten Mal. Ich lachte verlegen. „Hast du deinen Eltern von mir erzählt?“, wollte er wissen. „Ja“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Sie sind nicht begeistert“, fügte er hinzu, als wüsste er von dem Streit. „Ja, sie haben Angst, dass du etwas tust, was ich nicht möchte.“ Er nahm wieder meine Hand. „Das könnte ich niemals.“ Er streichelte über meinen Arm, ich bekam eine Gänsehaut. Es kribbelte in meinem Bauch. „Du musst jetzt nach Hause“, erinnerte er mich fürsorglich. „Begleitest du mich?“, fragte ich hoffnungsvoll. „Bis zur Straßenecke.“ „Willst du meine Mutter kennenlernen?“ „Noch nicht“, meinte er. „Und wann sehen wir uns wieder?“,. „Morgen, wenn du frei hast. Ich kann zur Schule kommen.“ Ich stand auf und zog meine Jacke an. Es regnete jetzt stark. An der Straßenecke blieben wir stehen. „Wir sehen uns morgen?“, wollte ich mich vergewissern. „Ja. Ich werde da sein.“ Er lächelte. Ich wollte ihn noch umarmen, doch schon ging er. Seltsam. Was war bloß an ihm?
„Und wie war es heute in der Schule?“ Meine Mutter schenkte mir Suppe ein. „Gut. Nichts anderes als vor den Ferien.“ „Und wie sind deine Lehrer?“ „Nett“, antwortete ich wortkarg. „Du hast ja jeden Tag außer Freitag nachmittags Unterricht. Da hab ich mehr Zeit für mich als vorher, dann gehe ich morgen direkt mal in die Bibliothek!“ „Das hättest du vorher auch gekonnt“, stellte ich ein wenig gereizt fest.
Noch immer behandelte sie mich wie ein kleines Mädchen. „Marleen, was ist los mit dir?“, fragte sie verwundert. „Nichts.“ Ich hatte keine Lust auf ein längeres Gespräch. „Komm’, erzähl’ es mir. Ich verspreche, nicht böse zu werden.“ „Wirklich?“ Ich zweifelte daran. „Ganz wirklich“, versicherte sie mir. Ich begann: „Ich habe heute Sam wiedergesehen. Weißt du noch, der 21-jährige.“
Sie holte tief Luft. „Du wolltest nicht sauer werden“, erinnerte ich sie. „Ich bin nicht sauer, nur überrascht.“ „Und eine schlechte Lügnerin“, warf ich ihr vor und ging aus dem Zimmer. „Und was ist mit Jimmy?“, rief sie mir nach. „Offene Beziehung, schon vergessen?“, meinte ich sauer. „Ich finde es trotzdem nicht fair. Glaubst du, es verletzt ihn nicht, wenn du dich an einen anderen ranmachst?“ Sie war ganz in ihrer Rolle. „Wer sagt denn, dass ich mich an ihn ranmache?“, ich kam zurück in die Küche. „Was willst du denn sonst von diesem Sam?“ „Vielleicht ist es auch einfach nur ein Freund“, versuchte ich, mich rauszureden. Ich spürte, dass ich damit den richtigen Nerv getroffen hatte. „Ein Freund? Dass ich nicht lache. Du hast ihn zweimal gesehen und schon ist er ein Freund? Marleen, das kann doch nicht dein Ernst sein! Wo ist denn meine gute Erziehung geblieben?“ Ich verließ die Küche erneut.
Sie ließ mich den Rest des Tages in Ruhe. Das war eines der wenigen guten Dinge an meinen Eltern. Wenn sie mit mir reden wollten, taten sie das beim Essen, und wenn ich was von ihnen wollte, musste ich zu ihnen kommen. Mein Zimmer war mein Reich. Mein Rückzugsort.
Am Abend telefonierte ich noch lange mit meinem Bruder, der gerade aus dem Urlaub zurückgekommen war. Wir verabredeten uns für das nächste Wochenende. Endlich wieder frei und weg aus dem Sichtfeld meiner Eltern.