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Zwei

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Daniel


Ich sitze vor meinem Monitor und lächle. Sie fragen sich jetzt sicher, warum. Carolina ist am Boden zerstört, und ich freue mich. Wissen Sie, es ist gut, wenn man seine Trauer auch mal rauslässt. Weinen ist wie Seele polieren. Das ist nötig. Sonst wird man hart und herzlos. Wobei das mit dem „herzlos“ ja gar nicht möglich ist bei Menschen. Doch wir wollen hier mal keine Anatomiestunde abhalten. Sie wissen ja, wie ich das meine.

Ich mache mich jetzt mal auf den Weg zu Carolina. Sie braucht ein Zeichen. Ein Zeichen, dass ihr Leben weitergeht. Einen Sinn hat.


Ich treffe ein paar Stunden später bei ihr ein. Carolina liegt auf ihrem Sofa und schläft. Vor ihr auf dem Boden liegen die Fotoalben. Ich schaue diese Frau genau an und bemerke die Spuren der Tränen, von denen sie heute Abend eine Menge vergossen hat. Am Fußende liegt eine Decke. Ich nehme sie und lege sie über die schlafende Frau. So zerbrechlich sieht sie aus. Wie damals im Park. Nur dass damals noch so eine Wut in ihrem Ausdruck war. Eine Wut gegenüber allem Schönen auf der Welt. Die ist jetzt, wo sie schläft, weg.

Ich muss mir etwas einfallen lassen. So geht das nicht weiter. Aber was? Womit kann ich Carolina helfen, die Freude am Leben wiederzufinden?

Während ich da rumstehe und ihr beim Schlafen zusehe, kommt mir eine Idee. Eine ziemlich gute Idee, wie ich finde. Dafür müsste ich mir selbst auf die Schulter klopfen. Haha.

Bevor ich zurück nach… Upps, beinahe ist es wieder passiert. Sie müssen mich erinnern, dass ich nicht zu viel ausplaudere.

Jedenfalls, bevor ich zurückgehe, lege ich eine kleine, weiße Feder auf den Tisch vor dem Sofa. Ein Zeichen für Carolina. Früher hat sie schließlich auch an Wunder, Zeichen und Träume geglaubt. Sie muss das wieder tun. Nur so ist sie der Mensch, der sie sein soll.

Wissen Sie, jeder Mensch hat eine bestimmte Aufgabe. In der Minute, in der ein Mensch geboren wird, hat er diesen Auftrag erhalten. Das wissen sie natürlich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Aber es ist so. Oder haben Sie etwa gedacht, Sie wären nur zum Spaß auf dieser Welt? Ich bitte Sie. Das können Sie nicht tatsächlich glauben.

Sie meinen, Sie kennen Ihre Aufgabe nicht? Völlig unmöglich. Ich werde mal in der nächsten Schutzengel-Versammlung dieses Thema ansprechen. Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, den Menschen zu zeigen, warum sie auf der Welt sind. Bis dahin hören Sie mal ganz tief in sich hinein. Sie müssen die Augen schließen und sich fragen, was genau Sie wollen. Was wäre das Allerschönste, das Ihnen passieren kann? Geben Sie nicht auf, wenn es beim ersten Mal nicht klappt. Manche Menschen haben so viel unnützen Kram auf ihre Träume gepackt, dass man eigentlich einen Bulldozer bräuchte, um sie wieder freizulegen. Graben Sie!


Zurück in der Zentrale.

Ich gehe sofort zu meinem alten Kumpel Arnie. An der Tür zu seinem Büro steht AMOR. Und es bedeutet genau das, was Sie denken. Amor ist kein kleiner Junge, der durch die Gegend fliegt und mit Pfeilen spielt. Amor ist eine Berufsbezeichnung hier bei uns. Arnie ist der Chef. Es gibt tausende von Amors. Stellen Sie sich vor, es gäbe nur einen. Wie lieblos die Welt dann wäre. Und der arme Amor würde irgendwann vor Erschöpfung einfach auf seine Pfeile fallen.

Ich sehe schon, Sie haben völlig seltsame Vorstellungen von uns - wenn Sie überhaupt welche haben. Auch die, die uns ignorieren und uns als Quatsch bezeichnen, stehen auf unserer Klientenliste. Tja, so ist das nun mal.

Aber zurück zu Arnie. Ich klopfe, und eine tiefe Stimme brummt: „Herein.“

Arnie hat eine tolle Stimme. Ich beneide ihn deswegen. Ein tiefer Bass, der durch sämtliche Hallen dröhnt. Die Neuen haben anfangs Angst vor ihm. Aber Arnie ist eine Seele von Engel. Er ist sensibel, verständnisvoll und witzig. Manchmal treibt er auch so seine Scherze auf der Erde. Bringt Menschen zusammen, wo es von Anfang an zu urkomischen Situationen kommt. Das findet er lustig, und sein Lachen dröhnt durch … Sie wissen schon. Hier eben.

Ich öffne die Tür und finde Arnie an seinem Schreibtisch sitzend vor. „Hey, Arnie.“

„Daniel, alter Junge. Hab dich ja eine Weile nicht gesehen. Alles gut?“

„Klar. Bei mir schon. Und selbst?“

„Es läuft. Obwohl mich die Reklamationen wahnsinnig machen. Dieser Schriftkram ist einfach nichts für mich.“

„Wozu hast du eine Sekretärin? Wo ist die eigentlich?“

„Das frag ich mich manchmal auch. Betty schwirrt schon wieder durch die Gegend und sucht neue Klienten. Als hätten wir noch nicht genug zu tun. Und den ganzen Papierkram knallt sie mir mit den Worten ‚Mach mal‘ auf den Tisch. Ich wünschte, ich könnte sie feuern.“

Ich grinse. Natürlich würde er Betty niemals feuern. Die beiden sind ein Herz und eine Seele. Klingt lustig, wenn man bedenkt, wo wir hier sind, nicht? Ohne Betty geht nichts. Und ohne die ständigen Diskussionen zwischen den beiden würde sich kein Mensch auf der Welt mehr verlieben.

„Warum die ganzen Reklamationen? War doch früher nicht so viel.“

„Stimmt wohl. Weißt du, Daniel, seit ich ständig diese Neuen bekomme, klappt selten irgendwas. Die nehmen ihren Job noch nicht ernst. Den theoretischen Unterricht schwänzen sie, und in der Praxis spielen sie ‚Wilder Mann‘ und ballern wahllos durch die Gegend. Naja, und mit der Dosis nehmen sie es auch nicht so genau. Du weißt ja, dass dieses Mittel mit der Zeit immer mehr seine Wirkung verliert. Und wenn die Menschen da nicht ein bisschen selbst mitmachen, ist die Wirkung irgendwann weg, und sie fragen sich, wie sie sich in den jeweils anderen verlieben konnten.“

Ich kann Ihnen leider nicht sagen, wie dieses Mittel heißt. Das ist streng geheim. Dir Formel für die Herstellung kennen nur die Amors. Kein anderer Engel hat Zugriff darauf.

„Das ist echt ein Problem. Kannst du die Azubis nicht zwingen, zum Unterricht zu kommen?“, frage ich Arnie.

„Nein. Du weißt doch, dass man hier niemanden zwingen kann. Was sollte die Strafe sein? Zurück auf die Erde? Damit würde ich denen doch einen Gefallen tun. Sie müssen das selbst wollen und ernst nehmen. Anders geht es nicht. Das Gute ist, dass früher oder später jeder Azubi seinen Aha-Effekt bekommt. Nur die ersten Jahre sind eben schwierig. Doch der Boss will, dass die Kleinen von Anfang an in der Praxis dabei sind. Manchmal denke ich, dem ist langweilig, und er hat seinen Spaß an den Missgeschicken anderer.“

Ein lauter Donner ertönt.

„Ja!“, ruft Arnie, „Ist ja gut! Aber du weißt es selbst.“

Arnie schert sich einen Dreck um den Boss. Die beiden sind schon so oft aneinandergeraten. Doch wie das so ist hier bei uns - niemand ist nachtragend. Man hört sich gegenseitig zu und versucht, den anderen zu verstehen. Der Boss weiß, dass Arnie Recht hat, und Arnie weiß, dass der Boss Recht hat, wenn es darum geht, die Anfänger ins kalte Wasser zu schubsen.

„Arnie, ich hab ein Problem.“, beginne ich.

„Es geht um deine Carolina?“

„Ja.“

„Es ist ein Jammer. Das war wirklich eine gute Arbeit damals. Die Dosis hätte bis an ihr Lebensende gereicht.“ Arnie kratzt sich am Kinn. „Was es wahrscheinlich bei Carolina immer noch tut. Oder?“

„Richtig. Sie kommt nicht drüber weg. Sie verschließt sich, redet mit niemanden, geht nirgends hin. Außer in den Park, wenn sie weiß, dass niemand dort ist. Arnie, du musst etwas tun. Sie soll ja ihren Mike nicht vergessen. Aber sie sollte Liebe spüren.“

„Vielleicht hast du Recht, Daniel. Warte mal, ich schau mal in die Dienstpläne.“

Arnie beugt sich über seinen Schreibtisch und wühlt sich durch die losen Blätter. Nach einer Weile scheint er das richtige gefunden zu haben und studiert es gründlich. Ich wippe von einem Fuß auf den anderen und hoffe, er wird bald fertig. Ich bin ein ungeduldiger Schutzengel, müssen Sie wissen. Das ist nicht immer hilfreich. Doch ich kann es nicht ändern.

„Ja“, ruft Arnie, „da lässt sich was machen.“

„Cool!“

Eine Augenbraue hochziehend schaut er mich an. „Cool? Du bist zu oft auf der Erde, alter Junge.“

„Kann sein.“ Ich lächle ihn an. „Erzähl schon.“

„Tja. Also… Ich hab hier einen Neuen…“

„Nein! Keinen Neuen!“

„Lass mich doch erstmal ausreden!“

„Tschuldigung.“

„Also, sein Name ist Rick. Er ist seit drei Monaten bei uns. Hat bisher noch keinen Unterricht geschwänzt und ist sehr motiviert.“

„Hmm. Das hört sich ja eigentlich ganz gut an. Wo ist der Haken?“

„Was du immer denkst. Kein Haken.“

Wieso hält Arnie jetzt die Hände unter den Tisch? Kreuzt er etwa seine Finger?

„Lass mich kurz überlegen. Wie ist seine Erfolgsquote?“

„Hörst du zu? Rick ist seit drei Monaten hier. Die Trefferquote liegt bei einhundert Prozent, was jetzt nicht verwunderlich ist. Oder?“

„Da hast du auch wieder Recht.“ Einen Augenblick wäge ich ab. Was, wenn es schief geht? Kann es schlimmer kommen? Ich muss es einfach probieren.

„Okay. Der Deal steht.“, sage ich zu Arnie.

„Deal? Was für’n Deal? Gedenkst du etwas für mich zu tun?“

„Was immer du willst. Du hast was gut bei mir. Natürlich erst, wenn es geklappt hat.“

„Was immer ich will?“

Ach, du Schreck. Wieso kann ich meine Klappe nicht halten. Egal. Für Carolina tue ich alles.

„Was auch immer.“

Arnie steht auf, beugt sich über seinen Schreibtisch und gibt mir die Hand. „Okay, alter Junge. Ich schicke dir Rick vorbei.“


Zwei Stunden später klopft es an meiner Tür. Ich stehe auf, gehe die paar Schritte und drücke die Klinke herunter. Vor der Tür steht ein … Jüngelchen. Stellen Sie sich vor, dass er etwa wie ein Knabe Anfang zwanzig aussieht. Ein sehr unreifer Knabe, wohlgemerkt. Alter ist hier bei uns nicht existent. Man sieht eben so aus, wie man aussieht. Das hat nichts mit Lebensjahren zu tun. Lebensjahren… haha. Verstehen Sie? Nicht? Auch egal.

„Hallo, ich bin Rick und soll mich bei dir melden.“

Hier bei uns gibt es auch kein Siezen. Nur so zur Info, falls Sie sich wundern, warum der Kleine mich mit ‚Du‘ anredet.

„Toll. Ich hab dich schon erwartet. Komm rein.“

Etwas schüchtern betritt Rick mein Büro.

„Setz dich.“ Er nimmt neben mir am Schreibtisch Platz, so dass er meinen Monitor sehen kann.

„Arnie sagte mir, dass du einen Auftrag für mich hast.“

„Richtig. Meinst du, du schaffst das? Du bist ja noch neu in der Branche und noch nicht so erfahren.“

Tatsächlich zweifle ich gerade an seinen Fähigkeiten. Er sitzt da wie ein kleiner Schuljunge. Die Hände auf seinem Schoß. Ziemlich nervös und errötend starrt er auf den Bildschirm.

„Ich kann das.“, meint er.

„Hmm. Na, dann. Der Auftrag ist sehr wichtig. Da darf es keine Pannen geben. Verstanden?“

„Ja. Natürlich.“

Zittert der Kleine? Ach je. Traut er sich überhaupt, einen Pfeil auf einen Menschen zu schießen? Gut, dass er nicht mit ihnen kommunizieren kann. Ich glaube, er würde erstmal um Erlaubnis bitten und sich danach für die Unannehmlichkeiten entschuldigen.

„Also pass auf.“ In den folgenden zwei Stunden erzähle ich ihm Carolinas Geschichte. Bei Mike bin ich ganz ausführlich. Rick soll wissen, was Carolina an einem Menschen wichtig ist. Er muss unbedingt den Richtigen finden.

Er hört aufmerksam zu, nickt zwischendurch, stellt Fragen an den richtigen Stellen. Ich bin beeindruckt.

„Das kann ich.“, sagt er wieder, als ich mit meinen Ausführungen fertig bin.

„Dann zeig’s mir.“


Amors Hilfe

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