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Kapitel 2


Der Unterschied zwischen dem Beherrschen der Denke und dem Ausschalten der Denke

Es scheint mir von Bedeutung, dass der Leser den entscheidenden Unterschied zwischen zwei Techniken versteht, die sich ergänzen können, sich aber gleichzeitig gegenüberstehen: seine Denke beherrschen und seine Denke ausschalten. Auch wenn es wünschenswert ist, dass immer mehr Menschen, Gruppen und Gruppierungen aller Couleur sich mit diesem Thema beschäftigen, so muss man doch zugeben, dass auf dem einträglichen Markt der »Spiritualität« der größte Unsinn angeboten wird. Einem jeden stehen zahlreiche Techniken zur Verfügung, die von einfachen Entspannungsübungen bis zur ausgeklügelten Meditation reichen. Das ist durchaus in Ordnung, solange sie von den Anbietern dieser Techniken klar definiert werden. Ich bestehe auf dem Ausdruck »Techniken«, denn er erscheint mir sehr viel angemessener als andere Bezeichnungen wie »spiritueller«, »ganzheitlicher«, »philosophischer« oder auch »religiöser Ansatz«. Es ist immer gut, zwischen einem Werkzeug, das den Menschen zur Verfügung steht, und dem Ziel zu unterscheiden. Das ist eine Tatsache, die viele Therapeuten (darunter auch Ärzte) und andere Personen häufig zu ignorieren scheinen oder sogar vergessen haben, weil sie sich so sehr auf das Mittel konzentrieren.

Die Beherrschung der Denke

Die Denke zu beherrschen heißt: die Denke benutzen, damit nicht diese uns benutzt. Mit anderen Worten: Mentale Übungen sollen helfen, um die Denke zu kanalisieren, um zu vermeiden, dass sie von sich aus Unsinn macht (worin sie leider sehr gut ist!).

Schauen wir uns ein Beispiel an, um diesen Sachverhalt zu illustrieren. Ich stehe ganz unter dem Einfluss der Denke, was Ängste und vielleicht sogar Panikattacken und Phobien auslöst. Um das in den Griff zu bekommen, stelle ich mir vor, ich sei an einem schönen Sandstrand. Die Sonne wärmt meine Haut, und das tiefblaue Meer umspült meine Füße in sanften Wellen. Durch tiefes Atmen und entsprechende Konzentration spüre ich nach und nach den Sand unter meinen Füßen und die Sonne auf meiner Haut, ich höre und sehe schließlich die Wellen, die meine Füße umspülen. Während dieser Zeit werden meine Panik, meine Phobien und meine Ängste sicher verschwinden. Nach und nach werde ich ruhiger und fühle mich besser.

Meine Denke ist still geworden, aber ist sie auch verschwunden? Bin ich im gegenwärtigen Moment, im Hier und Jetzt? Stehe ich in Kontakt zu meinen Empfindungen und Emotionen? Stehe ich in Kontakt mit meiner Intuition und meiner Kreativität? Stehe ich in Kontakt mit meinem wesentlichen Kern, mit meinem innersten Wesen?

Die Antwort auf jede dieser Fragen lautet nein. Schließlich ist es immer noch die Denke, die mich nach wie vor dazu bringt, Dinge aus meiner Vergangenheit zu empfinden, die in der Gegenwart keinerlei Bestand haben.

Im Hier und Jetzt liege ich ausgestreckt auf einer Matte in einem Übungsraum, dessen Tür geschlossen ist, zusammen mit zehn anderen Menschen, die unter Anleitung eines Therapeuten die gleiche Übung machen wie ich, begleitet von leiser Hintergrundmusik … Es ist so gut wie sicher, dass ich mit der Rückkehr in den gegenwärtigen Moment auch sehr schnell wieder unter den Einfluss der Denke gerate. Natürlich könnte ich die gleiche Übung wieder machen, um mich erneut zu beruhigen. Einziger Nachteil: Weder der Raum, noch die Therapeutenstimme oder die entspannende Musik sind dann noch da …

Natürlich gibt es andere Visualisierungsübungen, bei denen nicht zwangsweise die Anwesenheit eines Dritten nötig ist, aber auch hier gelten die gleichen Einwände.

Die Techniken des positiven Denkens sind bekannt und gehören in die gleiche Kategorie: Positive Vorstellungen sollen die negativen verdrängen und ersetzen. Aber auch damit bewegen wir uns immer noch im Dunstkreis der Denke. Nur über die Denke können wir ein Urteil aussprechen. Herrscht gedankliches Schweigen, verschwindet jeder Ansatz zu Verurteilungen und Vergleichen; positiv und negativ gibt es nicht mehr.

Die meisten Meditationstechniken gehören in diese Kategorie, obwohl ich nicht zu behaupten wage, sie alle zu kennen und alle ausprobiert zu haben. Sie helfen dabei, das Problem zu entdramatisieren, aber sie schaffen das nur mithilfe der Denke.

Das Ausschalten der Denke

Die zweite, mögliche Technik besteht darin, die Denke auszuschalten und es so einzurichten, dass sie überhaupt nicht mehr da oder in irgendeiner Weise aktiv ist. Dahin können wir leicht gelangen, indem wir uns unserem Körper und unseren Sinneseindrücken zuwenden.

Das gelingt, indem man sich das Ein- und Ausatmen bewusst macht und sich nacheinander auf seine Füße, Knöchel, Waden, Knie und so weiter bis hoch zum Kopf konzentriert. Sobald man das nachhaltige Bewusstsein für seinen Körper wiedergefunden hat, kann man dazu übergehen, sich seiner fünf Sinne bewusst zu werden. Die Geräusche draußen oder im Zimmer, das Licht hinter den geschlossenen Lidern, der Geschmack im Mund, der Kontakt mit dem Sessel oder Stuhl, auf dem man gerade sitzt, der Geruch im Zimmer oder an dem Ort, an dem man sich befindet – all dies gilt es wahrzunehmen und zu empfinden. Die Technik wird auf Seite 147 detailliert beschrieben.

Diese Technik ist sicher die einfachste. Es bedarf keinerlei besonderer Materialien oder eines bestimmten Ortes, um sie auszuüben. Mit ein bisschen Übung kann sie an jedem Ort angewendet werden, in jedem Transportmittel, bei Arbeitsbesprechungen, im Sitzen, im Stehen und im Liegen. Mit ihrer Hilfe kann man die Denke schnell und wirkungsvoll ausschalten. Sicher, sie wird wieder auftauchen, aber wenn die Übung gleich wiederholt wird, verschwindet die Denke wieder, bis zum nächsten Mal … Schritt für Schritt werden wir uns des Auftauchens der Denke immer schneller bewusst und können sie noch schneller wieder ausschalten. Dieses Bewusstmachen bedeutet, dass wir viel mehr auf uns achten und folglich auch viel öfter im Hier und Jetzt sind.

Jede Technik, bei der man sich seines Körpers und seiner Sinneseindrücke bewusst wird, führt zum Auslöschen der Denke: So kann es uns zum Beispiel gelingen, durch Tanz, Musik und Gesang wieder festen Fuß im gegenwärtigen Moment zu fassen.

Um das Geschriebene zu illustrieren, nehmen wir ein konkretes Beispiel: Monique muss sich mit einem sehr realen Problem in ihrem gegenwärtigen Leben auseinandersetzen. Sie ist verheiratet, und ihr Mann betrügt sie. Dieses Problem belastet sie, sie hat sehr gemischte Gefühle und schwankt zwischen Zorn, Frustration, Zukunftsängsten und Schuldgefühlen in Bezug auf die Vergangenheit. Erst will sie sich scheiden lassen, dann will sie sich rächen, indem sie sich selbst einen Liebhaber zulegt, und schließlich will sie ihrem Mann verzeihen. Sie fühlt sich nicht gut, schläft schlecht und reagiert gereizt auf die Menschen in ihrer Umgebung. Kurz: Sie ist angespannt und fühlt sich schlecht in ihrer Haut.

Sie hat drei Möglichkeiten, sich besser zu fühlen und ruhiger zu werden, um das Problem so eventuell lösen zu können.

Zuerst einmal könnte Monique beschließen, dass dieses Problem für sie nicht länger all diese unangenehmen Folgen hat. Natürlich bleibt das Problem unverändert, doch sie beschließt einfach, nicht mehr daran zu denken. Eines Tages wird sich schon eine Lösung finden. Diese Entscheidung ist eine reine Ausgeburt ihrer Denke und kann nicht funktionieren. Denn Monique übergeht ihre Emotionen komplett, die folglich präsent bleiben, auch wenn Monique sie gar nicht empfinden will (und das auch schafft!). Sie verneint die Realität. Man kann davon ausgehen, dass all diese Probleme fortbestehen und sogar noch schlimmer werden.

Zweitens könnte Monique ihre Denke nutzen, damit nicht diese sie benutzt. Um so vorgehen zu können, muss sie bestimmte Techniken anwenden, deren Ziel es ist, ihre Ängste zu beruhigen, ihr Schuldbewusstsein und auch die zu heftigen Emotionen abzuschwächen, die alle eine starke innere Anspannung erzeugen können.

Alle Arten der Visualisierung können hier angewandt werden: Man visualisiert eine schöne Szene, Zahlen oder irgendetwas anderes. Das sollte sie machen, sobald Monique an ihr Problem denkt, sobald sie eine zu große Anspannung verspürt, und wenn sie es schafft, sogar schon beim ersten Anzeichen einer Anspannung.

Sie kann auch meditieren und mit dieser Technik versuchen, ihr Problem zu entdramatisieren, es so zu betrachten, wie es ist, und nicht so, wie die Denke es ihr suggeriert. Mit ein bisschen Übung kann sie zu der Schlussfolgerung gelangen, dass dieses Problem nur ein Wendepunkt des Lebens ist, dass ihr eigenes Leben nicht in Gefahr ist und dass das, was sie empfindet (Trauer und Wut), nur eine weitere Ausgeburt ihrer Denke ist, also gar nicht wirklich existiert …

Diese Techniken ermöglichen, wie wir bereits gesehen haben, die Rückkehr zu einer gewissen, vorübergehenden Ruhe und eine Befreiung von der Anspannung, die von Moniques Denke ausgelöst wurde. So wird sie sich einen Moment entspannter und weniger ängstlich fühlen, und daraus kann ein gewisses körperliches Wohlbefinden resultieren. Aber sobald das Problem (nämlich ihr Mann) wieder auftaucht, darf man davon ausgehen, dass sie schnellstmöglich zu ihren Übungen zurückkehren muss, um sich von der erneuten Anspannung zu befreien, die nicht ausbleiben wird.

Unsere Denke zu benutzen, damit nicht sie uns benutzt, ist ein angesagter Trick, wird aber auch von den Betroffenen selbst sehr geschätzt. Die genannten Techniken sind nämlich sehr »elegant«. Man muss dafür nicht sein Innerstes nach außen kehren, kann aber gewisse Probleme »regeln«, indem man sie beiseiteschiebt oder schlimmstenfalls sogar leugnet. Die Emotionen, die an einem Problem hängen, durch eine gedankliche Analyse zu bagatellisieren oder kleinzureden, mag ja brillant erscheinen (und schmeichelt sicher dem Ego der Person, die an diesem Gedankenspiel teilnimmt). Noch nie aber ist es gelungen, Emotionen auf diese Weise verschwinden zu lassen. Deshalb bleibt eine Anspannung bestehen, die ihrerseits wieder mithilfe derselben Techniken verneint werden kann, und alle sind zufrieden: der Therapeut und der Betroffene. Monique könnte von dieser Vorgehensweise durchaus angetan sein, denn sie wird den Eindruck haben, ihr Problem leichter angehen zu können. Sie wird sich nicht mehr so angespannt fühlen, und sie wird schließlich den Eindruck bekommen, ihre Emotionen besser im Griff zu haben. All das ist gut und sollte nicht leichtfertig beiseitegeschoben werden, bleibt aber trotzdem eine Spielerei des Egos, also der Denke. Die Denke zu benutzen, damit nicht sie uns benutzt, ist eine interessante Technik, solange es ein Mittel bleibt, das Monique erlaubt, einen Schritt weiterzugehen und die Denke auszuschalten. Denn es ist ein gefährliches Spiel, zu verneinen oder auch nur zu konstatieren (also sich bewusst zu machen), dass Emotionen vorhanden sind, ohne sie auszuleben. Wir wissen, was aus nicht gelebten Emotionen wird: Sie existieren weiter, erzeugen große Spannungen und führen zu Unwohlsein, diversen Beschwerden und den verschiedensten schweren Erkrankungen …

Die dritte Möglichkeit besteht darin, die Denke auszuschalten und in den gegenwärtigen Moment zurückzukehren, also zu seinem Körper und seinen Sinneseindrücken. Diese Technik ermöglicht es Monique, sich teilweise, dafür aber wirklich, körperlich zu entspannen, wobei auch die Ängste und Schuldgefühle beseitigt werden. Natürlich bleibt ihr Problem nach wie vor bestehen, genau wie die Emotionen, die von der Tatsache herrühren, dass ihr Mann sie betrügt. Wieder im gegenwärtigen Moment zu sein, führt zu zweierlei: Man tritt mit seinen Emotionen und mit seinem innersten Wesen in Kontakt.

Monique wird ihre Wut und ihre Trauer ausleben müssen, was voraussetzt, dass sie akzeptieren muss, diese zu erkennen, zu empfinden und zu leben. Sicher, dazu bedarf es einer Kraftanstrengung und auch großer Bescheidenheit. Zu akzeptieren, dass ein Ereignis in ihr Empfindungen auslöst, kann ein unangenehmerer Schritt sein, als es zu leugnen. Außerdem gehört eine ordentliche Portion Mut dazu, seine Emotionen auszuleben. Aber diese Schritte sind kleine Liebesbeweise, die Monique sich selbst erbringen kann. Indem sie das tut, gibt sie sich, vielleicht aufs Neue, das Recht zu existieren, statt sich genau dieses Recht zu verweigern. Ihr Körper wird ihr durch eine tiefe Entspannung und ein tiefes Wohlgefühl unmittelbar signalisieren, dass sie auf dem richtigen Weg ist – vorausgesetzt, dass sie ihre Emotionen auch wirklich ganz zum Ausdruck bringt.

Den Kontakt mit dem angeborenen Wissen und dem innersten Wesen wiederherzustellen, ist der zweite Vorteil dieser Technik. Wenn Monique ihre Intuition, ihre tiefwurzelnde Intelligenz und ihr Empfindungsvermögen wiedererlangt, kann sie eine Lösung für ihr Problem finden oder auch eine Möglichkeit, das Problem mit ihrem Mann anzugehen, die weder aggressiv noch reaktiv ist. Sie kann mit ihm einen Dialog beginnen oder ihn wissen lassen, was sie empfindet, nachdem sie ihre Wut losgeworden ist. Dieser Dialog wird von ihrer Seite aus sehr offen sein, denn sie hat sich ja vorab, indem sie ihre Emotionen ausgelebt hat, Liebe geschenkt. Im gegenwärtigen Moment und frei von Anspannung kann Monique unerschütterlich bleiben und so Kompromisse vermeiden, die für sie inakzeptabel wären. Gleichzeitig wird sie offen für die Worte ihres Partners sein. Die Chancen stehen sehr gut, dass die beiden zusammen einen Weg finden werden, um diese Situation so gut wie möglich zu bereinigen.

Man sieht also, dass diese Technik, die erst einmal viel schwerer umzusetzen ist, gleichzeitig viel effektiver ist als die anderen. Sie ermöglicht uns, schnell ein tiefes und dauerhaftes Wohlgefühl zu erlangen. Sie sorgt für ein Wiedererstarken des Selbstvertrauens und über diesen Umweg für eine sehr viel bessere Kommunikation mit dem Gegenüber. Seine Denke nicht auszuschalten und seine Gefühle nicht zu leben, führt zum Verlust des Selbstvertrauens und zur völligen Nicht-Kommunikation. Wer in Gegenanklagen, Wut und Verurteilungen verharrt, wird den Anderen nicht erreichen. Dieser wird nicht zuhören oder mit Gewalt reagieren. Das Abschotten ruft ein Abschotten beim Gesprächspartner hervor und umgekehrt. Sich selbst nicht zu lieben und nicht zu respektieren, hat noch nie zu mehr Liebe geführt.

Wut ist gut!

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