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Prolog

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Begegnung auf der Parkbank


Es passiert zu einer Zeit, in der ich mit mir und der Welt unzufrieden bin - vor allem mit der Welt. Ich bin deprimiert, wütend und will mit niemanden etwas zu tun haben. In diesem Zustand laufe ich mal wieder früh am Morgen durch den leeren Park. Tagsüber vermeide ich das. Diese fröhlichen Menschen nerven mich.

Ich stampfe den Weg entlang. Es ist kalt und windig. Ich habe keinen Blick übrig für die bunten Blätter, die durch die Luft wirbeln. Ein Eichhörnchen springt vor mir über den Weg und erschreckt mich. Blödes Vieh, denke ich nur und laufe weiter.

Mein Ziel ist die Bank, die mitten im Park steht. Als ich dort ankomme, sitzt ein alter Mann darauf. Na toll, denke ich, nicht mal hier hat man seine Ruhe. Ich will schon vorbei gehen, da spricht mich der Typ an: „Setz dich doch. Du sitzt doch jeden Morgen hier.“

Ungläubig starre ich ihn an. Ich habe ihn noch nie gesehen. Ein heimlicher Spanner, oder was? Auch egal. Schlimmer als es gerade in meinem Leben zugeht, kann es eh nicht mehr werden. Also setze ich mich neben diesen komischen Alten.

„Was ist los mit dir?“, fragt er mich.

Ich schaue ihn kurz an. „Wen interessiert das?“

„Mich.“

„Ach ja? Und wer sind Sie?“

„Ich bin Daniel.“

Daniel, ja klar. Heißt man in diesem Alter Daniel? Die Daniels, die ich kenne, sind dreißig Jahre jünger.

„Aha.“

„Also? Was ist los?“

„Nichts. Lassen Sie mich in Ruhe, DANIEL!“

Ich betone seinen Namen extra, um ihm zu zeigen, dass ich ihm nicht glaube.

„Gibt es irgendetwas, was du noch glaubst? Oder setzt du voraus, dass dich jeder belügt?“

Meine Wut kocht wieder hoch. Ja, jeder lügt! Menschen, die nicht lügen, gibt es nicht.

Daniel beugt sich vor, stützt seine Arme auf die Knie und schaut mich an. Dabei lächelt er noch breiter. Ich schaue ihn sehr böse an, in der Hoffnung, dass er einfach geht. Aber den Gefallen tut er mir nicht.

„Du hast sicher Recht“, meint er, „jeder Mensch lügt mal. Aber meistens sagen sie doch die Wahrheit.“

Was war das denn? Ich hatte doch gar nichts gesagt! Oder doch? Meine Wut verwandelt sich in Verwirrung. Kann ich mich jetzt nicht mehr erinnern, was ich sage oder denke? Ich will gerade aufstehen und gehen, da hält mich der alte Mann am Arm fest. „Bleib bitte noch.“

Diese Berührung ist eigenartig. Ich kann sie gar nicht richtig beschreiben. Trotz meiner Winterjacke und eines dicken Pullovers darunter fühle ich eine Wärme und ein Prickeln auf meinem Arm. Irgendwie bin ich unfähig, aufzustehen.

„Wer sind Sie?“, flüstere ich.

Jetzt lacht er laut. „Daniel. Ich bin Daniel. Hab ich dir doch schon gesagt. Erinnerst du dich nicht mehr?“

„Und was wollen Sie von mir?“

„Nichts. Ich will mich nur mit dir unterhalten. Es ist so ein schöner Tag. Mit einer guten Unterhaltung wird er perfekt.“

Schöner Tag? Es ist kalt. Der Wind ist eisig. Wo, bitte, ist das ein schöner Tag?

„Was siehst du?“, fragt Daniel.

Hä?

„Bäume.“, antworte ich knapp. Was auch sonst? Das ist ein Park.

„Das ist ein guter Anfang“, freut sich Daniel, „wie sehen sie aus?“

„Ist das ein Spiel, oder was?“

„Ja. Ja, das ist ein Spiel. Und ich bitte dich, mitzuspielen.“

Okay, ich hab ja sonst nichts zu tun. Zu Hause wartet niemand auf mich. Also schaue ich mir die Bäume an. „Die Blätter sind bunt.“

„Bunt?“

„Ja. Braun, gelb, rötlich... Und sie fallen von den Bäumen. Wie jedes Jahr im Herbst.“

„Sie fallen von den Bäumen?“

„Sie fallen von den Bäumen. Ja. Was sonst?“

„Schau sie dir an!“

Fallen ist wahrscheinlich was anderes, denke ich mir. Ich sehe den Blättern zu, wie sie durch die Luft schweben. Auf dem Wind segeln. Tanzen. Das sieht lustig aus.

„Du lächelst.“ Daniel strahlt mich an.

Ähm, ja.

„Sorry.“, sage ich nur.

„Warum entschuldigst du dich?“

„Keine Ahnung. Kommt automatisch.“

„Du darfst dich doch nicht entschuldigen, wenn du glücklich bist.“

Und meine Wut kehrt zurück. „Glücklich? Ich? Wie kommen Sie auf diese bescheuerte Idee? Sieht jemand aus wie ich, wenn er glücklich ist?“

Wieder dieses laute Lachen.

„Was ist daran komisch?“, frage ich ärgerlich.

„Ich dachte ernsthaft, du kannst nicht so viele Wörter auf einmal sagen.“ Daniel schüttelt es vor Lachen, und irgendwie fühle ich mich veralbert.

„Hören Sie auf mit dem Quatsch. Sonst gehe ich.“

Ich hoffe, dass er nicht weiterlacht, denn ich will nicht gehen. Ich überrasche mich selbst. Seit Monaten vermeide ich jeden menschlichen Kontakt. Ich lasse mich nicht mehr verletzen, hab ich mir geschworen.

„Geht es dir so besser?“ Daniel lächelt nur noch.

„Was meinen Sie?“ Er verwirrt mich schon wieder.

„Allein. Ohne Freunde. Ohne deine Familie.“

Himmel, denke ich laut? Wie macht der das? Ich starre ihn wieder entgeistert an.

„Natürlich.“, sage ich bestimmt.

„So sieht du nicht aus.“

„Ich hab gelächelt. Haben Sie doch selbst gesagt.“

„Über den Tanz der Blätter. Wie sie durch die Luft segeln.“

Waren das nicht meine Gedanken vorhin? Jetzt reicht es aber.

„Wer sind Sie? Und sagen Sie nicht wieder ‚Daniel‘. Das hatten wir schon.“

„Wenn ich es dir sage, glaubst du mir ja doch nicht. Du hast ja beschlossen, niemanden mehr zu glauben.“

„Versuchen Sie’s!“, fordere ich ihn auf.

Jetzt verschwindet sein Lächeln und mit feierlichem Gesicht spricht er folgende Worte: „Ich bin dein Schutzengel.“

Keine Ahnung, wie viel Zeit vergeht, bis ich aus meiner Schockstarre erwache. Wer dreht hier gerade durch? Der alte Mann oder ich? Ich schüttele mich kurz. „Schutzengel.“ Das ist keine Frage, sondern eine zweifelnde Feststellung.

„Siehst du, du glaubst mir nicht. Aber es ist wahr.“

Ich glaube weder an Schutzengel, noch an Himmel und Hölle. Im Moment glaube ich nur, dass ich den Verstand verliere. Daniel sieht gekränkt aus. In der Nähe gibt es ein Seniorenheim. Ist er da vielleicht abgehauen? Ein seniler Alter, der sich für einen Engel hält? Flügel hat er jedenfalls nicht. Haha. Ich sollte jemanden anrufen, der ihn abholt. Andere Menschen sind mir zwar schnuppe, aber ich will nicht schuld sein, wenn der Alte hier erfriert.

„Es wird niemand vermisst.“, unterbricht Daniel meine Gedanken, „weder im Heim, noch sonst wo. Und es ist auch nicht so, dass Schutzengel mit Flügeln herumlaufen.“

Upps, er hat es schon wieder getan. Der Typ liest meine Gedanken. Verdammt, was soll das denn? Vielleicht schlafe ich noch und träume das nur?

„Was wollen Sie von mir?“, frage ich ihn.

„Dich daran erinnern, die Augen offen zu halten. Dich daran erinnern, zu leben.“

Er berührt meine Hand und sofort fließt eine angenehme Wärme durch meinen ganzen Körper. Ein eigenartiges Gefühl macht sich in mir breit. Ich kämpfe dagegen an, aber ich kann nicht verhindern, dass sich meine Augen mit Tränen füllen. Irgendetwas löst sich in mir, während Daniel meine Hand hält. Was ist das? Aufhören! Ich will das nicht!!

Ich weine, wie noch nie in meinem Leben. Ich rutsche von der Bank auf den Boden. Zwischen dem Herbstlaub sitze ich auf den Knien. Mein Körper zuckt bei jedem Schluchzer. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Als ich hochschaue, ist die Bank leer. „Daniel?“ Nur ein Flüstern kommt mir über die Lippen. Ich schaue mich suchend um. Wo ist er geblieben? „Daniel!“, schreie ich durch den Park. Keine Antwort. Keine Spur von dem alten Mann. Ich stehe auf, klopfe mir die Blätter von meinen Jeans. „Daniel, komm zurück!“ Mein Rufen ist leiser geworden. Ich weiß, dass er nicht zurückkommen wird. Ich weiß nur, dass er in der Nähe ist. Das spüre ich.

Nachdenklich mache ich mich auf den Weg nach Hause. Da sitzt schon wieder dieses Eichhörnchen am Wegrand. Ich bleibe stehen und sehe es an. Eine kleine Ewigkeit schauen wir uns in die Augen. Ich stecke meine Hände in die Jackentasche und fühle in einer der Taschen etwas, das sich wie Papier anfühlt. Ich ziehe es heraus und es ist ein kleines Tütchen. Ich öffne es, und darin befinden sich ein paar Haselnüsse. Ich schaue von der Tüte auf das winzige Tier und wieder zurück. Auf der Papiertüte sehe ich ein Bild. Es ist das Portrait des alten Mannes von der Parkbank. Ich nehme ein paar Nüsse heraus und lege sie auf den Weg. Sofort ist das Eichhörnchen zur Stelle und greift nach ihnen. In der Tüte finde ich ein Blatt Papier. Ich falte es auseinander und lese:


Egal, wie dein Leben dir erscheint - vergiss nie, das Schöne zu sehen. Es ist für dich da und wartet nur darauf, dass du dich darüber freust.

Verschließe dich nicht den Menschen. Schenke ihnen Vertrauen. Es wird immer wieder jemanden geben, der dir weh tut. Aber die meisten werden dich respektieren und lieben.

Wende dich deinem Leben zu, Carolina. Dein Leben braucht dich. Nur du kannst dafür sorgen, dass du glücklich bist. Du hast heute gemerkt, dass das Glück ganz winzige Augenblicke sind. Sie kommen manchmal einfach so. Doch meistens sind sie da, wenn du deinen Blick hebst. Das Glück wartet darauf, von dir entdeckt zu werden. Dafür ist es da.

Ich bin bei dir.

Dein Daniel

(der nicht versteht, warum alle Menschen glauben, ein Schutzengel hätte Flügel)


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