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DER ANFANG VOM ENDE

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Paris, 26. Januar

„Sie behaupten: Die Liebe ist ein Riesenschwindel ... Finden Sie nicht, dass Sie damit ein bisschen zu weit gehen? In unserer Sendung heute Morgen, aber auch in Ihren Artikeln und Interviews, ist Ihr Tenor immer der gleiche: Sie verreißen die Liebe und die Paarbeziehung! Wenn das keine Provokation ist, dann weiß ich es auch nicht!“

Wir waren zu dritt im Studio. Hinter der Scheibe wachte der Techniker über sein Schaltpult. An dem düsteren, abgeschotteten Ort hatte das Interview inzwischen die Züge eines intimen Gesprächs angenommen.

Seit fast einer Stunde hatte mich jetzt schon der Starmoderator eines großen nationalen Radiosenders im Kreuzverhör. Seinen Namen verrate ich hier lieber nicht: Eine unerhörte Frage folgte der nächsten. Aber statt ihm zu sagen, was ich von ihm hielt, antwortete ich lächelnd: „Das ist keine Provokation, nur eine Feststellung! Aufgrund von persönlichen Erfahrungen, aber auch von vertraulichen Aussagen von Hunderten Männern und Frauen, die ich für meine Artikelserie zum Thema Liebe befragt habe. Bei ihren Geständnissen war mir nicht nach Scherzen zumute, das können Sie mir glauben! Sie haben mir jede Illusion über die Beziehung zwischen Mann und Frau genommen. Die Liebe ist ein Riesenschwindel, dabei bleibe ich, und dazu stehe ich!“

Jetzt übernahm wieder die Kollegin meines Interviewers das Wort. Ebenfalls nicht besonders geschickt, hatte sie mir von Anfang an immer wieder widersprochen. War es Eifersucht wegen des ganzen Medienrummels um meine Recherchen über die Liebe? Oder Eifersucht einer Frau auf eine andere? Wahrscheinlich beides.

„Sie sind jung, attraktiv und prominent. Sie müssen großen Erfolg bei den Männern haben, behaupten Sie mir jetzt bitte nicht das Gegenteil! Wie kann eine Frau wie Sie so der Liebe misstrauen? Ich kann das einfach nicht nachvollziehen ...“

In diesem Stil machte sie weiter, es sprudelte förmlich aus ihr heraus. Was wusste sie eigentlich von meinem Liebes- und Sexleben? Nicht besonders viel, denn wenn sie mehr gewusst hätte ... Erneut riss ich mich zusammen, um nicht auf sie loszugehen: „Glauben Sie wirklich, dass eine junge, hübsche Frau zwangsläufig Glück in der Liebe hat? Dass sie in jedem Fall immer die Gewinnerin ist? Dann täuschen Sie sich aber gewaltig, denn oft passiert genau das Gegenteil. Und ich werde es Ihnen beweisen.“

Sie glaubte, mich zum Schweigen bringen zu können, indem sie versuchte, lustig zu sein: „Besser jung und schön als alt und hässlich, da sind sich wohl alle Hörerinnen mit mir einig!“

An dieser Stelle begann ich unangenehm zu werden: „Zum Glück sind Sie ja auch jung und schön. Denn wenn Sie sich allein auf Ihren Humor verlassen müssten, dann würden Sie den Mann Ihres Lebens so schnell wohl nicht finden!“

Offenbar hielt ihr Kollege es für klug, unser Gespräch an dieser Stelle zu beenden, bevor es in einen Zickenkrieg ausartete: „Liebe Sandrine Rochas, Sie kennen ja das Prinzip unserer Sendung: Unsere Hörer stellen unseren Gästen live Fragen. Es wird Zeit, ihnen das Wort zu überlassen, denn unsere Telefonzentrale steht kurz vorm Kollaps!“

Der erste Hörer warf eine Frage auf, die mich seit einiger Zeit selbst beschäftigte: „Mit Ihren Artikeln über die Liebe sind Sie in kurzer Zeit berühmt geworden, sie finden große Beachtung. Fürchten Sie nicht, dass Sie vielen Männern und Frauen den Mut und die Zuversicht nehmen, wenn Sie sich so negativ über Liebe und Sex auslassen? Und damit vielleicht sogar Trennungen und Scheidungen verursachen?“

Sein Tonfall war nicht aggressiv, die Argumentation durchaus schlüssig. Ich antwortete ganz ehrlich: „Das Risiko, Trennungen zu beeinflussen, existiert, ja. Das ist mir völlig bewusst. Aber liegt es nicht vor allem daran, dass die Liebe eine flüchtige Illusion ist, dass es so viele Scheidungen und Trennungen gibt? Meine Artikel gibt es nicht umsonst. Ich sage lieber die Wahrheit, auch wenn sie nicht rosig ist, statt den Mythos einer idyllischen Liebe aufrechtzuerhalten, die in Wirklichkeit in über der Hälfte der Fälle in einem trostlosen Knast endet. Vorsicht ist besser als Nachsicht: Nur wenn man der Realität der Beziehung zwischen Mann und Frau ins Auge sieht, hat man die größten Chancen, weniger Enttäuschungen zu erleben ...“

Überzeugt, mich in die Enge treiben zu können, unterbrach mich die Moderatorin: „Sie sprechen von der Realität der Beziehung zwischen Mann und Frau ... Kann es sein, dass es sich dabei eher um ganz persönliche, verbitterte, demoralisierende Vorurteile handelt?“

Sie hatte mich herausgefordert, also gab ich es ihr postwendend zurück: „Dann sehen Sie sich doch mal um! Sie sind weder blind noch taub! Die Tatsachen sprechen für sich: Noch nie hat es so viele Scheidungen und Trennungen gegeben! Jeder von uns hat dafür Beispiele in seinem Umfeld. Und die ganzen Patchworkfamilien, von denen es auch immer mehr gibt, sind auch nicht meine Erfindung!“

Aber sie wollte nicht lockerlassen: „Werfen Sie jetzt bloß nicht alles durcheinander! Das ist die Zeit, in der wir leben, mit der Liebe hat das gar nichts zu tun!“

„Dann erzählen Sie das mal den Frauen und Männern, die aufrichtig an ihre Gefühle geglaubt haben, aber nur eines dafür bekommen haben: große seelische Einsamkeit, unter der sie jeden Tag zu leiden haben!“

Während die Moderatorin noch nach einer Antwort suchte, ergriff der Hörer wieder das Wort: „Aber trotzdem gibt es ja auch glückliche Paare!“

„Ich behaupte ja auch gar nichts Gegenteiliges, aber Sie müssen zugeben, dass sie selten sind. Wenn Sie die Scheidungen, die Trennungen und die Paare zusammenrechnen, die resigniert haben und zusammen ein mittelmäßiges Leben führen, oder die gezwungenermaßen aus materiellen Gründen zusammenbleiben, dann bleibt nicht mehr viel Platz für das Glück zu zweit ...“

Er war ein aufrichtiger Mensch und stimmte mir am Ende zu: „Ja, da haben Sie leider recht ...“

Eine weitere Hörerin ergriff das Wort: „Ich gebe Sandrine Rochas vollkommen recht, und alle meine Freundinnen auch. Ich bin seit 12 Jahren verheiratet, und wenn die Kinder nicht wären, hätte ich mich schon längst scheiden lassen. Für mich lässt sich unser glückliches Leben zu zweit auf drei idyllische Monate zusammenfassen ... Seitdem ist es katastrophal. Jeden Tag Streit. Liebe, Harmonie und Glück zu zweit, ich weiß gar nicht, was das überhaupt ist! Ich finde mich in Ihren Artikeln vollkommen wieder ... Ich habe gehört, dass Sie an einem Buch schreiben. Stimmt das?“

„Ja. Ich kann Ihnen sogar schon den Titel nennen: Die Liebe: eine einzige Katastrophe!“

„Ich bin gespannt darauf. Ab wann kann man es kaufen?“

„Nach den Sommerferien.“

Ein weiterer Anruf eines sehr wütenden Hörers kam herein: „Sie haben recht: Die Liebe ist eine verdammte Katastrophe! Man muss völlig blind oder bewusstlos sein, um daran zu glauben!“

„Das habe ich nie gesagt!“

„Nein, aber ich bin mir sicher, dass Sie so denken!“

„Das stimmt so nicht! Ich sage, dass wir sehr wenig über die Liebe wissen. Das ist nicht dasselbe. Und wenn wir so wenig wissen, dann deshalb, weil man uns von klein auf mit Ammenmärchen indoktriniert, so sieht es aus!“

„Kann sein. Aber wenn Sie schon behaupten, für die Wahrheit einzustehen, dann seien Sie auch konsequent!“

„Und das heißt?“

„Geben Sie zu, dass Frauen Liebe und Gefühle in Wahrheit komplett egal sind. Sie haben nur eines im Kopf: einen Dummen zu finden, der ihnen materielle Sicherheit gibt!“

„Da haben Sie aber vergessen, dass heute die meisten Frauen arbeiten und ihren Teil zum gemeinsamen Budget beitragen ...“

„Ja, das ist genau das, was die feministischen Schlampen immer erzählen!“

Hier zeigte der Starmoderator die richtige Reaktion: „Bleiben Sie bitte anständig! Sonst kann ich Sie leider nicht weiterreden lassen!“

Mitten in den Tumult kam ein weiterer Anruf. Eine Frau, nach der Stimme zu urteilen sehr jung:

„Also wissen Sie, man muss nicht besonders tief graben, um den Macho zu finden, der in jedem Mann schlummert! Aber deswegen rufe ich gar nicht an. Auch ich stimme Sandrine Rochas zu: Die Liebe ist einfach nur Unsinn! Man muss wirklich total naiv sein, um daran zu glauben!“

„Bitte erklären Sie uns das ...“

„Der Anrufer gerade hat gesagt, dass Frauen nur an eines denken. Und was ist mit den Männern? Sie sind doch geradezu besessen von Sex! Ihr ganzes schönes Gerede hat doch nur einen Zweck: Frauen ins Bett zu kriegen! Danach geben sie einem entweder den Laufpass oder betrachten einen als Möbelstück. Dann ist man nur noch das Dienstmädchen für alles, jederzeit verfügbar für die schnelle Nummer, wenn ihnen danach ist! Nennen Sie das etwa Liebe?“

Die Moderatorin, die beim Zuhören kritisch den Mund verzogen hatte, warf ein: „Finden Sie nicht, Sie übertreiben da jetzt etwas?“

Aber die junge Frau ließ sich nicht von ihrer Meinung abbringen: „Übertreiben? Auf keinen Fall! Fragen Sie mal die Frauen in Ihrem Umfeld, die allermeisten werden mir recht geben: Dauerhaft glückliche Paare gibt es nicht! Man muss schon wirklich dumm sein, um daran zu glauben!“

Und sie fügte hinzu: „Bravo, Sandrine! Kämpfen Sie weiter, um den Frauen endlich mal die Augen zu öffnen. Dann bewahren Sie sie vielleicht davor, die Ammenmärchen zu glauben, die ihnen schon viel zu lange aufgetischt werden!“

Mein Interviewer schien sich selbst für sehr witzig zu halten, als er bemerkte: „Jetzt kommt man sich hier schon fast wie auf einer Feministinnentagung vor ...“

Da ich keinen Mucks von mir gab, beeilte er sich, einen weiteren Anruf entgegenzunehmen.

Diesmal behielt er seinen Unmut für sich. Was die Hörerin zu sagen hatte, war nicht dazu geeignet.

„Ich habe mir die komplette Sendung bis jetzt angehört. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich Ihnen nicht zustimme; ich bin empört, was Sie hier sagen. Ich glaube an die Liebe! Ich bin 48. Als ich meinen Partner kennenlernte, war ich 26. Wir waren immer glücklich und haben uns sehr geliebt, das garantiere ich Ihnen! Leider starb er vor sechs Jahren bei einem Verkehrsunfall. Er fehlt mir unendlich. Seit seinem Tod komme ich fast um vor Einsamkeit, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke.“

Der Moderator antwortete prompt mit der übertrieben traurigen Stimme eines schlechten Schauspielers: „Seien Sie überzeugt, dass wir alle aus tiefstem Herzen bei Ihnen sind.“

Die Hörerin fuhr fort: „Vielen Dank, das berührt mich. Aber ich möchte gerne wissen, was die ‚Liebes-Spezialistin‘ Sandrine Rochas von meiner Meinung hält.“

Mit einem spöttischen Lächeln wandte sich die Moderatorin an mich: „Sandrine, was antworten Sie dieser Hörerin, deren bewegender Fall Ihre systematische Abwertung der Liebe widerlegt?“

Sie glaubte, mich endlich in die Enge getrieben zu haben. Ihr Lächeln war triumphierend.

„Zuerst einmal möchte auch ich ihr mein aufrichtiges Mitgefühl versichern. Aber dann möchte ich ihr auch sagen, dass man aus vergangenem Glück nicht schließen kann, dass es die Liebe gibt ...“

„Warum?“, fragte der Starmoderator, ausnahmsweise mal ernst und aufmerksam.

„Weil ihre Aussage meiner Meinung nach nur eines beweist ...“

„Und das wäre?“, fragten meine beiden Interviewer im Chor.

„Das, was wir Liebe nennen, ist lediglich ein Ausdruck der Angst vor Einsamkeit, die in jedem Menschen vorhanden ist. Oder zumindest bei der großen Mehrheit. Ich werde nur eine einzige Tatsache anführen, obwohl ich Ihnen noch viele weitere nennen könnte: Die Hörerin sagt selbst, dass sie seit dem Tod ihres Partners vor Einsamkeit fast umkommt. Es ist genau diese Einsamkeit, wegen der sie leidet, nicht der Verlust einer Liebe, die einfach nur das Produkt ihrer Einbildung war ...“

Sofort unterbrach mich die Hörerin empört: „Ich habe meinen Partner wirklich geliebt, und er mich auch, und ich verbiete Ihnen, das Gegenteil zu behaupten!“

Ich hatte Mitleid mit ihr, aber nicht derart, dass ich jetzt gegen meine eigene Überzeugung sprach: „Bitte verstehen Sie mich nicht falsch! Ich sage weder, dass Sie und Ihr Partner keine tiefen Gefühle füreinander hatten, noch, dass Sie nicht zutiefst glücklich zusammen waren. Ich sage nur, dass diese Gefühle nur der unbewusste Ausdruck der Angst vor Einsamkeit waren, die in jedem von uns existiert. Denn ich sage es gerne noch mal: Die Liebe gibt es nicht! Sie ist nur eine Illusion mit dem einzigen Ziel, uns diese Angst zu ersparen.“

Die Hörerin ersparte sich jeden Kommentar und legte wütend auf.

Kurzes Schweigen in der Leitung, dann reagierte der Moderator und nahm einen weiteren Anruf entgegen.

Eine halbe Stunde später war die Sendung zu Ende. Zwei Drittel der Anrufer, Frauen und Männer gleichermaßen, waren auf meiner Seite. Einmal mehr zeigte mir die Erfahrung, dass ich nicht die Einzige war, die sich weigerte, an dieses inhaltsleere Wort Liebe zu glauben. Spaß machte mir das alles nicht. Es gefällt mir nicht besonders, Träume zu zerstören. Außer, wenn sie gefährlich sind, weil sie zu schmerzhaften Enttäuschungen führen.

Das übrige Drittel der Anrufer bestand aus Liebes-Groupies. Männer und Frauen, die felsenfest an die Liebe glaubten. Ich konnte es ihnen nicht verübeln: Auch ich hatte einmal daran geglaubt ...

Ich sprach kurz mit dem Regisseur, dann vermeldete der Moderator, dass die Anrufe sämtliche Rekorde gebrochen hatten. Sofort schlug er mir ein weiteres Interview in den kommenden Wochen vor. In den Augen der Moderatorin sah ich Wut. Nur um sie zu ärgern, stimmte ich zu!

Was GOTT ADAM und EVA nicht sagte

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