Читать книгу Gaben der Liebe - Musenkuss - Dani Merati - Страница 4
Kapitel 1
ОглавлениеGegenwart - Mark
„Das ist absoluter Bockmist!“ Harald Müller, sein Verleger, knallte Marks Manuskript auf den Schreibtisch. „Ich habe etwas Besseres von dir erwartet. Ich kann einfach nicht glauben, dass dieser Schwachsinn von derselben Person geschrieben worden ist, die mir mit ihren ersten beiden Werken erstklassige Kunst geliefert hat.“
„Nun, dieser ganze Fantasyscheiß funktioniert nicht mehr für mich“, antwortete Mark ruhig. Innerlich fühlte er sich alles andere als das. Er wusste, dass ‚Missgeschick‘ - vorher bekannt unter dem Namen ‚Missverstanden‘ - nur ein Riesenhaufen Scheiße war, den er produziert hatte.
Er hatte nichts weiter getan, als irgendwelche zufälligen Sätze aneinanderzureihen. Seine Frustration hatte dann jedes seiner Worte in die plattesten Klischees verwandelt, die existierten. Seine ersten beiden Bücher waren in einem alternativen Universum angesiedelt, relativ verbreitet, doch er hatte es geschafft, dem üblichen Ork- und Elfenthema zu entkommen. Etwas Frisches und Interessantes zu schaffen.
Aber dieser Funke, der ihn inspiriert hatte, fehlte bei seiner neuen Geschichte völlig und es verwunderte ihn nicht, dass Harald es bemerkt hatte. Sein Verleger war ein massiger Kerl, der ihn an die zuvor erwähnten Orks erinnerte, doch er besaß einen rasiermesserscharfen Verstand und ein untrügliches Näschen für Bestseller. Was unglücklicherweise bedeutete, dass er die Werke, die über seinen Schreibtisch gingen, sehr kritisch beurteilte.
Mark war deswegen gleichzeitig dankbar und angepisst. Er wusste, dass ohne Haralds Hilfe seine beiden Bücher niemals so erfolgreich gewesen wären. Dennoch hatte er gehofft, dass er ihm mehr Feed-back geben würde, nicht nur ein gebrülltes ‚Das ist Scheiße!‘
„Offensichtlich funktioniert es nicht mehr“, wütete Harald. Er warf ihm das Manuskript an den Kopf, schenkte ihm einen verachtenden Blick, als Mark auswich.
„Nimm das und wisch dir damit den Arsch ab. Zu etwas anderem ist es nicht zu gebrauchen. Ich will vernünftige Schreibe, nicht diesen Mist.“
Innerlich fluchend sammelte Marc die herumgeflogenen Blätter ein und schenkte seinem Verleger eine kleine Verbeugung. „Zu Befehl, Eure Majestät!“
Harald hatte offenbar noch eine weitere Tirade in petto, vielleicht wollte er ihr Meeting auch zu besseren Bedingungen beenden, doch Mark gab ihm keine Chance dazu. Er öffnete rasch die Tür und suchte sein Heil in der Flucht. Sein Manuskript wie ein Schild vor sich haltend ging er durch den Korridor Richtung Fahrstuhl, alle neugierigen Blicke ignorierend.
Er wusste, wie abgehalftert er aussah. Seine ehemals glänzenden, halblangen kastanienbraunen Locken hingen matt und kraftlos herunter. Dunkle Schatten hatten eine Dauerresidenz unter seinen Augen beantragt und seine Haut war bleich und wächsern, obwohl der Sommer vor der Tür stand. Wie durch ein Wunder hatte er kein Gewicht zugelegt, trotz der Tatsache, dass er ständig Fast Food in sich hineinschaufelte. Jetzt wünschte er, er hätte zumindest für dieses Treffen ein wenig mehr Wert auf sein Äußeres gelegt, doch ihm fehlte der Antrieb. Er näherte sich der Verzweiflung und man sah es ihm an.
Als er das Verlagshaus am Breitscheidplatz verließ, dachte Mark nicht zum ersten Mal darüber nach, das Schreiben komplett an den Nagel zu hängen. Er schien in letzter Zeit keinen Zugang zu seiner Muse zu finden und seine Ersparnisse neigten sich langsam und stetig dem Ende zu. Wenn es so weiterging, würde er sich an seine Eltern wenden müssen und wie demütigend wäre das denn?
Er vermisste Luca. Das Lachen des anderen Mannes, das ihm jedes Mal einen Steifen verursachte. Die unzähligen kleinen, albernen Dinge, die dieser sich hatte einfallen lassen, um Mark aus einem Schreibtief zu holen. Wenn sie sich geküsst und geliebt hatten, war er sich vorgekommen wie die Protagonisten in seiner ausgedachten Fantasiewelt. Ein Teil von ihm wollte seinen Exgeliebten anflehen, ihn zurückzunehmen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt war er davon überzeugt, dass sein Exfreund etwas Besseres verdient hatte, als einen ausgebrannten, bald am Hungertuch nagenden Schreiberling.
Kirchenglocken erklangen und Mark sah hinüber zur Gedächtniskirche. Instinktiv lenkte er seine Schritte von der U-Bahn-Station weg und folgte dem irgendwie beruhigenden Klang. Ein Blick auf seine Armbanduhr bestätigte ihm die volle Stunde. Einen Augenblick verharrte er vor der Tür und wollte gerade wieder kehrtmachen, als eine tuschelnde Touristengruppe aus dem Gebäude kam. Zögernd trat er ein.
Er hatte schon ewig keine Kirche mehr besucht, genauer gesagt seit seinem Comingout. Zum Glück waren seine Eltern nie übermäßig religiös gewesen und seine Eröffnung wurde relativ gelassen aufgenommen. Etwas enttäuscht vielleicht, auch ein wenig ängstlich, was ihren Jungen jetzt erwarten würde, aber alles in allem ziemlich positiv. Ihr Verhältnis war mittlerweile so gefestigt, dass er sogar mit dem Gedanken gespielt hatte, ihnen Luca vorzustellen.
Als Mark durch den Gang schritt, wurde er von der Stille, die hier herrschte beinahe überwältigt. Es war, als hätte er eine völlig andere Welt betreten. Zum Glück waren zurzeit nur sehr wenige Leute anwesend, sodass er diese Ruhe voll auskosten konnte. Er setzte sich in eine der hinteren Reihen auf einen Stuhl und schloss die Augen. Einen Augenblick verharren, die Gedanken sammeln. Das klang nach einer hervorragenden Idee.
***
Gegenwart - Lennie
Leonard Sander zerrte mit einiger Mühe den schweren Seesack hinter sich her, während er vergeblich versuchte, seinen Rucksack und diverse andere Taschen vom Wegrutschen abzuhalten. Der Ausstieg der Bahn erschien ihm Kilometer entfernt und trotz des klimatisierten Innenraums troff ihm der Schweiß von der Stirn. Jetzt reiß dich mal zusammen, du Lusche! Du wirst in den nächsten Minuten zwar bestimmt nicht mehr zu Superman mutieren, aber du wirst doch ein paar lächerliche Taschen schleppen können! In Momenten wie diesen hasste er seine kleine, schmächtige Statur - die man allgemein als Hänfling bezeichnete - abgrundtief.
Ächzend heftete er den Seesack noch etwas höher und fragte sich zum gefühlt hundertsten Mal, warum er keinen praktischen Trolley besaß. Als letzter Reisender seines Abteils hatte er es nach Stunden - so kam es ihm jedenfalls vor - geschafft, sich außerhalb des Zuges auf dem Bahnsteig einzufinden. Keuchend wie eine Dampflok ließ er erst mal alles fallen und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn.
Wieso musste er auch gleich sein ganzes Zeug vom Internat mit hierher schleppen? Es hätte gereicht, nur das Nötigste mitzunehmen. Niemand hatte ihn gezwungen, sein Zimmer sofort leerzuräumen. Nun, genötigt vielleicht nicht, aber Lennie wusste, dass seine Sachen nicht mehr da gewesen wären, hätte er sie zurückgelassen.
Außerdem war es besser so. Nie mehr würde er einen Fuß in diesen vermoderten Kasten setzen. Auf keinen Fall! Jetzt musste er das nur noch seiner Mom beibringen, dass er das letzte Schuljahr bis zum Abi hier in Berlin verbringen wollte - und zwar bei seinem Patenonkel.
Der bisher nirgendwo in Sicht war, wie ihm gerade auffiel. Er checkte sein Smartphone und stellte fest, dass seine Bahn mit Verspätung angekommen war. Also müsste Mark längst da sein. Hoffentlich hatte seine Mom, chaotisch, wie sie war, nicht vergessen, ihm Bescheid zu geben, ehe sie zu ihrer Studienreise nach Ägypten aufgebrochen war.
Rasch tippte er Marks Festnetznummer ein, doch die Mailbox erklärte ihm mechanisch, dass der gewünschte Teilnehmer nicht erreichbar war. Beim Handy war es dasselbe. Genial! Und was jetzt? Seufzend sah Lennie auf sein Gepäck, bevor er es ergeben auf seine Schultern verteilte. Dann mal los!
Auf seinem beschwerlichen Weg als Packesel kam er auch an den Toiletten vorbei, doch obwohl ihn Mutter Natur schon mächtig zwickte, beschleunigte er seine Schritte. In die sanitären Anlagen vom Bahnhof Zoo würde man ihn nicht mal mit Waffengewalt bekommen. Er war zwar abenteuerlustig, aber keineswegs lebensmüde.
Traurig betrachtete er aus den Augenwinkeln, die teilweise sehr heruntergekommenen Gestalten, die in den Ecken herumlungerten. Er wusste, dass sich darunter sehr viele Teenager befanden, die zuhause rausgeflogen waren. Lennie war glücklich, dass seine Mom ihn so akzeptierte, wie er war und trotzdem liebte. Sie hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er ihr vor drei Jahren gestanden hatte, er wäre schwul. Er war in den Arm genommen worden, dann hatte sie nur gesagt, wenn was wäre, könne er immer zu ihr kommen. Danach hatte sie gezwinkert und gemeint, für Tipps mit Jungs solle er sich doch aber bitte an seinen Patenonkel wenden.
Tja, das war bisher noch nie notwendig gewesen, doch Lennie war unendlich dankbar, dass es Mark gab.
Endlich ließ er die große Bahnhofshalle hinter sich und kniff erst mal die Augen zusammen, als er von der gleißenden Sonne geblendet wurde. Die drückende Schwüle trug auch nicht gerade dazu bei, seine Laune zu heben. Scheiße! Nach seiner regelrechten Flucht aus dem Internat hatte er sich wahnsinnig auf Mark gefreut und jetzt sah es tatsächlich so aus, als hätte sein Patenonkel ihn vergessen. Nochmal versuchte er, ihn auf dem Handy zu erreichen. Erfolglos!
Na dann! Nach einem kurzen Blick zur Bushaltestelle stapfte er entschlossen zum Taxistand. Auf keinen Fall quetschte er sich bei dieser Affenhitze mit seinem ganzen Zeug in einen Bus bis Charlottenburg. Schnaufend wie ein alter Mann erreichte er das erste freie Taxi. Das amüsierte Lächeln des Fahrers konnte ihm den Buckel runterrutschen. Ich frage mich wirklich, wo Mark sich rumtreibt. Vielleicht sitzt er ja vor seinem PC und ist so vertieft in sein Schreiben, dass er die Zeit vergessen hat!
Lennie grinste. Das konnte er ihm verzeihen. Er war absolut süchtig nach den Büchern seines Patenonkels. Es waren zwar erst zwei Romane veröffentlicht worden, aber auch eine Menge Kurzgeschichten in Onlineforen. Für einen hormongesteuerten, schwulen Teenager waren die Bücher von ‚Marc LeGrange‘ die reinste Offenbarung.
***
Gegenwart - Mark
Als Mark die Treppe zu seiner Altbauwohnung im dritten Stock hochtrottete, war die gesammelte Entspannung aus der Kirche bereits aufgebraucht und seine Laune im Keller. Normalerweise störte ihn der wieder mal defekte Fahrstuhl nicht, doch heute spürte er jeden einzelnen Knochen. Alles, was er jetzt noch wollte, war sich langlegen und am besten diesen Tag aus dem Kalender streichen. Die vergangenen Monate gleich mit, wenn er schon mal dabei war.
Irgendeine höhere Macht schien sich jedoch gegen ihn verschworen zu haben, denn als er seine Wohnung betrat, konnte er so gerade eben einen Sturz über die auf dem Boden verstreuten Taschen verhindern.
„Was zum Teufel?“, fluchte er laut.
Bevor er entscheiden konnte, sich entweder unauffällig zurückzuziehen und den Notruf zu wählen oder mannhaft der Gefahr zu stellen, raste eine bunte Gestalt einem Güterzug gleich auf ihn zu und sprang ihn an. Der vorhin abgewendete Fall wurde nun Realität, als er rückwärts stolperte und unsanft in dem Chaos auf dem Boden landete. Die Person auf ihm drauf umklammerte ihn derweil fester und begann, ihn abzuknutschen.
„Hey, Mark. Da bist du ja endlich. Ich warte schon ewig auf dich. Du wolltest mich doch vom Bahnhof abholen. Gut, dass Mom einen Zweitschlüssel von dir in unserer Wohnung hat.“
Der Junge, kein Einbrecher, sondern sein Patensohn Leonard, rutschte auf ihm hin und her, während er munter weiter plapperte. Peinlich berührt spürte Mark, wie er auf die Nähe des anderen männlichen Wesens ansprang, und schob den jungen Mann etwas ungelenk von sich weg, um seinem Schwanz ein wenig Luft zu verschaffen. Verflucht nochmal, Mark, der Kleine ist wie dein eigener Sohn. Bist du jetzt pervers, oder was?
Er räusperte sich und rutschte von seinem Patenkind weg, der das merkwürdige Verhalten seines Onkels anscheinend nicht bemerkt hatte. Mühsam rappelte er sich in eine sitzende Position und nahm den Anblick des Jungen, dem er schon die Windeln gewechselt hatte, in sich auf. Er hatte ihn fast zwei Jahre nicht mehr gesehen, immer war etwas dazwischengekommen. Lennie hatte sich verändert. Und wie!
Kopfschüttelnd registrierte er die in allen Regenbogenfarben schillernden Haare, die wie Igelstacheln abstanden, den pechschwarzen Eyeliner, der die hellgrünen schrägen Augen betonte. Dann wanderte sein Blick zu dem hautengen schwarzen T-Shirt herunter, das sich an den schmalen, doch durchaus trainierten Oberkörper schmiegte. Der goldene Schriftzug brannte sich in seine Netzhaut mit seiner Bedeutung und sein Mund trocknete aus.
„Bist du irre?“, krächzte er und wedelte mit der Hand in Richtung der Schrift, die ihn magnetisch anzog.
Leonard guckte für einen Moment verdutzt. Dann grinste er frech, sah an sich herunter und fuhr die Buchstaben nach. „Cool, nicht wahr? Hab ich selbst entworfen.“
Mark schluckte, sein Blick klebte immer noch an diesem einzelnen Satz. ‚Willst du mein Top sein?‘ prangte unübersehbar auf der Brust seines Patenkindes und sendete verwirrende und absolut falsche Signale in Richtung seines Unterleibes. Gott, wie untervögelt muss ich sein, dass ich jetzt schon nach einem halben Kind lechze?
Leonard sprang geschmeidig auf die Füße und hielt ihm eine Hand hin. „Komm, alter Mann, ich helfe dir hoch.“
Das wirkte wie der sprichwörtliche kalte Eimer mit Wasser. Seine Erregung verschwand und er blinzelte sein Patenkind an. Sein Schützling, der in seiner Wohnung stand, obwohl er doch eigentlich mehrere hundert Kilometer entfernt bei seiner Mom sein sollte. Er nahm die angebotene Hand in Anspruch und ließ sich von einem überraschend kräftigen Leonard in die Höhe ziehen.
„Okay, Kleiner und jetzt sag mir, was du hier treibst und warum du nicht bei deiner Mutter bist.“
Leonard sah ihn überrascht an. „Hast du denn nicht mit Mom gesprochen? Sie ist doch zu dieser Exkursion nach Ägypten eingeladen worden und hat für mich keine Genehmigung bekommen. Nur offizielle Teilnehmer, keine Angehörigen. Ich soll meine Sommerferien bei dir verbringen. Sie traut mir offenbar nicht zu, sechs Wochen alleine zu leben. Dabei bin ich erwachsen.“
Er drehte sich auf dem Absatz um und stapfte ins Wohnzimmer. Melli gondelte mal wieder in der Weltgeschichte herum? Verdammt, wieso hatte er das nicht mitgekriegt. Sechs Wochen also, die ganzen Sommerferien. Es gab Schlimmeres. Mark folgte dem Kleinen seufzend, nicht ohne einen letzten Blick auf das Chaos in seiner Diele zu werfen. Es sah so aus, als stünde ihm eine turbulente Zeit bevor. Er zuckte mit den Achseln. Vielleicht war das ja genau das, was er brauchte.