Читать книгу Clara - Dana Seefeld - Страница 4
Leuchten
ОглавлениеClara war Mitte 30, eine erfolgreiche und strebsame Frau. Sie hatte es nie vollkommen leicht im Leben, aber sie konnte stolz auf sich sein, hatte sie doch einige Schicksalsschläge bereits hinter sich gebracht und viele Hürden gemeistert. Erfolgreiche Aufstiege auf der Karriereleiter gehörten ebenso dazu, wie eine glückliche Beziehung und ein großer Freundeskreis. Sie war beruflich und privat erfolgreich und alles sprach dafür, dass sie glücklich und zufrieden sein konnte und stolz auf sich selbst und ihr Leben. Ihr Leben- oder das, was davon übrig geblieben war. Denn der Zahn der Zeit hatte auch an Clara genagt und sorgte dafür, dass sich eine gewisse Schwere über sie, ihr Leben, ihre Stimmung und auch über ihre Lebenslust legte. Oft kam es ihr vor, als wollte der Schleier nicht mehr verschwinden. Er hinderte sie an neuen Ideen, an verrückten Unternehmungen, an ihrer sonst so natürlichen Freude über Kleinigkeiten und an der Leichtigkeit, die das Leben erst lebenswert machte.
Aber es wurde besser. Durch Gespräche mit einer Therapeutin und auch mit nahestehenden Menschen, die sie liebte, schaffte sie es immer wieder aufs Neue, einen Weg durch all die Pfade des Lebens zu finden, wenn sie sich wieder einmal mit ihren Gedanken im Dickicht verloren hatte.
Und dann kam es zurück und blitzte für Augenblicke und auch manchmal für einen längeren Moment auf: Das Strahlen in ihren Augen. Das Leuchten von innen heraus, das ein sicheres Zeichen dafür war, dass die Schatzkiste ihrer Seele wenigstens einen kleinen Spalt breit geöffnet war. Dann begannen ihre Augen wie Diamanten zu glitzern und zu funkeln und ein besonderer Glanz wagte sich durch die Dunkelheit und die Schleier nach draußen ins Licht. Wie ein Sonnenstrahl, der durch tagelangen Nebel endlich auf die Erde trifft, wie ein Lichtblick, der das Ende des Tunnels anzeigt, wie ein ganz besonderes Schimmern, dass einem sagt, dass man einen sehr wertvollen Edelstein gefunden hat.
Clara selbst nahm das Leuchten gar nicht so wahr. Aber in ihrem Umfeld war es schon lange so gewesen, dass Menschen sie angesprochen hatten auf ihre fröhliche Art, ihre Ausgeglichenheit, ihre Geduld, ihre Lebensfreude. Das waren Umschreibungen des Leuchtens, wie sie sie kannte. Komplimente, die sie als glücklich und zufrieden beschrieben oder wohlwollende Blicke, wenn sie einen Raum betrat. Clara gefiel das Gefühl, gemocht und geschätzt zu werden. Sie war ein regelrechter Menschenmagnet. Neue Kollegen fühlten sich schnell freundschaftlich zu ihr hingezogen, Kinder spielten gerne mit ihr und liebten ihre kreativen Ideen und ihre lockere Art. Und Clara liebte sie. Sie machte gerne Späße, sie war gerne kreativ und tobte sich mit Kindern aus- dabei konnte es auch mal chaotisch werden oder laut oder unübersichtlich: Clara hatte den Trubel doch immer unter Kontrolle und konnte damit gut und souverän umgehen. Nichts konnte ihr dann die Nerven rauben, sie wirkte wie eine Löwenbändigerin, eine Jongleurin mit hunderten Bällen, eine Artistin, die den Weg über das Drahtseil trotz der Schatten fand. Ihre Geduld ging ins Unermessliche und selbst wenn die Welt aus den Fugen zu reißen drohte, stand sie als Felsen fest in der Brandung und hielt die Zügel noch immer fest im Griff; nicht zu fest, aber auch nicht zu locker.
Eine starke Frau, eine Powerfrau, die perfekte Partnerin, eine Traumschwiegertochter. Das waren Aussagen, die sie beschrieben und beschrieben hatten. Und die sie zu dem Menschen gemacht hatten, der sie war. Der sie für andere war. Denn in ihrem Inneren, in der Schatzkiste der Seele, herrschte noch lange nicht das, was man von außen sehen und was Menschen spüren konnten, die sich mit ihr umgaben. Denn Menschen sahen das Leuchten, aber sie bemerkten nicht, wie es langsam verglühte, wie es weniger wurde, ab und zu noch da war, dann aber wieder verschwand. Weil die Menschen nicht hinschauten und nicht genau waren und weil sie nur das sahen, was sie auch sehen wollten.
Clara war dafür umso genauer und so verstand sie es, mit einer Prise Schauspielkunst und wachen Augen, die ihr Gegenüber (und jede kleinste Reaktion) wahrnahmen, das Leuchten scheinbar aufrecht zu halten und eine Maske oder Fassade aufzubauen, die ihr half, die innere Schatzkiste immer tiefer in sich selbst einzugraben und zu verstecken. Und dabei war das beste Versteck gerade gut genug für sie.