Читать книгу Das kleine Putsch-Brevier - Daniel Camastral - Страница 3

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Begriffliches

Wortherkunft und Bedeutung

Ist «Putsch» nicht ein wunderbar lautmalerisches Wort? Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. So ein Wort kann nur aus der Schweiz kommen, ist also ein Helvetismus. Fast jeder Deutschschweizer ist schon einmal in seinem Leben auf der Chilbi in einem Putschauto gesessen und weiss entsprechend, was ein Putsch ist. Allen des Schweizerdeutschen nicht mächtigen Lesern sei erklärt, dass eine Chilbi ein Jahrmarkt ist, und das Putschauto ist in nördlichen Gefilden als Autoscooter bekannt. Charakteristisch für diese kleinen, frei lenkbaren Fahrzeuge ist ein breiter umlaufender Gummiring, der gegen Rempler schützt. Ein Rempler – ein heftiger Stoss – wird in der Schweiz Putsch genannt. Nach dieser langatmigen Erläuterung kommen wir zum Kern des Begriffs. Gemäss Duden stammt das Dialektwort «bütsch» aus dem 15. Jahrhundert und bedeutet soviel wie «heftiger Stoss» oder «Zusammenprall». Im Schweizerischen Idiotikon wird als «Putsch» ein plötzlicher Vorstoss, ein Anlauf gegen ein Hindernis oder ein Streich bezeichnet und erhielt später die Bedeutung eines Volksauflaufs oder einer Revolte [1].

Unter dem Begriff «Putsch» kann man im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1854 folgendes nachlesen: «zusammenstosz der leute, auflauf, kleine volkserhebung ... das wort putsch stammt aus der guten stadt Zürich, wo man einen plötzlichen vorübergehenden regengusz einen putsch nennt und demgemäsz die eifersüchtigen nachbarstädte jede närrische gemüthsbewegung, begeisterung, zornigkeit, laune oder mode der Züricher einen Zürichputsch nennen. da nun die Züricher die ersten waren, die geputscht, so blieb der name für alle jene bewegungen...» [2].

Nach verschiedenen Unruhen und Umstürzen im 19. Jahrhundert, insbesondere nach dem «Züriputsch» von 1839, fand der Begriff durch Zeitungsberichte eine weitere Verbreitung, sogar bis in den englischen (the putsch), französischen (le putsch) und italienischen Sprachraum (il putsch).

Wer mit dem Gedanken an einen Putsch liebäugelt, will von der Vergangenheit nichts wissen. Eine moderne Begriffsbestimmung ist gefragt. Und hier beginnt das Dilemma: soll der sprachliche Zweihänder hervorgenommen werden, oder soll eine feinere Klinge geführt werden? Grob gesprochen, werden Putsch und Staatsstreich synonym verwendet. Schnell und unter Anwendung von mehr oder weniger Gewalt wird eine herrschende Regierung abgesetzt, d.h. sie wird gestürzt.

Korinthenkacker werden sich mit dieser Definition nicht zufriedengeben. Eine geläufige Unterscheidung zwischen Putsch und Staatsstreich betrifft die Akteure. Bei einem Putsch sind es Aussenstehende (häufig Militärs von niederen Rängen), die gewaltsam die Staatsgewalt übernehmen, während beim Staatsstreich im engeren Sinn etablierte Träger hoher staatlicher Funktionen den gewaltsamen Umsturz herbeiführen [3]. Damit kann der Putsch als Sonderform des Staatsstreichs gelten, nämlich als «Staatsstreich von unten», während beim Staatsstreich die Akteure bereits eine hohe Machtstellung innehaben.

Gelegentlich wird aufgeführt, dass ein Staatsstreich planmässig gegen die Verfassung gerichtet ist. Beim Putsch hingegen wird dieses spezifische Merkmal kaum erwähnt.

Unabhängig von sprachlichen Feinheiten ist das Ziel von Putsch und Staatsstreich immer das gleiche: der Sturz der Regierung und die Übernahme der Macht im Staat. Engländer und Franzosen machen denn auch keinen Unterschied zwischen Putsch und Staatsstreich. Beides wird «coup d’état» genannt.

Aufmerksamen Zeitungslesern ist sicherlich nicht entgangen, dass der Begriff des Putsches häufig für Propagandazwecke verwendet wird. Putschen tun immer nur die anderen. Wenn ein Umsturz oder Umsturzversuch von reaktionären oder faschistischen Minderheiten ausgeht, ist es ein Putsch. Wenn Kommunisten das Gleiche tun, heisst es Revolution [4]. Genau genommen ist auch dies nicht korrekt: ein Putsch geht von einer verhältnismässig kleinen Gruppe aus, während eine Revolution von der breiten Masse der Bevölkerung ausgeht [5].

Dies führt zur Begriffsbestimmung der Revolution. «Revolutio» war ursprünglich ein Begriff der Astronomie, der wörtlich das «Zurückwälzen», die scheinbare Rückwärtsdrehung von Himmelskörpern bezeichnete. Bezogen auf Politik und Gesellschaft wurde das Wort im 17. Jahrhundert noch in seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet, die Wiederherstellung («Zurückwälzung») alter Verhältnisse und die Rückkehr zu einer alten Ordnung. Mit der französischen Revolution von 1789 verkehrte sich der Begriff ins genaue Gegenteil: Umsturz und Neuanfang, oftmals unter Gewaltanwendung. Interessanterweise hatte das italienische «rivoluzione» schon im Mittelalter die Bedeutung von «Aufruhr des Volkes» und «Staatsstreich». Heutzutage ist der Begriff inflationär verwendet. Alles, was einen tiefgreifenden Wandel verspricht, wird als revolutionär bezeichnet, sei es eine revolutionäre Methode zur Gewichtsabnahme oder ein revolutionäres Beleuchtungssystem für Gartenteiche. Ernsthafter spricht man von der Industriellen Revolution oder von der Digitalen Revolution. Wir wollen Revolution aber im politischen und sozialen Kontext verwenden.

Putsch und Revolution stehen zueinander wie Sprint und Marathon. Beim Ersteren zählt die Geschwindigkeit, mit der die Regierung gestürzt wird, während ein revolutionärer gesellschaftlicher Wandel Ausdauer verlangt. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine Revolution nicht mit einem Putsch beginnen kann. Möglicherweise ist es sogar einfacher, eine Revolution «von oben» anzustossen als jahrelang das Terrain an der Basis zu bereiten. Das bekannteste Beispiel dürfte die Oktoberrevolution von 1917 in Russland sein, an deren Anfang ein Putsch der Bolschewiken unter der Führung von Lenin stand.

Spanier und Lateinamerikaner kennen das schöne Wort «pronunciamiento», was wörtlich «Ankündigung» oder «Proklamation» bedeutet. Gemeint ist damit ein öffentlicher Aufruf von Militärs gegen die Politik der Regierung. Die öffentliche Meinung soll dahingehend beeinflusst werden, dass ein dem Militär genehmer Oppositionsführer mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt wird. Putsch und «pronunciamiento» verfolgen dasselbe Ziel und unterscheiden sich nur in der Wahl der Mittel.

Den Putsch haben zwar die Schweizer erfunden, aber an sprachlichem Raffinement können sie den Spaniern nicht das Wasser reichen. Deshalb ist hier ein weiteres spanisches Wort zu nennen, für das es im Deutschen keine elegante Übersetzung, sondern nur eine Umschreibung gibt: «auto-golpe» (englisch: self-coup). Es handelt sich um eine Form eines Putsches, bei dem der rechtmässig an die Macht gelangte Führer eines Landes die übrigen Staatsorgane aushebelt und sich Machtbefugnisse aneignet, die ihm verfassungsmässig nicht zustehen, also beispielsweise die Suspendierung der Zivilgerichte oder die Annullierung der Verfassung.

Zu guter Letzt sei noch die Palastrevolution erwähnt, eine Sonderform des Putsches. Personen aus dem unmittelbaren Umfeld eines Herrschers zetteln einen Umsturz an. Im übertragenen Sinn wird heute auch eine Intrige gegen Vorgesetzte in einem Unternehmen als Palastrevolution bezeichnet.

Wir wollen uns an dieser Stelle aber nicht in sprachlichen Finessen verlieren und legen den folgenden Darstellungen kurz und bündig die Definition des Duden zugrunde: ein Putsch ist ein «von einer kleineren Gruppe [von Militärs] durchgeführter Umsturz[versuch] zur Übernahme der Staatsgewalt» [6].

Begriffsverwendung

Der Begriff des Putsches ist negativ besetzt. Ein Putschist sollte dieses Wort tunlichst vermeiden. Glücklicherweise sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt, einen Putsch als positive Aktion zu umschreiben. Die Rettung des Vaterlands, Demokratie und nationale Wohlfahrt sind hehre Ziele, die Unterstützung verdienen. Nach dem Putsch in Burma vom 1. Februar 2021 liess das Informationsministerium in einer Erklärung an den Presserat verlauten, das Verwenden von unkorrekten Begriffen wie «Coup» oder «Junta» könne als Akt der Unruhestiftung betrachtet werden und verstosse gegen das Publikationsgesetz.

Einen Putsch im Alleingang zu unternehmen, ist meist keine gute Idee. Benötigt wird eine Gruppe von Gleichgesinnten. Damit ist es möglich, von einer «Bewegung» zu sprechen. Wählen Sie einen wohlklingenden Namen für Ihre Bewegung, und Sie können sich der Sympathie von Teilen der Bevölkerung und der Medien gewiss sein. Beispiele gefällig?

 Revolutionary Command Council for National Salvation (Sudan, 1989)

 State Law and Order Restoration Council (Burma, 2002)

 Comité Militaire de Salut National (Mauretanien, 1982)

 Conseil National de la Démocratie (Burkina Faso, 2015)

 People’s Redemption Council (Liberia, 1980)

 National Council for Peace and Order (Thailand, 2014)

 Bewegung für Frieden in der Heimat (Türkei, 2016)

 Comité National pour le Salut du Peuple (Mali, 2020)

Zwei andere Beispiele sind:

 Mouvement du 30 Septembre (Indonesien, 1965)

 Movimento das Forças Armadas (Portugal, 1974)

Hier fehlen positiv konnotierte Begriffe wie Freiheit, Vaterland, Demokratie. Sie wirken einfach nur autoritär und seelenlos. Erfunden wurden sie vermutlich von einem spröden militärischen Technokraten, der sich keinen Deut um die Aussenwirkung des Namens scherte.

Akteure an den Rändern des politischen Spektrums geisseln zu Propagandazwecken Aktionen des Gegners gerne als Putschversuch oder gar als Putsch. Dabei greifen sie oft zu abenteuerlichen Wortkreationen wie «Verfassungsputsch», «kalter Putsch», «konterrevolutionärer Putschversuch» oder «postmoderner Putsch». Der US-Präsident Donald Trump hat am 02.10.2019 das gegen ihn angestrebte Amtsenthebungsverfahren als PUTSCH bezeichnet, mit dem man ihn um die Wahl betrügen und dem amerikanischen Volk die gottgegebenen Bürgerrechte wegnehmen wolle. Tatsächlich handelt es sich bei einem Amtsenthebungsverfahren in den USA um ein vom Gesetz her vorgesehenes Verfahren. Aber «Putsch» macht nun einmal einfach einen stärkeren Eindruck auf die eigenen Wähler.

Abbildung 1 - Trump on Twitter

Ob ein sogenannter Putsch diese Bezeichnung auch verdient, können Sie anhand von drei einfachen Fragen beurteilen:

 Sind die Akteure Militärs oder unzufriedene Regierungsbeamte?

 Richtet sich der Aufstand gegen den Kopf der Regierung?

 Wenden die Akteure illegale oder verfassungswidrige Methoden an, um die Macht an sich zu reissen?

Wenn alle drei Fragen mit Ja beantwortet werden können, darf mit Fug und Recht ein Putsch angenommen werden.

Erlauben wir uns zum Abschluss dieses Kapitels eine kleine Spielerei. Wir werfen ein paar englische Begriffsdefinitionen für «coup d’etat» in einen Topf und lassen uns daraus im Internet [7] eine Schlagwortwolke generieren (siehe auch Anhang 1).

Abbildung 2 - Word Cloud «Putsch»

Die prominenten Schlagworte zeigen sehr schön, was im englischen Sprachraum unter «coup d’etat» verstanden wird, nämlich ein plötzlicher und illegaler Sturz der Regierung durch eine kleine Gruppe von Leuten, oftmals unter Anwendung von Gewalt.

Das kleine Putsch-Brevier

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